Trinitarische Liebe

Drei leuchtende Kugeln bilden zusammen einen Dreipass, wie die verbundene Form von drei Kreisen im gotischen Maßwerk genannt wird. Die Form gleicht einem dreiblättrigen Kleeblatt. Die Konturen sind unscharf wie bei etwas, das ständig in Bewegung ist und deshalb nicht genau erfasst oder begriffen werden kann. Durch das innere Licht leuchtet der Dreipass in der nachtblauen Umgebung wie ein besonderer Stern.  Die feine Äderung erinnert an Bilder von im Mutterleib geborgenen Embryonen.

Die drei Einheiten formieren in der Weite des Universums eine unbegreifliche Erscheinung, eine geheimnisvolle trinitarische Vereinigung. In ihrer Einzigartigkeit sind sie schwer zu erfassen. Als Gestirn erscheinen sie uns in unerreichbar weiter Ferne. So können sie nur annähernd beschrieben oder sogar umschrieben werden. Die dunklere gelbe Außenseite lässt spüren, dass sie einander zugewandt sind, die Äderungen lassen vermuten, dass Leben in ihnen pulsiert, das fähig ist – wie bei der Zellteilung – unbegrenzt weitergegeben zu werden. Sie wirken wie eine atmende Gemeinschaft voller Energie und Bewegung, die in unaufhörlicher Beziehung Energie und damit auch Leben austauscht.

Die dreipassförmig vereinten Sonnen erinnern an Gott, der sich den Menschen trinitarisch als Vater, Sohn und Heiliger Geist offenbart hat. Ein von menschlichen Erfahrungen geprägtes Bild für die Keimzelle einer von Leben erfüllten Gemeinschaft. Dagegen bietet das Bild eine mystisch-kosmische Vorstellung der Trinität. Die Vision vermittelt auf abstrakt-lebendige Weise das Wesen der Trinität. Der Perspektivenwechsel rückt Gott als den unvorstellbar Anderen zunächst in weite Ferne und man fragt sich, wie da eine Beziehung entstehen kann und wo der Platz des Menschen oder der Schöpfung ist.

Bei genauer Betrachtung fällt in der Mitte ein viertes Element auf. Es befindet sich im Kern der Gemeinschaft, an dem Ort der vollsten und ungeteilten Zuwendung und Aufmerksamkeit. Wie wäre es, wenn wir uns an dieser Stelle vorstellen, mitten im Herzen der trinitarischen Gemeinschaft? Hat Jesus uns nicht genau das vermittelt, dass Gott Vater uns so liebt, wie Er den Sohn liebt? (Joh 17,23) Gott liebt uns und die ganze Schöpfung so privilegiert innig wie ein Vater oder eine Mutter ihr Kind lieben. Wie im Bild umgibt uns Gott von allen Seiten, er ist bildlich wie eine Gebärmutter, die uns in grenzenloser Geborgenheit rundum beschützt und Leben schenkt. Was auch immer geschehen mag, uns kann nichts passieren. Wir können unmöglich aus Gottes Liebe und Fürsorge herausfallen (vgl. Röm 8,38-39).

Weil Gott uns derart liebt und seine Liebe in unsere Herzen ausgegossen hat, dürfen wir etwas von dieser Liebe erwidern und sie allen Menschen und der ganzen Schöpfung zurückgeben. Wir sind berufen, nach dem Vorbild Gottes uns zu neuen lebensspendenden und -bewahrenden Einheiten zusammenzuschließen und wie Er alle Menschen und die ganze Schöpfung in unser Herz zu schließen (vgl. Röm 5,5; 1. Joh 4,19), sie zu unserem Herzensanliegen zu machen, ihnen – und nicht uns – unsere ungeteilte Aufmerksamkeit, Liebe und dadurch Leben zu schenken.

Blick ins aller Heiligste

Feine Farbklänge verleihen dem Bild etwas Zärtliches, Geheimnisvolles und Kostbares. Schwebend atmen die einzelnen Elemente ineinander und bilden zusammen eine Lebensgemeinschaft, die alles Bekannte übersteigt.

Das weiße Oval mit seinem diffusen Rand schenkt diesem Organismus einen grenzenlosen und lichtvollen Lebensraum, der mit seiner Energie das erdig wirkende, ockerrote Umfeld strahlenförmig erleuchtet. Vom unteren Bildrand her durchquert ein rosafarbenes Kreuz das Oval in seiner Höhe und Breite. Wie ein Stempel prägt es die neue Gemeinschaft, wie ein Schlüssel öffnet es das Verständnis für das Wunder, dass es dieses Miteinander überhaupt gibt – sah doch bei der Kreuzigung alles nicht so rosig aus.

Das Kreuz lässt die Wandlung miterleben, die der an ihm Gekreuzigte durchlitten und durchlebt hat. Die quadratische rote Mitte erzählt mit ihrer farbig-formalen Symbolik von der irdischen Gewalt, dem vergossenen Blut, dem qualvollen Tod. Gewandelt bildet es die kraftvolle Mitte des neuen Lebensraumes, das schlagende Herz, das aller Heiligste. Das Viereck ist der irdische Schlussstein im Gewölbe der Ewigkeit, die verdichtete Gegenwart Gottes unendlicher Liebe in der menschlichen Geschichte. Es ist ein stiller Ruhepol, Halt für den Unsicheren, Orientierung dem Suchenden.

Intensiv, fröhlich und unbeschwert lebt das Kreuz aus seiner quadratisch-kraftvollen Mitte heraus. Die rosa Farbe mag einen verklärten Blick suggerieren, aber keinesfalls einen zu optimistischen oder unrealistischen Blick durch eine rosarote Brille. Sie ist vielmehr die Farbe der Liebe und der Zärtlichkeit, die Farbe des jungen, neuen Lebens, das – einem Fötus gleich – im Entstehen begriffen ist.

