Altarmauer

Eine aus aus getrockneter Erde errichtete Mauer verstellt im Münchner Mariendom während der Fastenzeit den Blick auf den Altar. Der Blick auf die eucharistische Mitte wird verwehrt, ebenso wird der unmittelbare Aufstieg durch aufgeschüttete Erde verunmöglicht. Wie ein Erdrutsch ergießt sie sich vor der lose aufgeschichteten Mauer, gleichsam auf ihre Anfälligkeit und Zerbrechlichkeit hinweisend.

In dem künstlerischen fein und wertvoll gestalteten Mariendom bilden diese Mauer und die aufgeschüttete Erde einen markanten Gegensatz. Die ursprüngliche, ungestaltete Erde erhält plötzlich einen zentralen Platz in diesem mit edlen Materialien umbauten Raum. Sie erinnert daran, dass wir aus der Erde genommen sind (Adamah = hebräisch „Erdboden“, Gen 2,7) und zur Erde zurückkehren (Ps 146,4). Anfang und Ende unserer Existenz werden zu bedenken gegeben, aber auch die Fruchtbarkeit der Erde, die uns ernährt und die mit ihren Rohstoffen die Grundlage für den technischen Fortschritt gibt. Wir sollen sie achten, wertschätzen und schützen, sie nicht als großen, billigen Mülleimer missbrauchen. Wir können auf und in ihr nichts wirklich entsorgen. Es wird uns irgendwann auf irgendeine Weise wieder begegnen und Sorge bereiten. Wenn wir nicht vorbeugen, werden uns die Altlasten wie ein Erdrutsch den Boden unter den Füßen wegziehen. Schnell und billig zahlt sich auf Dauer nicht aus. Umwege sind angesagt, neue Wege zu gehen ist die Herausforderung, ein Umdenken und Mehraufwand an Material und Zeit müssen erfolgen.

Die sorgfältig aufgeschichtete Mauer, die ohne Verbundstoff wie Zement oder Mörtel besteht, macht deutlich, wie fragil und unbeständig ihre Konstruktion, aber auch der Bau unserer Gesellschaft und Zivilisation ist. Ein herber Schlag, ein kräftiger Windstoß, eine überraschende Wasserflut oder ein unvorhergesehenes Beben genügen, um die Mauer zum Einsturz zu bringen und sie nach und nach wieder zu Erde zerfallen zu lassen. Insofern ist sie ein Sinnbild für unsere Anfälligkeit, Verletzlichkeit und Vergänglichkeit, aber auch ein ermutigendes Symbol, achtsam miteinander umzugehen, um uns nicht gegenseitig zu gefährden und zum Einsturz zu bringen.

Andererseits lädt die lose Mauer ein, die trennenden Blockaden Stück für Stück wieder abzubauen, insbesondere zwischen uns und Gott. Mauern, die wir in Unwissenheit oder aus anderen Beweggründen vor oder um uns herum aufgebaut haben. So kann man die Installation wie ein Fastentuch betrachten, das den Altar eine Zeit verhüllt, um danach das wahre Wesen des Altargeschehens wieder neu sichtbar werden zu lassen. Neu begreifbar zu machen, warum sich die Eucharistie über den Kreislauf von Werden und Vergehen erhebt. Wahres und wirkliches Leben kann nur tod-loses, ewiges Leben sein.

Die Installation kann bis zum 16. März in der Frauenkirche / Dom in München besichtigt werden.

Aufstieg ins Elysium

In der gotischen Westrosette der Regensburger Ulrichskirche strahlen die bunten Farben vom runden Mittelfeld über zwei mal zwölf konzentrisch angeordnete Glasscheiben nach außen. Im Zentrum schaut ein frontal dargestellter Engel (mit großer Ähnlichkeit zum berühmten lachenden Engel im Dom nebenan) auf den Betrachter hinunter. Er ist von zwölf intensiv blauen Perlen mit roten Spitzen umgeben. Die auf die Mitte ausgerichteten Maßwerkelemente werden von dünnen grünen, roten und blauen Strahlen begleitet, die wie Lebensadern nach außen führen.

