Buchstäbliche Auflösung

Unzählbar viele Buchstaben türmten sich im November 2007 in der evangelisch-reformierten Kirche in Zürich-Witikon vor dem Besucher auf einer großen schwarzen Metallplatte auf. Die Buchstaben waren als Suppeneinlagen allen bekannt, vom Aussehen her sogar vertraut.

Aber das Auftauchen der Suppenbuchstaben in der Kirche war doch verwirrend. Wieso Suppenbuchstaben? Warum diese Anhäufung? Lose liegen die einzelnen Buchstaben unter-, über- und nebeneinander. Der Zufall hat kein Wort ergeben. Ohne menschliches Zutun haben diese Buchstaben ebenso wenig eine geistige Bedeutung wie die Buchstaben in einer Suppe.

Da die Suppenbuchstaben in einer Kirche – und erst recht einer Kirche der Reformation – angehäuft wurden, drängt sich die Vermutung auf, dass sie etwas mit DEM Wort zu tun haben: dem Wort Gottes. Tatsächlich wurden alle Buchstaben in der neuen Zürcher Bibel gezählt und durch die entsprechende Anzahl eines jeden Buchstabens als Suppenbuchstaben auf der Metallplatte, auf der jedes Jahr das Osterfeuer brennt, sichtbar gemacht. Am meisten kommen die Buchstaben E und G vor (571.347 x), am seltensten das X (144 x).

3.402.248 Buchstaben sind eine beeindruckende Anzahl. Doch das kann nicht alles sein. Ohne den ordnenden und sinngebenden Rahmen der biblischen Bücher wären sie bedeutungslos. Es muss also einen weiteren Grund geben, dass der Künstler die Aktion in einer Kirche durchgeführt hat. Noch haben wir nicht hinterfragt, warum der Künstler Suppenbuchstaben verwendet hat. Um die Anzahl zu visualisieren, hätte er die Buchstaben der Bibel auch ausstanzen oder in einem anderen Material sichtbar machen können.

Suppenbuchstaben sind zum Essen vorgesehen. Sie wollen verzehrt werden. Und darum ging es auch Hans Thomann. Er wollte die Gemeinde darauf aufmerksam machen, dass die Texte der Bibel nicht nur gelesen, sondern verinnerlicht, angeeignet werden, immer mehr wesentlicher Bestandteil von uns werden. Interessanterweise entspricht das Gewicht der 3,4 Millionen (Suppen)Buchstaben der Zürcher Bibel mit 74,875 kg ungefähr demjenigen eines „durchschnittlichen“ Menschen. Wie DAS Wort in Jesus Christus Mensch geworden ist, soll auch Gottes Wort in der Heiligen Schrift in uns Gestalt annehmen, uns immer mehr zu seinen Menschen gestalten.

Der Anspruch geht damit weit über den Brauch der sogenannten Fresszettel hinaus, bei dem kleine Stücke aus den Seiten der Bibel herausgerissen und gegessen wurden, um die Genesung der Patienten zu fördern. Im Rahmen des Martinimahls und dreier Suppentage im Januar wurde die Gemeinde eingeladen, sich die Bibel einzuverleiben.

Ein schönes Symbol, das viele Parallelen zur Bibelmeditation aufweist. Die Buchstaben müssen eingeweicht, essbar gemacht werden, so wie die Bibeltexte gelesen werden und ihnen ein Sinn abgerungen wird. Oft ist dabei ein wiederholtes Lesen notwendig, ähnlich dem (Wieder)Kauen im Geiste, dem Hin- und Herbewegen, um seine Bedeutung für mich zu verstehen. Dabei werden die Worte und einzelnen Buchstaben aufgelöst und erhalten – ihrem Ziel zugeführt – in Leib und Seele eine ganz neue, individuelle Bedeutung, die durchaus stärkend und heilsam sein soll.

Leidenschaftliche Bewegung

Ein geheimnisvolles Bild! Dunkelrote Bereiche überwiegen und würden das Bild recht düster machen, wären da nicht helle Bereiche, die hier und dort wie glühende Kohle aus dem Untergrund aufleuchten, und die feinen weißen Striche, die Oberfläche und Bewegung vermitteln.

Aufgrund dieser haarartigen Struktur lässt der Filmausschnitt (ganzes Video) trotz seiner farblichen Verfremdung an ein Kornfeld denken, das vom Wind hin und her bewegt wird. Selbst aus dem festgehaltenen Eindruck ist die unaufhörliche Bewegung noch herauszuspüren, die im Video das Bildformat leben lässt. So abstrakt der Bildausschnitt aus einem größeren Ganzen des Videos und auch des Kornfeldes wirkt, er behält die Charakteristika des Gesamten und vermag zumindest andeutungsweise von ihm zu erzählen.

