Das Bild ist vertikal in einen weißen und einen rot-schwarzen Teil gegliedert. Beide Seiten lesen sich von oben nach unten: Links durch einige geschriebene Worte, rechts durch drei gleichgroße Rechtecke, die sich von oben nach unten aufhellen, als würden sie immer mehr von der sie umgebenden Farbe durchdrungen werden.
Der Schriftzug „Von guten Mächten wunderbar“ scheint wie von weit her auf der Leinwand aufzutauchen, um dann nach „wunderbar“ wortlos in eine lichtvoll gestaltete Fläche überzugehen. Ähnlich wie bei Jesus am Kreuz (Mt 27,46) sind hier nur die ersten Worte des tröstenden Liedes wiedergegeben, das Dietrich Bonhoeffer im Konzentrationslager kurz vor seinem Tod geschrieben hat. Der Kehrvers allein zeugt schon von einem unerschütterlichen Glauben, einer tröstenden Gewissheit, dass Gott seine Treuen durch alle Not hindurch beschützt.
Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.
Es macht den Eindruck, als hätte die wunderbare Offenbarung der Größe Gottes im Elend des deutschen Theologen, als hätte dieser bis in unsere Zeit hinein ungebrochene Krafterweis aus der Höhe die Künstlerin so in Staunen versetzt, dass keine weiteren Worte mehr nötig waren. Eine zeit- und raumlose Fläche öffnet sich dem Schauenden und offenbart gleichsam das Licht, in dem Bonhoeffer den Text verfasst hat. Damit rückt die Künstlerin seine Situation in die Nähe der Steinigung des Stephanus, der nach seiner Rede und kurz vor seiner Steinigung rief: „Ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen.“ (Apg 7,56) Die angedeuteten Gestalten in der belebten hellen Fläche könnten Hinweise auf diese Parallele sein!
Was die Künstlerin mit den drei Rechtecken wohl zum Ausdruck bringen will? Spiegelt sich in ihnen die Schwere des bevorstehenden Todes? Weist die rote Farbe auf das Blut der Märtyrer hin, das sie aus Treue zu Gott vergossen haben und in deren Fußstapfen Bonhoeffer tritt? Oder vermitteln die schwarzen Rechtecke letztlich die gleiche Botschaft wie die linke Bildhälfte, nur auf eine andere Weise? Durch ihre rechteckige, klar definierte Form können die dunklen Flächen für den betenden Menschen stehen.
So dunkel es in ihm am Anfang auch war, durch das Singen des Liedes scheint der fast undurchdringliche und dadurch schwere Anblick des Todes immer leichter und transparenter zu werden. Durch seine wachsende Zuversicht in die Nähe und die Güte Gottes wurde es in ihm immer heller, wird im warmen Rot unter allem Unverständlichen tröstend die Liebe Gottes in ihm sichtbar. Er erfährt die guten Mächte sowohl als ihn umgebende wie als ihn erfüllende, haltgebende Kraft! Und je tiefer er sich in die Liebe Gottes hineinfallen lässt, um so mehr darf er wie der Psalmist die wunderbare Größe der göttlichen Liebe erfahren: „Du umschließt mich von allen Seiten und legst deine Hand auf mich. Zu wunderbar ist für mich dieses Wissen, zu hoch, ich kann es nicht begreifen.“ (Ps 139,5-6)