Spieglein, Spieglein in der Hand …

Es ist nicht der ausgestreckte Arm und auch nicht die kunstvoll gezeichnete Hand, welche die Hauptrolle in diesem Bild spielen, sondern die beiden Rechtecke, die sich spielerisch verdreht einander gegenüberstehen. Die rechteckige Formatierung des Gesichts lässt erahnen, dass es ein Spiegelbild seines Gegenübers geworden ist, eine flache Ausgabe des so ausdrucksstarken menschlichen Gesichts, grafisch reduziert auf zwei Punkte und Striche.

Wo es früher Künstler brauchte, um sich mit einem tollen Bild in Szene zu setzen, greift heute jede und jeder zum Handy und bildet sich vor allen möglichen Sehenswürdigkeiten ab. Die Sehenswürdigkeiten selbst bleiben dabei im Hintergrund, weil es nur darum geht, sich selbst mit dem besonderen Ort abzubilden. Und um zeigen zu können, hier war ich gewesen, das alles habe ich gesehen, mit all dem kann ich mich schmücken. Mit leiser Ironie und wenigen Strichen hat der Künstler den Selfie-Gestus auf den Punkt gebracht.

Die mit sicherer Hand erfasste Momentaufnahme zeigt einen stark vereinfachten Oberkörper mit weit ausgestrecktem Arm. Die feingliedrige Hand hält ein gerahmtes Etwas, das sein Pendant in einem viereckigen menschlichen Kopf findet. Dieser schaut selbstverliebt in das Stück Technik, das so vieles in sich vereint und gleichsam einen verlängerten Arm bildet, der die ganze Welt in greifbare und erreichbare Nähe holt, und ihn gleichzeitig mit allen verbindet.

Dass damit aber auch eine wesentliche Veränderung mit uns geschieht, bringt Dr. Barbara Renftle in ihren charakterisierenden Worten zu dieser Arbeit von Hermann Schenkel als zeichnendem Philosophen zum Ausdruck: „Das, was wir in Händen haben, formt unsere Persönlichkeit. Je öfter wir unser Smartphone in der Hand halten und hineinsehen, umso mehr gleicht sich unser Antlitz dem vorgegebenen Format an – es wird eckig, verliert die menschlich organische Form. Auf ironisch-humorvolle Weise und mit wenigen, entlarvenden Strichen spiegelt Schenkel die Selfie-Selbstverliebtheit der digital generation und die Gefahr der Selbstentfremdung durch die Handymanie in seiner comicartigen Zeichnung von 2017.“ (BeHände – Die Hand als künstlerisches Symbol, Hrsg. Stiftung S BS – pro arte, Biberach, 2019, S. 31)

In dem Sinne regt die Arbeit zum Nachdenken an, wie das, was wir in die Hand nehmen oder schauen, uns prägt. Die Hände befinden sich seit jeher in der Hauptrolle unserer Tätigkeiten. Wir sind handlungsfähig oder handlungsunfähig, es ist etwas handlich, mit der Hand greifbar und gut zu gebrauchen (So ist das Mobiltelefon zu seinem deutschen Namen „Handy“ gekommen) oder eben unhandlich. Auch der Handel oder die Behandlung sind Ausdrücke in unserem Sprachgebrauch, die von der Bedeutung der Hand – gerade in unserem zwischenmenschlichen Leben – erzählen. Die verkrampfte Hand lässt auch ahnen, dass unsere so geschickten Hände beim Gebrauch der Technik zu „Angestellten“ reduziert werden, zu Zuarbeitern und sie durch die eingeschränkten Bewegungen immer mehr verkümmern.

Der zweite Aspekt, über den es nachzudenken lohnt, ist die Prägung unserer Persönlichkeit durch das, was wir mit unseren Händen machen und unseren Augen zu schauen geben. In seinem Aphorismus 146 in Jenseits von Gut und Böse schreibt Friedrich Nietzsche: „Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.“ Das bewahrheitete sich durchaus bei der eitlen Königin im Märchen von Schneewittchen. Das Handy und den Umgang damit muss man nicht gleich negativ sehen, aber eine kritische Betrachtung schadet nicht. Denn etwas Wahres ist dran und das bringt der Künstler durch die rechteckige Gleichformung des Gesichtes zum Ausdruck.

Wie sehr Vorbilder oder eine intensive Beschäftigung oder Begegnungen uns prägen, wird z. B. von Mose berichtet. Sein Gesicht strahlte immer, wenn er mit Gott gesprochen hatte (vgl. Ex 34,29-35). Er hat die Freude, die Kraft und die Zuversicht, die Gott ihm gab, ausgestrahlt und an seine Landsleute vermittelt. Diese Ausstrahlung hat Nietzsche zu seiner Zeit vermisst, wenn er schreibt: Die Christen müssten mir erlöster aussehen, […] wenn ich an ihren Erlöser glauben sollte.“

Unsere Zeitgenossen werden unseren Glauben nicht an unseren Handys erkennen und wahrscheinlich auch nicht an unseren Selfies, sondern an unseren Gesichtern und wie wir handeln. Ganz so wie Vinzenz Pallotti einmal schrieb: „Durch ein heiteres und frohes Gesicht können wir beweisen, dass die Nachfolge Christi unser Leben mit Freude erfüllt. Heilige Heiterkeit und geistliche Freude sind kostbare Früchte des Heiligen Geistes. An ihnen erkennt man die wahren Diener Gottes.“ Diese Erleuchtung von innen wird wesentlich stärker sein als die fahle Beleuchtung durch ein künstlich leuchtendes Handydisplay, und auch ohne Selfie wird Derjenige, der hinter uns steht, durch uns sichtbar und vermittelt werden.