In eine mysteriöse und verhüllende Dunkelheit gekleidet, bringt das vom Wind bewegte Kornfeld etwas zum Ausdruck, was wir üblicherweise nicht so bewusst wahrnehmen. Eine unsichtbare und von der Mächtigkeit her auch unfassbare Kraft trifft auf Millionen von Ähren. Fest in der Erde verwurzelt, wachsen sie mit eigener Kraft dem Himmel entgegen, wo sie auf den Wind treffen, sich von ihm bewegen und biegen lassen.

Könnte das Kornfeld nicht ein Gleichnis für uns Menschen sein, die auf der Erde und von ihr leben? Und der Wind Symbol für die Kraft Gottes, die uns umgibt, umwirbt und bewegen möchte? Bewegung, die nicht äußerlich bleiben, sondern gerade durch das stetige Hin- und Herwogen in uns eingehen und zu einem verinnerlichten Bestandteil von uns werden möchte?

Im Video nimmt das wie aus der Tiefe aufleuchtende rote Licht noch stärker als im Bild an der Bewegung der Ährenspitzen teil. Da sind es Wogen von feurigem Licht, die das Bild-Feld in alle Richtungen durchziehen, die aus dem Nichts in unfassbarer Intensität aufleuchten, um sich nach einem flüchtigen Augenblick gleich wieder aufzulösen.

Ein faszinierendes Schauspiel unbeschreiblicher Schönheit, das an die überwältigende Kraft der Liebe denken lässt, an Leidenschaft und Begeisterung, die mehr oder weniger intensiv unser Leben durchziehen und es zum Glühen bringen. Wie im Leben möchte man die beglückenden Erfahrungen festhalten, in ihnen verweilen, und vermag es doch nicht.

Dem Geduldigen wird allerdings die Gewissheit und die Freude geschenkt, dass solche unglaublich dichten Lebensphasen wiederkehren – unverhofft, zärtlich bewegend, überwältigend, beglückend – und durch die Erfahrung wie durch die Erwartung wesentlich dazu beitragen, dunkle oder haltlose, schwierige, leere Zeiten auszuhalten.

Österliche Verwandlung

Leicht und scheinbar ungebunden schwebt diese Installation in der Ecke eines Sakralraumes. In einem spannungsvollen Bogen bildet ein feiner Ast die tragende Horizontale für ein an ihm hängendes Objekt voller Symbolkraft, dessen Material aus der Ferne schwer zu bestimmen ist.

Oben legt es sich in ganzer Breite über den Ast, während es in der Mitte unsichtbar zusammengehalten wird. Dadurch verläuft der „Stoff“ v-förmig nach unten und bildet seitliche Falten, die letztlich nebeneinander zu hängen kommen. Dieser zu einem Korpus gefaltete „Stoff“ ist über und über mit Erde und Asche bedeckt, hier und dort farbige Spuren einer früheren Bemalung freigebend. > Detailbild

Das Trägermaterial dieses Objektes, es ist farbiges Zeitungspapier, wurde vielfach bearbeitet, um ihm die jetzige Gestalt und Geschichte zu geben, aus der Schönheit und Veränderung sprechen, Festigkeit und Vergänglichkeit. Nun hängt es als erstarrte Hülle einer Verwandlung erdenschwer im Raum, als Relikt einstigen Lebens, das es umgeben und gekennzeichnet hat. > Detailbild

Material, Form, Bearbeitung und Installation dieses fragilen Papierobjektes lassen deshalb ganz unterschiedliche Ansichten zu: Es kann in ihm einfach eine interessante ungegenständliche Plastik gesehen werden, es kann aber auch als Zeichen für den Menschen ganz allgemein gedeutet werden. Durch die ärmliche Erscheinung drängt sich in der unmittelbaren Nähe zum Altar aber der Bezug zur Kreuzigung Jesu auf. Gleich einem vom Leben gezeichneten Gewand verweist es auf den, der einst unter uns vieles erfahren und erlitten hat, nun aber zu seinem Vater im Himmel auferstanden ist.

So sehr das mit Erde gestaltete Papier, verstärkt und geerdet durch ein nach unten hängendes Seil, irdisch verhaftet ist, der durch die Faltung entstandene Leerraum vermittelt Transzendenz und lässt eine höhere Macht spüren, die bei solchen Wundern der Verwandlung am Werk sein muss. Das tröstet und erleichtert, das schenkt Hoffnung und Zuversicht – österliches Erleben!

