GottesBegegnung

Im oberen Drittel öffnet sich der dünne Bronzestab und gibt zwei Menschen frei, die sich mit ausgebreiteten Armen Stirn an Stirn gegenüberstehen.

Ohne diese Öffnung wäre es nur ein Metallstab, aber durch die beiden Köpfe wird der Stab menschlich und mit den weit ausgebreiteten Armen zum Kreuz. Nicht weil hier jemand gekreuzigt worden wäre, sondern weil sich zwei Menschen „in der Klemme“ beistehen, sich berühren, stützen und halten. Herz an Herz stärken sie sich, Hand in Hand gleichen sie waagrecht die vertikale Spannung aus, die aus der Tiefe in ihre Körper aufsteigt und durch ihre emotionale und körperliche Zuneigung Stirn an Stirn überbrückt wird.

Tief schauen sie sich in die Augen, ergründen gegenseitig die Tiefen und Abgründe des anderen. Es ist ein ungewöhnliches Haltgeben und Aushalten. Es ist ein Hingeben in einer außerordentlichen Nähe. Eine Art Umarmung und sich Schenken in einer Notsituation, in der keine Umarmung mehr möglich ist, aber dennoch ein hilfreiches Da-Sein in existenzieller Einsamkeit. Die geöffneten, sich nicht festhaltenden, in der behutsamen Berührung aber dennoch nahen Hände signalisieren die Achtung und Wertschätzung des anderen als auch die Bereitschaft, jederzeit helfen zu können. Es ist die Erfahrung eines menschlichen Gegenübers auf Augenhöhe und in der vollumfänglichen körperlichen Wahrnehmung von den Zehen bis zum Kopf, emotional mit den Herzen und geistig mit den Gedanken verbunden.

Durch das fast übergangslose Hervortreten der beiden Personen aus dem langen Stab erhält der verzweifelte Hilferuf des Psalmisten „Aus den Tiefen rufe ich, Herr, zu dir!“ (Ps 130,1ff) und seine Bitte um Beachtung und Erhörung neue Aktualität. Die Hoffnung der Seele auf das Kommen des Herrn und sein verzeihendes Wort findet im Gegenüber bereits Erfüllung. Jesus ist in unsere Tiefen hinabgestiegen, um uns in all unseren Schmerzen, Leiden und einsamen Toden beizustehen.

Das außergewöhnliche Vortragekreuz mit zwei einander zugewandten Gekreuzigten ist auch bereits Antwort auf den Ruf Jesu in seiner Todesstunde: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen, bleibst fern meiner Rettung, den Worten meines Schreiens? Mein Gott, ich rufe bei Tag, doch du gibst keine Antwort; und bei Nacht, doch ich finde keine Ruhe.“ (Ps 22,2-3) Denn da ist ein Gegenüber, das die Einsamkeit erträglicher macht, die Schreie hört, im Mitgefühl und Mitleiden Zuversicht schenkt. In der zweiten Person wird die Caritas sichtbar, die wertschätzende und helfende Liebe gegenüber allen Notleidenden und Benachteiligten.

Der gespiegelte Gekreuzigte macht die Haltung der hingebenden Nächstenliebe sichtbar und verdeutlicht, im eigenen Tun und Handeln gegenüber den Mitmenschen stets Jesu Ruf in die Nachfolge zu hören und letztlich Christus selbst in den Mitmenschen zu begegnen und zu dienen.

GegenMacht

Die Gestalt des Gekreuzigten wächst hoch oben aus der dünnen Senkrechten heraus. Sein Körper ist bis auf den Kopf und die Arme vor allem auf der Vorderseite figürlich als Beine, Lendenschurz, Bauch und Brustbereich gestaltet. Die senkrechte Teilung der Beine setzt sich in einem Spalt im Brustbereich fort und bildet dort mit der Unterseite der Brust ein Kreuz.

Der Kopf ist nach rechts gedreht, der Blick nach unten gerichtet. Seine Arme hat der Erhöhte maximal ausgestreckt, ebenso seine Hände: rechts senkrecht erhoben, links waagrecht nach vorne abgewinkelt. So bildet der Körper als Ganzes ein hochaufragendes Kreuz, gleichzeitig trägt er im Brustbereich das Kreuz in den Körper eingeschrieben.

