Raum voller Erwartung

Ein abgewinkelter großer Raum ist sparsam mit einem Bett, einem einfachen Tisch und zwei Stühlen bestückt. Durch die vier Möbelstücke wird der Raum zu einem Ort der Begegnung und des Austausches. Doch der Raum ist menschenleer. Er erinnert an die Zeit der Covid19-Pandemie, in der direkte und persönliche Begegnungen untersagt wurden, um Ansteckungen zu vermeiden. Der Kommunikationsort vereinsamte und blieb dadurch „ohne Sprache”, wie die Künstlerin das Bild benannt hat.

Doch das Bild ist keineswegs sprachlos. Es wirkt durch seine stillen vierbeinigen Akteure als auch durch das Wechselspiel von Schatten und Licht. Die leeren Stühle sind zwar nicht besetzt, aber durch ihre Zuwendung erscheinen sie wie miteinander im Dialog. Als außenstehender Betrachter meint man sie sprechen zu hören. Ob sie vom Licht sprechen, das hinter ihnen an der Wand aufleuchtet und sich darunter in der Sitzschale des einen Stuhls spiegelt? Dieser ordentlich an den Tisch angeschobene Stuhl lässt auf den zweiten Blick feststellen, dass der andere Stuhl einladend weggedreht ist.

Vorerst ist es nur das Licht, das durch die Fenster von rechts oben den Raum besucht. Wie zwei abstrakte Bilder projiziert es große Rhomben auf die Wand hinter der Sitzgruppe und hellt den halbdunklen Raum in der vorderen Hälfte auf. Der größte Helligkeitskontrast entsteht an der Außenecke im Übergang zum Korridor, der nach hinten in die absolute Dunkelheit führt. Gleichsam als Gegenüber zum Hell-Dunkel-Kontrast kann die geschlossene Türe im Hintergrund als Pendant zum lichtdurchlässigen Fenster auf der rechten Seite gesehen werden.

Das fotorealistisch gemalte Bild lässt durch seine geheimnisvolle Stimmung vielfache Assoziationsmöglichkeiten und unterschiedliche Sichtweisen zu. Es kann einfach als Wartezimmer oder Pausenraum gesehen werden, in dem das Licht still und geheimnisvoll mit dem Raum und den wenigen Möbelstücken spielt. Andererseits belebt gerade dieser flüchtig vorüberziehende Lichteinfall die Stille des Raumes. Für jene, die das Licht sehen und wahrnehmen, könnte der Moment – mit Heidegger gesprochen – zu einer “Lichtung des Lebens” werden. Es ist der Einbruch einer anderen Wirklichkeit in die irdische Wahrnehmbarkeit. Aber im Gegensatz zu Platons Höhlengleichnis muss der Mensch nicht aus dem Dunkel ins Licht hinaufsteigen, sondern das Licht kommt zum Menschen. Das Licht besucht gleichsam die menschliche Behausung, seine Leere ergründend, das Mobiliar umspielend, den Menschen suchend. Es ist ein Licht, das den Raum gleichsam fragend abtastet, ob da jemand ist, der für das Licht empfänglich ist.

So zentral wie das Licht und das Mobiliar inszeniert sind, wäre es ein zum beginnenden Advent passendes Gedankenspiel, im Bild eine in die heutige Zeit versetzte Verkündigungsszene zu sehen. Geheimnisvoll vergeistigt liegt die Botschaft in der Stille des Raumes, in der symbolischen Bildsprache wortlos das Unfassbare zum Ausdruck bringend. Die beiden Stühle laden förmlich dazu ein, sie gedanklich mit Maria und dem Engel zu „besetzen” – wobei es offen bleibt, wer auf welchem Stuhl sitzt.

Auf der persönlichen Ebene weiter gedacht könnte das Bild dann eine Anfrage an mich als Betrachter sein, ob ich im Innern bereit bin, das göttliche Licht zu empfangen und wie Maria mit ihm „schwanger zu werden“, um es dann für alle sichtbar als Licht-Gestalt „zur Welt zu bringen“. Es könnte insbesondere eine Einladung sein, mich an IHN zu wenden mit der Bitte, mit seinem Licht meine Gedanken zu erhellen und mir zur richtigen Zeit sein Wort zu schenken, das meine Sprachlosigkeiten überwindet.

Offenheit

Eine Holzskulptur aus einem Stück. Saubere, gerade Schnitte, die aus dem gewaltigen Stück des Baumstammes das Außen und Innen entfernten, bis nur noch diese fragile Hülle übrig blieb. Die genaue Verarbeitung, die ausgewogenen Proportionen und die Symmetrie stechen ins Auge – und wie die Skulptur auf der einen Seite gesprungen ist.

Beim Trocknen muss die des Holzes eigene Kraft überhand genommen und die streng geometrische Figur auf der einen Seite aufgebrochen, ja mit Urkraft aufgesprengt haben. Mit diesem „Aufbruch“ ist das Holz gerade durch seine Materialeigenschaft ein weiteres Mal entscheidender Mitgestalter geworden. Die Spannkraft des Holzes hat den geraden Linien weiche Biegungen verliehen, den mit vielen gleichen Öffnungen versehenen Körper noch weiter geöffnet und ihm dadurch eine Richtung verliehen.

Mir gefällt die Offenheit dieses Holzkörpers. Hier wird ein Raum umschlossen und doch offen gelassen. Ob es am Gleichgewicht zwischen dem einsehbaren Innenraum und der umgebenden Außenhaut liegt? Oder am einfühlsamen und respektvollen Umgang des Künstlers mit den Eigenheiten des Holzes, dessen Spuren überall zu sehen sind?

Die Skulptur ist auch offen in Bezug auf die Form. Man kann ein dreidimensionales Kreuz drin sehen. Allerdings würde sie auf einer ihrer quadratischen Öffnungen stehend viel von ihrer Dynamik verlieren. Diagonal stehend multipliziert sie hingegen unzählige Einblicke und Durchblicke, ermöglicht sie spannende Einsichten und Begegnungen durch das Spiel von Licht und Schatten auf den Flächen, Kanten und Hintergründen.

Die Skulptur weckt bei mir mit ihrer Einfachheit und Formschönheit das Staunen. Aus einem neuen Motiv heraus höre ich in mir die Worte des Psalmisten: „Kommt und seht die Taten Gottes! Staunenswert ist sein Tun an (und durch) den Menschen.“ (Ps 66,5).