 

Sie wirken vergänglich
Verwaschen
Labil

Doch
Zweig
Leim
Asche
Halten stabil

Sie wirken
Entleert
Verlassen
Befreit

Doch
Josef
Legt mehr
Als Winkel
Und Hobel
Hinein

Sie wirken
Leicht
Himmlisch
Entrückt

Doch
Josef
Hat sie
Erden
Bestückt

Papier
Asche
Staub
Sind des
Vergehens
Erstehens
Gewand

 

(Dr. Engelbert Paulus)

Die Arbeit von Josef Bücheler war bis zum 9. April 2007 im innovativen „Kreuzweg“ des ökumenischen Ausstellungsprojektes VESTIGIA CRUCIS / Kreuzspuren – Gegenwartskunst in 14 kath. und evang. Kirchen im Landkreis Tuttlingen zu sehen. (Flyer zur Ausstellung als pdf) Der mit seinen Bildern, Texten und Gedichten einmalige Katalog (48 Seiten, ISBN 3-932764-16-1, 8 Euro) kann hier bestellt werden: projektgruppe@kreuzkirchenkunst.de.

Zuwendung

Ein Mann, der Uniform nach ein Soldat, neigt sich über einen am Boden liegenden und von einer Wolldecke bedeckten Menschen. Sein Gesicht liegt im Schatten. Durch seine dunkle Hautfarbe ist er als Afrikaner identifizierbar, aber es ist schwer zu sagen, ob es sich um ein Kind oder einen Erwachsenen handelt. Der Soldat umfasst mit beiden Händen den Kopf des Gegenübers, um ihn zu stützen, zu schützen und auch zu wärmen. Der wenige Hintergrund lässt Sandboden erkennen: Strand oder Wüste? Ist der Mensch gestrandet oder heimatlos? Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass es sich um einen Flüchtling handelt, der für ein besseres Leben alles aufs Spiel gesetzt hatte und nun erschöpft darniederliegt. Am Ende seiner Kräfte wird er von einem Soldaten umsorgt, der abgeordert war, sich der illegalen Einwanderer aus Afrika zu wehren. Zum Kampf mit Waffen ausgebildet, legt er hier seine Herzenswärme in die Waagschale. Er hat Landesgrenzen zu verteidigen und Menschen zurückzuweisen, doch er überschreitet jegliches Anderssein und macht sich diesem Nächsten nahe. Er könnte töten, doch er setzt alles daran, das Leben dieses Menschen zu retten.

Das auf Glas reproduzierte Pressefoto öffnet dem Betrachter – wie auf den anderen 14 Stationen dieses Kreuzwegs – die Augen und schärft seinen Blick für das Leid und den Schrecken, wie sie uns täglich durch die Medien ins Haus gebracht werden: Hier das Flüchtlingsdrama an der Meerenge von Gibraltar. Die Künstler haben die Fotos mit einem diagonalen Strichraster versehen, der die Bilder geringfügig verfremdet und den Betrachter veranlasst, zum einen Abstand zu nehmen, zum anderen genauer hinzuschauen, um das ursprünglich Dargestellte zu sehen.

Alle Kreuzwegstationen sind zudem von einem breiten roten Glasstreifen aus „Antikglas“ gezeichnet, der sich in unterschiedlichen Positionen transparent über die Bilder legt. Er verbindet das gegenwärtige Leiden mit dem Leiden Jesu, denn er bringt den vertikalen Kreuzbalken ins Blickfeld, die Farbe des vergossenen Blutes in die ansonsten farblosen Darstellungen. Gleichzeitig künden sie durch ihre Farbe Gottes liebende Gegenwart an, die stets größer ist als die jeweilige Situation. Transparent über dem Foto angebracht, vermitteln sie sein tröstendes Dasein in unseren schwersten Stunden, sein Mitgehen und Mitleiden in allen menschlichen Abgründen.

Die Farbstreifen können aber auch Einladung an uns sein, wie der Soldat uns mit unserer Liebe in die Nähe der Notleidenden zu bringen, durch unsere Zuwendung uns über sie zu beugen, ihnen durch unsere Anteilnahme beizustehen und ihr Leid zu teilen, sie dadurch zu entlasten. Wir alle sind aufgerufen, für das Leben zu kämpfen, das eigene und das unserer Schwestern und Brüder. Damit allen Freiraum, freier Raum, in dem das Leben befreit aufatmen kann, geschenkt wird. Die jedes Bild umgebende Leerfläche könnte Ausdruck dieses Grundrechts sein, das ihre Sehnsucht erfüllt und uns Pflicht ist, ihn zum Wohl aller Menschen auszufüllen.

