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Markus Wilfling, Wir sind da, 2011
© VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Wir sind da

Bescheiden stehen die drei Worte auf einer großen weißen Wand. Wer nicht achtgibt, läuft an ihnen schlichtweg vorbei. Bei diesen von Hand mit Fineliner auf die Wand geschriebenen Worten könnte es sich ja auch um eine Wandschmiererei handeln, um eine in jugendlicher Unbekümmertheit oder Frechheit angebrachte Botschaft. Dieses „Wir sind da“ steht im Zeitgeist von „Wir sind Deutschland“, „Wir sind Papst“ (Bildzeitung 20. April 2005) und einem „Yes, we can“ des amerikanischen Volkes. Doch wer ist „wir“? Geht es dabei um ein Volk? Und wo „sind“ diejenigen, die „da“ sein sollen? Auch derjenige, der geschrieben und diese geheimnisvolle Spur hinterlassen hat, ist nicht mehr da.

Mit diesen drei Worten werden gleichzeitig Anwesenheit und Abwesenheit angesprochen. Die Worte zeugen von einer Gegenwart, von einer spürbaren Präsenz. Aber sie verbirgt sich namenlos hinter den drei Worten „Wir sind da“. Dennoch geschieht hier Offenbarung. Offenbarung, die einerseits an die Selbstkundgebung Gottes in der Wüste erinnert, als sich Gott dem Mose aus dem brennenden Dornbusch heraus als „Ich bin der ICH BIN DA“ mitgeteilt hat (Ex 3,14).

Andererseits mag der Schriftzug in seiner mysteriösen Erscheinung an die Warnung Gottes an den König Belschazzar (mene mene tekel uparsin) erinnern, die der Prophet Daniel übersetzen muss, damit der König sie versteht (Dan 5). Allerdings wird in unserem Fall kein drohendes Unheil verkündet. Vielmehr kann das „Wir sind da“ als ein Statement gelesen werden, als eine Einladung. Wir sind da. Du kannst nun kommen. Du bist herzlich willkommen.

„Ganz offensichtlich ist dieser Schriftzug nicht die Präsenzfanfare aus dem Munde eines Pluralis Majestatis, sondern die Bekundung auf einer Art Notizzettel in einem sehr vertrauten Kontext.“ (J. Rauchenberger) Diese Präsenz ist für alle da, gerade auch für die kleinen Leute (vgl. Mt 5,3-12).

Es bleibt die Frage nach dem „Wir“ in dieser Kundgebung. Geschah die Ich-Aussage Gottes zur Zeit Mose in einem polytheistischen Umfeld, in dem es darum ging, den einen wahren Gott zu manifestieren? Entstand die Wir-Aussage zu Gott im Rahmen eines Kunstwettbewerbs, in dem neue künstlerische Positionen zum Thema Trinität gesucht wurden? Im „Wir“ fasst der Künstler Markus Wilfling die vor gut 2000 Jahren sich herauskristallisierende christliche Glaubenserkenntnis zusammen, dass der eine Gott sich uns als Vater, Sohn und Heiliger Geist offenbart und für uns da ist. So steht das „Wir sind da“ voll und ganz in der christlichen Tradition und verkündet doch hochaktuell den mit keinem unserer Sinne fassbaren Gott, obwohl er in seinem Wesen durch und durch dem Menschen zugewandt ist.

In seiner radikalen Einfachheit hört sich das „Wir sind da“ auch wie ein Werbeslogan an. Ganz schlicht tönt er, ohne bildliche Darstellung und ohne in die Augen springende Farbe. Die drei Worte werben nicht für etwas Materielles, das man kaufen kann, sie kommen auf einer tieferen Ebene an. Sie scheinen einen Widerhaken zu haben, der sich im Gedankengut des Lesers einnistet zu einer selbstverständlichen, stärkenden Gegenwart. – Doch brauche ich eigentlich diese verborgene Präsenz dessen, der da ist und keine leeren Worte macht, sondern hält, was er verspricht? Brauche ich diesen: „Wir sind da“?

Patrik Scherrer, 09.07.2011

Markus Wilfling

Wir sind da
Entstehungsjahr: 2011
Finliner auf Wand in der Ausstellung: 1+1+1=1 Trinität, Kulturzentrum bei den Minoriten in Graz,
8. Juni bis 24. Juli 2011, Foto: J. Rauchenberger
© VG Bild-Kunst, Bonn 2024
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