Zwei längliche Schalenkörper, der eine am Boden liegend, der andere darüber hängend und schwebend, bilden im Raum eine tonale Klammer. Beide Objekte haben ähnliche Dimensionen und weisen in der Länge eine ähnliche Symmetrie auf. Farblich setzen sie sich durch die gewählten Materialien voneinander ab: Die untere Form ist aus dünn gearbeitetem Gips, die obere Form besteht aus weichem Bienenwachs. Durch die formale Ähnlichkeit und die räumliche Zuordnung entsteht ein Spannungsverhältnis.
Grundlage der Skulptur sind die vergrößerten Abformungen einer menschlichen Schulterpartie, die durch die Verwendung der Materialien Bienenwachs und Gips in ein dialogisches Verhältnis gesetzt wurden. Dabei ist die Bienenwachsform als innere Abformung der Gipsform entstanden. In der Skulptur schwebt sie von ihrer Urform gelöst im Raum, als Bezugspunkt senkrecht über ihr verbleibend, doch in der Position um 180 Grad gedreht. Dadurch bildet sie mit der Wölbung nach oben weisend mit der Form aus Gips auf dem Boden gleichsam eine himmlische Klammer. Die Schwebeform ist ein Gegenüber, die im Gegensatz zur Bodenform eine Wendung und eine Wandlung vollzogen hat. Während die Bodenform durch die Einbuchtung dem Chor mit dem Altar und damit sinnbildlich Gott zugewandt ist, öffnet sich die obere Form den Gläubigen, den Besuchern und ist damit den Menschen zugewandt.
Ruhend sind die Schalenformen miteinander im Austausch. Ihre Materialien und Positionen wirken gleichnishaft. So verbindet sich der Gips in seiner Materialität mit der Erde und steht als Abformung der menschlichen Schulterpartie für den Menschen und alles von ihm Geschaffene, Erdverhaftete. Das Bienenwachs hingegen vermag von seiner Herkunft her und durch die schwebende Leichtigkeit eine geistige, spirituelle und gewandelte Dimension des Daseins anzusprechen. Da die obere Schale eine Entäußerung der unteren Schale ist, eine geistige Form, die aus der unteren Schale entstanden und entschwebt ist, haftet ihr auch etwas von der Auferstehung an, vom Unvergänglichen, und vermag nun wie ein Schirm, wie ein guter Geist beschützend über der unteren Schale zu wachen. Beide sind auf ihre Weise fragil, doch miteinander bewirken sie eine starke, lebendige Spannung.
Der große Abstand zwischen den Elementen bietet viel Frei- und Spielraum für weiterführende Gedanken: Die beiden leicht zueinander gebogenen Formen lassen sich aus dieser Perspektive gesehen zu einem unsichtbaren Kreis ergänzen und deuten damit sowohl Zusammengehörigkeit als auch Offenheit an. Die beiden Abformungen lassen an die Spannung und Stärke der Schultern denken, die große körperliche und verantwortungsvolle Lasten zu tragen vermögen, aber auch an ihre notwendige Entspannung und Erholung, um nicht in einer schmerzvollen Verspannung oder Lähmung zu enden, welche den Körper zu Boden zwingen.
Die Installation der beiden Schulterelemente eröffnet einen gedanklichen Freiraum, der die Worte Jesu in Erinnerung zu rufen vermag, damit die lebensnotwendige richtige Spannung wieder hergestellt und beibehalten werden kann: „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid! Ich will euch erquicken. Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; und ihr werdet Ruhe finden für eure Seele. Denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht.“ (Mt 11,28-30)
Der Blick auf Jesus, die Verbindung mit dem Logos Gottes, seiner alles überragenden und durchdringenden Weisheit, ermöglicht richtiges und weitsichtiges Denken und Handeln. Die „himmlische Klammer“ des Kunstwerks macht diesen Spannungsbogen als auch den inneren Freiraum zur Gestaltung des Lebens gut sichtbar. Es ist eine hohe Kunst, alles – also nicht nur uns zu Lasten der Mitmenschen und Umwelt –, sondern alles zusammen maßvoll am Leben zu erhalten: beweglich, entwicklungsfähig, formbar, veränderbar.
Die Installation bringt diesen Spannungsbogen des Lebens insbesondere durch das obere Element zum Ausdruck. Das Leben existiert nur in einem schwebenden, stets vom „Absturz“ bedrohten Zustand. Damit die Lebenskräfte weiterhin das Unmögliche vollbringen können, die ganze Schöpfung – und nicht nur sich selbst – im Gleichgewicht zu halten, braucht es die Verbundenheit mit Gottes Genialität und des aus ihm heraus denkenden und handelnden Geistes.
Zwischen Himmel und Erde musst du stehen als aufrechtes Wesen, dessen Füße den Bezug nach „unten“ nicht verlieren, und dessen Stirn sich emporreckt im Bezug nach „oben“. (Elisabeth Lukas)