Vom ganzen Kreuzweg ist ein kostengünstiges Büchlein mit 64 Seiten erschienen, in dem alle Bilder erklärt werden: Atelier Arnold + Eichler, Kreuzweg, Paperback, 64 Seiten im Format 12 x 14 cm, beidseitig ausklappbarer Umschlag mit Innendruck, 19 Farbabbildungen, Pagma-Verlag 2005, Euro 5,- / sFr 7,50, ISBN 978-3-9810758-0-9,
www.pagma-verlag.de

Erwartung

Fast unendlich viele Tonschalen stehen vor uns auf dem Boden. Schalen, die meist als Einzelstücke in der Küche und auf dem Esszimmertisch verwendet oder in einer Vitrine präsentiert werden, wurden nicht einzeln, sondern in einer auf einen Blick unfassbaren Anzahl auf den Boden gestellt. Eine, und noch eine, und noch eine und noch eine … 1111!

Jede Schale hat eine individuelle Gestalt, eine etwas andere Form als diejenige neben ihr. Einzelanfertigungen! Die Hände der Töpferin sind noch an ihnen zu spüren, wie sie aus der Mitte des Tonklumpens heraus den Boden weiten, die Seiten hochziehen und den Rand fertigen – ein Gefäß entstehen lassen. Die Glasur verlieh dann jeder Schale eine eigene Farbe sowie eine matte oder eine glänzende Oberfläche, das Brennen im Ofen Beständigkeit, Widerstandskraft und Undurchlässigkeit.

So stehen sie in schlichter Schönheit nebeneinander. Keine Schale ist mehr, keine ist weniger. Jede besitzt ihre ganz eigene „Größe“. Diese setzt sich nach außen aus dem Abstand, aus dem respektvollen Zwischenraum zu den anderen Schalen, nach innen aus der Offenheit nach oben und der ihr innewohnenden Leere zusammen.

Sie harren alle ihrer Bestimmung, etwas in sich aufzunehmen, zu halten, zu vermitteln oder zu bewahren. Sie alle sind bereit zu empfangen. Sie stehen offen und leer hier, damit sie gefüllt werden, damit ihre Erwartung erfüllt wird. Dadurch kann man den Schalen bis auf den Grund sehen, ihre innerste Mitte betrachten, aus der heraus sie entstanden sind.

Symbolisch können diese Schalen für uns Menschen stehen. Wunderbar sind wir als einander ähnliche und doch individuelle Geschöpfe geschaffen worden und besitzen eine schwer definierbare und dadurch geheimnisvolle Offenheit für alles, was uns erfüllen könnte. Wir haben die Fähigkeit, unendlich viele Erfahrungen und viel Wissen in uns aufzunehmen und in unseren Wohnungen und Ländern unendlich viele materielle „Kostbarkeiten“ zu sammeln. Wir ziehen manchmal so viel an uns, dass vor lauter Materialien und Aktivitäten kaum mehr Raum und Zeit für etwas Neues übrig bleibt.

Insofern stellen die Schalen so etwas wie ein Urbild von uns dar, ein Ideal, das wir in uns spüren und allein doch nicht erreichen können. Sie bringen indirekt eine Sehnsucht zum Ausdruck, dass jemand zu uns kommt, der uns von der selbstverursachten Überfülle zu entlasten und zu befreien vermag, damit bei uns wie bei diesen Schalen unsere Mitte wieder sichtbar wird: Die Handspuren unseres Schöpfers, den Fingerabdruck Gottes, der uns eine einzigartige Schönheit und Würde ins Leben gegeben hat.

Dass diese Schönheit und Würde äußerst anfällig sind, führen uns die auf den Boden des Alltags gestellten Tongefäße vor Augen. Es braucht nicht viel, vielleicht nur einen gedankenlosen Fußtritt, um sie zu zerschlagen. So lehren uns die Schalen auch Achtsamkeit und Sorgfalt, damit wir mit den Mitmenschen um uns herum noch achtsamer und sorgfältiger umgehen als mit einzigartigen Kunstwerken!

Die 1111 Schalen waren im Herbst 2016 / Januar 2007 in der Rotunde der Pinakothek der Moderne in München ausgestellt. Dazu war im Verlag Hatje Cantz ein bildstarker schöner Katalog erschienen: Young-Jae Lee, 1111 Schalen. ISBN 3-7757-1852-4

Konsum-Mandala

Wie eine Stadtlandschaft breitet sich dieses Kunstwerk auf dem Boden aus. Die einzelnen Teile der Installation stehen wie in verdichteter Bauweise ineinander verschachtelt da und bieten eine verwirrende Farben- und Formenvielfalt. Beim Nähertreten offenbart sich die idyllische Stadtlandschaft allerdings als eine Ansammlung von Konsumgegenständen, bzw. von deren Abbildungen.