Im oberen Bereich der Aureole deuten zwei kleinere Ovale die Köpfe von zwei Menschen an. Ihre Körper lassen sich in den mit ihnen verbundenen Linien und Schattierungen erahnen. Links eine größere Gestalt, sitzend vielleicht, mit ausgebreiteten Armen, rechts eine kleinere Gestalt, der linken zugewandt. Sie lassen an einen Vater oder eine Mutter mit ihrem Kind denken. Beide sind einander zugeneigt und bilden im intensiven Austausch eine von Liebe getragene Einheit. Sie versinnbildlichen in abstrahiert menschlicher Form die Einheit der Zweiheit, die Versöhnung der Gegensätze, die Geborgenheit im Einen oder auch das Geheimnis der Trinität.

Im österlich erschlossenen Lebensraum kann so Gott-Vater gesehen werden, der seinen Sohn nach dem irdischen Leben und Sterben mit offenen Armen im ewigen Leben empfängt. In der kleineren Gestalt dürfen wir aber auch uns selbst als Kinder Gottes erkennen, die wir einst von Ihm ins Allerheiligste aufgenommen werden und sein göttliches Erbarmen, seine grenzenlose Liebe in unmittelbarer Nähe erfahren.

 

Dieses und weitere Kunstwerke von Anneli Schwager sind bis Ende 2022 in der Ausstellung “Für die Welt” in der Ev. Patmos-Gemeinde an der Gritznerstraße 18/20 in 12163 Berlin im Original zu sehen.
Weitere Informationen zur Ausstellung finden Sie hier.

Ein himmlisches Angebot

Eine blaue Fläche verdeckt den barocken Hochaltar und erfordert einen Wechsel der Sehgewohnheiten. Durch das zeitweise Verhüllen des Gewohnten sollen die Gläubigen die Chance zu einer Neuentdeckung und einer neuen Sicht auf Gott erhalten und damit eine Umkehr zu Ihm. Das hängende Fastentuch eröffnet mit seiner blauen Farbe einen universellen Blick in die unergründlichen Weiten des Himmels oder Tiefen des Meeres. Seine halbtransparente Struktur lässt spielerische Lichteffekte zu und vermag damit an die Bedeutung von lebendigem Wassers für das Leben hinzuweisen.

Von oben senkt sich mittig ein intensiveres blaues Band in die Tiefe und breitet sich zwischen den beiden seitlichen Heiligenfiguren horizontal aus. In diesem auf dem Kopf stehenden T (Tau oder Kreuz) zieht ein helles Tondo den Blick auf das in einem Rosenstrauch sitzende nackte Jesuskind.  Auf der rechten Seite ist es von drei Rosenblüten umgeben: einer großen, voll aufgeblühten, darüber einer großen Knospe und Jesus selbst hält einen von der voll aufgeblühten Rose ausgehenden Stiel mit einer verschlossenen Knospe wie ein Zepter vor seinem Körper. Die drei Rosenblüten symbolisieren die Dreifaltigkeit. Das Lied „Es ist ein Ros entsprungen“ (GL 334/EG 30) ist ein Zugang zu diesem ungewöhnlichen Fastentuch. „aus Gottes ew‘gem Rat hat sie ein Kind geboren …“ heißt es in der zweiten Strophe und so sieht man das Jesuskind als Menschensohn zwischen der symbolischen Darstellung von Gott Vater in der aufgeblühten Rose und der haltgebenden Hand Mariens. Ebenso passt die dritte Strophe: „ Das Blümelein so kleine, das duftet uns so süß; mit seinem hellen Scheine vertreibt’s die Finsternis, wahr‘ Mensch und wahrer Gott, hilft uns aus allem Leide, rettet uns von Sünd und Tod.“

In mir begann die zweite Strophe des Liedes „zu Bethlehem geboren“ von Friedrich Spee (GL 239/EG 32) bei der Betrachtung des Fastentuches zu singen. Denn die große blaue Fläche und das leuchtende Tondo fokussieren den Blick auf Jesus und auf seine Position in meinem Leben: So klang in mir: „In seine Lieb versenken will ich mich ganz hinab; mein Herz will ich ihm schenken und alles was ich hab. Eia, eja, und alles was ich hab.“ Erschrocken über die weihnachtlichen Klänge kam ich aber zur Erkenntnis, dass es in der Fastenzeit gerade darum geht: Den vielleicht aus den Augen und aus dem Alltag verlorenen Gott wiederzufinden und ihm den Platz in meinem Leben wiederzugeben, der ihm als „höchsten Gut“ gebührt. Dem war sich Friedrich Spee bewusst, wenn er in der fünften  Strophe formuliert: „Dazu dein Gnad mir gebe, bitt ich aus Herzensgrund, dass dir allein ich lebe jetzt und zu aller Stund. Eia, eia, jetzt und zu aller Stund“.

Diese gnadenvolle Veränderung soll mein/unser ganzes Leben durchwirken und es zur Ehre Gottes verändern, damit es wie die goldenen Strahlen von seiner Präsenz in meinem/unserem Leben kündet. Um anzudeuten, dass so eine Veränderung meist unsichtbar, aber doch durch ein vielfältiges, heilsames Wirken in konkreten menschlichen Beziehungen, Handlungen und Gesten geschieht, hat die Künstlerin auf der Rückseite des Fastentuches in der Höhe des Tondos mit goldenen Umrisslinien neun bewegte Hände in zwei Gruppen dargestellt: gebende, helfende, empfangende, darreichende, betende, bewahrende, beschützende und segnende Hände. – Eine Einladung, dem Mitmenschen wie Jesus zu begegnen, sie wie sie sind anzunehmen, ihnen Freiheit und Lebensfülle schenkend, sie an der Hand nehmend oder ihnen segnend die Hände aufzulegen zur Stärkung in allen Lebenslagen – aus der Verbundenheit mit Gott und Ihm in jedem Mitmenschen.

 

Das Fastentuch ist bis zum 14. April 2022 in der Stadtpfarrkirche St. Jakob in Villach (A) im Original zu sehen. Auf der Website der Pfarrei können Sie eine andere, sehr lesenswerte Betrachtung von Herrn Pfarrer Dr. Richard Pirker lesen.

