Bild und Abbild

Oberfläche
Wir sehen einen Kopf. Wir erkennen ihn an der Anordnung der Augen, der Nase und des Mundes. Auch wenn er um 180 Grad gedreht “auf dem Kopf” dargestellt ist, auch wenn die Farben nur wenig mit unserem Aussehen gemeinsam haben, auch wenn der Kopf im Vergleich zu unserem riesengroß ist.

Die Kopfform füllt mit seiner Größe das Bildformat praktisch aus. So ist von seinem Körper nichts zu sehen und vom Hintergrund nur dunkelblaue Farbe. Die Außenlinien des Kopfes sind sehr einfach gehalten und für die runde Form eines menschlichen Kopfes recht gerade bzw. kantig ausgefallen. Allein betrachtet wirkt die Kopfform in der dunklen Umgebung wie ein Gefäß, in dem sich die Landschaft der menschlichen Physiognomie entfaltet. Zuerst fällt die farbliche Dualität auf, dieses Wechselspiel von Fleischfarben bis Rosa auf der linken Seite und dem kräftigen Grün auf der rechten Seite. So stark sie die eine Seite prägen, sind sie doch auch partiell auf der Gegenseite zu finden. Die grüne Farbe zum Beispiel als Augenbraue oder als linke Abgrenzung der Nase, die rosa- bis braunfarbigen Elemente finden wir im ganzen grünen Bereich. So verschränken sich die helle und die dunkle Seite farblich ineinander. Licht und Schatten kommen dadurch in diesem Gesicht zum Ausdruck. – Licht- und Schattenseiten des menschlichen Daseins?

Zwei weitere Farben sind in diesem Gesicht wesentlich. Auf der Höhe der Augen und des Mundes finden wir einen blauen Dreiklang (linker Augapfel, rechte Pupille und Haarsteifen, linke Mundhälfte), während die grau-weiße Farbe mit seiner Anwendung an Kinn und Nase eine starke vertikale Komponente beinhaltet. Während Rosa und Grün irdisch-materielle Farben (Fleischton = Mensch, Grün = Natur) sind, bringen Blau und Weiß eine himmlisch-spirituelle Dimension ins Gesicht, die mit dem Tiefblau des Hintergrundes korrespondiert. Im Weiteren fallen die großen, offenen Augen auf, der leicht geöffnete Mund und dass kaum Haare zu sehen sind.

Assoziationen
Yin und Yang, Heilandsgesicht von Jawlensky, Dornenkrone, Gefäß. Die dominierenden zwei Farben, die ineinander übergehen, erinnern an Yin und Yang bzw. das bekannte Symbol das Taijitu, in dem das weiße Yang (hell, hart, warm, männlich, Aktivität) und das schwarze Yin (dunkel, weich, kalt, weiblich, Passivität) gegenüberstehend dargestellt werden. Sie stehen für polar einander entgegengesetzte und dennoch aufeinander bezogene Kräfte oder Prinzipien.
Zu Jesus können uns zwei Details führen. Zum einen die braune Augenbraue, die mit ihren Querstrichen gleichzeitig eine Dornenkrone andeutet, zum anderen die vereinzelte Locke, die auch in den Heilandsgesichtern bei Alexej Jawlensky zu finden ist. Mit ihnen hat der Kopf von Georg Baselitz auch die stilisierten Formen gemeinsam.
Assoziationen an ein Gefäß mögen durch die relativ geraden Formen entstehen, die unten und seitlich geschlossen gemalt sich, während der obere Abschluss offener gestaltet ist.

Inhaltliche Annäherung und Erschließung
Die Frage zu stellen, wem dieser Kopf wohl gehören mag, erscheint in Kenntnis des Bildtitels wahrscheinlich überflüssig oder gar unsinnig. Aber kennen Sie ABGAR und den Grund, wieso er mit einem Portrait einer Person in Verbindung gebracht wird?

