Begegnung – leibhaftig und von Angesicht zu Angesicht

Damit zwei Menschen sich begegnen, müssen sie sich zuwenden. Wenn einer dem anderen den Rücken zudreht oder die kalte Schulter zeigt, gibt es keine Begegnung. Wo zwei sich ins Gesicht schauen und sich in die Augen blicken, wagen sie etwas. Sie zeigen etwas von sich als Person, von dem, wer sie sind und was sie empfinden. Nur von Angesicht zu Angesicht kommt es zwischen Menschen zur Begegnung.

Für die zwischenmenschliche Begegnung scheint es recht klar, dass es nur so geht. Aber wie ist das mit Gott? Wie können wir Gott begegnen, den wir ja nicht sehen können? Niemand kann Gott ins Angesicht schauen, sagt das Erste Testament. Denn das könne niemand ertragen. Diese Wucht, diese Macht, diese Schönheit wären selbst für den stabilsten Menschen zu viel. Mit Mose hat Gott einmal „von Angesicht zu Angesicht geredet, wie ein Mann mit seinem Freund“  (2. Mose 33,11). Gott ins Angesicht schauen, durfte aber auch er nicht. Nur von hinten durfte er Gottes Herrlichkeit sehen (2. Mose 33,18ff). Das war das Äußerste.

Zugleich wird uns Menschen mit Gottes Segen das Leuchten und die Zuwendung seines Angesichts zugesprochen (4. Mose 6,24ff). Das erinnert an die Sonne, die uns bescheint. So, wie niemand die Sonne mit bloßem Auge betrachten kann, ohne zu erblinden, erreicht uns Gottes Segen nur indirekt: zugesprochen von einem Menschen. Dass wir Gott einst sehen werden von Angesicht zu Angesicht, ist eine Verheißung. Jetzt erkennen wir ihn nur bruchstückhaft, wie in einem matten Spiegel oder durch eine Milchglasscheibe (vgl. 1. Kor 13,12).

„Von Angesicht zu Angesicht“ nennt Sr. Christamaria Schröter dennoch ihr Bild. Ein eigenartiger Titel, ein abstraktes Kunstwerk: eine gelbe Scheibe oder Kugel, mit hellen Streifen drüber und vielen kleinen Kreisen drin. Ein Gesicht ist auch mit viel Phantasie nirgends zu entdecken. Und doch drückt es für mich das Äußerste aus: unmittelbare Gottesbegegnung. Für mich ist es ein Auferstehungsbild.

Als Mose auf dem Berg Sinai Gott begegnete und die Gebote erhielt, kam er leuchtend wieder. So strahlend erfüllt von Gott, dass er sein Gesicht mit einer Decke verhüllte, immer wenn er mit Gott geredet hatte. Als wäre sein Strahlen mehr als das Volk vertragen konnte (2. Mose 34, 29ff). Für Paulus ist diese Decke für uns alle durch den Auferstandenen weggenommen. „Wir alle aber spiegeln mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wider, und wir werden verwandelt in sein Bild von einer Herrlichkeit zur andern.“ (2. Kor 3,18)

Vieles ist verdunkelt in diesen Tagen. Wenn wir uns dem Auferstandenen zuwenden, lüftet sich der Schleier. Und wir selbst spiegeln die Schönheit und Würde des Auferstandenen wider. Das drückt sich in diesem Bild für mich aus. Auf drei Weisen entdecke ich hier den Auferstandenen.

Zum einen: Die goldene Kugel leuchtet warm. Wie eine aufgehende Sonne, die ich mit bloßen Auge unbeschadet und gern betrachten kann. Die Sonne: ein uraltes Symbol für Christus. Nach der Wintersonnenwende feiern wir das Fest seiner Geburt. Sein Licht überwindet den kalten Winter. In der Osternacht feiern wir das Fest seiner Auferstehung. Sein Licht lässt die dunkle Nacht verschwinden. Christus, unsere wahre Sonne.

Zum anderen: In den Evangelien wird berichtet, dass der Auferstandene in den Tagen nach Ostern den Menschen unmittelbar begegnete, körperlich, leibhaftig. Nach der Himmelfahrt Christi hören diese leibhaften Begegnungen plötzlich auf. Christus wird geistiger erfahren. Eine leibhafte Begegnungsmöglichkeit bleibt aber bis heute.
Die Jünger von Emmaus erfuhren sie als erste: In einem Fremden, der mit ihnen ging, erlebten sie den Auferstandenen – in dem Moment, als er mit ihnen das Brot brach. In der gelben Scheibe auf dem Bild erkenne ich auch Brot. Ein helles, kaum erkennbares Kreuz schimmert auf ihm. Eine runde Hostie. Oder ein frisches Brot mit Kruste. Lebensbrot, lebendiger Christus. So können wir ihm immer wieder leibhaftig begegnen.

