Dialoge

In dem konstruktivistisch anmutenden Bild befinden sich sechs flächige Formen paarweise miteinander im Dialog. Zwei olivgrüne, senkrecht stehende Rechtecke bilden die größten Dialogpartner. Sie stehen sich in gleicher Größe und gleicher Höhe mit respektvollem Abstand gegenüber.

Über den olivgrünen Rechtecken sind oben zwei Quadrate miteinander im Gespräch, unten zwei breite grüngelbe Bogenformen. Beide Formen verbinden auf eigene Weise die beiden Rechtecke.

Die beiden Quadrate gleicher Größe sind versetzt übereinander und auch versetzt zur Mitte angeordnet. Ihre Gestaltung ist gegensätzlich: Während das obere Quadrat durch das Blattgold hell leuchtet und sich solitär über den beiden gelben Bogenformen erhebt, ist  das dunkelgrüne Quadrat durch seine farbliche Nähe zu den darunterliegenden Rechtecken nur schwach präsent bzw. hat es für diese eine Brückenfunktion.

Die beiden Bogenformen sind die einzigen dynamischen Elemente im Bild. Ihre Bewegung führt von der Seite her nach oben und nach unten gewölbt zueinander und übereinander, um auf der anderen Seite wieder auseinanderzugehen. Die eine ist wie eine Schale nach oben geöffnet, die andere wölbt sich entgegengesetzt wie ein Hügel in der Landschaft. In der teilweisen Überlagerung verdichtet sich ihre Farbe und erhalten die Formen Halt.

Ein Stück Stacheldraht und das Wort DU bilden das letzte Gesprächspaar. Während das helle, goldgelbe DU für das Gegenüber offen ist und es zur Begegnung einlädt, grenzt der schwarze Stacheldraht das Gegenüber als unerwünschte Person aus. In der Mitte des Bildes erinnert er auch, dass Begegnungen und Beziehungen mitunter nicht harmonisch verlaufen und zu Verletzungen und Ausgrenzungen führen können.

Mit diesen vier symbolischen Gesprächspaaren und ihrem Dialog miteinander und untereinander ist in dem Bild alles auf Begegnung und Beziehung ausgerichtet. Dabei wird das verbindende und gemeinschaftsstiftende Wesen von Begegnungen ebenso sichtbar, wie der respektvolle Dialog auf Augenhöhe oder die Verletzlichkeit, die entsteht, wo Menschen sich einander öffnen. Ermutigend, tröstend und vergebend leuchtet über allen menschlichen Begegnungen das für Gott stehende goldene Quadrat. Als Quelle des Lebens ist er der Ursprung jeder Begegnung. Als das Licht der Welt begleitet und führt er uns durch alle Höhen und Tiefen.

So spiegelt sich in den vielfältigen Bezügen der konstruktiven Bildformen Gottes trinitarisches Wesen und seine liebevolle Zuwendung zum Menschen: Die beiden senkrechten Hintergrundrechtecke können als Gesetzestafeln gesehen werden, als haltgebende Struktur für die menschliche Gemeinschaft, die deutlich Recht und Unrecht, Gut und Böse unterscheidet. Alle anderen Formen stehen – diese Spaltung verbindend – darüber: Das goldene Quadrat als Symbol für die Vollkommenheit, das Licht und die Liebe Gottes. Das grüne Quadrat als Symbol für die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus, aber auch für das überwundene Leid. Und drittens die grüngelben, gebogenen Formen, in deren Begegnung sich der Heilige Geist im Dialog zwischen DU und ICH lebendig realisiert.

Rücken an Rücken

Zwei ungewöhnliche Kunstwerke begegnen uns in diesen beiden Arbeiten von Klaus Simon. Abstrakte Formen auf Kaseln gedruckt, überhangartige Gewänder für den liturgischen Gebrauch. Selbst für häufige Kirchgänger ungewohnte Motive, die zu genauerem Schauen anregen.

Für jede Kasel scheint nur ein Druckstock verwendet worden zu sein. Unterschiedlich eingefärbt, wurde das gleiche Motiv je dreimal verwendet – zweimal in Rot bzw. Grün auf Vorder- (Detailbild) und Rückseite, sowie auf letzterer ein weiteres Mal um 180 Grad gedreht in einem dunklen Farbton. Dadurch ergaben sich zwei gegensätzliche Bewegungen, die sich in der Mitte überlagern und verdichten. Innige Begegnung wird spürbar, wobei die Farbgebung andeutet, dass die obere Farbschicht, die von oben her sich verjüngende Form der gebende und den anderen durchdringende und erfüllende Teil ist.