Er ist nicht als der leidende Jesus dargestellt, auch wenn seine Wundmale deutlich zu sehen sind. Jesus wird nicht als passiv das Leiden Erduldender, sondern als Mitleidender, als sich Erbarmender und Beschützer aller wie er Gekreuzigter dargestellt. Er hat das Unrecht der Missbrauchten durch Spott, Folter und Tod am eigenen Leib erfahren. Nun wehrt er sich und verteidigt alle: Es ist genug! Hört auf! Das ist nicht auszuhalten!

Jesus tritt den Peinigern und Mächtigen als Verteidiger der Missbrauchten und Entwürdigten entgegen: Am Kreuz erhöht stellt er sich mahnend zwischen die Gewalttätigen und die Unterdrückten. Mit seiner aufgerichteten rechten Hand gebietet er Halt und Einhalt, mit seiner waagrecht gehaltenen linken Hand wehrt er eher ab. Jesus hält die Gewalttätigen auf Distanz, er schaut sie nicht an. Er, der Menschenfreund, weist sie ab und will auch nicht mit ihnen in Verbindung gebracht werden. Er will auch von seinen eigenen Leuten nicht missbraucht oder verzweckt werden.

Missbrauch hat viele Gesichter und durchzieht zu allen Zeiten alle Gesellschaftsbereiche. Er ist uns näher als wir vielleicht denken, wenn wir stärker, reicher, klüger, älter, gesünder oder einflussreicher sind als andere (vgl. Lk 1,48-53). Macht ist schnell missbraucht, wenn Eigeninteressen höher gestellt werden als das Gemeinwohl und insbesondere das Wohlbefinden des Nächsten im biblischen Sinne. Niemand ist vor dieser Versuchung gefeit, auch nicht Priester oder Lehrer, Väter oder Mütter, Geschäftsleute, Arbeitgeber oder Politiker. Jesus ist gegen jede Art der Unterdrückung und Bevormundung. Im Christuslied des Philipperbriefes (2,6-8) wird beschrieben, wie Jesus auf seine unvorstellbare Machtfülle verzichtete, um den Menschen nahe zu sein und ihnen durch Gottes heilende, stärkende und rettende Kraft ihre Menschenwürde zurückzugeben.

Jesu Gegenmacht zum „Missbrauch von gutem Brauch“ ist seine Liebe und Fürsorge, sein Für-andere-da-Sein. Sein Umgang mit den Menschen ist geprägt von Respekt und Toleranz, von Wertschätzung und Vertrauen in deren Fähigkeiten und Kräfte. In seinen Augen sind alle Menschen gleich und in seiner Gerechtigkeit gibt es keine Unterschiede, außer dass den wie auch immer Benachteiligten Hilfe und Unterstützung zusteht.

Dieses Kreuz verkörpert Jesu Haltung über den Tod hinaus. Von „Gott über alle erhöht“ (Phil 2,9) bleibt er für alle Selbstsüchtigen und Peiniger ein Mahner des Unrechts und somit ein Stein des Anstoßes und ein Zeichen des Widerstands. Alle anderen stärkt Jesus als unübersehbares Vorbild im rechten und guten Umgang miteinander.

Glaubensgeheimnis

Flüchtig bewegt umgeben die goldenen Flächen einen relativ kleinen Christuskorpus im weiten Chorraum der Kirche Maria Rosenkranz in Osnabrück. Er schwebt vor einem weißen Kreuz, das seinem Körper in der Senkrechten eine Richtung gibt, ihn mit den kurzen Querbalken aber nicht zu halten vermag.

Als viertes Element verbindet eine dünne graue Linie mit roten Enden den ungegenständlichen goldenen Hintergrund mit der geradlinig strengen Form des Kreuzes. Sie verstärkt mit dem angedeuteten Kreis die Präsenz einer haltgebenden größeren oder höheren Macht. Denn der Kreis umgibt den Gekreuzigten und gibt ihm einen schützenden Raum. Wie eine Lupe lenkt er den Fokus auf den Mann mit den ausgebreiteten Armen und das immateriell weiß leuchtende Kreuz hinter ihm. Die geometrische Form verbindet den Kreis mit dem Kreuz, gleichzeitig bildet seine Rundung einen feinen Kontrast zu den Geraden des Kreuzes.