Und schließlich: In dem großen kreisrunden Christus-Gebilde des Bildes sehe ich viele kleine Kreise. Fast alle tragen ähnlich wie der große Kreis ein Kreuz in sich. Manche deutlich, andere eher verborgen. Sie sind geteilt in verschiedene Spalten, Gruppen – und scheinen doch zusammenzugehören. Alle bilden einen runden Laib, einen Leib. Auch in der Gemeinschaft derer, die Christus in sich tragen, wendet ER sich uns leibhaftig zu. In der Gemeinschaft, der Gemeinde, der Kirche können wir den Auferstandenen von Angesicht zu Angesicht begegnen. So unglaublich das erscheinen mag, wenn wir an die Menschen denken, die uns dort manchmal über den Weg laufen. Aber es gilt: Wir alle aber spiegeln mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wider …

Verborgen im Unscheinbaren und schier Alltäglichen kann uns der Auferstandene begegnen. Auf unterschiedliche Weise: im Symbol der aufgehenden Sonne, im Brot, im Nächsten. Es geht um leibhaftige Begegnungen. Von Angesicht zu Angesicht. Dazu gehören immer zwei. Ein anderer und ich. Der andere wartet schon. Werde ich es wagen, mich zuzuwenden?

90 Jahre Lebenszeit – 60 Jahre Profess – Sr. Christamaria Schröter

ZuWendung

Im ersten Bild dieses Stationenweges fordert eine unzählbar große Menschenmenge mit aggressiv erhobenen Armen vehement die Kreuzigung Jesu. Es ist die Macht der Masse und die Ohnmacht des einzelnen Entscheidungsträgers, dass Jesus verurteilt und gekreuzigt wird. Pilatus wäscht seine Hände in Unschuld, während die schreiende und tobende Menschenmenge Jesus vor sich her in den Tod am Kreuz treibt.

Unterwegs ereignen sich zwischen Jesus und vereinzelten Menschen symbolträchtige Begegnungen: Von der Totale des Getümmels auf der Straße zoomt sich der Bildausschnitt in der vierten Station zu einer Nahaufnahme zweier Köpfe. Alle Farbe ist nach außen gewichen. Der farbige Rahmen bildet einen Schutzraum für die persönliche Begegnung. Durch die einfarbig blau gezeichnete Ausführung und die strahlenförmig angeordneten, feinen Striche erhalten die Gesichter und damit auch die Begegnung etwas Tierhaftes, fundamental Einschneidendes und in der Bedeutung weit über die Einzelbegegnung Hinausweisendes. Das Bild lässt offen, um wen es sich in der Begegnung handelt. In der Volksmenge sind Jesus auch Frauen auf dem letzten Weg gefolgt. Jesus schenkt ihrem Klagen und Weinen Gehör und wendet sich ihnen zu mit den Worten „weint nicht über mich; weint vielmehr über euch und eure Kinder! (vgl. Lk 23,28f).

Auch Maria, seine Mutter, ist Jesus auf dem Weg durch die Gassen gefolgt und könnte aus der anonymen Menge herausgetreten sein, um Jesus ein letztes Mal auf Augenhöhe zu sprechen und zu sehen. Ihr ganzes Leben fokussiert und verdichtet sich in diesem Augenblick. Aber der eindringlich suchende Blick von Maria scheint auch zu fragen: „Warum machst Du das?“ – Die stille Antwort Jesu verweist einmal mehr auf den Willen seines Vaters: „Deinen Willen zu tun, mein Gott, war mein Gefallen und deine Weisung ist in meinem Innern.“ (Ps 40,9).

Die Begegnung von Veronika mit dem leidenden Jesus ist eine weitere Lesemöglichkeit. Doch bildet sich, wenn man das Bild als „hölzernes Tuch sieht“, nicht allein das Antlitz Jesu darauf ab wie auf dem Schweißtuch der Veronika, sondern es zeigt Jesus als den seinem Nächsten Zugewandten. Er schenkt seinem Gegenüber seine ganze Aufmerksamkeit und weitet gleichzeitig den Blick über die vordergründigen Probleme hinaus und zum Reich Gottes hin.