Als gemeinsamer Anhaltspunkt für die maßgenaue Überlagerung ist in beiden Werken ein vertikaler Freiraum zu erkennen. In der grünen Kasel ist er durchgehend, in der roten unterbrochen und seitlich verschoben. Eine unsichtbare Mitte wird spürbar, die verbindet und sammelt, aber auch trennt, wie in der für die Messfeiern im Jahreskreis gedachten grünen Kasel. Eine Mitte, die, wie in der roten Kasel, aber auch Gewalt erfahren, einen Bruch erleiden kann: Diese Kasel ist für Palmsonntag, Karfreitag, Pfingsten, die Feste der Apostel, Evangelisten und Märtyrer vorgesehen.

Die beiden Messgewänder werden zum Gottesdienst getragen, zum Dienst Gottes an den Menschen, zur Eucharistiefeier, der Danksagung der Menschen an Gott. Die aufgedruckten Motive wollen eine zweifache Erinnerung wachrufen. Zum einen: an zwei große Ulmen, die jahrzehntelang eng nebeneinander im Park der Katholischen Akademie in Bayern gewachsen sind. Wegen Käferbefall mussten die beiden Bäume 2003 gefällt werden (Detailbild). Ihr Holz wurde dann von Klaus Simon einfühlsam – indem er der Spur des Lebens dieser Bäume nachging – zur zweiteiligen Skulptur „Rücken an Rücken“ gestaltet (Detailbild). Die Abdrücke ihrer Innenseiten auf den beiden Kaseln erzählen nun wie Ikonen von ihrer ehemaligen Existenz. „Die Kaseln sind wie Fingerabdrücke der Skulptur, einmalig und nicht wiederholbar spiegeln sie unser Eingebundensein in die Schöpfung. Die Gewänder zeigen im Abdruck die Wachstumsgeschichte des Baumes und den Werkprozess, die Spuren, die die Kettensäge auf der Oberfläche der Skulptur hinterließ.“ (Klaus Simon in „Rücken an Rücken“, Hrsg. Katholische Akademie in Bayern 2003, S. 14)

Die zweite Erinnerung betrifft Jesus und sein Leben in unserer Welt und entsteht durch den Einzug der Bäume in den liturgischen Raum. Als Abbild einer neuen Wirklichkeit, die aus der alten herausgewachsen ist und einen neuen Platz gefunden hat, erinnern die sich überlagernden Baumzeichen an Jesu Abdruck in dieser Welt, an das, was er uns in Wort und Leben hinterlassen hat. In den beiden weißen Balken begegnen sich die Sehnsucht der Menschen und das Entgegenkommen Gottes: als Lichteinbruch, als vereinigenden Freiraum, der wie die rote Kasel darstellt, auch gestört und unterbrochen werden kann.

„Bei dieser Arbeit von Klaus Simon kommt etwas zur Sprache, was verloren scheint. Klaus Simon hält die Zeit an, gibt ihr eine neue Qualität. Die Zeit des Baumes ist vorüber, als Skulptur und als Träger von Farben lebt er weiter. Die Farben als Ausdruck liturgisch geprägter Zeit überführen den gefällten Baum in eine neue, andere Dimension. Klaus Simon gibt uns Seh- und Lesehilfen mit auf den Weg, auf unserer Suche nach einer sinnvollen Welt: einer Welt, die im Ausgleich von Natur und Kultur lebt; einer Welt, die um ein Getragensein durch ein Größeres weiß oder zumindest darauf hofft.“ (Walter Zahner, ebd., S.16)

 

Zu dieser Arbeit ist 2003 von der Katholischen Akademie in Bayern in München die Broschüre “Rücken an Rücken” mit 20 Seiten und 12 Bildern herausgegeben worden und kann ebenda bezogen werden.

Himmelstanz

Eine ungewöhnliche Begegnung in den Wolken: zwei Gestalten in wehenden Gewändern reichen sich die Hand. Die linke Gestalt scheint von der rechten nach oben gezogen, willkommen geheißen, zum Tanz aufgefordert zu werden. Und sie folgt dieser Einladung mit ganzem Herzen.

Wer sind diese beiden? Die Künstlerin Christina Simon hat sich in das mystische Leben der Mechthild von Magdeburg aus dem frühen 13. Jh. hineinversetzt und sich in ihre Schriften vertieft, um Erfahrungen daraus in einem Linolschnitt-Zyklus darzustellen.

