Palmsonntag

Braun glänzend – wie aus flüssiger Milchschokolade – präsentiert sich die Figurengruppe aus acht stehenden Figuren, einem Reiter mit seinem Pferd und einem Gekreuzigten. Sie befinden sich in einem ebenfalls braunen Umfeld, in dem der Boden etwas dunkler, der Hintergrund – auch durch die sonnenähnliche Lichterscheinung – etwas heller gestaltet ist. Kabel verbinden die einzelnen Figuren, die alle in der gleichen Gestalt und Haltung dargestellt sind. Mit parallelen Beinen, senkrechtem Oberkörper, aufgerichtetem Kopf und seitlich erhobenen Armen stehen, sitzen oder hängen sie im Bild. Weder ihre Füße, Hände noch ihre Gesichter sind im Detail herausgearbeitet.

Die abstrahierten Menschenfiguren machen den Eindruck, zu einem Spielzeugsortiment zu gehören. Jemand hat sie so aufgestellt, dass die acht Stehenden mit exakt gleichen Abständen zueinander eine Kette oder die Art Spalier bilden. Der Reiter ist an ihnen vorbeigeritten, wie vor einer Ehrengarde. Im Hinblick auf den Gekreuzigten … ein letztes Geleit?

Ebenso befremdlich wie die im anhaltslosen Raum verlorene Figurengruppe wirken die Verbindungen zwischen den einzelnen Personen. Im Vergleich zu den starren, uniformen Figuren sind sie erstaunlich beweglich und individuell gestaltet. Sie scheinen weder in der Bewegung noch in der Befestigung einem erkennbaren Schema zu folgen (Draufsicht). Auffallend ist allerdings, dass das Kabel in gleicher Weise durch die Brust des Reiters hindurchgeht wie gleich darauf durch die Brust und das Herz des Gekreuzigten. Dann senkt es sich in eine rechteckige Grube, die aus dieser Perspektive nur am Lichtschein schwach erkennbar ist, in einer anderen Ansicht aber als energiegeladener Gegenpool zur Sonne in Szene gesetzt wurde. Ein zweites Kabel steigt dieser Vertiefung auf und führt zur Figur ganz links.

Das Kabel bildet also einen Kreislauf. Es ist ein Band, das durch alles geht und dadurch eine starke Verbundenheit schafft. Es bringt die gleichförmigen Figuren zueinander in Beziehung und deutet eine Abfolge an, die ohne diese Verbindung nicht ersichtlich wäre: Ein Vorher und ein Nachher, ein ungläubiges Mittun und ein gläubiges Verstehen, ein Zujubeln Jesu beim Einzug in Jerusalem, dem die furchtbare Kreuzigung, der Tod und die Grablegung folgen, als auch ein neues Sehen, Verstehen und Erleben der Ereignisse nach der Auferstehung. Ob es Zufall oder Absicht ist, dass – zumindest in dieser Ansicht – vier Kabelpartien Parallelen aufweisen und gebündelt in die Richtung der erleuchteten Grube, des leeren Grabes weisen?

Aus ihm steigen zwei Kabel auf, die wie zwei Stromkabel direkt als auch durch den Gekreuzigten den Reiter hindurch die so starre Figurengruppe bzw. fast die ganze Figurenreihe „elektrisieren“ oder mit „Leben“ versorgen. Denn die zweite Figur von links (Detailbild) ist nicht mit den anderen verbunden, obwohl sie genau so dasteht wie die anderen. Was der Künstler damit wohl andeuten möchte? Sieht er diese isolierte Figur im Zusammenhang mit Judas, der auch am Abendmahl teilgenommen hatte, obwohl er Jesus gleich danach verraten hat? Oder soll sie andeuten, dass der Glaube an Jesus letztlich ein Geschenk ist, eine Gnade, die nicht jeder annehmen kann?

Unabhängig davon ist die Offenheit oder Mehrdeutigkeit bemerkenswert, die durch die Gleichförmigkeit der Figuren entsteht. So sind alle Figuren vom Kreuz gezeichnete Gekreuzigte, die Freistehenden aber zugleich vom Kreuz gelöste und erlöste Menschen in einer neuen Freiheit und Wirklichkeit. Haben sie Jesus beim Einzug in Jerusalem noch mit erhobenen Armen jubelnd „König Israels“ zugerufen (Joh 12,13), so können ihre ausgestreckten Arme nach seiner Auferweckung ihre Freude zum Ausdruck bringen, dass er der Auferstandene ist, der Herr des Lebens, Gottes Sohn. In Bezug auf die Figur, die nicht mit Jesus und den anderen verbunden ist, könnte die Gleichförmigkeit ihrerGestalt und ihr Platz in der Reihe darauf hinweisen, dass bei allen Menschen das Potential und die Möglichkeit des Glaubens an Jesus vorhanden ist.