Der Schrei

Auf einer kleinen Anhöhe streckt sich in weißes Licht getaucht der gekreuzigte Schmerzensmann nach oben zum Schrei. Man meint die Worte aus dem Psalm 130 (1-2,5) zu hören: „Aus den Tiefen rufe ich, HERR, zu dir: Mein Herr, höre doch meine Stimme! Lass deine Ohren achten auf mein Flehen um Gnade. … Ich hoffe auf den HERRN, es hofft meine Seele, ich warte auf sein Wort.“

Der expressive Bildaufbau führt zu diesem Schrei in der oberen Bildmitte und konzentriert sich in ihm. Von rechts unten führen – die Oberkanten der blauen und grünen Elemente verlängernd und verbindend – Linien im Zickzack treppenartig nach oben. Ähnlich laufen die Verlängerungen der Seitenkanten der blauen und grünen Elemente von unten kommend im Kopfbereich zusammen und kreuzen sich dort.  Auf diese Weise erreicht die ganze Schöpfung mit allem Leben, Leid und allen Schmerzen in diesem gewaltigen Schrei einen einzigartigen Höhepunkt. Die flammend rote Farbe intensiviert den Schrei zum gequälten Aufschrei eines Gefolterten, eines ungerechterweise Höllenqualen Erleidenden, der die Schuld der ganzen Welt auf sich nimmt.

Als Antwort auf diese himmelschreiende Ungeheuerlichkeit finden sich im Bild drei Reaktionen: Rechts oben zeigt sich der Kopf einer Person, die schweigend im Beobachterstatus verharrt. Das rundliche Gesicht könnte auch der verdunkelten Sonne oder Gott Vater gehören, der in sich gekehrt seinem Sohn beisteht, aber nicht in das Leiden eingreift. Im gleichen Weiß wie bei der gezackten zentralen Form schreit links ein Pfau mit dem Gekreuzigten und verstärkt den Schrei von Seiten der Tierwelt. Unter dem Kreuz, es gleichsam mit ihrem Leib umfassend – denn Knie und Ellbogen berühren sich fast – findet sich kniend eine junge Frau, die in ihren Händen ein Tuch mit dem Abdruck eines traurig blickenden Gesichtes hält. Dem Tuch nach wäre die Frau Veronika, in der Tradition wird aber Maria Magdalena weinend unter dem Kreuz dargestellt. Wie auch immer verkörpert die Frau die zutiefst Betroffene, Trauernde, Mitleidende.

Mehrere Bildelemente weisen symbolhaft über den Schrei der Verlassenheit und die letzte Verlautbarung (vgl. Mk 15,34.37) des Gekreuzigten hinaus: Das maskenhaft wiedergegebene Gesicht auf dem Tuch verweist auf die Doppelnatur der Person Jesu („Person” stammt vom lateinischen „personare“, dem „Hindurchtönen“ der Schauspielerstimme durch die Maske, die seine Rolle charakterisiert). In der menschlichen Gestalt Jesu leidet der Sohn Gottes und in diesem Leiden und Sterben leiden und sterben auch die anderen beiden Personen der Dreifaltigkeit, die untrennbar mit ihm verbunden sind. So kann am linken oberen Bildrand in der verkrampften Hand auch ein zur Mitte gewandtes gefiedertes Wesen – eine Taube –  als Symbol für den Heiligen Geist und auf der anderen Seite das Sonnengesicht als Symbol für Gott-Vater gesehen werden. Jesus leidet in dieser Sichtweise inmitten der Dreifaltigkeit und sein Schrei ertönt im Anblick und Angesicht seines Vaters. Die Palmen und Pflanzenelemente erinnern nicht nur an den Einzug in Jerusalem, sondern deuten auch den bevorstehenden Einzug in das himmlische Paradies, ins himmlische  Jerusalem an (vgl. Lk 23,43). Erich Schickling hat die Kreuzigung zudem in eine Mandelform gemalt (zu sehen sind die „Klammern“ der Mandorla), um die Bedeutung des Kreuzestodes als Übergang und „Geburt“ in diese neue, göttliche Welt zu offenbaren, in der Gott „alle Tränen von ihren Augen abwischen wird: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen.“ (Offb 21,4)

So trägt der stumme Schrei Jesu stellvertretend das Leid der Welt weiter durch das Bild und über das Bild hinaus in die Ohren Gottes: im Rot die hilflose Wut, all das vergossene Blut, das verlorene Leben, die geopferte Liebe. Im Grün die fragmentierte, zerbrochene Hoffnung, die gegen alle Hoffnung hofft. Im Dunkelblau am Fuße des Kreuzes die Treue der Liebenden, der Glaube, dass nichts verloren geht und die Liebe über den Tod hinaus Früchte trägt (vgl. 1Kor 13,13). Und im Weiß des Gekreuzigten und des Pfaus als Sinnbild des Himmels darf bereits das Licht der Auferstehung aufleuchten. Denn kein Schrei verhallt unerhört in Gottes Ohren, denn „beim HERRN ist die Huld, bei ihm ist Erlösung in Fülle“. (Ps 130,7)

 

Im Pfarrhof Gempfing sind in Verbindung mit der Stadtpfarrkirche St. Johannes Rain am Lech anlässlich des 10. Todestages des Künstlers Hinterglasbilder, Temperabilder, Kreuzwege, Entwürfe zu Glasfenstern ausgestellt. Vernissage ist am Sonntag, 13. März 2022 um 16 Uhr. Anmeldung bitte unter 09090-1346. Danach jeden Sonntag bis Ostermontag (außer Ostersonntag) von 14-17 Uhr geöffnet.