Gesucht und zusammengetragen aus unzähligen Zeitschriften, Katalogen und Werbebroschüren wurden sie ausgeschnitten und auf Pappkarton aufgeklebt. Je zwei farblich gleiche Abbildungen dieser käuflich erwerbbaren Gegenstände wurden kreuzweise miteinander verbunden, um ihnen Stand zu verleihen. Die Rückseiten sind unbeklebt. Dadurch ergibt sich beim Umschreiten des Mandalas stets ein anderes Bild: Mal sind vor allem die hellen, einfarbigen Rückseiten zu sehen, dann nur eine Bildfläche, in der Diagonalansicht wiederum die erschlagende Fülle aller Gegenstände: Lebensmittel, Autos, Möbel, Elektronikgeräte, Spielsachen, Kleider, Kosmetika, Werkzeuge, Haushaltsgegenstände, Musikinstrumente, Kunstwerke, etc.

Geduld, Ausdauer und ein meditatives Schauen waren nötig, um die Abbildungen nach Farben zu ordnen. Um eine rechteckige grüne Mitte gruppieren sich in vier Kreissegmenten rote, blaue, gelbe und weiße Objekte. Danach folgt ein orange-brauner Bereich, der wie durch eine quadratische Mauer von schwarzen Gegenständen eingegrenzt ist. Anschließend bildet ein weiß-schwarzer Bereich den Übergang zu einem Kreis, dem konzentrisch weitere, je ein gelber, blauer und roter Kreis folgen. Den äußeren Abschluss bildet ein niedrig gehaltener schwarzer Kreis.

Der dreiteilige Aufbau strahlt etwas Sakrales, Heiliges aus. Die einmalige grüne Fläche in der Mitte des Mandalas lässt an das Paradies denken, in dem Gott Bäume wachsen ließ, die „verlockend anzusehen und mit köstlichen Früchten“ behangen waren (Gen 2,9). Im Mandala sind die Verlockungen unserer Zeit zur Betrachtung vereint worden. Die vielen Abbildungen, die normalerweise um die Gunst der Konsumenten werben, sie beeinflussen und zum Kauf verführen sollen, regen nun in der Konzentration dieses Mandalas zum Denken an.

Sinnigerweise bilden die kreuzförmigen Objekte der Abbildungen in dieser Stadtlandschaft nur Fassaden und leere Räume. Kein Mensch ist zu sehen. Die Konsumgegenstände sind das Wesentliche dieser Stadt geworden. Der Mensch, der sie geschaffen hat und dem sie eigentlich zu Diensten stehen sollten, ist durch die erschlagende Fülle verdrängt worden. Nicht mehr er steht im Mittelpunkt, sondern die Ware und der Gewinn, der sich damit erwirtschaften lässt. Insofern ist dieses Mandala ein Abbild unserer Welt, die zu einem alles beherrschenden Supermarkt verkommen ist, in dem nur das Geld zählt. Durch die Anhäufung dieser Gegenstände wird der Betrachter nach der Bedeutung dieser Produkte in seinem Leben gefragt. Vielleicht fühlt er sich mit ihnen paradiesisch wohl, vielleicht aber auch bedrängt. Für den einen mögen sie unverzichtbar und (über-)lebenswichtig sein, für den anderen ein belastendes und oftmals auch zerstörendes Übel.

Die alles beherrschende Konsumwelt stellt die Frage nach Gott. Worauf bauen wir unser Leben auf, an wen oder was binden wir uns? In den zehn Geboten sprach Gott zu seinem Volk: „Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen. Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott“ (Ex 20,5a).

Die aus Papierabbildungen und Karton gefertigte „Stadt“ legt eine Scheinwelt nahe, ein Blendwerk, das der Wirklichkeit entbehrt und ins Nichts führt (vgl. Jes 2,18; Jer 51,17). Trotz ihrer verführerisch glänzenden Darstellung suggeriert gerade ihr äußerst vergängliches Material, dass der Wert des angepriesenen Gegenstandes nicht von langer Dauer ist. Auch der Besitz noch so vieler käuflich erwerbbarer Gegenstände kann den Hunger nach wahren Werten wie Vertrauen, Liebe, Gerechtigkeit, Anerkennung u.a.m. nicht stillen. Im Gegenteil! Eine Enttäuschung nach der anderen spornt wie in einer Teufelsspirale den Kauf von weiteren Gegenständen an – immer in der Hoffnung, damit zufrieden und glücklich zu werden.

Von oben gesehen bilden die vielen Gegenstände dieser „Konsumwelt“ eine unüberschaubare Anzahl von Kreuzen. – Bildet unsere Konsumgesellschaft eine durch ihren Konsum sich gegenseitig kreuzigende, zerstörende Gesellschaft? Bei der die einen, wie es das Mandala anschaulich darstellt, in einer überbordenden Angebotsfülle ihre Wünsche und Ansprüche immer höher schrauben, während die Menschen auf der anderen Seite so leer ausgehen, dass sie nicht einmal ihre Grundbedürfnisse befriedigen können? Erschreckend!

