Geben und verbinden

Wie im antiken Theater, so mutet sie an, diese Szene, in deren Mitte Elisabeth agiert. Eine Gasse aus Menschenleibern durchschreitend. Erst der zweite Blick lässt die Menschen als Bettler, Gebrechliche oder Behinderte erkennen. Dicht gedrängt erheben sie ihre Hände.

Der Gestus des Gebens und der des Nehmens bestimmen das Beziehungsgefüge. Elisabeth, die Almosen verteilt und die Bedürftigen, die empfangen. Nicht immer ist die Gestik eindeutig. Während die Bettler in den vorderen Reihen den direkten Kontakt zu Elisabeth haben und nehmen dürfen, müssen die bereits versorgten sich gegenseitig etwas geben – weitergeben. Der diametrale Gestus erfährt seine Steigerung in der Form der Gloriole und in der irdischen Abgehobenheit der Bettler, die geradezu wie in einem Schwebezustand verharren. Sie sind die Beschenkten und müssen sich Gott selbst zum Geschenk machen.

Betrachtet man davon ausgehend die Verortung der Akteure, dann erscheint es entgegen aller landläufigen Meinung widersprüchlich, dass gerade die Heilige auf dem Boden der irdischen Wirklichkeit steht und der Last des Lebens begegnet und die von Trübsal geplagten Elenden dem Himmel näher sind und keine Bodenhaftung besitzen. Hier entlarvt sich der Trugschluss.

Heilige sind nicht heilig, weil sie weit entfernt von alltäglichen Lebensmustern sind, nein, gerade weil sie wie Leuchtfeuer mitten im Morast des Lebens stehen und nachhaltig wirken. Elisabeth muss auf das Drängen der Elenden reagieren, ob sie will oder nicht! Sie hat sich entschieden, im Ordensgewand des Dritten Ordens der Töchter des heiligen Franziskus den steinigen Weg weiterzugehen, zu strahlen und sich mit und in der Welt zu vernetzen, so wie es das Weißliniengeflecht der Schnittlinien, die sich in der Figur der Heiligen zentrieren, im Bild widerspiegeln. Um ihre im Franziskanerbraun gehaltene Gestalt, die klar und ohne Überschneidung im Zentrum des Geschehens steht, ziehen sich verschiedene Kreise. Ihre Arme spannen eine Diagonale, die gebeugte Haltung den Bogen zu den Menschen, die weißen Linien ein Strahlenbündel und um sie herum entsteht sogar ein Leerraum.

Selbst sie steht auf einer mit Lorbeer verzierten goldenen Rahmenleiste, die wie ein Schmuckbord wirkt und das unerschöpfliche Tun Elisabeths als fließende Bewegung darstellt. Das Rahmenfragment deutet einerseits auf den Rahmen ihrer Möglichkeiten hin, in dem sich ihr Wirken entfalten konnte, zeigt aber auch die Grenze zwischen zwei Welten, in denen sich Elisabeth, wie alle Heiligen, die stets Grenzgänger waren und sein werden, bewegte.

„Engel der Barmherzigkeit“

Beim Anblick der beiden Skulpturen hat man den Eindruck, zwei jungen Frauen unserer Zeit gegenüberzustehen. Anmutig, elegant und mit würdevoller Ausstrahlung treten sie uns entgegen. Treten? – Scheinen die beiden nicht vielmehr zu schweben? So sehr ihre bewundernswerte handwerkliche Ausführung eine reale Präsenz nahelegt, sie wird durch die aus dieser Perspektive unsichtbaren Füße, die auf der Unterseite negativ ins Holz geschnitzt und vergoldet sind, gebrochen.

Dennoch vergegenwärtigen die beiden Figuren auf eindrückliche Weise zwei Frauen, die durch ihr Glaubenszeugnis über Jahrhunderte hinweg „goldene Fußspuren“ der Nächstenliebe in der Gesellschaft hinterlassen haben. So auch als geistige Mütter der nach ihnen benannten Klinik in Halle. In der Krankenhauskapelle ehren die beiden Holzfiguren das selbstlose Handeln der hl. Elisabeth und der hl. Barbara in der Not und der Bedrängnis ihrer Zeit. Gleichzeitig bewegen sie die Besucher der Kapelle, aus dem Glauben und aus der Liebe heraus ebenso wie sie am Mitmenschen zu handeln und so gewissermaßen zu guten „Engeln“ für den Nächsten zu werden.