Geheimnis des Glaubens

Die Zusammenschau der drei quadratischen Bilder lässt durch Ihre Heterogenität eine Fülle von Assoziationsmöglichkeiten zu. Denn das Grau der Steine und des Wasserglases oder das runde Element in jedem Bild vermögen Verbindungen zu schaffen und den “Trialog” zu beleben. Auf verschiedenen Ebenen entstehen Bezüge, die immer wieder um eine Dreiheit kreisen:

Allen drei Bildern geht es um Ausdehnung und um Irritation. Die Ausdehnung erfolgt um eine runde Mitte herum (auch beim Glas hat die nicht sichtbare Öffnung des Glases in etwa den gleichen Durchmesser wie die beiden zentralen Steine). Die verwendeten Primärfarben Gelb, Rot und Blau bilden die Basis für den ganzen Farbenkosmos. Von links oben bis zum unteren Bild ist zudem eine Steigerung zu beobachten. Während die goldgelben Samen, die auch Wachstum beinhalten, noch geschlossen daliegen, scheint die rote Farbe im zweiten Bild wie Feuer oder vergossenes Blut unter dem dunklen Stein hervorzuspritzen, um dann ganz rechts explosionsartig alles zu sprengen und jede feste Form hinter sich zu lassen bzw. in Seifenblasen eine temporäre Form einzunehmen. Letztere stehen im Gegensatz zu den Versteinerungen in den anderen beiden Bildern, die Überzeitliches versinnbildlichen.

Die Bildtitel zu den in einem trompe-d’oeil-haften Realismus gemalten Arbeiten legen einen Zusammenhang mit alchemistischem Denken nahe. Splendor solis lässt an das gleichnamige illustrierte alchemistische Manuskript aus dem 15. Jahrhundert denken, in dem es um die Herstellung und Wirkungsweise des Steines der Weisen geht. Mit Mercurius wird Quecksilber (keckes oder lebendiges Silber) bezeichnet, von dem angenommen wurde, dass es den flüssigen und festen Zustand überschreitet. Ob es sich bei dem Triptychon um eine Darstellung der Tria Prima der Alchemie handelt? In der Tria Prima beschreibt Paracelsus das Gesetz des Dreiecks: zwei Komponenten kommen zusammen, um eine dritte zu erzeugen. Grundlage sind bei ihm Schwefel, Salz und Merkur. Schwefel ist die Flüssigkeit, die das Hohe und das Niedrige verbindet. Salz gilt als Grundstoff, Merkur ist der allgegenwärtige Geist des Lebens.

Doch anstatt von Schwefel liegen Weizenkörner auf dem runden Stein, anstelle von Salz spritzt Blut über die quadratische Platte und statt Quecksilber schießt blasenbildendes Wasser in die Höhe. Diese Beobachtung und auch der zweite Bildtitel Salz der Erde, der in engem Bezug zu Jesus steht, sorgen für Irritation. Sind hier alchemistische Symbole weiterentwickelt worden und mit neuen Bedeutungen verbunden worden? Dann wäre eine christliche Interpretation der vielleicht unorthodoxen Darstellung von etwas Bekanntem gar nicht so abwegig. Vorzugsweise setzen wir unsere Betrachtung rechts oben fort.

Der viereckige Stein ist ein Symbol für die Erde. Mit Salz der Erde werden die Worte aus der Bergpredigt (Mt 5,13) angesprochen, mit denen Jesus auf die unabdingbare, verantwortungsvolle Aufgabe der Jünger in der Welt hinweist, Gutes zu bewirken, sich für Gerechtigkeit und Barmherzigkeit einzusetzen – Licht der Welt zu sein. Jesus hat sein Leben bis in den Tod hinein dafür hingeben. Er ist DAS Salz der Erde, der mit seinem Leben und seinem Blut zur Vergebung des Unrechts an den Menschen neue Maßstäbe gesetzt hat. So kann das mittlere Bild als eine Art Kreuzigung gesehen werden: Gottes Sohn, erschlagen durch unsere Sünden. Sein Blut ist das Salz der Erde, das bewirken sollte, dass solches Unrecht nicht weiter geschieht. Er ist der Stein der Weisen, der in uns diesen Sinneswandel vollbringt und einen menschlichen Goldstandard etabliert wie es keine alchemistischen Wunder zustande bringen. Blut und Wein verweisen auf die Einsetzungsworte beim Abendmahl: „Trinkt alle daraus, das ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden.“ (Mt 26,27f). Der perfekt runde Stein in der Mitte mag die göttliche Natur Jesu andeuten, die Zweiteilung mit der roten Farbe, dass er mit seinem Blut die gespaltene Erde/Materie versöhnt.

Der runde Stein – ohne Anfang und Ende – ist Symbol für die Unendlichkeit und für Gott. Mit seinen Versteinerungen ist er ein Urgestein. Die Weizenkörner sind im Licht und der Wärme der Sonne (Spendor solis = Pracht der Sonne/Sonnenglanz) gereift und als Goldkörner dargestellt. Mit dem Stein in der Mitte wird ihre nächste Wandlung zu Mehl angedeutet, aus dem dann Brot und andere Lebensmittel gemacht werden können. Entsprechend kann hier eine Allegorie Gott Vaters gesehen werden, der der Sonne ihre Pracht verliehen hat und uns das tägliche Brot schenkt.

Auf dem unteren Blatt wird alles Bisherige gesprengt und in eine neue Daseinsform überführt, der etwas für uns Menschen Unfassbares anhaftet. Das versteinerte Wasserglas birst und das Wasser sucht sich nicht den bekannten Weg der Schwerkraft, sondern breitet sich überraschenderweise wie eine in die Freiheit entlassene Materie nach oben aus, die dabei noch fröhliche Luftblasen bildet. Merkur bzw. Hermes war in der griechischen Mythologie der geflügelte Götterbote, der Überbringer von Botschaften. Im christlichen Glauben wird die unsichtbare göttliche Kraft dem Heiligen Geist zugeordnet, der kreativ in der ganzen Schöpfung am Wirken ist: unsichtbar, geheimnisvoll, wunderbar, lebendig.

