Verhör

Nicht viel in diesem Bild lässt auf eine Kreuzwegstation schließen. Hier scheint es sich vielmehr um ein Kinderspiel zu handeln, wo ein Junge auf einem erhöhten Bürosessel den Chef spielt, ein Zweiter den gefesselten Angeklagten, zwei weitere die mit Pistolen und Maschinengewehr bewaffneten Soldaten. Die in den grellen Farben der Pop Art dargestellten Kinder sind in sportlicher Freizeitkleidung, haben rote Backen und schauen sich gegenseitig mit offenen Gesichtern an. Es kann sich nur um ein Spiel handeln …

… wenn da nicht Goldflächen und die anderen Bilder von Christopher Winter wären! Da hat ein Künstler es tatsächlich gewagt, den Kreuzweg mit Kindern darzustellen, stilistisch wie in einem Comic. Ob das nicht anstößig ist, die Grenzen des Respekts überschreitet? – Diese Bilder sind sicher eine gewaltige Herausforderung an unsere bekannten, durch Jahrhunderte tradierten und auch abgeschliffenen „Kreuzwegbilder“. Sie wollen anstößig sein, uns zum Stolpern bringen, zum Innehalten, Nachdenken anregen und durch ungewohnte Darstellungsweisen neue Sichtweisen ermöglichen.

Dabei hat Christopher Winter bewusst Bildelemente aus Bildern von Fra Angelico, Leonardo da Vinci und Piero della Francesca verwendet. In der Verbundenheit mit dem Geist der Renaissance hat er schöne Bilder geschaffen, was im Kontext der Gewalt irritiert. Will der Künstler das Leiden Christi beschönigen, mit Kindern verniedlichen?

Ich glaube nicht. Dafür spricht trotz allem Spielerischen zuviel Ernsthaftigkeit aus seinen Bildern. Die Referenz an die alten Meister ist unübersehbar, die vergoldeten Flächen lassen zu sehr ein heiliges Geschehen spüren. Passionsspiele kommen mir in den Sinn. Begeistert spielen da Erwachsene – also nicht nur Kinder –, die Passion Jesu Christi nach, weil sie am eigenen Leib (in der Rolle der einen oder anderen Person) die Erfahrung des Leidensweges machen wollen. So können die Kids eine Einladung an uns sein, den Kreuzweg in den Andachten nicht nur äußerlich mitzuschreiten, sondern wie bei einem Theater so zu verinnerlichen, dass wir die dargestellten Personen von innen heraus spüren und verstehen.

Vielleicht ist der Künstler deswegen von der üblichen Bildfolge des Kreuzweges abgewichen, um ein erneuertes inneres Mitgehen zu ermöglichen. Dem Bild vom Verhör durch Pilatus kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Weil Jesus die Frage des Pilatus „Bist du der König der Juden?“ bejaht (Mk 15,2),  wird er gedemütigt und zu Tode gekreuzigt. Die violetten Berge im Bild zwischen Jesus und Pilatus künden den steinigen Leidensweg an. Überstrahlt werden sie durch das Gold, das für die Herrlichkeit Gottes steht und durch den Heiligenschein Jesus als den Gottessohn auszeichnet, der für uns diesen Weg geht. Auch das Dreieck auf seinem T-Shirt weist auf seine Zugehörigkeit zur Dreifaltigkeit hin.

Der sitzende Junge mit der umgedrehten Basketmütze ist durch das „PP“ als Pontius Pilatus ausgewiesen. Mit seiner linken Hand zeigt er wie mit einem Revolver auf Jesus. Pilatus will endlich die Wahrheit hören über diesen Menschen. Im spannenden (von den Bergen unterstützten) Blickkontakt der beiden Hauptpersonen wird Jesu aufrichtige Antwort sichtbar: „Du sagst es.“

Im Gegensatz zum Glanz des Goldhintergrundes verblasst die farblich sehr ähnliche Mütze des Pontius Pilatus. Ganz unscheinbar spricht der Künstler damit die in Johannes 19,10-11 diskutierte Machtfrage an und sagt in seiner Sprache: Die Macht des Pontius Pilatus kommt nicht an diejenige von Gott heran. Zwei weitere Details führen die Gedanken weiter. Die schwere Halskette des Pilatus erinnert mehr an ein Absperrschloss als an ein Schmuckstück  (auch wenn die Goldkette wie die umgedrehte Basketmütze von Gangland-Chefs in Los Angeles und Miami oft als Kennzeichen ihrer Gang getragen wird)! Ist er vielleicht seinerseits Gefangener? Gefangener des Bösen? Dann wären auch die beiden aus der Mütze hervorstehenden Haarsträhnen nicht ganz zufällig, sondern vielmehr stille Hinweise darauf, dass sich im Verhör nicht nur Jesus und Pilatus gegenüber- stehen, sondern letztlich Gott und sein Widersacher.

