In Frage gestellt

Blickfang des Bildes ist ein runder Gegenstand, der mit einer goldenen Folie verpackt ist. Nach rechts aufsteigend drücken drei Schnüre durch die Folie durch und geben dem Paket eine leicht diagonale Bewegung. In der Mitte lässt sich ein Knoten beobachten, der wie ein Bauchnabel in den Rundungen erscheint. Trotz der Verhüllung wirkt der Gegenstand wie ein Bild, das auf einem schwarzen Quader an der Wand lehnt. Davor liegt eine tote Taube auf dem rosaroten Boden.
Das Bild wirft mit seinen rätselhaften Objekten Fragen auf: Wieso ist der runde Gegenstand verschnürt und verhüllt? Was könnte die Bedeutung der goldenen Folie und des schwarzen Podests sein? Warum stellt der Künstler eine tote Taube dar?

Bei der Betrachtung von Kreis und totem Vogel fällt ihre Gegensätzlichkeit auf. In ihnen stehen sich symbolisch Unendlichkeit und Vergänglichkeit gegenüber. Auch wird der runde Gegenstand mit der Goldfolie als kostbar und schützenswert bezeichnet, während die Taube in ihrem grau-weißen Federkleid ungeschützt am Boden liegt. Der vollkommene Kreis ist zudem oben, die Taube unten platziert. Zwischen ihnen befindet sich ein altarähnlicher Aufbau, so dass sie sich nicht berühren können.

Das eingepackte Objekt lässt nach dem darunter Verhüllten fragen. Hält es das, was durch die vollkommene Kreisform und die glänzende Goldhülle angedeutet wird? Verweist es auf etwas oder jemand Erhabenen, das oder der kostbar und strahlend schön ist, ohne Anfang und ohne Ende? Soll es wenn möglich ein Symbol für den verborgenen Gott sein, von dem es im apokryphen Thomasevangelium (83) heißt: „und sein Bild ist verborgen durch sein Licht“? – Oder ist die Inszenierung nur Effekthascherei und nichts dahinter? Eine Art Konsumaltar? Der tote Vogel davor verstärkt die Unsicherheit im Umgang mit diesem Objekt. Auch hier ist das eine genauso möglich wie das andere. Der Vogel kann geopfert worden sein – es ist allerdings kein Blut zu sehen –, er kann aber auch versucht haben, das Göttliche zu sehen und hat es nicht überlebt (vgl. Ex 33,20; 1Tim 6,16), bzw. die Begegnung mit dem vermeintlich Göttlichen hat ihm kein Leben gegeben.

Eine ganz andere Sichtweise und Fragestellung ist die nach der Kommunikation. Hat sich „Gott“ versteckt, weil er nicht mehr mit uns kommunizieren will? Selbst die Taube als symbolische Übermittlerin seiner Botschaften liegt reglos darnieder. Hat er jeden Kontakt abgebrochen, weil er nichts mehr von uns wissen will? Oder ist es vielleicht gerade umgekehrt, dass wir Menschen nichts mehr von ihm wissen wollen, ihn an die Wand gestellt haben und jeglichen Kontakt mit ihm meiden, weil seine Worte unbequem sind?

Gott offenbart sich glücklicherweise nicht nur in von Menschenhand geschaffenen Objekten. Aber diese Objekte haben die Kraft, unseren Glauben, unsere Haltung und unser Verhalten in Frage zu stellen. Damit wir innehalten, uns besinnen und uns neu auf Ihn ausrichten, der unsichtbar in allem wirkt und mit Leben und Schönheit erfüllt.

Tischgemeinschaft

Unverrückbar „sitzt“ die massive Betonplatte auf den Rücklehnen der zwölf Stühle, die beidseits des langen Holztisches stehen. Wie ein Deckel verunmöglicht sie das Sitzen und Essen am Tisch. Kein Stuhl kann herausgezogen werden. Kalter Stein breitet sich über dem warmen, einladenden Holz aus. Massive Schwere lastet auf der im Vergleich filigranen Komposition von Tisch und Stühlen. Wie eine Grabplatte liegt der Betonquader auf den Holzstühlen, schwebt er bedrohlich über der großen Tischfläche. Jegliche Tischgemeinschaft wird durch die Betonplatte verunmöglicht, das Einnehmen von Nahrung ebenso wie der Austausch von Gedanken und Worten, von Leben schlechthin (Großansicht).