So sehr die Figuren mit einem Spiel, mit spielerischer Oberflächlichkeit und Beliebigkeit in Verbindung gebracht werden können, sie stehen gerade in ihrer Anonymität für ALLE Menschen. Die Zahl Acht setzt sich aus der Sieben und der Eins zusammen, wobei die Sieben als Summe von drei und vier für Fülle und Vollendung, für die Vereinigung des Geistigen und des Irdischen steht, während die Zahl Acht auf den „achten Schöpfungstag“ hinweist, die Auferstehung Christi und die Neuschöpfung des Menschen durch IHN.

Die erhobenen Arme des Reiters bringen deshalb auch nicht seine Reitkunst zum Ausdruck, sondern formen die Vorgestalt des Gekreuzigten und bringen seine Bereitschaft, das Kommende anzunehmen und zugleich die vorweggenommene Freude des Sieges über den Tod zum Ausdruck. In seiner ganz eigenen Darstellung vermag dieses am Computer hergestellte Bild also trotz seiner befremdlichen Erscheinung Wesentliches des Einzugs Jesu in Jerusalem darzustellen und seine Bedeutung im Licht der darauffolgenden Ereignisse zu entfalten. Deswegen hat die braune Farbe auch weniger mit Schokolade, als vielmehr mit der Erde und dem Sterben zu tun. Eine grüne Version des Bildes zeigt denn auch, wie österlich befreit die Figurengruppe in der Farbe des frühlingshaften pflanzlichen Lebens und ohne die lebenserhaltende „Nabelschnur“ wirken kann.

Palmsonntag

Jesus reitet auf einer Eselin in Jerusalem ein und erfüllt die Weissagung der Propheten Jesaja und Sacharia: „Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir. Er ist friedfertig und reitet auf einer Eselin.“ (Mt 21,4-5). Vor einem buntgemusterten Hintergrund, wo oben mit ein paar braunen Flächen Häuser angedeutet sind, ist in der Bilddiagonale eine Gruppe von Menschen prozessionsartig von rechts unten nach links oben unterwegs.

In ihrer Mitte kaum auszumachen Jesus auf der Eselin. Der Kreuznimbus hebt sein Haupt hervor und zeichnet seine Person aus. Mit dem Rücken zu uns winkt er der Volksmenge zu, die ihn wie in der Bibel beschrieben ausgelassen mit Palmzweigen bejubelt und Tücher aller Art auf dem Boden ausbreitet.

Doch bei genauerem Hinsehen sind Menschen zu entdecken, die sich ganz anders verhalten und – in unsere Zeit versetzt – uns etwas von der Aufregung und den Fragen ihrer Zeit spüren lassen (vgl. Mt 21,10). Der Mann mit Frack und Zylinder wie die junge Dame im Abendkleid lassen an eine Party denken, wo ein Star gefeiert wird. Zwei Rucksacktouristen gehen am Umzug vorbei, wie man in einer Fußgängerzone mit einem langen Kopfwenden kenntnisnehmend an einem Stand oder einem Performancekünstler vorbeigeht. Während ein Mönch und eine Klosterfrau ausgelassen tanzen, verhalten sich die Vertreter der Kirche liturgisch korrekt: In den entsprechenden Gewändern legen sie sich hingebend flach auf den Boden oder knien mit gefalteten Händen vor ihrem Herrn.

Mit etwas Abstand (!) folgt die Schar der Jünger. Die Heiligenscheine zeichnen sie als jene aus, die Jesus nachfolgen. Geschlossen stehen sie da, nur wenig Bewegung ist bei ihnen festzustellen. Was da geschieht, scheint sie zu befremden. Einer ist sogar in Ohnmacht gefallen oder so erschöpft, dass er von zwei anderen Jüngern gehalten werden muss. Ein Dritter scheint mit dem Arm auf Jesus weisend ihm zu sagen: Auf, nur nicht schwach werden, wir müssen ihm folgen!

Durch den bunten, fröhlich stimmenden Hintergrund wird Jesu Einzug in Jerusalem ein überzeitliches, globales und andauerndes Geschehen. Jesus zieht nicht nur jedem Palmsonntag liturgisch gefeiert in seine Kirche ein, sondern ist ununterbrochen daran, durch unseren Lebensalltag zu ziehen: Von den einen nur mit einem kurzen Seitenblick gestreift, von andern wahrgenommen und herzlich willkommen geheißen, wiederum von anderen missverstanden oder mit Abstand verfolgt. – Nehme ich wahr, dass Jesus bei mir Einzug halten will? Wie stehe ich zu ihm? Weiß ich ihn angemessen zu ehren, finde ich es einfach interessant oder halte ich mich auf Distanz, obwohl ich als getauftes Menschenkind zu seinen Jüngern gehöre?

Jesajas Worte „Siehe, dein König kommt zu dir“, richten sich ganz konkret an mich als Betrachter. Der Prophet sagt zu mir: Schau nur gut hin, du bist nicht ein (zeitlich) entfernter Beobachter dieses Ereignisses, sondern bist Teil dieses Einzuges. Jesus will in dein Herz einziehen. Tochter Zion, öffne weit deine Tore, juble laut deinem Herrn und König: „Hosanna, dem Sohn Davids! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn. Hosanna in der Höhe!“ (Mt 21,9)