So liegt die Vermutung nahe, dass Manfred Scharpf in diesem Triptychon über die alchemistische Tria prima hinaus die grundlegende und alles umfassende „Tria prima“ des christlichen Glaubens allegorisch gemalt hat: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Oder anders betrachtet: Das mystische Geheimnis der beiden Hauptsakramente Taufe und Abendmahl (Brot und Wein).

Geisteskraft

Eine eruptive Stichflamme bestimmt dieses Bild. Sie bricht aus dem dunklen kantigen Teil des Bildes hervor und gestaltet lebendig die Bildmitte. Sie ist der helle Mittelpunkt im dunkleren Umfeld. Sie ist das Licht in der Nacht, die unbändige Kraft in der lähmenden Kälte der Erstarrung.

Der abstrakte Aufbau des Bildes lässt keine zeitliche oder örtliche Zuordnung des Geschehens zu. Einzigartig und gleichzeitig unendlich steht es im Raum des sich stetig erneuernden Geschaffenen.

Es ist eine Urkraft zu spüren, die wie bei einem Vulkanausbruch aus der Tiefe kommend gewaltige Massen zu bewegen und zu verändern vermag. Mit den warmen Gelb- und Rottönen wird eine kraftvolle Energie angedeutet, das verdeckte Licht lässt ahnen, dass sie im Verborgenen agiert und der große Widerschein verweist auf ihre übergroße Wirkung.

Das Bild erinnert an Auferstehungsbilder, in denen sich Christus in hellem Glanz aus dem Grab erhebt. Vielleicht soll in dieser Assoziation aufleuchten, dass Jesus nach der Auferweckung von den Toten seinen Jüngern den „Heiligen Geist“ geschenkt hat (Joh 20,22), und „die Verheißung“ seines Vaters in Erinnerung rufen, dass „die Kraft aus der Höhe“ sie erfüllen wird (Lk 24,49). Schemenhaft und subjektiv meint man eine formatfüllende rundliche Form zu erkennen, die oben links eine Doppelung aufweist. Ob in diesen beiden “Köpfen” Vater und Sohn gesehen werden dürfen, die uns aus ihrer göttlichen Einheit heraus ihren Geist senden, damit wir mit ihnen eins werden? – So gesehen erscheint das Bild wie eine moderne Dreifaltigkeitsdarstellung!

Gleichzeitig darf das Licht in der Bildmitte mystisch spirituell auf uns gedeutet werden:  Der Heilige Geist ist ein Geschenk Gottes an alle Menschen, um aus einer intensiven Verbindung mit Gott unsere Beziehungen zu Ihm, den Mitmenschen und der ganzen Schöpfung zu gestalten. So ist es der Heilige Geist, der in dieser Verbundenheit in unseren Geistesblitzen aufleuchtet und der überall wirkt, wo wir geistesgegenwärtig seinen Impulsen folgend handeln. Der Heilige Geist stärkt unsere Begabungen, er brennt in unserer Leidenschaft und befeuert unser Engagement für das Gute.

Wie das Magma im Innern der Erde glüht der Heilige Geist in uns. Wir sind wie Vulkane, durch die seine erneuernde Lebenskraft fruchtbar in unsere Lebenswelten einfließen will. Das geschieht die meiste Zeit still und unbemerkt, doch es gibt auch gewaltige Ausbrüche und Manifestationen, bei denen große Veränderungen und Wandlungen bewirkt werden. Die schöpferische und erneuernde Kraft des Heiligen Geistes wird oft unterschätzt. Sie vermag Welten zu bewegen und in einem stetigen Prozess zu erneuern. Die gleiche Kraft Gottes ist in uns aktiv, belebt und erneuert uns unablässig. Sie ermutigt, stärkt, tröstet und fördert unseren Geist und unsere Kräfte in einem uns angemessenen Maß. Zum einen durch den Glauben, dann durch die Hoffnung, vor allem aber durch die Liebe.

 

1. Der Geist des Herrn erfüllt das All
mit Sturm und Feuersgluten;
er krönt mit Jubel Berg und Tal,
er lässt die Wasser fluten.
Ganz überströmt von Glanz und Licht,
erhebt die Schöpfung ihr Gesicht,
frohlockend: Halleluja.

2. Der Geist des Herrn erweckt den Geist
in Sehern und Propheten,
der das Erbarmen Gottes weist
und Heil in tiefsten Nöten.
Seht, aus der Nacht Verheißung blüht;
die Hoffnung hebt sich wie ein Lied
und jubelt: Halleluja.

3. Der Geist des Herrn treibt Gottes Sohn,
die Erde zu erlösen;
er stirbt, erhöht am Kreuzesthron,
und bricht die Macht des Bösen.
Als Sieger fährt er jauchzend heim
und ruft den Geist, dass jeder Keim
aufbreche: Halleluja.

4. Der Geist des Herrn durchweht die Welt
gewaltig und unbändig;
wohin sein Feueratem fällt,
wird Gottes Reich lebendig.
Da schreitet Christus durch die Zeit
in seiner Kirche Pilgerkleid,
Gott lobend: Halleluja.

Maria Luise Thurmair, GL 347 / EG 554

Link zu allen Pfingstbildern der Künstlerin

zu gast mahl

Ein dreifacher Dreiklang klingt durch das von geometrischen Formen geprägte Bild. Farblich ertönt er durch den gelben Hintergrund, die dunklen Balken und die roten Dreiecke. Formal finden sich Quadrat, Rechteck und Dreieck wieder und jedes Element ist mehr oder weniger mit der Zahl Drei verbunden.

Ein warmes Gelb bildet den haltgebenden Rahmen für die nach innen und nach unten führenden farblichen Abstufungen, die im zentralen Freiraum des Quadrates ihre Ruhe finden. Diese „Mitte“ befindet sich über dem von links eingerückten waagrechten schwarzblauen Rechteck, welches die Basis für diese unsichtbare Gegenwart darstellt.

