Der Bildausschnitt führt den Betrachter zeitlich in die Nacht und räumlich in ein Zimmer mit einer offenen Balkontüre. Der Blick wandert über einen bläulich schimmernden See, der von einem Hügel begrenzt wird, hinauf in den türkis-nebligen Himmel, der etwa gleich viel Raum wie der See einnimmt.
Die einzige Lichtquelle im Bild ist die Reflexion des Mondscheins auf der Wasseroberfläche. Der angeschnittene Kreis lässt uns das Licht als sichtbare Hälfte eines unsichtbaren Ganzen wahrnehmen. Ungefähr in der Bildmitte positioniert erfüllt der Widerschein des Mondes alles gerade mit so viel Licht, dass die Landschaft und das Haus noch in unscharfen Konturen und dunklen Farbtönen wahrnehmbar sind.
Das Zimmer selbst ist in Dunkelheit gehüllt. Nur durch die große Öffnung werden die linke Wand mit der Balkontüre und der Boden schwach beleuchtet. So wirkt das Zimmer wie ein Rahmen für den nächtlichen Ausblick auf den mondbeschienenen See und macht diesen zu einem Blick ins Licht.
Es sind Elemente wie der Glanz des Sees oder der wolkig schattierte Himmel mit den grünlichen und rötlichen Lichteffekten, die zur wohltuenden Ruhe und dem tiefen Frieden im Bild beitragen. Harmonie geht von der flächig ausgeglichenen Darstellung von Wasser und Himmel aus und im Gegensatz zur Nacht und dem See ist hier im höhlenartigen Gemäuer Geborgenheit erfahrbar. „Durch die Sanftheit der Übergänge, den weichen Schmelz im Spiel mit Licht und Schatten, das glimmende Geheimnis magischen Farbdunkels bieten die Nachtstücke […] dem Betrachter einen nächtlich warmen Resonanzraum, in dessen Geborgenheit er mit seinen eigenen Empfindungen eintauchen, in den er sich wie in einen dunklen Mantel einhüllen kann.“ (Dr. Barbara Renftle in: „umnachtet-bestirnt – Das Nächtliche in der Kunst“, Stiftung BC – pro arte 2022, S. 46)
In der Stille einer solchen Nacht sind durchaus Gotteserfahrungen möglich. Durch das die Nacht erhellende und sich im See spiegelnde indirekte Mondlicht wird eine starke unsichtbare Gegenwart angedeutet, auch wenn die Lichtquelle selbst nicht zu sehen ist. Der Psalmist hat die Anwesenheit Gottes so stark erfahren, dass er zu Ihm sagen konnte: „Auch die Finsternis ist nicht finster vor dir, / die Nacht leuchtet wie der Tag, wie das Licht wird die Finsternis.“ (Ps 139,12) Das Wasser und die Nacht können dazu beitragen, dass der dunkle Raum als Zufluchtsort und Schutz erlebt wird, Eigenschaften, die gerne Gott zugeschrieben werden: „Da wurde mir der HERR zur Schutzburg, mein Gott zum Fels meiner Zuflucht.“ (Ps 94,22) Das gibt Kraft und Zuversicht, den Schwierigkeiten und Herausforderungen des Lebens zu begegnen und sie mit Seinem Beistand auszuhalten und zu überwinden in der Gewissheit, dass der Nebel sich lichten und ein neuer Tag anbrechen wird.
Das Bild war in der Themenausstellung „Umnachtet – bestirnt: Das Nächtliche in der Kunst“ bis zum 25. November 2022 in der Galerie der Stiftung BC – pro arte, Biberach zu sehen. Zur Ausstellung ist ein Katalog mit allen Werken und einer umfassenden kunstgeschichtlichen Einführung der Kuratorin Dr. Barbara Renftle erschienen.