Was wohl der Sinn dieser Arbeit sein kann? Was hat sie zu bedeuten? Der Künstler meint dazu: „Bedeutung kann in einem Kunstwerk aufgeschlossen werden, aber sie kann nicht als alleiniger Sinnträger ein Werk vor dem Druck der Zeit schützen. Ein Kunstwerk hat immer einen Anteil nicht entschlüsselbarer, verwehrender Aspekte. Der Betonquader hindert am Platznehmen, das stimmt, er entspricht in seinem Gewicht aber dem durchschnittlichen Gewicht von zwölf Personen. Die Arbeit streift verschiedene Assoziationen: Es könnte der Tisch des letzten Abendmahls sein, andererseits gehörten dazu dreizehn Stühle und nicht bloß zwölf. Was hier steht, hält sich also in der Nähe dieser Interpretation auf, entzieht sich ihr aber gleichzeitig. Der Betonquader erinnert vielleicht auch an eine Grabplatte. Es ist hier die Idee der Zukunftslosigkeit mitgedacht, die “no future”-Slogans der bleiernen 70er- und 80er-Jahre. Diese Idee schwingt in der Moderne eigentlich immer mit. Sie ist im Grunde ein Schatten der Moderne.” (Eduard Winklhofer 2013 im Interview mit Antonia Veitschegger und Johannes Rauchenberger, Kulturzentrum bei den Minoriten, Graz)

Die Arbeit lebt durch diese Assoziationen. Sie lebt aus der Verbindung zum Menschen, der den Tisch und die Stühle für seinen Gebrauch und in Bezug auf seine menschlichen Dimensionen geschaffen hat. Die Betonplatte wirkt dazu unnatürlich, wie von einer überirdischen Macht aufgesetzt. Das Tischensemble hat dadurch seine Offenheit, seinen einladenden Charakter verloren und wirkt nun durch die Größe und die Last der Betonplatte wie ein verschlossener Komplex. Die Alltagstauglichkeit ist ihm damit genommen, es ist nun ein Schaustück, der mögliche Gast ein ausgesperrter, außen vor gelassener Betrachter. Als solches wird er gezwungen, neue Wege zu gehen, gedanklich und körperlich. Umwege. Als Stein des Anstoßes regt die Betonplatte dazu an, über die ungewöhnliche Kombination nachzudenken.

Nachfolgend drei mögliche Ansätze und Zugänge:

  • Die an das letzte Abendmahl erinnernde Tischgruppe und die Nähe der Betonplatte zu einer Grabplatte lassen in dem Kunstwerk einen möglichen Altar sehen. Durch die Betonplatte hat der Künstler einen erhöhten Tisch geschaffen, um den eine sich in der vergegenwärtigenden Feier von Leiden, Tod und Auferstehung Jesu Christi versammelte Tischgemeinschaft sichtbar zu „Umstehenden“ wird. Mit dieser Arbeit würde der „Circumstante-Gedanke“ aus der liturgischen Bewegung und Erneuerung verstärkt Ausdruck finden.
  • Durch die Verweigerung kann eine neue Wertschätzung der Tischgemeinschaft erzeugt werden. Gerade in unserer Zeit muss hinterfragt werden, welche „massiven Blockaden“ verhindern, dass Tischgemeinschaft gelebt wird. Die Betonplatte kann symbolisch für alles stehen, was Tischgemeinschaft verunmöglicht, z.B. Arbeitszeiten, welche gemeinsame Essenszeiten schwer realisierbar machen. Mediale Angebote, welche von der direkten Begegnung mit dem Mitmenschen und dem Austausch mit ihm ablenken. Individualismus, bei dem die Eigeninteressen höher gestellt werden als diejenigen der Gemeinschaft.
  • Die Arbeit kann aus dem Aspekt der „Zukunftslosigkeit“ auch Anstoß sein, sich mit scheinbar blockierten Situationen auseinandersetzen, die Gegebenheiten genau anzuschauen und neue Lösungen und Wege zu suchen. Die Apostel waren nach dem Tod Jesu auch in einer blockierten, hoffnungslosen Situation. Symbolisch lastete eine große Betonplatte auf ihnen. Erst mit der Zeit erkannten sie die Zusammenhänge und erhielten den Mut und die Kraft, die Blockade zu überwinden und einen Weg zu gehen, der bis heute Menschen ermutigt nicht aufzugeben.