Die vertikalen Rechtecke sind schlanker und länger geformt als die Basis. Aber die gleiche Fläche und Farbe verbindet die drei Rechtecke und lässt eine von der linken Seite der liegenden Form ausgehende und über das äußere Rechteck aufsteigende Bewegung entstehen, die am oberen Ende des erhöhten und genau in der senkrechten Bildmitte angeordneten Rechtecks endet.

So überlagert sich die absteigende Bewegung der gelben Elemente mit der aufsteigenden Bewegung der dunkelblauen Elemente. Gleichsam als Symbol für diese Begegnung können die beiden roten Dreiecke gesehen werden, die sich auf der linken Seite des Quadrates mit der rechtwinkligen Spitze berühren. Das große Dreieck zeigt nach unten, das kleine Dreieck nach oben. Zusammen bilden sie eine stilisierte Kelchform, die neben der „freien Mitte“ über dem altarähnlichen Rechteck schwebt. Der Künstler erweist damit eine Referenz an die „Dreifaltigkeitsikone“ von Andrei Rubljow und weitet gleichzeitig die Symbolik der beiden Dreiecke, so dass sie auch als lebendiges Miteinander von Himmel und Erde oder als herzliche Zuneigung von Gott und Mensch gesehen werden können.

Die dreistufige Lichtmanifestation erinnert in Verbindung mit den drei tiefdunkelblauen Figuren und dem roten Kelch an Abrahams Begegnung mit Gott bei den Eichen von Mamre (vgl. Gen 18,1-15). In der „Hitze des Tages“ hat er in den drei Männern Gott erkannt und ihnen ein Gastmahl bereitet. In der Symbolik des modernen Meditationsbildes schwingt der Geist und die Bewegung dieser einzigartigen Begegnung mit: Im mehrfachen Dreiklang atmend, Gottes Anwesenheit und Abwesenheit gleichzeitig vergegenwärtigend (vgl. Jer 23,23), sie offenbarend im Licht und im Kelch, sie partiell verdeckend und verhüllend durch die schwarzblauen Rechtecke bzw. sie verbergend im unergründlichen Dunkel des Nachtblaus selbst.

Werke von Thomas Lauer waren bis zum 18. Oktober 2020 in der “Kunst am Berg”-Ausstellung “Wann reißt der Himmel auf?” in der Feldbergkirche zu sehen.

Trinität

Ganz hell präsentiert sich dieses dreiteilige Bild. Bis auf drei dunklere Bereiche sind alle Farben so stark aufgehellt, dass das Dargestellte nur wie durch einen Nebelschleier hindurch zu erkennen ist.

Irgendwann assoziieren wir das Dargestellte vielleicht mit drei menschenähnlichen Gestalten, die sich um eine gelbe Mitte versammeln, denn der Bildaufbau verwendet die gleichen Hauptelemente wie Andrej Rubljow am Anfang des 15. Jahrhunderts in seiner berühmten Dreifaltigkeitsikone. Doch während dieser die drei göttlichen Personen durch Engelsgestalten darstellte, deutet Bernd Zimmer sie als energiegeladene Außerirdische in einer transzendenten Atmosphäre an. Beim einen sind sie um den Tisch (Altar) mit Schale und Brot versammelt, beim anderen um ein lichtes Ereignis in ihrer Mitte. Sind die drei göttlichen Personen in der Ikone als solche klar erkennbar, steht man beim Triptyk eher einem Rätsel gegenüber. Hier wird zweifelsfrei eine Trinität dargestellt, die im Wesen eins ist, aber sie entspricht nicht unseren Vorstellungen, sondern ist anders als wir. Es bestehen wohl Ähnlichkeiten, so dass wir bei ihnen von einem Körper und einer Art Kopf sprechen können, aber Gott bleibt der Nicht-Darstellbare, der ganz Andere.

Wie hat sich Bernd Zimmer nun dennoch bildlich ihm angenähert? Als erstes wählte er drei gleich große Leinwände, die er durch die Farben und das gleiche Motiv zu einem Triptyk vereint. Dann stellt er die drei Gestalten in ein blendend helles Licht, so dass sie wie auf einem überbelichteten Foto nur ganz schwach zu erkennen sind. Je nach Lichteinfall sind sie mehr zu erahnen als zu sehen. Ihre Körper bestehen aus weißen Energieströmen, die von einer gelben Mitte auszugehen scheinen und individuell zu drei aufrechten Gestalten aufsteigen und je in einem kopfähnlichen Gebilde enden. Diese bestehen stets aus einer dunkleren, grünlicheren Innenform (rechts am wenigsten), bräunlichen Strichzeichnungen, in denen Kopfformen ausgemacht und Gesichtszüge gesehen werden können sowie mit etwas Abstand dazu einer rundlicheren Umrisslinie, die an die Außenform einer Glühbirne oder gar an einen Heiligenschein denken lässt.

So wie die „Köpfe“ eine dreiteilige Erscheinung haben, so durchzieht das Thema „Trinität/Triade“ die Arbeit in immer neuen Variationen. Wir haben ein dreiteiliges Bild mit drei gleichbedeutenden Gestalten, deren Einheit nur durch die Trennung der Leinwände unterbrochen wird. Jede Gestalt besteht im Wesentlichen durch eine grau-weiße, bzw. in der Mitte durch eine gelb-weiße körperliche Abgrenzung vom lindgrünen Hintergrund (je drei Farben) und dem dreifach ausgeformten einen „Kopf“.

Die drei Gestalten sind um das leuchtend gelbe Ereignis versammelt, das wiederum von einer kreisrunden Mitte auszugehen scheint. Etwas Spritziges wohnt diesem Ereignis inne, ebenso etwas Leichtes im schwebenden Überlagern der anderen Farben, etwas Vereinendes im Übergreifen auf die seitlichen Bildteile. Wie von einer gemeinsamen Energiequelle scheinen die Drei aus diesem einen Wesen zu leben.