Der Bürostuhl versetzt diese Szene dann in die Chefetage eines Konzerns und verbindet sie mit unserem Alltag. Kommt das Böse nicht überall in unserem Leben vor und fordert von uns Stellungnahmen in unserem Tun und Denken? Stellungnahmen zur Wahrheit, zum Guten, zu Gott – auch wenn die Folgen unbequem sind?

Weitere Stationen des Kreuzwegs können auf der Website des Künstlers angeschaut werden.

Ölberg – Ort des Gebetes und der Kraft

„Abba, Vater, alles ist dir möglich. Nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht, was ich will, sondern was du willst“ soll geschehen. Dieses grenzenlose Vertrauen in die Macht und den Willen seines Vaters prägen Jesu Gebet kurz vor seinem Tod. Die Jünger sind bei ihm, doch ihr Fleisch ist schwach, sie schlafen und können der Aufforderung Jesu nicht nachkommen, mit ihm zu beten und der Versuchung zu widerstehen (Mk 14,32-42).

Diese gegensätzliche Situation hat Jörg Länger mit einfachen graphischen Mitteln ins Bild gebracht. Die Personen sind schematisch dargestellt, eher angedeutet.

Gerade noch erkennen wir in den schwarzen Formen liegende und damit schlafende Menschen: die Jünger. Sie sind schwarz, weil sie müde geworden, der Nacht und Versuchung keinen Widerstand geleistet haben. Die sie umgebende Nacht ist förmlich in sie hineingekrochen. Ihre halbkreisförmige Anordnung ergibt einen Hügel, ein Hinweis auf den Ölberg.

Die goldgelbe Gestalt, zur rechten Seite hin kniend, muss Jesus sein. Durch den Abstand zu den Jüngern wie durch seine Farbgebung scheint er zu schweben, in eine Welt der Schwerelosigkeit entrückt zu sein, wo die irdischen Gesetze keinen Zugriff haben. Allein kniet er da in der Auseinandersetzung mit seinem Vater. In der weiten, weißen Fläche ist die nächtliche Stille zu spüren, die langen Stunden des Gebetes, aber auch die zärtliche Umarmung seines unsichtbaren Vaters, der ihm in einer der schwersten Stunden seines Lebens Halt gibt. Es geht um mehr als nur Jesus allein, es geht um die Rettung der Menschheit.

Mit der Jesusgestalt von Hans Holbein dem Älteren hat Jörg Länger eine altvertraute Form aufgenommen. Durch die Reduktion auf ihre Umrisse hat er sie allerdings vom Gegenständlichen losgelöst und auf das Wesentliche verdichtet zu einem neuen Bedeutungsträger werden lassen. Die Intensivierung der Farben von unten nach oben in der Gestalt Jesu steigert diese Wirkung. So wird Jesus zum „aufstrahlenden Licht aus der Höhe, um allen zu leuchten, die in Finsternis sitzen und im Schatten des Todes“ (Lk 1,78f), zum „Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (Joh 8,12)

Die leuchtende Gestalt Jesu bildet die Spitze eines nach oben gerichteten Dreiecks, dessen Basis die schlafenden Jünger bilden. Symbol für die sich in der „Nacht“ befindende, von der Erdanziehungskraft ermüdete Menschheit, an deren Spitze Jesus unermüdlich mit dem Einsatz seines Lebens für uns betet? Es lohnt sich auch, das Bild aus dieser Perspektive mit den Worten aus dem Hebräerbrief 4,14 – 5,10 über Christus als Hohenpriester zu betrachten.

So zieht mich die leuchtende Bildmitte immer wieder an, konzentriert meinen Blick auf den betenden Jesus und erinnert mich an seine Worte: Bleibet hier und wachet mit mir! Das Bild wird mir Gebetshilfe, Symbol für die Fastenzeit. Durch das Fasten und Verzichten auf so viel Nebensächliches und doch so Belastendes soll mein Blick wieder frei werden für alles, was durch Jesus geschehen ist. In der Stille werde ich wieder seine Worte hören und die Kraft erhalten, mit ihm wach und im Gebet innigst mit Gott verbunden zu bleiben.