Zu diesen beiden linearen Elementen bilden die gestische Hintergrundmalerei und der zentrale Christuskorpus zwei organische Gegenpole. Sie stehen für das Leben, das Lebendige.

Der goldene Hintergrund erzählt von der schöpferisch dynamischen Kraft Gottes, von seiner Unbegreiflichkeit, von seiner Gegenwart und von seiner Schönheit. Im freundlichen Goldgrund können Anklänge an die Sonne wiedergefunden werden – Gott ist Licht, er ist das Licht der Welt. Im warmen Goldgrund kommt Gottes Größe zum Ausdruck und können seine Liebe und Güte gespürt werden.

In Jesus Christus ist er Mensch geworden, wegen uns gekreuzigt und für uns gestorben. Er ist hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tag auferstanden von den Toten. Symbol dafür ist das verwandelte Kreuz hinter dem Christuskorpus: anstelle von Holz ist es eine immaterielle Aussparung in der Mauer. Das Kreuz ist eine Vertiefung, die indirekt beleuchtet zu einem Lichtblick in die Ewigkeit wird. Durch Jesus hat der Tod seine Macht verloren und wurde uns der Weg zum ewigen Leben geöffnet. Aus der Ferne betrachtet scheint das Kreuz jedoch nicht in die Wand eingelassen, sondern von allem Materiellen befreit davor zu stehen. So ist es das leuchtende Zeichen des Sieges. 

Der vom Kreuz befreite schwebende Christuskorpus veranschaulicht, dass Jesus am dritten Tag auferstanden und in den Himmel aufgefahren ist.

In den Kreis Gottes zurückgekehrt, sitzt er nun zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters. Das Kreuz bildet gleichsam den Thron, von dem aus Jesus die Lebenden und die Toten richtet. Er ist uns zugewandt, denn er ist der Kommende, der uns zu sich holen wird, in die Wohnung seines Vaters.

 

Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen,
den Schöpfer des Himmels und der Erde,
und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn.

Gekreuzigt, gestorben und begraben,

hinabgestiegen in das Reich des Todes,
am dritten Tag auferstanden von den Toten,
aufgefahren in den Himmel;
er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters,
von dort wird er kommen zu richten die Lebenden und die Toten.
(Glaubensbekenntnis)

Christus, der Herr

Wer die Kirche des Heilig-Geist-Klosters in Wickede-Wimbern betritt, wird nicht anders können, als auf die neue Chorwandgestaltung zu schauen. Ein großes Segel in hellen Farben bildet zusammen mit einem roten Band den Kontrast zum hängenden Bronzekreuz von Dr. Else Hoffmann aus dem Jahr 1978 und lässt in ihm den gekreuzigten und auferstandenen Herrn wahrnehmen. Dieses künstlerische Ensemble beherrscht als visuelle Attraktion den Kirchenraum und gibt Besucher:innen, Betenden und Feiernden Orientierung und Perspektive.

Das Stoffsegel und seine Bemalung lassen ganz verschiedene Zugänge zu, von denen hier nur einige beleuchtet werden sollen. Zum einen steigt das Stoffsegel wie eine Flamme vom Altar auf. Was in dieser Flamme aufleuchtet, hat seinen Ursprung in der Hingabe Jesu, in seiner Liebe zu uns Menschen. Für uns und unser Heil ist er gestorben (vgl. Röm 5,6). So wird in der übergroßen Flamme die übergroße Liebe Gottes zu uns Menschen sichtbar. Die helle Flamme hinterfängt dabei das dunkle Kreuz und gibt ihm den neuen Hintergrund der Auferstehung und des Lebens. Was am Altar gefeiert wird, ist das Gedächtnis seines Todes und seiner Auferstehung.