schwebend

Wer in die evangelische Christuskirche in Nürnberg eintritt, dessen Blick wird bald von einer gelben Linie im Granitboden eingefangen und vom Taufbecken im Eingangsbereich nach vorne in den Chor geführt. Das schmale Band aus Glas verdeutlicht den lichten Weg eines jeden Gläubigen von der Taufe auf Christi Namen und lädt zur Feier der Gemeinschaft im Hören auf Gottes Wort und Teilen von Brot und Wein ein.

Die gelbe Linie würde, mit einem kurzen Unterbruch, den waagrechten, dunklen Kubus als Altar bezeichnen, in dessen Mitte sie auf die Höhe ihres Ausgangs, des Taufsteins, hochgezogen wurde, wenn nicht davor eine waagrechte Platte Zweifel an dieser These aufkommen ließen. An vier kaum wahrnehmbaren Seilen hängt sie als Mensa am traditionellen Ort des Altars von der Decke herunter und fordert den Besucher auf, mit ganz neuem Denken an den Abendmahlstisch heranzugehen.

Seine Abhängung von der Decke suggeriert, dass das Ereignis, dem auf diesem erhöhten Ort gedacht wird, von oben her gegeben ein Geschenk vom Himmel ist (solus Christus). Nur der flüchtige Schatten berührt den Boden, lässt ihn stellvertretend für alles Geschaffene die geheimnisvolle Gegenwart des ganz Anderen spüren, der sich uns Menschen an diesem Ort im Abendmahl sinnlich erfahrbar gibt und gleichzeitig wie ein Windhauch allem Begreifen entzieht.

Dieser ganz andere „Tisch“ erinnert an das Außergewöhnliche einer jeden Gottesbeziehung, ihr Geschenk wie ihre Abhängigkeit von der Gnade Gottes (sola gratia). Dabei umschreiben die vier Stahlseile einen durch die Schwerkraft der Stahlplatte geerdeten Luftraum, der durch das stetige Wiederholen und Vergegenwärtigen der Abendmahlfeier an seinem tiefsten Punkt zu einer Art unsichtbaren Wolkensäule oder Leiter Jakobs wird, welcher die Gegenwart und Heiligkeit Gottes im Hier und Jetzt spüren lässt.

Der auf das strikte Minimum reduzierte Abendmahltisch in der Mitte der Versammlung lässt die zentrale Bedeutung des hier Dargebrachten spüren. Leicht durchhängend wie eine Schale vermag dieser Altar die Gaben von Brot und Wein aufzunehmen und ohne Ablenkung durch einen künstlerisch gestalteten Unterbau konzentriert auf ihr Zeichen hinzuweisen. Durch seinen schwebenden Zustand vermittelt er zudem etwas Instabiles und verweist auf die Vergänglichkeit dieser heiligen Handlung und den Bedarf der stetigen Erneuerung.

So hängt der Altar leicht wie eine Erscheinung vor dem visuell dominierenden Rechteck, das aus Distanz den erdenden Sockel für die Chorwandgestaltung mit einer thronenden Christusfigur von Burch-Corrodi bildet, sich aus der Nähe und in der Liturgie zum überdimensionalen Ort des Wortes wandelt. Spätestens hier wird die Bedeutung des Wortes Gottes und seiner Auslegung in der evangelischen Kirche deutlich (sola scriptura), dem gegenüber die Abendmahlfeier, auch wenn ihr Ort räumlich perfekt im Vordergrund angeordnet ist, im Hintergrund steht. Dieser Altar beansprucht nicht, im Mittelpunkt zu sein. Visuell ist das im Raum ganz klar die erhöhte Christusfigur und in der Liturgie der Pastor, der unter ihr und stellvertretend das Wort Gottes verkündet, auslegt und im Abendmahl feiert.