Kreuz und Macht

Bei der ersten Begegnung mit diesem Bild müssen sich unsere Augen  zuerst orientieren. In chaotischen Strichen und Farben ist rechts ein mächtiger Soldat dargestellt, während links ein Mensch unter einem schwarz-grauen Kreuz zu entdecken ist. Es muss sich hier um einen Kreuzweg handeln, vielleicht sogar um jenen von Jesus. Der Bildausschnitt zeigt vom ganzen Weggeschehen nur diese beiden Personen: Es sind keine Schaulustigen zu sehen, es gibt keine Hinweise, ob das Bild als Kreuzwegstation gedacht ist. – Eigenartig, dass der Kreuztragende so klein ist und nicht wie auf anderen Darstellungen im Mittelpunkt dargestellt wird. Spontan kommt mir beim Größenvergleich auch David und Goliath in den Sinn.

Den Maler scheint die Auseinandersetzung zwischen dem Soldat und dem Kreuztragenden bewegt zu haben. Wir kennen viele Bilder von Machtausübung, Gewalt und Ungerechtigkeit aus Fernsehen und Zeitungen, die uns durch ihre Brutalität erschüttern. Dafür ist dieses Ölbild trotz seinen wilden Pinselstrichen bereits zu brav und schön. Wo es aber zu berühren vermag, das ist das Ungleichgewicht zwischen den Protagonisten und den Welten, die sie voneinander trennen.

Auf der rechten Bildhälfte ist raumfüllend ein Soldat gemalt. In seiner Rüstung und dem steil aufgerichteten Speer demonstriert er unbarmherzige, herzlose Macht. Noch sitzend ist er groß, stehend würde sein Oberkörper und Kopf über die obere Bildkante hinausragen. Wie ein Pfau sich mit seinem Rad schmückt, leuchtet der Soldat in allen Farben der von ihm repräsentierten Macht. Grimmig schaut er auf sein Opfer, die Waffe und seine langen schwarzen Finger jederzeit zum Einsatz bereit. An ihm führt kein Weg vorbei, jeglicher Rückweg ist versperrt.

Dem Mensch auf der linken Bildhälfte bleibt nur der Weg nach vorn. Das Kreuz liegt wie ein Pfeil auf seinen Schulter, direkt vom Soldaten ausgehend. Die Macht, der er dient und die er darstellt, hat es ihm aufgebürdet. Vom Mensch ist nicht viel übrig geblieben – nur der Kopf und die langen Beine sind zu sehen. Der Oberkörper scheint im Kreuz aufzugehen – sein Schicksal, das Kreuz, hat sich seiner bemächtigt. Die Füße wollen einen anderen Weg gehen, doch der Wille treibt ihn weiter. Nichts ist zu spüren von der Außerordentlichkeit der Person. Kein Heiligenschein zeichnet ihn als Gottessohn aus. Im Gegenteil. Wie alle Unterdrückten muss er den Weg im Staub dieser Erde gehen – farblos, wie entleert – gedrängt von der Willkür der Machthabenden.

Was gibt ihm die Kraft seinen Weg zu gehen? Im ersten Lied vom Gottesknecht gibt Jesaja folgende Worte Gottes wieder: „Seht, das ist mein Knecht, den ich stütze; das ist mein Erwählter, an ihm finde ich mein Gefallen. Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt, er bringt den Völkern das Recht. Er schreit nicht und lärmt nicht und lässt seine Stimme nicht auf der Straße erschallen. .. Er wird nicht müde und bricht nicht zusammen, bis er auf der Erde das Recht gegründet hat.“ (42,1-2.4)

Die Kraft des Kreuztragenden liegt außerhalb von ihm. Der Maler hat sie in den hoffnungsvollen und kräftigen Farben dargestellt. Blau steht für den Glauben – in ihm ist dieser Mensch verwurzelt. Grün drückt die Hoffnung aus, das Wachstum, die Zukunft. Und über ihm das helle Licht der Sonne für die Nähe und die erbarmende Liebe Gottes.

So finden sich trotz des Ungleichgewichts der Personen Trost und Zuversicht auf der Seite des Kreuztragenden. Und dieser Trost, dieser Halt, diese Hoffnung steht allen zu, die wie Jesus ein schweres Kreuz zu tragen haben. Die kleine graue Gestalt steht für alle durch menschliche Ungerechtigkeit Kleinge- machten, Verfolgten, Ausgebeuteten, Misshandelten, zu Tode Geplagten. Wenn sie auch wie Jesus von allen „guten Geistern“ verlassen / getrennt worden sind, dürfen wir die Gewissheit haben, dass Gott diese Armen nicht verlässt (vgl. Ps 9).