Bis ins Kreuz hinein ist alles von der Kraft der Auferstehung und des Lebens durchdrungen. Das schwere Kreuz hat die Last des Todes verloren. Es schwebt und Jesus selbst scheint im freien Innenraum des Kreuzes zu schweben. Noch sind die Arme ausgebreitet, aber Hände und Füße sind nicht mehr ans Holz genagelt. Dieses Kreuz verkündet die Überwindung des Todes und zeigt Jesus als Christus, den Herrn als Befreier, der allen Besucher:innen den österlichen Willkommensgruß zuspricht: „Friede sei mit euch.“ (Joh 20,19)

Dabei scheint Christus im Kreuz über der blauen Fläche zu schweben und vermag an den Sturm auf dem See Genezareth zu erinnern, bei dem er über das Wasser auf seine Jünger zuging. In dieser Klosterkirche geht Jesus auf die Gläubigen zu. – Gott kommt zu den Menschen. – Die finden sich unvermittelt in der Rolle des Petrus wieder, der auf den Ruf seines Herrn das mehr oder weniger sichere Boot verlässt und im Glauben versucht über das Wasser auf den Herrn zuzugehen. Doch angesichts des heftigen Windes bekam er Angst, zweifelte und begann unterzugehen, so dass Jesus ihn retten musste. (vgl. Mt 14,24-31)

Durch die mandorlaartige Form und die zentrale Lichterscheinung, welche von sonnengelben Farbbahnen begleitet wird, vermittelt das Kunstwerk eine freudige Begeisterung. Im Dialog mit dem Kreuz wird wie bei der Taufe (Mt 3,17) oder der Verklärung Jesu göttliche Offenbarung spürbar erlebbar. Man hört förmlich Gottes Stimme aus dem Licht heraus sagen: „Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe; auf ihn sollt ihr hören.“ (Mt 17,5)

Umgekehrt können auch Worte von Jesus gehört werden, der mit weit ausgebreiteten Armen zu seinem Vater betet: „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast. Ja, Vater, so hat es dir gefallen. Mir ist von meinem Vater alles übergeben worden; niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will. Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen. Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele. Denn mein Joch drückt nicht und meine Last ist leicht.“ (Mt 11,25-30)

Solche Worte ermutigen, solche Lichtblicke tun der Seele gut. Denn das große Altarbild kann auch als Segel eines Bootes oder Schiffes gedeutet werden, das sich Kirche oder Gemeinde nennt. Es ist sichtlich zu spüren, dass hier ein neuer, guter Wind weht, ein Wind, der dieser Gottesdienstgemeinde und Klostergemeinschaft eine klare, hoffnungsvolle Richtung gibt.

Eine zusätzliche Dynamik erhält die Installation durch ein schmales langes Band in Rottönen, das sich so von rechts oben zum Kreuz hinunter schwingt, dass es das Kreuz visuell mitträgt (Nahansicht). Dadurch steht der Auferstandene nicht nur im Dialog mit seinem Vater, der hinter ihm steht, aber im unzugänglichen Licht wohnt, sondern auch mit dem Heiligen Geist, der ihn führt und mit Kraft erfüllt.

Was für eine Vision! Was vermögen sich dem Glaubenden dadurch für Horizonte zu öffnen! Ist es zu verwegen, sich in Jesus hineinzuversetzen, um sowohl die liebende Nähe des Vaters als auch die belebende Kraft des Heiligen Geistes zu erfahren?

Großformatige Wandkalender, Postkartenkalender und Karten mit Motiven von Eberhard Münch sind im Buchhandel oder direkt beim Verlag erhältlich: www.adeo-verlag.de

Sieg des Lichts

Licht und Dunkel stehen sich in diesem Bild gegenüber. Nicht mehr im Kampf, sondern in entspannter Ruhe und Ordnung zeigen sie sich. Mittig und erhaben leuchtet weißes Licht, welches die dunklen Elemente in die Ecken verdrängt. Über allem schwebt ein vertikaler Balken, der weder Licht noch Dunkel ist, sondern ganz aus Gold.

Alle Symbole sprechen von einer finalen Auseinandersetzung zwischen Leben und Tod, ja vom Sieg des Lebens über den Tod! Wie aus einer anderen, immateriellen Welt dringt das Licht durch die türartige Öffnung in den diesseitigen Lebensraum hinein; an seinen Rändern sich in sonnengelbe, dann orange Farben wandelnd und Wärme ausstrahlend. Alles soll licht und warm werden. Das Angstmachende, Einengende, Lähmende, Verschließende und zum Tod Führende muss endgültig weichen. Links unten lösen sich die rechteckig erstarrten Elemente auf, rechts ist das Wegrollen einer schweren Kreisform zu spüren.

