Kraft der Stille

Stille Präsenz strahlt aus den übergroßen Gesichtern der dargestellten Personen. Formatfüllend sind sie einfach da, fokussiert auf die geschlossenen Augen in der Mitte ihrer Gesichter. Das nebulöse Licht und die Unschärfe wirken wie ein Weichzeichner, der den en face Dargestellten etwas Entrücktes oder Numinoses verleiht.

Trotz der individuellen Gesichtszüge und Frisuren spricht aus allen die gleiche Botschaft des verinnerlichten Da-Seins. Sie lassen sich betrachten und abbilden, ohne den Prozess visuell mitzuverfolgen. Weil zur Entstehungszeit der Bilder in den Jahren 2020 und 2021 ihr ganzes Leben durch die verordneten Kontaktbeschränkungen „verinnerlicht“ wurde, sind die geschlossenen Augen und ihre singuläre Darstellung auch Symbol für diese außerordentliche Zeit der Isolation und des Auf-sich-allein-verwiesen-Seins. Sie sind wie ein augenzwinkernder Hinweis auf das englische Wortspiel „look down“ – nach unten schauen und „lockdown“ – Ausgangssperre.

Die geschlossenen Augen verunmöglichen den Blick des Betrachters in die Augen der portraitierten Personen. Weil diese den Betrachter nicht anschauen, befinden sie sich wie in einer anderen Welt. Es ist, als könnte sie nichts ablenken, nicht einmal der atmosphärische Hintergrund. Doch die portraitierten Personen schlafen nicht, sie sind auch keine Träumer. In sich gekehrt sind sie ganz da, wachsam sich erspürend und wahrnehmend. Sie sind durch und durch bei sich: Hörende der Gegenwart. Hörend auf ihre innere Stimme oder vielleicht auf Gott?

Die wie anwesend-abwesend wirkenden Portraits lassen an eine Meditation oder das Gebet denken, an ein geduldig-gelassenes Warten auf aus der Tiefe geborene Antworten. Während der Künstler durch das Malen mit offenen Augen schauen und das Gesehene auf die Leinwand übertragen kann, verharren die Dargestellten in einer äußeren Passivität, innerlich aber in einer kraftvollen Stille. Die geschlossenen Augen sind nicht wirklich verschlossen, sie künden weder von Schlaf noch von Tod, sondern von einer bewussten Konzentration nach innen. Die geschlossenen Augen ermöglichen eine gesteigerte Wahrnehmung der anderen Sinne, der Konzentration auf geistige Impulse, vielleicht auch auf den siebten Sinn. In der Raum- und Zeitlosigkeit einer solchen Stille findet sich die Kraft, um die Augen dann auch wieder entschlossen zu öffnen und der Umwelt mit einer neuen Sicht auf die Dinge zu begegnen.

5 Portraits im Großformat 1 2 3 4 5

umsichtige Präsenz

Hart und scheinbar zusammenhanglos begegnen uns die drei hochformatigen Teile dieses Triptychons. Mit einer expressiven Farbgestaltung zieht vor allem die mittlere Paneele den Blick auf sich. Warme Braun- und Rottöne deuten den Leib einer menschlichen Gestalt an, von der nur der Kopf deutlich erkennbar ist. Strahlenförmig scheinen sie von einer dunkleren Mitte nach oben und nach unten zu gehen. Dabei bilden sie so etwas wie einen Schild und erwecken den Eindruck, als schaue der Kopf aus dem einzigen freien Winkel über diese „Farbwand“ hinaus in eine undefinierte Weite.

Die beiden Seitenteile sind als gegenstandslose, graublau-weißsilbrig schimmernde Flächen gestaltet. In der pastos aufgetragenen Farbe sind Kerbspuren feststellbar, oben mehr diagonal auslaufend, in der unteren Hälfte in Form von Augen.

Eine Verbindung zwischen Mittel- und Seitentafel ist auf den ersten Blick kaum wahrnehmbar. Doch über das Ganze gesehen lässt sich durch die Schattierungen eine leichte, diagonal nach rechts aufstrebende Struktur erkennen. Dadurch werden der nach links schauenden Gestalt gewissermaßen Flügel verliehen. Ob sie einen Engel darstellt? Einen Cherub wie in Ezechiel 1,4-21 oder aufgrund der roten Gestalt gar einen Seraphen, jenes himmlische Wesen, das von seiner brennenden oder entzündenden Eigenschaft geprägt ist und oft mit vielen Augen am Leib dargestellt wird?

Wie dem auch sei, geht etwas Behütendes und Beschützendes von dieser Gestalt aus. Zwischen kühlen Farben der beiden Seitentafeln vermittelt sie erdige Wärme und angenehme Gegenwart. Als farbiger Lichtblick taucht sie wie eine sinnlich wahrnehmbare Erscheinung aus einer anderen Welt vor unseren Augen auf, unnahbar entrückt und doch Zuversicht ausstrahlend. Aus der Mitte lebend, verändert und integriert sie die Umwelt, lässt sie zu Flügeln werden, die ihr die Schönheit eines Pfaus verleihen, der gerade sein Rad schlägt.

Von diesen Augen hat man nichts zu befürchten. Sie verweisen nicht auf die allgegenwärtigen Kameralinsen von „Big Brother“, sondern lassen viel mehr umsichtige Wachsamkeit des Dargestellten spüren, seine „gemittete“ Präsenz. Ob Bote des Himmels oder Sinnbild für uns – wer er auch sein mag – er ist ganz da, erfüllt von einer warmen, guten Kraft, die wohl tut und von der man sich gerne anstecken lässt. Mit seinen inneren und äußeren, sichtbaren und unsichtbaren Augen nimmt er seine Umgebung wahr und kann so umsichtig handeln, Gefahren ausweichen, zum richtigen Zeitpunkt das Richtige tun.