So steht das Bild für die unzähligen Geschichten, in denen Jesus den Menschen begegnet, sie ihn suchen und finden. Damals wie heute. Das Stationen-Bild des sich den Menschen zuwendenden Jesus ist eine Einladung, uns auf unserer Suche nach dem Sinn des Lebens auf die Suche nach der Begegnung mit Jesus zu machen. Auf dass unsere Lebensfrage von ihm eine Antwort erhalte in seiner das Leben erfüllenden und durch alle Höhen und Tiefen hinweg stärkenden Zuwendung: Du bist nicht allein! Ich bin an deiner Seite allezeit mit dir!

Dialoge

In dem konstruktivistisch anmutenden Bild befinden sich sechs flächige Formen paarweise miteinander im Dialog. Zwei olivgrüne, senkrecht stehende Rechtecke bilden die größten Dialogpartner. Sie stehen sich in gleicher Größe und gleicher Höhe mit respektvollem Abstand gegenüber.

Über den olivgrünen Rechtecken sind oben zwei Quadrate miteinander im Gespräch, unten zwei breite grüngelbe Bogenformen. Beide Formen verbinden auf eigene Weise die beiden Rechtecke.

Die beiden Quadrate gleicher Größe sind versetzt übereinander und auch versetzt zur Mitte angeordnet. Ihre Gestaltung ist gegensätzlich: Während das obere Quadrat durch das Blattgold hell leuchtet und sich solitär über den beiden gelben Bogenformen erhebt, ist  das dunkelgrüne Quadrat durch seine farbliche Nähe zu den darunterliegenden Rechtecken nur schwach präsent bzw. hat es für diese eine Brückenfunktion.

Die beiden Bogenformen sind die einzigen dynamischen Elemente im Bild. Ihre Bewegung führt von der Seite her nach oben und nach unten gewölbt zueinander und übereinander, um auf der anderen Seite wieder auseinanderzugehen. Die eine ist wie eine Schale nach oben geöffnet, die andere wölbt sich entgegengesetzt wie ein Hügel in der Landschaft. In der teilweisen Überlagerung verdichtet sich ihre Farbe und erhalten die Formen Halt.

Ein Stück Stacheldraht und das Wort DU bilden das letzte Gesprächspaar. Während das helle, goldgelbe DU für das Gegenüber offen ist und es zur Begegnung einlädt, grenzt der schwarze Stacheldraht das Gegenüber als unerwünschte Person aus. In der Mitte des Bildes erinnert er auch, dass Begegnungen und Beziehungen mitunter nicht harmonisch verlaufen und zu Verletzungen und Ausgrenzungen führen können.

Mit diesen vier symbolischen Gesprächspaaren und ihrem Dialog miteinander und untereinander ist in dem Bild alles auf Begegnung und Beziehung ausgerichtet. Dabei wird das verbindende und gemeinschaftsstiftende Wesen von Begegnungen ebenso sichtbar, wie der respektvolle Dialog auf Augenhöhe oder die Verletzlichkeit, die entsteht, wo Menschen sich einander öffnen. Ermutigend, tröstend und vergebend leuchtet über allen menschlichen Begegnungen das für Gott stehende goldene Quadrat. Als Quelle des Lebens ist er der Ursprung jeder Begegnung. Als das Licht der Welt begleitet und führt er uns durch alle Höhen und Tiefen.

So spiegelt sich in den vielfältigen Bezügen der konstruktiven Bildformen Gottes trinitarisches Wesen und seine liebevolle Zuwendung zum Menschen: Die beiden senkrechten Hintergrundrechtecke können als Gesetzestafeln gesehen werden, als haltgebende Struktur für die menschliche Gemeinschaft, die deutlich Recht und Unrecht, Gut und Böse unterscheidet. Alle anderen Formen stehen – diese Spaltung verbindend – darüber: Das goldene Quadrat als Symbol für die Vollkommenheit, das Licht und die Liebe Gottes. Das grüne Quadrat als Symbol für die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus, aber auch für das überwundene Leid. Und drittens die grüngelben, gebogenen Formen, in deren Begegnung sich der Heilige Geist im Dialog zwischen DU und ICH lebendig realisiert.

Rücken an Rücken

Zwei ungewöhnliche Kunstwerke begegnen uns in diesen beiden Arbeiten von Klaus Simon. Abstrakte Formen auf Kaseln gedruckt, überhangartige Gewänder für den liturgischen Gebrauch. Selbst für häufige Kirchgänger ungewohnte Motive, die zu genauerem Schauen anregen.