Die offenen Hände des blondgelockten Engels liegen auf der unteren blauen Hälfte der Rosette auf, die leicht gewölbt an die Rundung der Erde erinnert. In deren blauen Feldern sind oben sechs expressiv gemalte Gesichter zu erkennen, unten drei Totenköpfe. Die dunkle Farbe und der finstere Gesichtsausdruck der Köpfe lassen an Menschen in irdischer Dunkelheit denken, an Umnachtete und Unerlöste.

Oberhalb der einladend ausgebreiteten Arme des Engels sind die Farben heller und bunter. Sieben Köpfe und drei Händepaare verteilen sich auf die Felder. Erhobene Hände und frohe Gesichter künden von glücklichen Menschen, von Erlösten. Sie sind bereits vom Engel mit wolkenartigen Flügeln an den Schultern zum Elysium erhoben worden, in das Land der Glückseligen, ins himmlische Licht. Sie leuchten wie Edelsteine.

Man könnte die Beobachtungen dabei bewenden lassen. Doch erstaunt es, dass der Künstler – wenn er dem Engel schon die Körperhaltung des Gekreuzigten gibt – nicht gleich Jesus als Auferstandenen und Schlüssel zum Himmelstor ins Zentrum gesetzt hat. Die Bibel erzählt, dass nach dem Sündenfall Cherubim das Tor zum Paradies bewachen (Gen 3,24) und an der Schwelle zur Endzeit Engel die Menschen ermahnen und offenbaren, was bald kommen wird (Offb 1,1; 22,6.16). Somit kann der Engel mit ausgebreiteten Armen Jesu Platz einnehmen. Er ist vom gleichen intensiven Himmelsblau wie der schmale blaue Streifen ganz oben umgeben, der wie ein Sternenhimmel aussieht und nach dem sich drei Händepaare sehnsüchtig ausstrecken. Der Engel erhebt die Menschen ins himmlische Licht, auf die Insel der Glückseligen, aber er vermag sie nicht zu erlösen oder zum Vater zu führen und ihnen damit eine ewige Heimat im Himmel anzubieten.

Das Elysium, die Insel der Glückseligen, wird so aus christlicher Sicht eine Zwischenstufe zum Himmel: sie ist die helle, obere Seite der Welt, der lebenswerte und lebensfrohe Teil. Wie in der griechischen Mythologie sind Himmelsboten zu den Menschen in der Dunkelheit gesandt, um sie aus ihren misslichen Lebensumständen herauszuholen, sie mit ausgebreiteten Armen willkommen zu heißen, ihnen auf die Füße zu helfen, sie in die Freiheit zu führen und hinein in das Licht der Gesegneten, Glücklichen, Lebenden.

Die Abwesenheit von Jesus fordert die Anwesenheit anderer Himmelsboten ein: Uns! – Alle, die an Gott glauben und eine Sendung in sich spüren, in welcher Form auch immer, den Be-nach-teiligten so zu helfen, dass sie gleichberechtigte Beteiligte an den Gütern und dem Wissen dieser Erde werden. Dabei gilt es nicht, die ganze Welt zu umarmen, sondern dem Einzelnen und Nächsten konkrete Hilfe zukommen zu lassen. Von so einem Handeln geht Segen aus, ähnlich wie die Hintergrundflächen der Engelshände golden leuchten.

So wie Jesus damals seine Jünger zu Menschenfischern, zu begeisterten Menschensuchern und -fängern berufen hat, um möglichst alle am Reich Gottes teilhaben zu lassen, so sind WIR heute berufen, ihren Auftrag engelsgleich in unserem Lebenskreis auszuführen und Menschen von der Dunkelheit ins Licht zu begleiten.

 

Perspektivenwechsel

Es gibt Tage, da geht nichts wie gewohnt. Es scheint, als hätte man zwei linke Hände, man kann nicht mehr klar denken, man steht immer wieder im Stau oder Bus und Bahn fahren nicht im Takt, man verletzt sich oder verunfallt sogar. Kurz, es gibt Tage oder Zeiten, da wird unser Lebensrhythmus durcheinander gebracht oder gar auf den Kopf gestellt. Da mag es uns gehen wie dem schmalen, hageren Engel, der kopfüber auf einer überdimensionierten Legoplatte steht.