Dieses und gut 50 weitere Werke, welche die Hand in der Kunst thematisieren, waren 2019 in der Ausstellung „BeHÄNDE“ in der Galerie der Stiftung S BC – pro arte in Biberach zu sehen. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen, der für etwa 10 Euro dort erworben werden kann.

Ausstrahlung

Eine menschliche Gestalt befindet sich im Zentrum eines Strahlenkranzes aus Feuerwerkskörpern. Fünfzig Holzstäbe gehen von der Brust bzw. von der Herzgegend aus in alle Richtungen, formal mit den kurzen Armierungseisen korrespondierend, aus denen die Figur zusammengeschweißt ist. Ansonsten steht die weiße Menschengestalt im Gegensatz zu den bunten Feuerwerkskörpern: Die Figur ist innen hohl, die Raketen sind mit Pulver gefüllt, sie besteht aus unbrennbarem Stahl, die vielen entfalten sich in genialen Lichteffekten, der Mensch bleibt am Boden, die Leuchtkörper verzaubern den Himmel, er hat eine große Langlebigkeit, sie verbrennen in wenigen Sekunden.

Was diese so gegensätzlichen Materialien wohl über den Menschen aussagen? Eine nähere Betrachtung der menschlichen Gestalt und vertiefte Gedanken zu den im Kreis angeordneten Feuerwerkskörpern werden Anhaltspunkte zum Verständnis dieses spannungsvollen Kunstwerks geben.

Der im Zentrum der Installation stehende Mensch ist mit den Stahlstücken plastisch skizziert. Er ist ähnlich flüchtig festgehalten wie in einem Skizzenbuch, und doch mit Eisenstäben beständig in den Raum geholt. Die verwendeten Rundstäbe werden normalerweise für die Armierung, die innere Verstärkung von Beton gebraucht. Am fertigen Bauwerk sind sie unsichtbar. Bei dieser Menschengestalt bilden sie jedoch die Außenhülle, die sich nach oben verdichtet. Und sie wirken wie ein transparenter Panzer, der Halt gibt, schützt, und doch für das Licht durchlässig ist. Da weder Hände noch Füße oder Gesichtszüge ausgearbeitet sind, kann diese Gestalt für jeden Menschen stehen.

Durch die unterschiedliche Beinlänge scheint dieser menschliche „Platzhalter“ in den Raum zu schreiten, mit den leicht nach hinten geneigten Armen den Raketenkranz wie ein Gepäckstück auf dem Rücken haltend. Assoziative Vergleiche mit einem Propeller oder einem großen bunten Flügel mögen aufsteigen und die Menschengestalt zu einem modernen Ikarus machen.

Doch die strahlende Darbietung eines Feuerwerks ist stets von kurzer Dauer, begleitet von lauten Knallern sowie starker Rauch- und Geruchsentwicklung. Neben der Erinnerung an einen an ein Wunder grenzenden Lichtzauber bleiben nur Leitstäbe und ausgebrannte Hülsen übrig. Die künstlichen Lichteffekte erregen wohl kurzfristig Aufsehen und Staunen, auf die Dauer kann sich allerdings niemand eine solch kostspielige und letztlich auch umweltbelastende und gesundheitsschädliche Inszenierung leisten. Sie ist in allen Belangen weder tragfähig noch tragbar.

Letztlich stellt die Installation die Frage, wie wir mit einfachen Mitteln, mit unseren eigenen Energien Glanzpunkte setzen können. Es geht darum, wie wir, ohne auf künstliche Effekte zurückzugreifen, mit unserem Handeln Akzente setzen können, die eine anhaltende Ausstrahlung haben.

Die fünfzig Leuchtkörper verweisen mit ihren Leitstäben bildsprachlich auf das Herz (Detail). Alles, was wir denken, reden und tun, hat seinen Ursprung im Herz. Wenn dieses Denken, Reden und Handeln gut ist, wird es eine positive Wirkung zeigen. Jesus sagt in der Bergpredigt zu seinen Zuhörern: „Ihr seid das Licht der Welt. … Euer Licht soll vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.“ (Mt 5,14.16) Für ihn ist die Ausstrahlung eine Folge der guten Werke und gleichzeitig eine zweifach erhellende Kraft: Nämlich, dass andere das Gute sehen und gleichzeitig Den erkennen, der im Ursprung das Gute bewirkt. Der tief im Innern der Herzen berührt und bewegt, ruhig und ohne Effekthascherei. Was Gott bewirkt, besitzt eine natürliche Leuchtkraft. Es muss nicht wie bei einem Pfau mit einem großen Rad stolz zur Schau getragen werden noch mit künstlichen Mitteln überhöht werden. Ein lateinisches Sprichwort fasst das in weltlichen Worten treffend zusammen: „Gute Taten leuchten auch im Dunkeln.“ Sie tun dies ohne Hilfsmittel – einfach, weil sie gut sind!