Die detaillierte Beschreibung der Figuren der beiden Persönlichkeiten sei hier Dr. phil. Joachim Penzel überlassen, der im Jahrbuch „alte und neue Kunst“ Band 43, 2006 des Vereins für Christliche Kunst in den Bistümern der Kirchenprovinz Paderborn e.V. unter dem Titel „Poetisches Heiligenkarussell“ (S. 31-32) in sehr schönen Worten auf das Besondere dieses Werkes eingeht.

„Wie von einem ruhigen, körperlosen Atem bewegt kreisen ein kleiner Turm und eine dornenreiche Rose mit einer kaum spürbaren, geradezu poetisch anmutenden Langsamkeit hoch über den anmutig lächelnden Häuptern zweier Frauenfiguren. Spielerisch werden die mit einem weißen Anstrich entmaterialisierten Attribute der hl. Elisabeth und der hl. Barbara als dynamische Heiligenscheine interpretiert. Die endlose Bewegung des Mobiles verzaubert den Betrachterblick und lässt die ikonographische Bestimmung der beiden Frauen zum unlösbaren Rätsel werden. Zugleich verführt dieses so zeitgemäß erscheinende Identitätskarussell zum genauen Wahrnehmen der beiden Heiligen, die als autorisierte Fürbitter zwischen der irdischen Welt der Menschen und einem im festen Glauben geahnten Jenseits vermitteln. Seit dem hohen Mittelalter gelten die beiden Frauen als Vorbilder für eine fromme, selbstaufopfernde Lebensführung. Die hl. Barbara hat sich in ihrem Glauben auch von ihrem tyrannischen Vater, der sie erst aus Hab- und Eifersucht in einem Turm gefangen hielt und schließlich in rasender Selbstbesessenheit ermordete, nicht erschüttern lassen. Die hl. Elisabeth von Thüringen verpflichtete sich trotz ihres königlichen Geblüts dem franziskanischen Armutsideal und stiftete ihren irdischen Besitz für die Gründung eines Spitals zur Armenfürsorge. Als Patroninnen des Handwerks und des Bergbaus, der Krankenpflege und Armenhilfe standen beide Heiligen den unteren Volksschichten immer besonders nahe.

Die kompakten Formen der Kleider verleihen ihnen den Ausdruck eines engelgleichen Schwebens und die anatomische Genauigkeit von Armen und Schultern sowie die Portraitähnlichkeit lässt sie als nahe Verwandte heutiger Menschen erscheinen. In ihrem jugendlichen Glanz entsprechen sie einem gegenwärtigen Schönheitsideal und sind doch in ihren langen, wehenden Gewändern und ihren mit strenger Keuschheit gebundenen Frisuren in die zeitlose Sphäre jenseitiger Seligkeit entrückt. Ihr heiteres Lächeln trägt die Liebe als frohe Botschaft in die Herzen; die in schwesterlicher Zuneigung verschränkten Arme sprechen von religiöser Verbundenheit und Nächstenliebe; in sanfter Berührung falten sich die Hände zu einem gemeinsamen Gebet. Zwar wirkt die realistische Bildsprache der beiden Heiligenfiguren in der Krankenhauskapelle als Antithese zu der in abstrakten Formen präsenten Geistigkeit, aber gerade diese Menschenähnlichkeit vermag das zeitlose Ideal karitativer Nächstenliebe überzeugend zu vermitteln.“

Das Jahrbuch mit dem ganzen Beitrag von Herrn Dr. Penzel zur Krankenhauskapelle kann beim Verein für Christliche Kunst e.V., Domplatz 3, 33098 Paderborn (Tel. 05251 / 125285 oder Mail an: bauamt@erzbistum-paderborn.de) bezogen werden.