Abgar V war zur Zeit Jesu König von Edessa, einer Stadt im nördlichen Griechenland. Die Legende berichtet von einem Briefwechsel zwischen den beiden, in dem der erkrankte Herrscher Jesus bittet, ihn zu heilen. Jesus konnte aber nicht selbst kommen und versprach, zu einem späteren Zeitpunkt einen Jünger zu schicken. Dieser Auftrag soll nach Christi Himmelfahrt durch den Apostel Thomas an Judas Thaddäus weitergeleitet worden sein. Ob dem so gewesen ist, ist unklar und bleibt Legende. Viel Wesentlicher an der Legende ist die Überlieferung, dass Jesus selbst dem König Abgar einen Abdruck seines Gesichtes geschickt haben soll, das erste Vera Icon. Dies, weil der König an Jesus geglaubt hat, ohne ihm je begegnet zu sein. Die ältesten Beispiele dieser wunderbaren, wahren Portraits sind seit dem 4. Jahrhundert aus der byzantinischen Kirche bekannt. Auch die römische Kirche kennt solche Vera Icons, ich erinnere nur an das in Rom aufbewahrte Mandylion oder den Schleier von Manopello als „nicht von Menschenhand gemachte Bilder“ (Acheiropoieton), bei denen das Mandylion gemalt ist, während sich der Abdruck des Antlitzes Jesu auf dem Stofftuch von Manopello nicht erklären lässt.

Mit dieser Abgarlegende verbindet der Künstler seinen Abgarkopf. Außer der Abbildung eines Kopfes scheint sein Kopf wenig mit den wahren Bildern von Jesus gemeinsam zu haben. Zu groß der Unterschied. Doch genau um den Unterschied geht es Baselitz. Um die Differenz zwischen dem Original und dem Abbild hervorzuheben, malt er seit 1969 seine Bilder verkehrt herum. Er dreht nicht das fertige Bild nach dem Malen um 180 Grad, sondern kehrt das Motiv in seinem Kopf und Geist, um es dann kopfüber auf die Leinwand zu bringen. Dieses Malen entspricht seiner These: „für mich ist das Sichtbare nur eine Haut“. „Ob Vera Icon oder gemaltes Bild in der Vergangenheit oder Gegenwart, sie zeigen in letzter Konsequenz nur die Oberfläche. Sie sind, um mit Baselitz zu sprechen “nur die Haut”, haben mit dem Inhalt, der Essenz des Dargestellten nur wenig zu tun. Baselitz hätte im byzantinischen Bilderstreit, wie nahezu die gesamte Moderne, vermutlich die Ikonoklasten favorisiert, ganz aus dem Verständnis heraus, dass Bild und Abbild nie identisch zu sein vermögen, da ein Abbild wenig mehr als die Oberfläche zeigt.“ (Carla Schulz-Hoffmann, Georg Baselitz. Religiöse Bilder?, München 2013, S. 8-17)

Jesus oder Abgar?
Nach dem Seitenblick auf die Abgarlegende und den Umgang des Künstlers mit Bild und Abbild ist man versucht, das Bild als modernes Abbild von Jesus zu deuten. Sein Kopf “steht Kopf”, weil er derjenige ist, der vom Himmel, von oben, zu uns gekommen ist. Der dunkelblaue Hintergrund verweist auf seinen tiefen Glauben. Das tiefe Blau kann aber auch auf das Weltall verweisen und dadurch seine Abstammung vom ewigen Gott. In den zwei Farben des Gesichts kommen seine fleischlich-menschliche und seine schöpferisch-göttliche Natur zum Ausdruck. Ein starker Ausdruck sind die offenen, sehenden, mich anschauenden Augen. Das Dunkelblau spiegelt sich aufgehellt, gemildert in seinen Augen und auf seinen Lippen. War Jesus nicht ein Sehender, ein die Menschen Schauender, ja Erkennender, der auch mich sieht, beachtet, betrachtet? Und hat er durch seinen Mund nicht wunderbare Worte gesprochen, welche in ihrer Intensität und Unvergänglichkeit die Menschen damals wie heute ansprechen, begeistern und stärken?