Licht und Dunkel stehen sich nicht nur farblich, sondern auch in den beiden Kreisformen im Bild gegenüber. Während der dunkle Kreis das Bild verlassen muss, scheint die helle Kreisform von oben hereinzukommen. Ihr Wesen ist mit Transparenz, Zuneigung und, wie es das goldene Element in sich aufnimmt, mit Offenheit zu beschreiben. Diese Kreisform steht für das unendliche Leben, für das Transzendente, für Gott.

Hier wird mit gestalterisch formalen Mitteln Auferstehung gefeiert. Im senkrechten Rechteck begegnet uns der von den Toten Auferweckte. Mit der goldenen Farbe wird auf seine göttliche Herkunft hingewiesen, mit seiner erhöhten Position auf seine Rückkehr zum Vater und die Verherrlichung zu seiner Rechten. Die drei gelben Waagrechten muten wie Stufen an und mögen an sein Hinabsteigen in das Reich des Todes erinnern, gleichzeitig aber auch sein Heraufsteigen nach drei Tagen Grabesruhe.

Ob es so geschehen ist? Keiner weiß es. Es ist ein Bild des Glaubens. Ein Glaubensbild, das von der unzerstörbaren Kraft des Lebens erzählt. Es ist ein Bild, das alle einlädt, dem einst Geschehenen zu trauen, über die gelben Stufen gleichsam ins Licht zu steigen und sich so in das Werk der Erlösung hineinnehmen zu lassen.

Wucht des Todes noch
schwarz hingesetzt
verfügt der Tod
hingerollt der Stein aus Angst
tot-sicher
Ende
aller Herrlichkeit.
Weggewälzt
die dunkle Last
frei der Blick
das Tor zum Licht.
Das Grab hielt ihn nicht mehr
unfassbar leer
der Schreckens-Freude Raum:
„Er ist nicht mehr hier.
Auferstanden ist der Herr.“
Ausgestreckt am Kreuze einst
zum Himmel auf der Schrei
Abstiegsweg ins Totenreich
erhoben aus dem Grabe, hell
eint Erd und Himmel – ER.
Lebendiger der eine Weg zum Vater hin
SEINE Liebe, grenzenlos.
Umfasst du ihre „Länge und Breite,
Höhe und Tiefe“ geformt in der Geschichte des Abstiegs?
Auferstanden von den Toten ist der Herr,
lebt das WORT:
„Ich lebe – und auch ihr werdet leben.“

(Lyrik von P. Meinulf Blechschmidt in: Sehen – Glauben – Leben. Gedanken zum Glaubensbekenntnis, Beuroner Kunstverlag, Beuron 2007, S. 39f, ISBN 978-3-87071-166-5)

Aus der Mitte heraus

Bekannte Elemente wie die sitzende Christusgestalt oder die altmeisterlich vollendete Malweise vermitteln den Eindruck, vor dem Werk eines alten Meisters zu stehen. Der fliegende Fischschwarm zur Linken oder die fallende Skulptur des Gekreuzigten zur Rechten verwirren jedoch und geben Rätsel auf. Auch die beiden Messer und die Lanze, die auf den Sitzenden zufliegen, sind ungewöhnlich und wecken die Sinne, sich intensiver mit diesem Bild auseinander zu setzen, um seiner Geschichte vielleicht etwas auf die Spur zu kommen.

In der Mitte meinen wir unserer Wahrnehmung noch trauen zu können. Der Thronende lässt sich aufgrund der Wundmale als der auferstandene Christus identifizieren. Als Salvator mundi, als Retter der Welt, segnet er die Schöpfung zu beiden Seiten. Dass er nicht wirklich sitzt, sondern vielmehr als Weltenrichter zwischen Tag und Nacht vor dieser mit geheimnisvollen Zeichen versehenen Rückwand und auf diesem erhebenden Sockel erscheint, stört noch nicht weiter. ER steht im Mittelpunkt – in der Mitte des Bildes und betont auf dem roten Kreis des Podests. Dass Christus allerdings die Gesichtszüge des Künstlers trägt, bringt einiges durcheinander. Die Gott zugesprochenen Attribute werden nun gewissermaßen vom Künstler vereinnahmt und machen deutlich, dass auch er die Macht hat, Welten zu erschaffen.