Dennoch ist der Altar nicht dem Ort des Wortes untergeordnet, sondern vielmehr der Verkündigung zugeordnet und folgerichtig vorgelagert. Das im Boden verlaufende „güldene Band der Taufgnade“ läuft unter der Altarmensa durch, steigt im Wort Gottes hörbar auf, um sich dann zusammen mit dem Leib und dem Blut Christi in der Gestalt von Brot und Wein den Gläubigen zur Stärkung zu schenken. Eine wunderbare Bewegung: irdisch verhaftet am Boden von hinten nach vorne, dort, nachdem das geschriebene Wort durch den Geist zum Leben erweckt wurde und in der Hingabe Christi seine sinnliche Erfahrung fand, als geistige Nahrung wieder zurück zu den Gläubigen.

Nicht wie gewohnt nebeneinander, sondern räumlich bedingt hintereinander und sich damit wie durchdringend und einander bedingend eine Einheit bildend, stehen die beiden Prinzipalstücke dabei im Zentrum dieser liturgischen Bewegung. Wie der Glaube werden sie von innen her zusammengehalten durch die Form des Kreuzes, dessen Waagrechte die Altarmensa und dessen Senkrechte der aufsteigende Glasstreifen in der Brüstung des Ortes der Rede bilden. Am Kreuz Christi, seinem Tod und seiner Auferstehung scheiden sich die Geister, auf das Geschehen an ihm gründet unser Glaube, allein der Glaube – Sola fide.

 

Meide Büdel erhielt für diese Arbeit am 9. Oktober 2008 von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern den Kunstpreis 2008.

Thron Gottes

Außergewöhnlich, seine Form und sein Material. Gegenüber den meisten anderen Altären aus Stein ist dieser Altar achteckig und aus Bronze. So hat er mehr die Gestalt vieler Taufbecken, die in Erinnerung an den „neuen Tag“ der Auferstehung des Herrn acht Seiten haben (7 + 1).

Doch wieso soll ein Altar nicht an die Taufe erinnern? An ihm wird doch das Geheimnis des Glaubens gefeiert: „Deinen Tod, o Herr, verkünden wir; und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit!“ Im Sakrament der Taufe sind doch die Menschen mit Christus “gestorben” und mit ihm als durch die Gnade neu geschaffene Gläubige auferstanden. Von nun an versammeln sie sich um den Tisch des Herrn, den Altar, um seine Gegenwart unter ihnen zu feiern.

Dem Volk zugewandt präsentiert der Altar in der ganzen Höhe sein glänzendes „Innenleben“, das auch im Sockel erkennbar ist. In seiner Mitte steigt vom Boden wie ein Baumstamm das Tau-Kreuz empor, um unter der Tischkante den ganzen Altar zu umfangen. Kreuz und Altar verschmelzen hier zu einer Einheit, weil derjenige, der für uns am Kreuz gestorben ist,  sich uns auf dem Altar in Gestalt von Brot und Wein schenkt.

Wie ein Tischtuch werden die anderen Seiten des Altars von einem Relief in dunkleren Brauntönen umgeben. Die darauf zu erkennenden helleren Linien signalisieren Bewegung, tönen Freude an. Beim nahen Hinsehen sind Engelsgestalten erkennbar, die den Altar umgeben.

Der Künstler scheint hier in freier Form die Vision des Propheten Jesaia aufzugreifen, in der er den Thron des Herrn von Seraphim umgeben sah, von denen jeder sechs Flügel hatte. Sie rufen einander bei Tag und Nacht ohne Unterlaß zu: Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heere, von seiner Herrlichkeit ist die ganze Erde erfüllt. (Jes 6,1-3 sowie Offb 4,1-11).

Der Altar als irdischer Thron Gottes! Der Altar als Thron seines Sohnes Jesus Christus, auf dem dieser im Sakrament der Eucharistie „erhöht“ in der Mitte seines Volkes gegenwärtig wird, um es zu sammeln und zu stärken.  Hier wird Jesu Wort zeichenhaft und sichtbar in einen liturgischen Vollzug gestellt: „Und wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der (an ihn) glaubt, in ihm das ewige Leben hat.“ (Joh 3,14-15)