Aber ist diese Interpretation stimmig? Der Künstler nennt das Portrait „Abgarkopf“. Das verunsichert. Nach ihm würde dieser Kopf also nicht Jesus, sondern König Abgar darstellen! Aber ist das so abwegig? Sein Glaube an Jesus war so groß, dass dieser ihn selig pries. Diesbezüglich kann der tiefblaue Hintergrund auch für den Glauben Abgars stehen. Abgar ist ganz Mensch, ein von Krankheit, von Vergänglichkeit gezeichneter Mensch. In ihm ringen die guten mit den zerstörenden Kräften, doch in seinem Schauen und Sprechen spiegelt sich durch das Himmelsblau sein Glaube an die rettende Kraft Gottes. Gott hält ihn. Gottes Gegenwart wird dreifach sichtbar: im dunkelblauen Hintergrund, dem hellen blauen Widerschein in Augen und auf den Lippen und letztlich in der weiße Farbe im Kinn- und Nasenbereich. Auf dem Kinn kann die weiße Farbe als weißer Bart gesehen werden und damit als Symbol für die Weisheit. Gleichzeitig „schweben“ die weißen Striche aber wie eine Wolke über dem Gesicht. Ein Zeichen für Gottes Gegenwart „über“ Abgar? Wollen die weiß aufgehellten Flächen im Nasenbereich auch andeuten, dass Gottes Geist in ihm „atmet“?

Gibt es also nur Jesus oder Abgar? Oder könnte das Bildnis auch Jesus und Abgar zugleich darstellen? Oder bringt es, noch größer gedacht, einfach jeden Menschen, männlich oder weiblich, ins Bild, der von seinem Glauben an Gott derart gehalten und durchdrungen ist, dass seine „Religio“ in seinem Schauen und Reden sichtbar werden? In der Schöpfungserzählung heißt es, dass Gott uns Menschen als sein Abbild geschaffen hat. Wo Christus in uns lebt und sichtbar wird, wo Gottes Gegenwart und Geist durch uns spürbar werden, da wird durch die „oberflächliche Haut“ hindurch wesentliche Tiefe spürbar: Derjenige, der unser Ursprung und durch alle Vergänglichkeit hindurch auch unsere Vollendung ist.

Erstpublikation in der Zeitschrift IfR – Informationen für den Religionsunterricht Nr. 70/2014, S. 65-66, Hrsg. Erzbischöfliches Ordinariat München, Ressort Bildung, Hauptabteilung Religionsunterricht

Armut

Sind es Köpfe, menschliche Gesichter, die mir in diesen vier Zeichnungen begegnen? Tiefschwarz sind sie auf das hellbraune Material einer Kartonschachtel gezeichnet. Mit wenigen Linien, undeutlich, mit verwischten Grauschleiern wie mit markanten fleckengleichen Flächen.

Es sind keine schönen Gesichter, die mich da anschauen. Es sind vielmehr vier vom Elend gezeichnete Gesichter, unsauber, ungepflegt. Die mangelnde Hygiene hat ihre Spuren hinterlassen. Der Künstler hat sie schattenhaft und unscharf dargestellt, als hätten sie in der Gesellschaft bereits ihr Gesicht verloren.

Ähnlich wie der Karton, auf dem ihre flüchtige Erscheinung festgehalten wurde. Die Kartonschachtel war einmal etwas Wertvolles, Nützliches. Ein Gegenstand war mit ihm verpackt und vielleicht auch verschickt worden. Herunterhängende Klebstreifen kleben und hängen wie Zeugen dieser Reise am Karton. Nun hat er seinen Dienst getan und hätte weggeworfen werden sollen. Doch der Künstler hat ihn aufgehoben und für würdig befunden, das Trägermaterial seiner Zeichnungen zu werden. Er hat keine edle Leinwand gewählt, sondern einen alten, gebrauchten, wertlosen, unstabilen Karton.

