Atem – Geschenk

Zwei parallele vertikale Eisenstäbe bilden das Rückgrat dieser auf das Wesentliche reduzierten Skulptur. Die vier von ihnen ausgehenden, gebogenen Stäbe deuten einen Brustkorb an. Doch bestürzende Leere schwebt dazwischen, macht gleichsam die Luft sichtbar, die normalerweise in diesen Raum eingeatmet und von ihm wieder ausgeatmet wird.

Dazwischen das ausgetrocknete und geballte Philodendronblatt. Es erinnert mit seiner faustgroßen Form und den dunklen Löchern an die Organe Herz und Lunge, die von diesem Ort aus den Menschen mit Kraft versorgt haben durch das lebenserhaltende Ein und Aus.

Was für ein Kontrast: Einerseits das raumfordernde und doch so transparente Gerippe aus Armierungseisen, die im Beton die stützende Funktion übernehmen, andererseits das einstmals lebendige Blatt, das sich aus dem Leben „zurückgezogen“ hat, sich nun nicht mehr groß und offen, sondern klein und verschlossen gibt. Es ist, als wolle das Blatt die Essenz des einstmals so wunderbar blühenden Lebens als Geheimnis in seinem ach so zerbrechlichen „Gefäß“ aufbewahren.

Die Skulptur erinnert an die Endlichkeit und die Vergänglichkeit von uns Lebewesen. „Denn Staub bist du, zum Staub musst du zurück,“ sagt Gott zu Adam (Gen 3,19). Diese Einsicht formuliert später auch der Prediger Kohelet in seinem Buch (3,20). Die Vergänglichkeit des Menschen Sein, Handeln und Befinden bringt er mit dem Wort „Windhauch“ auf den Nenner (u.a. 1,2; 2,23.26). Verbindet nicht der Atem mit seiner stetigen Bewegung unser Inneres mit der Außenwelt und kommt durch ihn nicht das Außen auch in unser Inneres, ohne dass wir genau sagen könnten, wo der Atem beginnt oder aufhört? Wird uns nicht nach dem Ende unserer Körperlichkeit der äußere „Atem“ ganz durchdringen und werdem wir nicht ganz in ihm aufgehen?

Jeder Atemzug, ja das ganze Leben ist für den Gottesfürchtigen ein Geschenk. Sie sind nicht selbstverständlich. So wie Gott Adam den Atem eingehaucht hat und ihm das Leben geschenkt hat, können wir mit Ijob (33,4) sagen: „Gottes Geist hat mich erschaffen, der Atem des Allmächtigen mir das Leben gegeben.“ (vgl. Ps 104,9) Deshalb singt der Psalmist voll Dankbarkeit: „Lobe den Herrn, meine Seele! Ich will den Herrn loben, solange ich lebe, meinem Gott singen und spielen, solange ich bin.“ (Ps 146,2) Und im letzten Vers der Psalmensammlung ruft der Beter alle Lebewesen zum Gotteslob auf: „Alles, was atmet, lobe den Herrn. Halleluja!“ (Ps 150,6)

Die karge Skulptur mag uns als modernes memento mori erschüttern. Sie regt zum Nachdenken über das Atmen und die Luft an. Sie macht uns unsere Vergänglichkeit bewusst, sie ruft das Geschenk des Lebens in Erinnerung und vermag vielleicht auch einen Dank an Den auszulösen, der uns mit Seinem Atem die unermessliche Fülle des Lebens erleben lässt.

Offen-Zu

Ein Stahlschrank mit aufgestapelten Lehmsteinen drin. Die Abdeckung ist abgenommen, angelehnt übers Eck zur Seite gestellt. Dadurch ist der Behälter offen, aber auch halb zu. Sowohl als auch – offen-zu. Offen: Einblick gewährend ins Innere. Zu: Abweisend sagend „noch nicht“. Doch Einladung: Offen – zu schauen, hineinzuschauen in das sonst Verborgene unter dem Undurchdringlichen.

Hinter dem kalten schwarzen Stahl kommen warme braune Erdschollen zum Vorschein. Die Künstlerin hat sie für würdig befunden, aufgehoben, aufbewahrt und aufgestapelt zu werden. Dicht gedrängt neben- und übereinander.

Von der Sonne getrockneter und gebrochener Lehm. Bruchstücke! Jedes anders – individuell, doch alle griffig, porös, von der Luft durchdrungen und umgeben. Leben atmet in ihnen. Sie sind bereit, es in sich aufzunehmen. Offen-zu, offen-zu, offen-zu … Spricht aus dem Stahlbehälter das Abweisende, die Lehmschollen sind Zeichen für das Empfangende, irdische Empfänglichkeit für Samen, Wasser und Tiere.

Manchmal geht es mir ähnlich: Unter einer glänzend schönen Panzerhaut verstecke ich meine Lebens-Bruchstücke. In Reih und Glied stehen sie in meiner Leibesgeschichte. Erinnerungen an fast unzählige Situationen, Begebenheiten, in denen ich in meiner Menschlichkeit, „Erdlichkeit“ vor Freude zersprungen, vor Spannung gesprungen, oder unter dem Schmerz innerlich zerbrochen bin. Aber all die Bruchstücke machen die Fülle meines Lebens aus. Ohne sie wäre ich genauso leer wie ein Schrank. Sie bilden ein kostbares Inneres, bereit und offen für neue Lebens-Erfahrungen.