Das Mandala wirft virulent die Frage auf, was in unserem Leben sinnstiftend ist. Wer oder was bildet unsere Welt? Welche Menschen oder Gegenstände sammeln wir, um mit ihnen unsere Lebenswelt zu gestalten und glücklich zu werden? Ist unsere „Welt“ noch eine lebenswerte Stadtlandschaft oder ist sie dabei, zu einer künstlichen, dem Leben entfremdeten „Satt-„ oder „Stattlandschaft“ zu verkommen?

Dieser Bild-Impuls wurde in der Ausgabe 2/2006 der Zeitschrift „das münster“, Zeitschrift für christliche Kunst und Kunstwissenschaft erstveröffentlicht.

“Gebt ihr ihnen zu essen”

Ein Einbaum und eine schwer zählbare Menge an Tellern bilden dieses Kunstwerk. Das Boot ist schmal und lang, seine Form kann als elegant bezeichnet werden. Die Teller liegen im Mittelteil des Bootes und neben dem Boot, so als würden sie aus dem Boot herausfließen oder wie von einem unsichtbaren Fischernetz gehalten ins Boot gezogen werden (Detailbild).

Eine ungewohnte Kombination! Und doch sind beides Gefäße und Transportmittel. Das Boot trägt Menschen und Waren über das Wasser. Auf dem Teller werden Speisen angerichtet und gegessen. Beide stehen im Dienste des Menschen, sei es zur Fortbewegung oder zur Nahrungsaufnahme.

In den verschiedenen biblischen Geschichten vom Fischerboot vereinigen sich die beiden Themen. Die Fischer fahren mit ihrem Boot hinaus, um Fische zum Essen zu fangen. Die Installation vergegenwärtigt diese Szene und erinnert gleichzeitig an Jesus, der Fischer in seine Nachfolge berufen hat (Mk 1,16-20). Das Boot und die vielen Teller spannen auch eine Brücke zur Brotvermehrung. Mit dem Boot war Jesus mit seinen Jüngern in eine einsame Gegend gefahren, um allein zu sein (Mk 6,30-33). Da ihnen jedoch viele Menschen folgten und Jesus sie lange unterrichtete, tauchte bald die Frage nach der Verpflegung auf. Die Jünger wollten die Menschen wegschicken, doch Jesus sagte zu ihnen: „Gebt ihr ihnen zu essen!“ Sie machten sich auf und fanden im Volk fünf Brote und zwei Fische, über denen Jesus den Lobpreis sprach und die sie an alle verteilten. Zwölf Körbe mit Essensresten blieben übrig (Mk 6,37-44).

Doch von dieser Fülle ist im Kunstwerk außer der Vielzahl der Teller nichts zu sehen. Die Teller vor uns sind leer. Viele liegen verkehrt herum da, wie achtlos weggeworfen. Als Betrachter bleiben wir auf unserem Hunger sitzen.

Die Frage Jesu, die er nach seiner Auferstehung am See von Tiberias an seine Jünger gestellt hatte, könnte auch an uns gerichtet sein: „Habt ihr nicht etwas zu essen?“ Die Jünger antworteten ihm damals „Nein“, weil sie die ganze Nacht nichts gefangen hatten. Es ist, als hätten sie seinen Auftrag: „Gebt ihr ihnen zu essen!“ vergessen. Doch Jesus sagte zu ihnen: „Werft das Netz auf der rechten Seite des Bootes aus, und ihr werdet etwas fangen.“ Sie warfen das Netz aus und konnten es vor lauter Fischen nicht wieder einholen (Joh 21,1-6). Die Vielzahl der Teller erinnert an die 153 Fische (V.11), die symbolisch für die große Zahl der Gläubigen steht, welche die Jünger für Jesus gewinnen sollten.

Die Frage Jesu an die Jünger könnte unsere Frage an die Kirche sein: „Habt ihr nicht etwas zu essen?“ Eine geistige Nahrung, welche die ausgetrocknete Seele erquickt? Eine spirituelle Nahrung, welche den Geist belebt und ihn zu neuen Taten anspornt? Unser Hunger, unser Durst ist groß.

Sollten die Teller symbolisch für uns Menschen stehen, käme dem Material Blei eine besondere Bedeutung zu. Ohne religiöse Bindung, ohne Halt wären wir in Gefahr, in dieser Welt wie Blei im Wasser unterzugehen. Das Boot „Kirche“ und seine Mannschaft, die Glaubensgemeinschaft, sind unsere Retter, unser Leben. Doch sobald wir im „Boot“ gerettet sind, gilt auch uns der Auftrag Jesu: „Gebt ihr ihnen zu essen!“

Hören und Hinweisen

Still steht die Skulptur da, schmal und langgestreckt. Leicht gebeugt wie ein Telefonhörer, an Kopf und Fußenden ausgeformt. Mit den Füßen fest auf dem Boden, mit dem Kopf im Himmel verankert. Maria ist Hörende, Gott „Ge-hörende“. Mit dem Herzen hat sie die Heilige Schrift gelesen und seine an sie gerichtete Botschaft gehört.

„Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären: dem sollst du den Namen Jesus geben. Er wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden. Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben. Er wird über das Haus Jakob in Ewigkeit herrschen, und seine Herrschaft wird kein Ende haben.“ (Lk 1,31-33)

In Maria ist eine Spannung zu verspüren, eine wohltuende Spannung aus ihrer „Erdung“ und ihrer „Himmelung“. Sie muss ganz vom Himmel erfüllt sein, dass sie in einem mystischen Tiefblau strahlt. Aus dieser spannungsvollen und hörenden Erfüllung ist die „Frucht ihres Leibes“ hervorgegangen: Jesus, Gottes Sohn. Aus ihrer Mitte  entstanden, ist er ihre Mitte. „Was er euch sagt, das tut!“ (Joh 2,5), sagt Maria bei der Hochzeit in Kana zu den Dienern – und heute auch zu uns!

Maria hält Jesus nicht fest, sondern hält ihn dem Betrachter entgegen. Die Jesusfigur ist stilistisch sehr einfach gehalten. Wie Licht hebt sich seine helle Gestalt vom nachtblauen Kleid Mariens ab. Wesentlich ist seine kleine Gestalt, an das Kind erinnernd, sein Kopf mit den großen runden Augen wie seine offenen Hände, die Abwehr wie Ehrfurcht oder Anbetung signalisieren können.

Das Gesicht von Maria macht auf mich gerade durch den Mund und die Augen einen verschlossenen, ausdruckslosen Eindruck. Sie wirkt in sich gekehrt, in einer anderen Welt versunken zu sein. Und doch schauen ihre Augen leicht nach unten gesenkt auf den Betrachter und ich höre die Worte des Vaters bei der Verklärung Jesus, die genau so die Worte Marias sein könnten: „Das ist mein geliebter Sohn … auf ihn sollt ihr hören!“ (Mt 17,5b).

Maria als die Hörende par excellence, die auf Den hinweist und ihr ganzes Leben auf Den ausrichtet, der das WORT und das LEBEN in seiner ganzen Fülle ist, die Frucht der göttlichen Menschenliebe und der menschlichen Gottesliebe.

Jesus?

Immer wieder stellt sich dem Gläubigen die Frage nach der Gestalt von Jesus. Wer war diese Person, die von den Propheten Jahrhunderte im voraus angekündigt worden war, während seines öffentlichen Wirkens Scharen von Menschen faszinierte und dessen Botschaft und Auferstehung zur Gründung der Kirche geführt hat? Stellungnahmen ergeben sich aus persönlicher Betroffenheit und aus dem Zeitgeist heraus.

Anlässlich des international ausgeschriebenen Wettbewerbs „Jesus 2000“ schuf der Künstler Gerhard Knell dieses Bild. Der virtuelle Raum und der Fernsehturm erzeugen ein futuristisches Bild unseres Bilder- und Medienzeitalters, gleichzeitig knüpfen das transparente Trägermaterial und die von hinten beleuchteten Farben an die großen gotischen Kirchenfenster an. Die Bildschirme ergeben zusammen die Gestalt eines Kreuzes. In der Mitte ist das Antlitz Jesu erkennbar, rechts und links davon große blaue Hände. Die unteren beiden Bildschirme zeigen Ausschnitte aus dem Turiner Grabtuch.

Der oberste Fernseher ist nach links abgedreht. Sein Bildschirm erscheint wie ein Aquariumglas, hinter dem ein Fisch schwimmt. Die sechs Fernseher wie ihre Bildbotschaft erinnern an eine aufrechte menschliche Gestalt und rufen seinen Tod und seine Auferstehung ins Bewusstsein. Sie sind gleichsam Fenster auf ein vor langer Zeit Geschehenes, auch mit Hilfe von Ikonen oder Reliquien wie des Turiner Grabtuches.