Dadurch ist ein authentisches Kunstwerk entstanden. Trägermaterial und Dargestelltes haben die gleiche Aussage. Dadurch ist seine Arbeit auch unbequem geworden. Denn er stellt Gesichter, die in unserer Gesellschaft an den Rand gedrängt, ausgegrenzt, quasi versteckt werden, wieder in den Mittelpunkt. Portraits von Menschen, die auf solchen Kartons unter einer Brücke schlafen, sich mit ihnen notdürftig vor Kälte und Wind schützen.

Es ist gut, wenn uns solche Anblicke nicht unberührt lassen, sondern immer wieder neu zur wirklichen Begegnung mit den Armen bewegen, um sie durch Zuwendung und Teilen aus ihrer Ausgrenzung herauszulösen und wieder in die gesellschaftliche Gemeinschaft zu integrieren. „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan,“ sagt Jesus zu seinen Jüngern (Mt 25,40) und „wer ein solches [Menschen-] Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf.“ (18,5) Wer Jesu Wort beherzigt, darf die Hoffnung in sich tragen, dass wieder Leben, Farbe und Schönheit in die Gesichter der Armen einziehen werden, die dass die heimatlos auf dem Bildgrund schwebenden Köpfe wieder Anschluss an ihre Körper erhalten.

Vergänglich?

Nur ganz schwach ist das Gesicht einer Frau zu erkennen. Unheimlich behutsam hat der Maler die Farben aufgetragen, die Kopfform angedeutet, Augenhöhlen, Nasenansatz und Mund leicht hervorgehoben, die Haare farbig angetönt.

Wie ein sanfter Windhauch liegen die Farben auf dieser Leinwand und lassen vor unsern Augen ein feingliedriges Gesicht aufscheinen – zerbrechlich und vergänglich. Die Schönheit dieser Frau ist noch zu erahnen, doch die Farben sind verblichen. Ihre Zeit scheint vorbei zu sein.

Jedes Jahr zu Beginn der Fastenzeit wird den Christen – mitten im blühenden Leben – ihre Vergänglichkeit in Erinnerung gerufen, wenn der Priester in der Aschermittwoch-Liturgie das Aschenkreuz auf ihre Stirn streut und sagt: „Bedenke, Mensch, dass du Staub bist und wieder zu Staub zurückkehren wirst.“

Das Bild von Robert Weber erinnert mich an diese aufrüttelnden Worte. Irgendwann wird unser Lächeln erstarren, die Augen sich für immer schließen, unser Körper durch Verbrennung oder Verwesung wieder zu Staub zurückkehren. Wie auf dem Bild wird unsere Schönheit, unser Leben nur wenige Spuren auf dieser Erde hinterlassen, wenn überhaupt.

Dem entgegnend berichtet die Bibel von der unverbrüchlichen Liebe Gottes, in der wir über den Tod hinaus Geborgenheit und Bestand haben. Jesaja erzählt von der Antwort Gottes auf die Angst der Bewohner Jerusalems, von Gott vergessen zu werden: „Kann denn eine Frau ihr Kindlein vergessen, eine Mutter ihren leiblichen Sohn? Und selbst wenn sie ihn vergessen würde, ich vergesse dich nicht. Sieh her: Ich habe dich eingezeichnet in meine Hände, deine Mauern habe ich immer vor Augen.“ (49,14-16)

Gott vergisst keinen Menschen, er hat jeden einzelnen von uns stets vor Augen! So vergänglich wir im Leben mit unserem Wesen und Werken sind, so unvergänglich verheißt uns die Liebe Gottes im Tod das ewige Leben (vgl. dazu Joh 12,14-26 und Röm 5,1).

Jesus?