Er, der gewohnt ist als Botschafter des Höchsten zu fliegen und erhobenen Hauptes den Menschen zu begegnen und sie zu begleiten, er kann nicht mehr gehen, weil er mit dem Kopf auf dem Boden fixiert ist. Trotz allem bewahrt er Haltung, die Hände an der Naht der Hose angelegt, stramm und kerzengerade aufgerichtet. Aber seine Welt steht Kopf.

Traurig, melancholisch, stoisch schaut er drein. Das sieht man, wenn man ihm ins Gesicht schaut (Detailbild). Was ist wohl mit ihm passiert? Ist er aus dem Himmel gefallen? Abgestürzt, herausgefallen aus seinen Gewohnheiten und Sicherheiten? Ein Flügel ist kürzer als der andere. Haben sie ihn ausgemustert? Haben sie ihn deswegen fluguntauglich erklärt? Als Mahnmal kopfüber auf die Erde gestellt?

Die Legoplatte dient dem Spiel. Sie ist eine Grundplatte, die Halt gibt, aber auch andere Möglichkeiten eröffnet. My angel ist kein gefallener Engel. Er liegt nicht, er ist nicht tot, vielmehr anders. Damit verstört er, regt aber gleichzeitig zur Auseinandersetzung mit ihm an. Meditiert er sozusagen, um sich zu sammeln und wieder „funktionstüchtig“ oder „flugsicher“ zu werden? Wird ihm das je wieder gelingen? Oder wird er durch den Teilverlust seines Flügels behindert bleiben? Aber ist er das nicht schon, verhaltensauffällig, wie er da auf dem Kopf steht?

Wie auch immer ist dieser Engel ein Wesen mit besonderen Bedürfnissen und Fähigkeiten. Und trotz aller Verletzlichkeit oder Gebrechlichkeit ist er auch ein irritierender Clown unter den himmlischen Seelenflugbegleitern. Er ist er wunderbar, weil rätselhaft hintersinnig und eigen-artig. Liebenswert. Er steht Kopf, um die Welt auf dem Kopf zu sehen. Dabei schaut er – der himmlische Perspektiven gewohnt ist – die Welt von ganz, ganz unten an.

Vielleicht tut uns so ein „Kopfstehen“ zwischendurch auch mal gut. Nicht nur dann, wenn es uns überraschend widerfährt, sondern als Übung, die Welt aus einer anderen Perspektive wahrzunehmen. Zum einen aus der „Froschperspektive“, aus der Sicht derjenigen, die gesellschaftlich ganz unten leben, oder durch ihr Verhalten oder ihre Gebrechen an den (Existenz-)Rand gedrängt wurden. Zum anderen einen verdrehten Blick, bei dem der Boden der Dinge auf einmal Oben sind und alles was Oben war, nun unten ist. Eine heilsame Erfahrung, die uns selbst im Geist beweglicher machen kann und uns allen näher bringt, deren Leben gerade aus den Fugen geraten ist oder Kopf steht.

Sehnsucht der Seele

Zwei längliche Objekte stehen parallel nebeneinander. Sie sind von der Größe her ähnlich und geben sich doch ganz unterschiedlich. Während das linke Objekt als Behälter genutzt wird, erscheint das rechte verschlossen, unzugänglich, geheimnisvoll. Der kantige, dunkelgraue Quader aus Stahl wäre nur ein monolithischer Block, stände er nicht in Beziehung zu seinem linken Pendant und ließe sich daraus die Geschichte konstruieren, dass er als Deckel abgehoben und daneben abgesetzt wurde. Die kantige Spur in der Erde könnte daher rühren, dass er beim Öffnen kurz abgesetzt wurde und dabei einen bleibenden Eindruck in der Erde hinterließ. Merkwürdig ist allerdings, dass diese rechtwinklige Linie als feine Lichtspur die Erde zeichnet. Denn ein solches Phänomen kennen wir – abgesehen von Vulkanausbrüchen oder Lichtreflexen auf Wasseroberflächen – nicht in unseren Alltagserfahrungen. „Hier aber haben wir eine geradezu künstliche Spur von Licht, eine Art Riss in der Wirklichkeit, zugleich ein Freiraum …“ (Andreas Mertin in „Gegenüberstellung“, 2014, S. 90)