Der Künstler bleibt in seiner Darstellung der Trinität offen. Er hat mit den „schemenhaften weißen Phantasmen“ … „eine Figuration, die aber ohne Identität ist“ geschaffen, eine Präsenz, „die eine kultische Assoziation zulässt, ohne sie zu definieren“ (Walter Grasskamp im Gespräch mit Bernd Zimmer in: Das menschliche Format, S. 41/43, München 2010). Für den Künstler muss das Bild „als strahlende Erkenntnis erscheinen, die Nichtfarbe Weiß, fast neutral in ihrer Erscheinungsform, muss den Bildraum bestimmen. Eine weiße Leinwand, gleich einer durchbrochenen Nebelwand, symbolisiert die Anwesenheit des Undarstellbaren“ (ebda.).

So kann das Bild durch die drei Gestalten mit der Erscheinung Gottes an Abraham bei den Eichen von Mamre (Gen 18,1-15) verbunden werden, durch das feurige Ereignis in der Mitte aber genauso gut mit der Erscheinung Gottes an Mose im brennenden Dornbusch, bei der er sich als „Ich-bin-da“ offenbarte (Ex 3,14). Er ist der Lebendige, der aus seiner Mitte heraus der ganzen Schöpfung Leben schenkt. Nicht nur den Menschen hat er als sein Abbild geschaffen (Gen 1,27), sondern auch des Menschen Familie, die traditionell aus Vater, Mutter und Kind besteht. Vielleicht verbinden wir gerade wegen dieser ursprünglichen Erfahrung so viel mit der Zahl Drei. So kann eine dreifache Manifestation kein Zufall mehr sein und steht somit für ein glaubwürdiges Zeugnis. Gleichzeitig deutet sie auf Vollkommenheit hin. In dem Sinne hat die Zahl Drei als eine allumfassende Zahl in vielen Religionen vielseitige Anwendung gefunden (u.a. z.B. Erde, Himmel, Hölle; Glaube, Hoffnung, Liebe), im Christentum ganz ausgeprägt im dreieinigen Gott. Er ist die Fülle des Lebens, aus der alle leben, in ihm findet auch alles Leben seine Vollendung. Und ist es nicht so, dass das Leben gerade in den Beziehungen seine Vollkommenheit erfährt, in der gelebten Liebe zu Gott und zu den Mitmenschen? – Auch da ist uns die Trinität Vorbild.

Wir sind da

Bescheiden stehen die drei Worte auf einer großen weißen Wand. Wer nicht achtgibt, läuft an ihnen schlichtweg vorbei. Bei diesen von Hand mit Fineliner auf die Wand geschriebenen Worten könnte es sich ja auch um eine Wandschmiererei handeln, um eine in jugendlicher Unbekümmertheit oder Frechheit angebrachte Botschaft. Dieses „Wir sind da“ steht im Zeitgeist von „Wir sind Deutschland“, „Wir sind Papst“ (Bildzeitung 20. April 2005) und einem „Yes, we can“ des amerikanischen Volkes. Doch wer ist „wir“? Geht es dabei um ein Volk? Und wo „sind“ diejenigen, die „da“ sein sollen? Auch derjenige, der geschrieben und diese geheimnisvolle Spur hinterlassen hat, ist nicht mehr da.

Mit diesen drei Worten werden gleichzeitig Anwesenheit und Abwesenheit angesprochen. Die Worte zeugen von einer Gegenwart, von einer spürbaren Präsenz. Aber sie verbirgt sich namenlos hinter den drei Worten „Wir sind da“. Dennoch geschieht hier Offenbarung. Offenbarung, die einerseits an die Selbstkundgebung Gottes in der Wüste erinnert, als sich Gott dem Mose aus dem brennenden Dornbusch heraus als „Ich bin der ICH BIN DA“ mitgeteilt hat (Ex 3,14).

Andererseits mag der Schriftzug in seiner mysteriösen Erscheinung an die Warnung Gottes an den König Belschazzar (mene mene tekel uparsin) erinnern, die der Prophet Daniel übersetzen muss, damit der König sie versteht (Dan 5). Allerdings wird in unserem Fall kein drohendes Unheil verkündet. Vielmehr kann das „Wir sind da“ als ein Statement gelesen werden, als eine Einladung. Wir sind da. Du kannst nun kommen. Du bist herzlich willkommen.

„Ganz offensichtlich ist dieser Schriftzug nicht die Präsenzfanfare aus dem Munde eines Pluralis Majestatis, sondern die Bekundung auf einer Art Notizzettel in einem sehr vertrauten Kontext.“ (J. Rauchenberger) Diese Präsenz ist für alle da, gerade auch für die kleinen Leute (vgl. Mt 5,3-12).

Es bleibt die Frage nach dem „Wir“ in dieser Kundgebung. Geschah die Ich-Aussage Gottes zur Zeit Mose in einem polytheistischen Umfeld, in dem es darum ging, den einen wahren Gott zu manifestieren? Entstand die Wir-Aussage zu Gott im Rahmen eines Kunstwettbewerbs, in dem neue künstlerische Positionen zum Thema Trinität gesucht wurden? Im „Wir“ fasst der Künstler Markus Wilfling die vor gut 2000 Jahren sich herauskristallisierende christliche Glaubenserkenntnis zusammen, dass der eine Gott sich uns als Vater, Sohn und Heiliger Geist offenbart und für uns da ist. So steht das „Wir sind da“ voll und ganz in der christlichen Tradition und verkündet doch hochaktuell den mit keinem unserer Sinne fassbaren Gott, obwohl er in seinem Wesen durch und durch dem Menschen zugewandt ist.

In seiner radikalen Einfachheit hört sich das „Wir sind da“ auch wie ein Werbeslogan an. Ganz schlicht tönt er, ohne bildliche Darstellung und ohne in die Augen springende Farbe. Die drei Worte werben nicht für etwas Materielles, das man kaufen kann, sie kommen auf einer tieferen Ebene an. Sie scheinen einen Widerhaken zu haben, der sich im Gedankengut des Lesers einnistet zu einer selbstverständlichen, stärkenden Gegenwart. – Doch brauche ich eigentlich diese verborgene Präsenz dessen, der da ist und keine leeren Worte macht, sondern hält, was er verspricht? Brauche ich diesen: „Wir sind da“?