Immer wieder stellt sich dem Gläubigen die Frage nach der Gestalt von Jesus. Wer war diese Person, die von den Propheten Jahrhunderte im voraus angekündigt worden war, während seines öffentlichen Wirkens Scharen von Menschen faszinierte und dessen Botschaft und Auferstehung zur Gründung der Kirche geführt hat? Stellungnahmen ergeben sich aus persönlicher Betroffenheit und aus dem Zeitgeist heraus.

Anlässlich des international ausgeschriebenen Wettbewerbs „Jesus 2000“ schuf der Künstler Gerhard Knell dieses Bild. Der virtuelle Raum und der Fernsehturm erzeugen ein futuristisches Bild unseres Bilder- und Medienzeitalters, gleichzeitig knüpfen das transparente Trägermaterial und die von hinten beleuchteten Farben an die großen gotischen Kirchenfenster an. Die Bildschirme ergeben zusammen die Gestalt eines Kreuzes. In der Mitte ist das Antlitz Jesu erkennbar, rechts und links davon große blaue Hände. Die unteren beiden Bildschirme zeigen Ausschnitte aus dem Turiner Grabtuch.

Der oberste Fernseher ist nach links abgedreht. Sein Bildschirm erscheint wie ein Aquariumglas, hinter dem ein Fisch schwimmt. Die sechs Fernseher wie ihre Bildbotschaft erinnern an eine aufrechte menschliche Gestalt und rufen seinen Tod und seine Auferstehung ins Bewusstsein. Sie sind gleichsam Fenster auf ein vor langer Zeit Geschehenes, auch mit Hilfe von Ikonen oder Reliquien wie des Turiner Grabtuches.

Wände und Decke zeigen großformatige Portraits von drei Männerköpfen. Der rechte Kopf trägt einen Bart und wird durch den weit aufgerissenen Mund und die großen Augen charakterisiert.  Im Gegensatz zu diesem „lauten“ Gesicht zeigt die linke Wand ein asketisch strenges Gesicht, dessen Augen auf das „Kreuz“ fixiert sind. Ob es sich um die beiden Schächer am Kreuz handeln soll, die mit Jesus gekreuzigt worden sind? In ihrer Todesstunde haben sie Stellung bezogen in Bezug auf Jesus. Der eine schrie: „Bist du nicht der Messias? Dann hilf dir selbst und auch uns! „ Der andere wies ihn darauf zurecht und sagte zu Jesus: „Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst.“ (Lk 23,39-43)

Und der Kopf an der Decke? Obwohl wir von oben auf ihn herunterschauen, schaut er auf uns herunter, bzw. auf den „Kreuzaltar“! Soll dieses Gesicht den Vater Jesu vergegenwärtigen, der auf ihn schaute und ihm in seiner Liebe und Nähe Geborgenheit schenkte? – Da kein Hinweis zu erkennen ist, kann auch einfach eine dritte Stellungnahme in diesem Portrait gesehen werden. Dieser Mensch schaut auf das Kreuz nieder, er entdeckt es gerade unter sich, vielleicht sogar als tragendes Element seines Lebens!

Bei der Betrachtung dieser drei großen Köpfe fällt das zentrale Antlitz Jesu durch seine kleine Größe, seine Unschärfe, vor allem durch seine frontale Gegenüberstellung auf. Die ganze Kraft der aus den umgebenden großen Gesichtern kommenden Blicke fokussiert sich in seinem Gesicht, das den Betrachter anschaut. Und Du, was denkst Du vom Menschensohn? (Mt 16,13)

Wie ein Nachrichtensprecher ist er abgebildet. Aber er ist mehr. Er selbst ist die Botschaft, sein Leben selbst ist die gute Nachricht, die Leben schenkt und in allen Häusern und bei allen Menschen verkündet werden will. Und wer ist Jesus für Dich? Was denkst Du vom „Messias, dem Sohn des lebendigen Gottes?“ (Mt 16,16)

Heilige Hingabe

Ein Frauengesicht, eingetaucht in ein Farbenmeer. Überdimensional, in Raumhöhe begegnet es uns. Die Frau hält den Kopf nach hinten geneigt. Die Augen schauen mit einem sehnsüchtigen Blick nach oben, der Mund ist leicht geöffnet.