Dabei ist sein Schaffen kein Erschaffen aus dem Nichts. Das Zusammenfügen und Anordnen der verschiedenen Bildzitate stellt vielmehr eine Ordnung dar, die neuen, eigenen Gesetzen gehorcht. Der Bildtitel weist in Anlehnung an das gleichnamige Gedicht von Eduard Mörike auf die schiedsrichterliche Funktion des Künstlers hin. Er steht immer zwischen zwei Zeiten und hat es in der Hand zu entscheiden, was er aus dem Fundus der Vergangenheit nehmen will, um die Zukunft zu gestalten. Was durch ihn geschieht, hat durchaus Auferstehungscharakter, wie die drei sich öffnenden, weißen Blüten der sogenannten Osterlilien in Anspielung auf die drei österlichen Tage andeuten. Nicht nur die Macht der Nacht wird gebrochen – links überflutet schon das Licht der Morgensonne die Berggipfel –, auch die Macht des Todes. Am Fuße des Baumstammes, der durch die herabfallende Figur des Gekreuzigten zum Kreuzesstamm wird, wächst wie in der Geborgenheit einer Bauchhöhle, dem Uterus, ein Kind heran – neues Leben. Die stürzende Jesusgestalt muss dabei nicht blasphemisch gemeint sein, sondern kann Zeichen sein, dass er nicht am Kreuz geblieben, sondern von seinen Freunden begraben worden ist. In diesem schwebenden Dazwischen ist er einerseits mit der Kopfneigung in einem eindrücklichen Dialog mit dem Embryo, über den er wie schützend den Arm auszubreiten und ihn zu umarmen scheint, andererseits steht er mit dem linken Arm und dem wehenden Lendentuch in direkter Verbindung zum Auferstandenen. Darauf, dass der Leib des irdischen Lebens der Vergänglichkeit anheimfällt und etwas Neues an seine Stelle getreten ist, können die wie abgehackt wirkenden Armstümpfe und der fehlende Unterleib hinweisen.

Auf der linken Bildseite schweift der Blick in die Weite, aber auch in die Tiefe auf einen Fluss mit starker Strömung, der durch das Tauwasser (gut über und unter der Speerspitze zu sehen) des ewigen Schnees gespeist wird. Was lange Zeit gefroren war, wird durch die Wärme des „neuen Tages“ lebendig und zu einem Quell des Lebens. Die Fleischmesser und die Lanze stehen dazu im Widerspruch. In ihrer Ausrichtung auf „Christus“ und die unmittelbare Nähe zu ihm fühlen sie sich eher bedrohlich an, tragen den Tod in sich. Indirekt haben aber auch sie mit der Auferstehung zu tun. So bat der Auferstandene den ungläubigen Thomas, seine Hand in die durch eine Lanze geöffnete Seite zu legen, um sich zu überzeugen und gläubig zu werden (Joh 19,34; 20,27). Die Bedeutung der Messer erschließt sich mir noch nicht wirklich, sie könnten aber ein Hinweis sein, dass Christus als Lamm Gottes sein Blut für die Vergebung der Sünden vieler vergossen hat.

Zuletzt bleibt uns noch die Deutung der wunderbar gemalten und ganz unterschiedlichen Fische. Dass sie nicht im Wasser schwimmen, stört uns in der neuen Ordnung des Künstlers nicht mehr. Auffallend ist ihre Christus-Orientierung, ihre Ausrichtung auf den Auferstandenen. Ob der Künstler hier die Erzählung vom wunderbaren Fischfang nach einer ergebnislosen Nacht neu ins Bild bringen wollte (Joh 21,1-14)? Die Hundertdreiundfünfzig Fische wurden in der Bibelauslegung immer wieder als Symbol für die gesamte Menschheit gedeutet. Sie könnten aber auch zeichenhaft für die an Christus Glaubenden stehen, diejenigen Menschen, die sich im Glauben Christus zugewandt, ihr Leben aus dem Glauben heraus auf ihn ausgerichtet haben.

Nun könnte die Frage auftauchen, ob der Künstler durch sein Bild vielleicht beabsichtigte, dass ihm eine ähnliche Aufmerksamkeit zuteil würde wie dem Auferstandenen. Das wäre anmaßend. Aber seine Mittlerfunktion, auf die dieses Stilmittel hinweist, hat uns die Auferstehung Christi und ihre Bedeutung durch die verschiedenen Symbole hindurch neu erfahren lassen. Nach der anfänglichen Irritation ist der Künstler im Verlaufe der Betrachtung wieder hinter sein Vorbild zurückgetreten, damit Er aus der Mitte heraus für alle Menschen auch Quelle des Lebens sein kann.