Dieser spannungsvolle Freiraum lädt ein, selbst nach Bedeutungen zu suchen, diesen „Riss in der Wirklichkeit“ zu nutzen, um zu hinterfragen und neue oder andere Welten kennenzulernen. Denn so sehr der rechte Quader verbirgt, offenbart der linke Kasten. Der Kontrast zwischen den beiden Objekten verstärkt und fördert diese Bewegung. Das Spiel mit den Texturen regt an, haptisch zu begreifen und mit allen Sinnen zu erfahren: Das dunkle, glatte, stahlharte Metall auf der einen Seite, die warme, körnige, griffige Erde mit der Lichtspur auf der anderen Seite.

Werden hier nicht Tod und Leben thematisiert? Haben die beiden Quader nicht menschenähnliche Dimensionen? Erinnern sie durch ihre Kastenform nicht an Särge, in denen wir unsere Lieben begraben, der Mutter Erde zurückgeben? – Die Erde im Behälter mag erstaunen, erinnert aber, dass wir aus „Staub sind und zu Staub zurückkehren“. Sie symbolisiert unsere Vergänglichkeit, aber auch unsere Fruchtbarkeit und das Potential, das in uns steckt. Vor allem das Potential, Licht zu werden.

Die feine Lichtspur signalisiert, dass wir es in unserem Innern schon sind. Aber dieses ungeschaffene Licht ist unter einer irdischen Hülle verborgen. Die gute Nachricht: Es ist nicht unzugänglich weggesperrt, wie es der rechte Block suggerieren könnte, sondern wird schon durch geringe Veränderungen, oft sind es gerade Verletzungen, zugänglich und sichtbar. Die feine Lichtspur sagt damit: In dir steckt mehr! Ihre leichte Hakenform: Das ist gut so! Du musst dich nicht verstecken!

Die Lichtlinie offenbart damit und verweist auf eine immaterielle Gegenwart in allem Geschaffenen. Sie vermag die Seele anzudeuten und ihre Sehnsucht, im Leben Licht zu werden und nach dem Tod ins ewige Licht einzugehen. Damit deutet sie auch Gottes Gegenwart in uns an, die Quelle und das Ziel unserer Sehnsucht.

Diese Arbeit ist abgebildet in: Gegenüberstellung – Brücke zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem und wird von Andreas Mertin auf den Seiten 90-92 hervorragend beschrieben und gedeutet. Das Buch wurde herausgegeben vom Bischöflichen Ordinariat Regensburg anlässlich der Ausstellungen zum 99. Deutschen Katholikentag 2014 in Regensburg. Erschienen bei Schnell & Steiner Regensburg, 112 Seiten, 88 farbige Illustrationen, 21 x 26 cm, Hardcover, ISBN: 978-3-7954-2895-2, 19,95 Euro

Aufnahme in den Himmel

In einer wunderbar starken Bewegung senkt sich der blaue Raum auf den dunkelgrauen Figurenkomplex nieder und berührt beinahe die stehende Gestalt. Sie trägt ein Kind auf ihren Armen und steht an einem Bett. Der Silhouette nach beugt sich links eine weitere Person über die im Bett Liegende. Ob sie schläft, krank oder gar gestorben ist, lässt sich aus den wenigen Hinweisen nicht ableiten.

Allerdings erscheint die Figurengruppe zwischen zwei Welten dargestellt. Bröckelt nicht die Erde unter dem Bett weg, verweigert sie nicht den nötigen Halt, um sicher darauf stehen und leben zu können? Durch diese feinen gestalterischen Veränderungen des Hintergrundes befindet sich die Figurengruppe in einer Übergangszone zwischen Erde und Himmel, die sich grau und gegenstandslos gibt. An seiner engsten Stelle scheint das Bett mit den Personen zu schweben und wenn sich der Himmel weiter herunterneigt, bald von ihm umgeben zu sein.