Mechthilds Bestreben war es, so weit wie möglich unsere Diesseitigkeit zu übersteigen, um Gott nahe zu sein. Ihre sehnsüchtige Gottsuche, ihre drängende Gottesliebe zeigt die Künstlerin in dem feurigen Rot ihres Gewandes und ihrer Haut und ebenso, wie sie aus dunklem Grund aufschwebt in unbekannte Höhen des Lichts zu einer von schräg oben entgegenkommenden Gestalt, die sie, sich ihr leicht entgegenneigend, beim linken Handgelenk fasst. Männlich? Weiblich? Göttlich – das Ziel ihrer Sehnsucht? Weisen ein Flügel am Rücken, eine Taube über ihrem Haupt, die Purpurfarbe an Gewand und Haut, die hellen Lichterscheinungen auf eine außerirdische Vision? In der Mitte ihrer Begegnung, bei der Berührung beider Hände ist der Hintergrund ganz weiß, ganz hell. – Ungestaltetes Licht! – Da braucht es keine Worte mehr, keine Farbe, da ist alles gesagt. Ein intensiver Blickkontakt begleitet dieses Aufeinander-Zukommen und ein beinahe geometrisch zu bestimmendes Aufeinander-Bezogensein.

Kann denn Sprache die Begegnung von Gott und Mensch in Worte fassen? Kaum. Mechthild von Magdeburg fand das Bild vom Tanz, um mitzuteilen, welches Erlebnis ihr geschenkt worden war und Christina Simon greift es auf, um das darzustellen und festzuhalten. Tanz: gemeinsam sich mit dem ganzen Körper, seinem ganzen Selbst der Melodie, dem Rhythmus überlassen, das kann mehr ausdrücken und mehr verstehen, als viele Worte. Mechthild wurde das mystische Erlebnis des Einswerdens der Seele mit Gott geschenkt: „Ich tanze Herr, wenn du mich führst …“

> Weitere Bilder aus dem Zyklus und ausführliche Beschreibung auf der Website der Künstlerin

Bedeutungsschwerer Dialog

Sie sind unschwer zu erkennen, die beiden menschlichen Gestalten. Auch wenn von ihnen nur die Umrisse und Flächen von Brust und Kopf gezeigt werden. Hell zeichnet sich ihre Silhouette vor dem dunklen Hintergrund mit einem Flächen und Raum füllenden Gewirr an Linien ab.

Begegnung. Nebeneinander abgebildet scheinen sich die beiden Personen doch zugewandt. Denn während bei der rechten Gestalt ganz schwach in grün-schwarzer Farbe Gesichtszüge wahrzunehmen sind, erweckt die linke Gestalt den Eindruck, von hinten bzw. von der Seite dargestellt zu sein und sich zur rechten Person hin zu drehen. Da ihre Körper nur mit wenig Farbe betont sind, erschiene ihre Begegnung farblos und leer, wenn sie nicht durch die vielen weißen Linien wie mit Kabeln verbunden wären.

Kommunikation wird sichtbar. Austausch in der ihrer Körpern eigenen Farbe und Sprache. Wie eine Aura umgeben diese unzähligen „Sprachrohre“ ihre Gestalten, vernetzen die beiden und füllen den dunklen Freiraum mit der den Körpern eigenen Art der Äußerung. Der Dialog verbindet und bildet ein sich stets verdichtendes Netz, das Halt und Sicherheit schenkt und den einen oder anderen im Fallen aufzufangen vermag.

Die Bedeutung des persönlichen Gesprächs wird in diesem Bild auf sehr schöne Weise sichtbar. Viele Worte können Verstrickungen sein, manchmal sind es der Worte zu viele, so dass man zu ersticken droht. Doch die liebevolle Zuwendung und Aufmerksamkeit ist allenthalben etwas Wunderbares und Stärkendes, das uns nicht ins dunkle Loch gleiten lässt, weil ein anderer da ist, der im dialogischen Ausloten die Veränderungen spürt und dadurch reagieren und aufzufangen vermag. Noch stehen beide Personen, noch sind sie im Lot. Aber einst wird ihnen das Gesprochene und miteinander Erlebte inneren Halt geben müssen, werden sie von den wertvollen Stunden der Vergangenheit zehren und ihren geistigen Lebensunterhalt damit bestreiten. – Vorsorge in den erfüllten Augenblicken begegnenden Seins, damit es in einsamen Stunden nicht so farblos und leer ist.