Für jede Kasel scheint nur ein Druckstock verwendet worden zu sein. Unterschiedlich eingefärbt, wurde das gleiche Motiv je dreimal verwendet – zweimal in Rot bzw. Grün auf Vorder- (Detailbild) und Rückseite, sowie auf letzterer ein weiteres Mal um 180 Grad gedreht in einem dunklen Farbton. Dadurch ergaben sich zwei gegensätzliche Bewegungen, die sich in der Mitte überlagern und verdichten. Innige Begegnung wird spürbar, wobei die Farbgebung andeutet, dass die obere Farbschicht, die von oben her sich verjüngende Form der gebende und den anderen durchdringende und erfüllende Teil ist.

Als gemeinsamer Anhaltspunkt für die maßgenaue Überlagerung ist in beiden Werken ein vertikaler Freiraum zu erkennen. In der grünen Kasel ist er durchgehend, in der roten unterbrochen und seitlich verschoben. Eine unsichtbare Mitte wird spürbar, die verbindet und sammelt, aber auch trennt, wie in der für die Messfeiern im Jahreskreis gedachten grünen Kasel. Eine Mitte, die, wie in der roten Kasel, aber auch Gewalt erfahren, einen Bruch erleiden kann: Diese Kasel ist für Palmsonntag, Karfreitag, Pfingsten, die Feste der Apostel, Evangelisten und Märtyrer vorgesehen.

Die beiden Messgewänder werden zum Gottesdienst getragen, zum Dienst Gottes an den Menschen, zur Eucharistiefeier, der Danksagung der Menschen an Gott. Die aufgedruckten Motive wollen eine zweifache Erinnerung wachrufen. Zum einen: an zwei große Ulmen, die jahrzehntelang eng nebeneinander im Park der Katholischen Akademie in Bayern gewachsen sind. Wegen Käferbefall mussten die beiden Bäume 2003 gefällt werden (Detailbild). Ihr Holz wurde dann von Klaus Simon einfühlsam – indem er der Spur des Lebens dieser Bäume nachging – zur zweiteiligen Skulptur „Rücken an Rücken“ gestaltet (Detailbild). Die Abdrücke ihrer Innenseiten auf den beiden Kaseln erzählen nun wie Ikonen von ihrer ehemaligen Existenz. „Die Kaseln sind wie Fingerabdrücke der Skulptur, einmalig und nicht wiederholbar spiegeln sie unser Eingebundensein in die Schöpfung. Die Gewänder zeigen im Abdruck die Wachstumsgeschichte des Baumes und den Werkprozess, die Spuren, die die Kettensäge auf der Oberfläche der Skulptur hinterließ.“ (Klaus Simon in „Rücken an Rücken“, Hrsg. Katholische Akademie in Bayern 2003, S. 14)

Die zweite Erinnerung betrifft Jesus und sein Leben in unserer Welt und entsteht durch den Einzug der Bäume in den liturgischen Raum. Als Abbild einer neuen Wirklichkeit, die aus der alten herausgewachsen ist und einen neuen Platz gefunden hat, erinnern die sich überlagernden Baumzeichen an Jesu Abdruck in dieser Welt, an das, was er uns in Wort und Leben hinterlassen hat. In den beiden weißen Balken begegnen sich die Sehnsucht der Menschen und das Entgegenkommen Gottes: als Lichteinbruch, als vereinigenden Freiraum, der wie die rote Kasel darstellt, auch gestört und unterbrochen werden kann.

„Bei dieser Arbeit von Klaus Simon kommt etwas zur Sprache, was verloren scheint. Klaus Simon hält die Zeit an, gibt ihr eine neue Qualität. Die Zeit des Baumes ist vorüber, als Skulptur und als Träger von Farben lebt er weiter. Die Farben als Ausdruck liturgisch geprägter Zeit überführen den gefällten Baum in eine neue, andere Dimension. Klaus Simon gibt uns Seh- und Lesehilfen mit auf den Weg, auf unserer Suche nach einer sinnvollen Welt: einer Welt, die im Ausgleich von Natur und Kultur lebt; einer Welt, die um ein Getragensein durch ein Größeres weiß oder zumindest darauf hofft.“ (Walter Zahner, ebd., S.16)

 

Zu dieser Arbeit ist 2003 von der Katholischen Akademie in Bayern in München die Broschüre „Rücken an Rücken“ mit 20 Seiten und 12 Bildern herausgegeben worden und kann ebenda bezogen werden.

Himmelstanz

Eine ungewöhnliche Begegnung in den Wolken: zwei Gestalten in wehenden Gewändern reichen sich die Hand. Die linke Gestalt scheint von der rechten nach oben gezogen, willkommen geheißen, zum Tanz aufgefordert zu werden. Und sie folgt dieser Einladung mit ganzem Herzen.