Diese Hinweise deuten darauf hin, dass die im Bett liegende Person gestorben sein muss. Die intensive blaue Farbe und die Herkunft der Figurengruppe aus dem Marientod von Giotto di Bondone (1310) verbinden das Bildgeschehen letztlich mit Maria und ihrer Himmelfahrt, wie in der Umgangssprache ihre Aufnahme in den Himmel bezeichnet wird.

In diesem Bild wird nicht mit Engelscharen, Pauken und Trompeten ihre glorreiche Himmelfahrt gefeiert. Still neigt sich der Himmel wie in einer großen ehrenden Verneigung über das Sterbebett Mariens, um ihr ewige Heimat bei Gott zu geben. In Christus ist Gott selbst an das Sterbebett Mariens herangetreten, um sie persönlich zu sich zu holen. Bildhaft ist dies bereits mit dem Kind auf seinen Armen geschehen, welches die Seele von Maria darstellt, die bereits bei Gott weilt.

Was für eine gewaltige Vision, dass Gott uns Menschen im Tod nahe ist und diejenigen zu sich holt, die während ihrer Erdenzeit mit ihm gelebt haben, ja ihn aufgenommen und ihm das Leben und ihre liebende Zuwendung geschenkt haben.

Die kraftvolle und blauschwere Weite des Himmels laden zum Meditieren dieses Glaubensgeheimnisses ein. Wenn die Erde uns ihren nährenden Boden entzieht, dann bietet die Weite des Himmels einen neuen Halt. Oder bildlich gesprochen, wenn die Kräfte der Erde schwinden und sie austrocknet, wird der Himmel sich öffnen und lebenspendende Wasser regnen lassen.

Diesbezüglich erinnert das Bild an das adventliche Kirchenlied „Tauet, Himmel, aus den Höhn, tauet den Gerechten, … Wolken regnet ihn herab!“ (GL 104; KG 313) Was verdorrt ist, soll unter seinem Segen aufblühen, heißt es da. Und in der dritten Strophe wird sehnsüchtig gerufen: „Komm, du Trost der ganzen Welt, rette uns vom Tode. Komm aus deiner Herrlichkeit, komm uns zu erlösen.“

An Maria hat sich die Verheißung Gottes, „den Mittler selbst zu sehen und zum Himmel einzugehen“ (KG 303,1) bereits erfüllt! Als Glaubende leben wir in der Hoffnung, dass Gottes Verheißung auch uns gilt und unser irdisches Leben durch sein Kommen vollendet.

Kreuz – Antlitz Gottes

Ganz unauffällig verhielte sich dieser Quadratmeter an der Wand, wäre er nicht vergoldet und hätte er keine Falten. Die oberen drei Falten sind zum Betrachter hin gewandt, während die untere Falte sich nach hinten biegt und damit einen spannungsvollen Kontrast bildet. Die Skulptur präsentiert sich uns wie ein sauber gebügeltes Tuch, das eben aufgefaltet worden ist. Die Falten bilden dabei ein gleichschenkliges Kreuz, das sich in sanfter Erhebung aus dem Tuch heraus abzeichnet.

Das gefaltete Tuch erinnert mich an den Bericht des leeren Grabes: „Petrus sah die Leinenbinden liegen und das Tuch, mit dem sie das Jesus das Gesicht bedeckt hatten. Dieses Tuch lag nicht bei den Leinenbinden, sondern getrennt davon zusammengelegt.“ (Joh 20,7 Übers. Gute Nachricht-Bibel) Diese Kreuzfläche lädt uns ein, hinter ihr das Antlitz Jesu zu suchen.