 

Gelassen stieg die Nacht an Land,
lehnt träumend an der Berge Wand;
ihr Auge sieht die goldne Waage nun
der Zeit in gleichen Schalen stille ruhn.
Und kecker rauschen die Quellen hervor,
sie singen der Mutter, der Nacht, ins Ohr
vom Tage, vom heute gewesenen Tage.

Das uralt alte Schlummerlied –
sie achtet’s nicht, sie ist es müd;
ihr klingt des Himmels Bläue süßer noch,
der flücht’gen Stunden gleichgeschwungnes Joch.
Doch immer behalten die Quellen das Wort,
es singen die Wasser im Schlafe noch fort
vom Tage, vom heute gewesenen Tage.
(Eduard Mörike)

Wandlung

Ein Weiser erzählte seinen Schülern von einem alten Mann, der mit einem geflochtenen Weidenkorb zur Quelle ging, um Wasser zu holen, nicht nur einmal, sondern wieder und wieder. Die Leute lachten über ihn und sagten: „Du Tor! Merkst Du denn nicht, dass Du so niemals Wasser nach Hause bringen kannst?“ „Das weiß ich. Aber schaut, mein Korb wird rein und die Erde bekommt dadurch Wasser.“

Wir sehen hier einen Kelch, nein, die Form eines modernen Kelches, dicht geflochten aus dickem und dünnerem Dornenreisig, stabil ineinandergefügt – aber welchen Sinn hat ein Gefäß aus Dornen, das doch keine Flüssigkeit halten kann?

Bei weiterem Betrachten könnte man an einen Menschenkopf mit dem Halsansatz denken, einen aus Dornenzweigen geformten Kopf ohne Gesicht, ohne Ausdruck. Doch, je länger man bei dem Bild verweilt, desto ausdrucksstärker wird es. Eine Dornenhecke wehrt ab, grenzt aus und bei Berührung fließt Blut. All das trifft auf die Dornenskulptur nur sehr bedingt zu. Die klar abgegrenzte Form wirkt trotz der spitzen Dornen harmonisch schön, trotz der kleinen oder größeren Zwischenräume bereit, aufzunehmen und zu bergen. Von diesem Gefäß, in den weißen Hintergrund hineingezeichnet, ohne Schattenwurf, geht etwas Besonderes, etwas Sakrales aus.

„Christus“ nennt die Künstlerin ihr Werk. Christus als Kelch symbolisiert, aber als Kelch, der alle gewohnten Vorstellungen sprengt. Nicht nur, weil er wie der Korb des alten Mannes, keine Flüssigkeit halten kann, sondern weil er sich auch wegen des Materials, aus dem er gefertigt ist, dem Gebrauch, dem Anfassen und Festhalten entzieht.

Die Assoziation zum „Kelch der Leiden“ kann weiterführen: Christus, ein Gefäß, dazu bestimmt, alles Leid der Welt aufzunehmen, alle Verletzungen und Ängste, alle Not und Verzweiflung, alles Versagen und Scheitern, alle Schuld und Tränen, alles Blut. Seine durchlässige Form ist von allen Seiten aufnahmebereit, nicht für materiellen Inhalt, sondern für alles, was Menschen geistig bedrängt und bedrückt. In der Bildsprache des Dornenkopfes oder -kelches identifiziert sich Christus in anschaulichster Weise mit all diesem Leid.

Eine zweite Assoziation: In der Liturgie steht der Kelch für Wandlung, für Erlösung. In der Kraft des Heiligen Geistes wandelt Gott Leid und Schuld in überströmende, heilmachende Liebe, die überallhin ihren Weg findet, die durch die kleinsten und unscheinbarsten Ritzen zu allen Menschen dringt, die sich berühren lassen. Liebe kann verwandeln und nichts geht verloren, was aus Liebe geschah. Was wissen wir, ob aus unseren Fehlgriffen nicht letztendlich Gutes entstehen kann, wie durch das „sinnlos“ verschüttete Wasser des alten Mannes Reinigung geschah und aus der verhärteten Erde Leben sprießen konnte? Oder wie aus dem „Ärgernis“ und der „Torheit“ des Kreuzes Wandlung im eigentlichsten Sinn entstand: Der Einbruch der Liebe Gottes in unsere Welt, wo und wann immer wir sie annehmen?