Was sie wohl sieht? Was sie erwartet? – Was sie sieht und erwartet, entzieht sich unseren Blicken ebenso wie sich das Frauengesicht für weitere Beobachtungen hinter den Farben verbirgt. Sie ist unserem Zugriff – auch nur mit den Augen – entrückt und scheint in einer anderen Welt zu sein.

Ihr Gesichtsausdruck erinnert mich an Heiligenfiguren in barocken Kirchen, welche mit verklärtem Blick die Altäre schmücken und die Betrachter einladen, ebenso in die Betrachtung von Gott zu versinken. Wie Johannes haben sie Gottes Herrlichkeit „mit eigenen Augen gesehen und geschaut“ (1 Joh 1,1-3): in seinem Sohn Jesus Christus!

Dieses Schauen muss sie von innen her verwandelt haben, denn Paulus schreibt an die Christengemeinde von Korinth eine ähnliche Erfahrung: „Wir alle spiegeln mit enthülltem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wider und werden so in sein eigenes Bild verwandelt, von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, durch den Geist des Herrn.“ (2 Kor 3,18)

Die fließenden weißen Pinselstriche könnten Hinweise auf diesen verwandelnden Heiligen Geist sein, der die junge Frau durchdringt und in ungeteilter Hingabe an Gott aufgehen lässt. In warmen Farben „glühend“ strahlt ihr Gesichtsausdruck die ihr innewohnende göttliche Be-Geist-erung aus, Leidenschaft und die Liebe zu Gott!

Der Wunsch steigt in mir hoch, dass diese vom Geist Gottes bewirkte heilige Hingabe wie ein Funke auf mich überspringen möge, mich entzünde, damit ich auch von Liebe erfüllt „Feuer und Flamme“ für ihn bin.

Gott wartet geduldig, dass ich endlich einwillige darin, ihn zu lieben.
Gott wartet wie ein Bettler, der regungslos und schweigend vor jedermann steht,
der ihm vielleicht ein Stück Brot geben wird.

Die Zeit ist dieses Warten.
Die Zeit ist dieses Warten Gottes, der um unsere Liebe bettelt.
Die Gestirne, die Berge, das Meer,
alles, was von der Zeit zu uns spricht, bringt uns Gottes flehentliche Bitte.

Die Demut der Erwartung macht uns Gott ähnlich.
Gott ist nur das Gute.
Darum steht er da und wartet, schweigend.

Wer herandrängt oder spricht, der braucht ein wenig Gewalt.
Das Gute, dass nichts als das Gute ist, kann nur da sein.
Die schamhaften Bettler sind Seine Bilder.

Simone Weil „Gott ist nicht in der Zeit“. Aus: Zeugnis für das Gute. Traktate, Briefe, Aufzeichnungen [Herausgegeben und übersetzt von Friedhelm Kemp], München, 1990, 208-211)

Vertrauen II

Die dreizehn Bilder umfassende Serie Vertrauen beinhaltet neben den weißen, „durchsichtigen“ Gesichtern auch solche mit farbigen Übermalungen. Die teils schwarzen Umrandungen und vor allem die Augen und der Mund lassen die Gesichter klar erkennen, auch leuchtet der weiße Hintergrund teilweise durch, doch die Gesichter sind wie hinter einem Schleier. Die Umgebungsfarben scheinen sich über das Gesicht gelegt zu haben.