Die vergoldete Fläche weist uns auf seine göttliche Herkunft hin. Im Schauen dieser “Ikone“ werden wir zur Sterbens-„Stunde“ Jesu geführt, in der er durch seinen Vater verherrlicht wird. Wir können seine Worte im Abschiedsgebet hören: „Vater, die Stunde ist da, verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrlicht.“ (Joh 17,1) „Vater, verherrliche du mich jetzt bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, bevor die Welt war.“ (17,5)

Im Kreuz die Herrlichkeit Gottes schauen! „Für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit, für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit. Denn das Törichte an Gott ist weiser als die Menschen, und das Schwache an Gott stärker als die Menschen.“ (1 Kor 1,23-25)

Doch da sind rote „Risse“ in der „goldenen Herrlichkeit Gottes“ zu sehen. Beflecken sie seine Größe, müssen sie als Makel, als ein Mangel an Vollendung gesehen werden? – Nein. Sie offenbaren uns seine alles durchwirkende und belebende Liebe, die seine Herrlichkeit und Größe ausmacht. Die roten „Risse“ lassen uns seine Verletzlichkeit spüren – und damit seine Menschenfreundlichkeit.

Hermann Bigelmayr hat dieses Kreuz als Kunstwerk von einem Meter auf einen Meter geschaffen. Er wollte ganz bewusst mit diesem Quadratmeter einen Bezug zur Erde schaffen, auf der wir leben, und jede und jeder auf irgend eine Weise etwas Platz zum Leben findet. Es gehört zur Menschenfreundlichkeit Gottes, dass er uns in die Gestaltung der Erde miteinbezieht, sie uns anvertraut, auch wenn er weiß, dass wir sie durch unsere Fehler und Schwächen wie Jesus kreuzigen.

Dennoch bleibt Gott in unserer Mitte. Kaum sichtbar hat der Künstler den Kreuzungspunkt der Falten als ein nach unten geneigtes Dreieck gestaltet. Das Dreieck als Symbol für die Dreifaltigkeit. Seine Neigung nach unten als Hinweis auf seine ungebrochene schöpferische Zuwendung. Gott hört auch im größten „Kreuz“ nicht auf, heilend und versöhnend mit seiner Liebe zu wirken!

Kreuz zum Aschermittwoch

Noch ein Kreuz. Gleichschenklig, liegend, nicht stehend. Von seiner Form her erinnert es mehr an das Schweizer Kreuz als an das Kreuz Jesu Christi, durch den es seine heilsbringende Bedeutung erhalten hat. Auch das Material des Kreuzes ist besonders: Ein Stahlrahmen, gefüllt mit Erde. Trotzdem trägt es für mich eine christliche Botschaft, ist dieses Kreuz nicht leer, nicht seiner Botschaft beraubt durch seine vielleicht befremdenden Materialien oder einen fehlenden Corpus.

Der Stahlrahmen sagt mir, dass das Kreuz eine beständige und unveränderliche Botschaft zu verkünden hat. Dabei kommt es nicht so sehr auf die Form des Kreuzes an, als vielmehr auf seinen Inhalt. Die stets an den Tod Jesu erinnernde Kreuzesform hält diesen Inhalt zusammen und sorgt dafür, dass die Botschaft von seinem Sühnetod für unsere Sünden nicht vergessen wird.

Die Erde erinnert mich einerseits an die Vergänglichkeit von uns Menschen und wie dies von der Kirche am Aschermittwoch ausgedrückt wird durch das Zeichen des Aschekreuzes auf die Stirn oder die Haare der Gläubigen und die Worte „Bedenke, Mensch, dass du Staub bist und wieder zu Staub zurückkehren wirst“ (vgl. Gen 3,19). Dadurch steht für mich die Erde symbolisch für den Corpus Christi. Auch in dem Sinne, dass alle Gläubigen zusammen den auferstandenen Leib Christi bilden. Besteht nicht die Erde aus unzählbar vielen Staubkörnern?

Andererseits sehe ich in der Erde das Potential der Fruchtbarkeit. Noch scheint sie tot, ist sie leblos. Aber etwas Wasser wird genügen, verborgene Samen in ihr keimen zu lassen, zum Leben zu erwecken. In diesem Kreuz ist die Auferstehung durch die Bereitschaft und Offenheit der Erde gegenwärtig. Auf uns Menschen bezogen, kann ein Impuls von Außen oder durch den Heiligen Geist in uns verborgene Talente zum Leben erwecken und heilbringend fruchtbar machen.