Begegnung

Halb verdeckt von Farbflächen, Pinselstrichen und Bleistiftlinien schweift unser Blick wahrscheinlich zuerst auf den leicht geneigten Menschenkopf im Hintergrund. Unschwer lässt sich an seinen Gesichtszügen das Haupt einer gotischen Christusgestalt erkennen. Aus welchem Zusammenhang es jedoch extrahiert worden ist, lässt sich durch die Isolierung und malerische Verfremdung nicht sagen.

Wesentlich scheint der Blick, mit dem Jesus durch das Liniengewirr hindurch dem Betrachter eindringlich in die Augen schaut. Das Leid ist zu spüren, das er aushalten muss, ebenso das Kreuz auf seinen Schultern, das in der Diagonalen unter seinem Kopf angedeutet ist. Arnulf Rainer hat das Jesus zugefügte Leid in einer gestischen Aktion malerisch umgesetzt: Zuerst wurde er von ihn mit dem Pinsel und mit Stift „gegeißelt“, bis sein Gesicht mit Striemen gezeichnet und sein Haupt mit einem Liniengeflecht gleich einem Dornenkranz gekrönt war (Mk 15,17-19). Dann hat er mit seiner Hand gelbe und dunkelrote Farbe so aufgetragen, dass er damit dem Abbild des Gekreuzigten heftige Hiebe versetzte. Die triefenden Farbspuren legen Zeugnis ab, dass der Künstler ihm mit vollen Händen „eins ausgewischt“ hat. Dick wie verklebtes Blut ist die Farbe unter seinem Gesicht eingetrocknet, während die gelben Farbspuren wie zwei Leuchten links und rechts von seinem Angesicht erscheinen: Nichts beschönigend, aber erinnernd und mahnend als ein ehrendes Zeichen für denjenigen, der für seinen Glauben an Gott und an uns Menschen gestorben ist.

Die dem Werk zu Grunde liegende Fotografie hat der Künstler auf einen Karton aufgezogen. Durch die Übermalungen sind ihre Ränder hervorgehoben und lassen das Rechteck wie ein Fenster in eine andere Welt erscheinen. Es ist, als ob die Übermalung diesseits bliebe und dem heiligen Gesicht nichts anhaben könnte. Viele Christus-Übermalungen hat Rainer auf einem kreuzförmigen Träger durchgeführt. Hier ist das Grundformat jedoch rechteckig. Allerdings hat er den Christus-Kopf in eine Kreuzform integriert. Die beiden gelben „Figuren“ bilden die Außenseiten des stehenden Balkens, die Unterkante der Fotografie zeichnet die Unterkante des Querbalkens, während zwei in der Mitte des Gesichts seitlich vorstehende Elemente den Querbalken oben abschließen.

So gesehen ist dieses Bild wie ein Zeitfenster, das uns zu Zuschauern des Leidens Jesu Christi macht und uns an die Seite von Simon von Zyrene, seiner Mutter Maria oder Veronika stellt, die ihm das Schweißtuch gereicht hat.

Nun begegnet er mir und scheint mich schweigend zu fragen: Wie willst Du bei meinem Anblick reagieren? – Im Augenblick haben wir vielleicht Mitleid und wollen ihm beistehen. Nichts läge uns ferner als ihn wie die Soldaten mit Peitsche und Stöcken zu schlagen oder wie der Künstler mit Farbe und Bleistift zu malträtieren. Aber wer von uns ist schon ohne Schuld? Können vernichtende Gedanken und Worte über andere Menschen (vgl. Mt 25,40.45) oder die bewusste Missachtung und Verletzung der Schöpfung nicht auch wie Peitschenhiebe wirken, entstellen und Leid verursachen?

“Nun, was du, Herr, erduldet, ist alles meine Last;
Ich hab’ es selbst verschuldet, was du getragen hast.
Schau her, hier steh’ ich Armer, der Zorn verdienet hat;
Gib mir, o mein Erbarmer, Den Anblick deiner Gnad’!”

4. Strophe aus “O Haupt voll Blut und Wunden”