Wände und Decke zeigen großformatige Portraits von drei Männerköpfen. Der rechte Kopf trägt einen Bart und wird durch den weit aufgerissenen Mund und die großen Augen charakterisiert.  Im Gegensatz zu diesem „lauten“ Gesicht zeigt die linke Wand ein asketisch strenges Gesicht, dessen Augen auf das „Kreuz“ fixiert sind. Ob es sich um die beiden Schächer am Kreuz handeln soll, die mit Jesus gekreuzigt worden sind? In ihrer Todesstunde haben sie Stellung bezogen in Bezug auf Jesus. Der eine schrie: „Bist du nicht der Messias? Dann hilf dir selbst und auch uns! „ Der andere wies ihn darauf zurecht und sagte zu Jesus: „Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst.“ (Lk 23,39-43)

Und der Kopf an der Decke? Obwohl wir von oben auf ihn herunterschauen, schaut er auf uns herunter, bzw. auf den „Kreuzaltar“! Soll dieses Gesicht den Vater Jesu vergegenwärtigen, der auf ihn schaute und ihm in seiner Liebe und Nähe Geborgenheit schenkte? – Da kein Hinweis zu erkennen ist, kann auch einfach eine dritte Stellungnahme in diesem Portrait gesehen werden. Dieser Mensch schaut auf das Kreuz nieder, er entdeckt es gerade unter sich, vielleicht sogar als tragendes Element seines Lebens!

Bei der Betrachtung dieser drei großen Köpfe fällt das zentrale Antlitz Jesu durch seine kleine Größe, seine Unschärfe, vor allem durch seine frontale Gegenüberstellung auf. Die ganze Kraft der aus den umgebenden großen Gesichtern kommenden Blicke fokussiert sich in seinem Gesicht, das den Betrachter anschaut. Und Du, was denkst Du vom Menschensohn? (Mt 16,13)

Wie ein Nachrichtensprecher ist er abgebildet. Aber er ist mehr. Er selbst ist die Botschaft, sein Leben selbst ist die gute Nachricht, die Leben schenkt und in allen Häusern und bei allen Menschen verkündet werden will. Und wer ist Jesus für Dich? Was denkst Du vom „Messias, dem Sohn des lebendigen Gottes?“ (Mt 16,16)

Schwebendes Kreuz

Ein liegendes Kreuz, nein schwebend, von vielen transparenten Ballons getragen. Was geht hier vor, was hat es uns zu sagen? Das liegende, und nicht stehende Kreuz? Die vielen Ballons, die dem Kreuz für einen Moment die Schwere nehmen?

Ohne die Hilfe von oben liegt es schwer auf dem Boden. Umgefallen, niedergestreckt von seiner Last? Wie wir Menschen, wenn wir krank sind, müde, überlastet?

Seine dunkle Farbe lässt mich zusätzlich an unsere Fehler, Unzulänglichkeiten und Vergehen denken, die unser Leben oft schwer machen. Die Psalmisten wie die Christen nennen diese Erfahrung Sünde. „Denn meine Sünden schlagen mir über dem Kopf zusammen, sie erdrücken mich wie eine schwere Last.“ (Ps 38,5) Und für diese Sünden ist Jesus am Kreuz gestorben: „durch sein Blut haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden nach dem Reichtum seiner Gnade.“ (Eph 1,7)

Deshalb verbinden viele Menschen ihre Hoffnungen mit dem Kreuz. Auch wenn wir den Stachel der Sünde wie der Krankheit an unserem schwachen und vergänglichen Leib immer wieder neu erfahren, spüren wir in uns eine Kraft, uns gegen alles Zerstörende zu erheben.

Vielfach sind wir allein zu schwach – dann tut es gut, entlastende Hilfe von Mitmenschen zu erfahren. Die Ballons sind für mich ein schöner Ausdruck eines derart erleichternden Beistandes. Sie zeigen vielerlei auf.

Die vielen Ballons können sagen, dass es viele „Liebkosungen“, Aufmerksamkeiten und Liebenswürdigkeiten braucht, um einen – aus welchen Gründen auch immer – Daniederliegenden „aufzustellen“, ihm Erleichterung zu verschaffen. Gemeinsam, von Gottes Geist durchweht und getragen, als von Gott und Mensch zusammengewirktes Ganzes haben die vielen einzelnen Gebete, guten Gedanken und Taten diese erhebende Kraft.

Durch die Ballons wird auch noch etwas anderes spürbar nachvollziehbar. Wer dauerhaft zusammenstehen will, jemandem helfen will, ist auf immer wieder neue Energie, Energieträger angewiesen, weil wie beim Ballon mit der Zeit die Tragkraft sinkt und die Luft „raus“ geht. Nicht nur das. Wie sich gute Absichten oft in Luft auflösen, kann auch ein kleiner Materialfehler, ein Nadelstich einen Ballon platzen lassen.

Wo viele Menschen sich in ihren Visionen und Gedanken vom Geist Gottes führen lassen und diese gebündelt in Taten umsetzen, wird das Kreuz vieler Leidender leichter werden und sie die Auswirkungen der Auferstehung Christi spürbar erfahren lassen.