Göttliche Gemeinschaft

Drei geometrische Formen sind in rotbrauner (blutroter) Farbe auf das Blatt gemalt worden. Alle drei Formen haben in etwa die gleiche Größe und scheinen mit dem gleichen breiten Pinsel in je einem Arbeitsgang sorgfältig aufgetragen zu sein. Zuerst das Viereck oder Quadrat, dann das gleichschenklige Dreieck, zuletzt – und dadurch für den Betrachter zuvorderst – der Kreis. Zusammen ergeben sie eine neue Formierung, erhalten sie eine zusätzliche Ausdruckskraft.

Jede der drei Formen besitzt mit der umschlossenen Innenfläche ein ausgeprägtes eigenes Zentrum. Dieses bildet gleichzeitig einen tragfähigen Sitz für einen Teil der anderen Form, seien es die unteren Ecken des Dreiecks, die durch die Zentren des Quadrates und des Kreises gehalten werden, sei es der Zwischenraum derselben im Dreieck.

Während Quadrat und Kreis partnerschaftlich nebeneinander angeordnet sind, ist das Dreieck als Zwischenform von links nach rechts wie von hinten nach vorne verbindend in sie eingeordnet.

Jede der drei Formen ist eine geometrische Grundform. Einfacher geht es nicht. Sie lassen sich nicht noch mehr reduzieren. Unverwechselbare Gestalt. Symbolhaft. Eigenständig.

Und doch sind sie zueinander und miteinander in Beziehung. Um Gemeinschaft zu werden, lassen sie nicht nur Nähe zu, sondern auch Überlagerungen und gestaltete Einheit.

Können so einfache geometrische Formen auf Gott hinweisen? Vermögen sie symbolisch von einem Gegenüber zu sprechen, das sich uns in dreigestaltiger Wesensart offenbart und uns als Vater, Sohn und Heiliger Geist begegnet? Können die abstrakten Grundformen den drei Seinsweisen von Gott zugeordnet werden?

Dadurch, dass Quadrat und Kreis partnerschaftlich nebeneinander stehen, können sie als Symbole für den Vater und den Sohn gedeutet werden. Das verbindende Dreieck weist auf den Heiligen Geist hin, der dem Glaubensbekenntnis nach aus dem Vater und dem Sohn hervorgegangen ist. Ob nun Kreis oder Quadrat den Vater bzw. den Sohn symbolisieren, hängt von der Lesart ab: Zum einen könnte der Kreis den Sohn darstellen, weil er uns am nächsten dargestellt ist. Durch ihn haben wir im Heiligen Geist Zugang zum Vater, der die Welt erschaffen hat und deshalb mit einem Quadrat versinnbildlicht werden kann, denn die vier Seiten entsprechen den vier Himmelsrichtungen und weisen auf das Weltall hin. Es könnte aber genauso gut umgekehrt sein. Der Kreis könnte, weil er keinen Anfang und kein Ende hat, für den Vater stehen, der von Ewigkeit her lebt und mit dem Sohn und dem Heiligen Geist zusammen Leben schafft. Das Quadrat wäre dann Symbol für den Sohn, weil dieser in Jesus Christus irdisch geworden ist: ein Mensch dieser Welt. Alles sind Versuche, die Unbegreiflichkeit Gottes durch Symbole in unsere Vorstellungskraft zu holen.

Erstaunlich, wie gut die abstrakten Formen den an sich genauso abstrakten Gottesbegriff zum Leben erwecken. Doch … können die Formen auch irdisch-menschlich gelesen werden? Die meisten von uns verbinden den Kreis, die runde Form, gefühlsmäßig mit der Frau, während das Viereck eher dem Mann zugeteilt wird. Und … Mann und Frau stehen doch im Idealfall wie Quadrat und Kreis gleichberechtigt nebeneinander und zueinander! Könnte dann nicht – erhöht und die beiden „Irdischen“ von Mitte zu Mitte verbindend – das Dreieck als Symbol für die göttliche Dreifaltigkeit gelesen werden, als transzendente, verbindende Ebene, aus der Liebe strömt: zueinander, über die Zweiergemeinschaft hinaus und zu Gott oder dem Nächsten?

Osterlicht

Frohe Ruhe strahlt dieses Bild aus. Liegt es am fast symmetrischen Aufbau oder an den weichen Farbtönen? Oder weil das weiße vertikale Band die verschiedenen Bildelemente durchquert und zusammenhält? Aber auch die schwarze waagrechte Form und das hellblaue Feld, beide im unteren Bereich des Bildes positioniert und durch die helle Vertikale wie an einem Pendel fest mit dem dunkelblauen Element am oberen Bildrand verbunden, tragen ihren Teil dazu bei. Zudem scheint das warme Gelb auf dem weißen Hintergrund zu schweben und vermittelt sonnige Leichtigkeit.

Aber andererseits prägt die dunkle Form das Bild an zentraler Stelle und die dunklen Schatten an den Rändern bilden einen düsteren Hintergrund für das Geschehen. Hier kommen Leid und Tod unübersehbar zur Sprache. Aber die sargähnliche Form ist aufgebrochen und kann den Verstorbenen nicht festhalten, die dunkle Vergangenheit ist verdrängt durch einen neuen Zeitraum, der von warmem Licht erfüllt ist.

Der Grund für diese alles verändernde Verwandlung muss in der breitbandigen Mittelachse liegen. Sie scheint aus dem souverän am oberen Bildrand schwebenden Element mit den drei hellen Kreuzen herauszufließen, um das in der Tiefe Ruhende zu hinterfangen und am unteren Bildrand in den schmalen weißen Saum mündend auch alles zu umfassen. Es ist, als wolle damit angedeutet werden, dass dieses von oben Kommende die tragende und letzte Wahrheit allen Geschehens ist – nicht das Leid und nicht der Schmerz, und auch nicht der Tod.