Wer sind diese beiden? Die Künstlerin Christina Simon hat sich in das mystische Leben der Mechthild von Magdeburg aus dem frühen 13. Jh. hineinversetzt und sich in ihre Schriften vertieft, um Erfahrungen daraus in einem Linolschnitt-Zyklus darzustellen.

Mechthilds Bestreben war es, so weit wie möglich unsere Diesseitigkeit zu übersteigen, um Gott nahe zu sein. Ihre sehnsüchtige Gottsuche, ihre drängende Gottesliebe zeigt die Künstlerin in dem feurigen Rot ihres Gewandes und ihrer Haut und ebenso, wie sie aus dunklem Grund aufschwebt in unbekannte Höhen des Lichts zu einer von schräg oben entgegenkommenden Gestalt, die sie, sich ihr leicht entgegenneigend, beim linken Handgelenk fasst. Männlich? Weiblich? Göttlich – das Ziel ihrer Sehnsucht? Weisen ein Flügel am Rücken, eine Taube über ihrem Haupt, die Purpurfarbe an Gewand und Haut, die hellen Lichterscheinungen auf eine außerirdische Vision? In der Mitte ihrer Begegnung, bei der Berührung beider Hände ist der Hintergrund ganz weiß, ganz hell. – Ungestaltetes Licht! – Da braucht es keine Worte mehr, keine Farbe, da ist alles gesagt. Ein intensiver Blickkontakt begleitet dieses Aufeinander-Zukommen und ein beinahe geometrisch zu bestimmendes Aufeinander-Bezogensein.

Kann denn Sprache die Begegnung von Gott und Mensch in Worte fassen? Kaum. Mechthild von Magdeburg fand das Bild vom Tanz, um mitzuteilen, welches Erlebnis ihr geschenkt worden war und Christina Simon greift es auf, um das darzustellen und festzuhalten. Tanz: gemeinsam sich mit dem ganzen Körper, seinem ganzen Selbst der Melodie, dem Rhythmus überlassen, das kann mehr ausdrücken und mehr verstehen, als viele Worte. Mechthild wurde das mystische Erlebnis des Einswerdens der Seele mit Gott geschenkt: „Ich tanze Herr, wenn du mich führst …“

> Weitere Bilder aus dem Zyklus und ausführliche Beschreibung auf der Website der Künstlerin

Bedeutungsschwerer Dialog

Sie sind unschwer zu erkennen, die beiden menschlichen Gestalten. Auch wenn von ihnen nur die Umrisse und Flächen von Brust und Kopf gezeigt werden. Hell zeichnet sich ihre Silhouette vor dem dunklen Hintergrund mit einem flächen- und raumfüllenden Gewirr an Linien ab.

Begegnung. Nebeneinander abgebildet scheinen sich die beiden Personen doch zugewandt. Denn während bei der rechten Gestalt ganz schwach in grün-schwarzer Farbe Gesichtszüge wahrzunehmen sind, erweckt die linke Gestalt den Eindruck, von hinten bzw. von der Seite dargestellt zu sein und sich zur rechten Person hin zu drehen. Da ihre Körper nur mit wenig Farbe betont sind, erschiene ihre Begegnung farblos und leer, wenn sie nicht durch die vielen weißen Linien wie mit Kabeln verbunden wären.

Kommunikation wird sichtbar. Austausch in der ihren Körpern eigenen Farbe und Sprache. Wie eine Aura umgeben diese unzähligen „Sprachrohre“ ihre Gestalten, vernetzen die beiden und füllen den dunklen Freiraum mit der den Körpern eigenen Art der Äußerung. Der Dialog verbindet und bildet ein sich stets verdichtendes Netz, das Halt und Sicherheit schenkt und den einen oder anderen im Fallen aufzufangen vermag.

Die Bedeutung des persönlichen Gesprächs wird in diesem Bild auf sehr schöne Weise sichtbar. Viele Worte können Verstrickungen sein, manchmal sind es der Worte zu viele, so dass man zu ersticken droht. Doch die liebevolle Zuwendung und Aufmerksamkeit ist allenthalben etwas Wunderbares und Stärkendes, das uns nicht in ein dunkles Loch gleiten lässt, weil ein anderer da ist, der im dialogischen Ausloten die Veränderungen spürt und dadurch reagieren und aufzufangen vermag. Noch stehen beide Personen, noch sind sie im Lot. Aber einst wird ihnen das Gesprochene und miteinander Erlebte inneren Halt geben müssen, werden sie von den wertvollen Stunden der Vergangenheit zehren und ihren geistigen Lebensunterhalt damit bestreiten. – Vorsorge in den erfüllten Augenblicken begegnenden Seins, damit es in einsamen Stunden nicht farblos und leer ist.