Will der Künstler damit vielleicht auf die vielen Situationen hinweisen, in denen wir nicht mehr klar sehen und Mühe haben, zu vertrauen? Bei diesen Bildern kommt es mir vor, als würden die Ereignisse überhand nehmen, über den Kopf wachsen, wie man sagt. Aus den Gesichtern spricht denn auch mehr Ernsthaftigkeit, (außer oben rechts) ja teilweise sogar Erschrockenheit. Etwas Unerwartetes ist eingetroffen, es ist bildhaft gesprochen dunkel geworden, man hat den Durchblick verloren.

Vertrauen ist da Not-wendig, um aus dieser Situation herauszukommen. Zu-ver-Sicht über alle Schatten und Hindernisse hinweg auf neue Wege, eine bessere Zeit, geheilte Beziehungen. Zuversicht aus dem Vertrauen in sich selbst, dem Selbstvertrauen, dass man es schaffen kann, Zuversicht auch aus dem Vertrauen in die Mitmenschen und vor allem in Gott, dass sie mir helfen werden, gerade wenn ich nicht mehr kann!

Die Farbe lässt sich noch anders interpretieren. Sie kann auch bedeuten, dass ich ganz erfüllt bin von den äußeren Eindrücken, getragen werde von meinen Erfahrungen und deshalb erst recht vertrauen kann. Froh gestimmt, bin ich bereit, in die Weite zu schauen, Dem zu vertrauen und mein Leben anzuvertrauen, der den echten Weitblick hat.

Diese Bildserie „Vertrauen“ ist für mich so etwas wie ein Spiegel, in dem ich meine verschiedenen Stimmungen wiederfinde. Mal geht es mir gut und läuft alles rund, dann wieder ecke ich überall an, fühle ich mich eingeengt (erste vier Bilder) oder von meinen „bunten“ Gefühlen überwältigt (zweite vier Bilder). Der Anblick der mich anblickenden Gesichter ermutigt mich zu vertrauen. Wie es Dir derzeit auch geht, das Leben geht weiter. „Ich vertraue Dir“, höre ich sie von Gott her sagen, „trau auch Du Dich!“

Vertrauen I

Die kleinformatigen, mit wenigen Strichen und Farben dargestellten Gesichter haben mich spontan angesprochen. In Wirklichkeit ist jedes Bild von einem breiten Rahmen umgeben. Nebeneinander aufgehängt ergeben sie eine „Geschichte des Vertrauens“.

Die verschiedenen Gesichtsformen und Farben lassen hinter jedem Gesicht eine andere Geschichte erahnen. Gemeinsam sind ihnen die angedeuteten Augen, Münder und Nasen. Ihre weiße Gesichtsfarbe strahlt eine Offenheit aus, die an Licht und Transparenz denken lässt. Sie haben nichts zu verbergen, sind unbelastet, rein, klar. Es ist, als könnte man durch sie hindurchsehen auf das unfassbar Größere hinter ihnen, das ihnen Gestalt und Leben gibt. Sie sind wie „Fenster“ zu Gott.

Und diese Gesichter schauen mich an. Mit kleinen Augen, aber großer Kraft, halten sie meinem Blick stand. Durch mein Betrachten sind sie zu meinen Gegenübern und stillen Gesprächspartnern geworden.

Dabei geht es weniger um Worte als vielmehr um Augen-Blicke und Erkenntnisse. Vertrauen kommt von sich trauen, sich dem anderen an-ver-trauen. Vertrauen hat also mit Glauben zu tun. Glauben an den anderen und das, was er sagt, weil ich es nicht weiß oder nicht nachprüfen kann. Vertrauen und Glauben sind das Fundament unseres Lebens und der meisten unserer Beziehungen. Wo Menschen sich mit reinem Gewissen begegnen, sich einander in die Augen schauen können, wächst das Vertrauen.

Der Anblick der Bilder ermutigt mich zu vertrauen. Ich werde nicht nur dem Mitmenschen begegnen, ich höre Jesus sagen: „Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen.“ (Mt 5,8) Wenn das keine Verheißung ist!