In dieser Wandnische der Rosenkranzkirche in Osnabrück ranken vier rote, flammen- oder wurmähnliche Formen zum Glasfenster hoch. Allen ist eine horizontale Basis eigen, aus der längliche Formen hervorgehen, die an liegende, sitzende, kniende Menschen erinnern, die sich nach Licht sehnen. Man erhält den Eindruck in einem Keller zu sitzen, in Gefangenschaft.
Die Konturen und Oberflächen dieser unförmigen Gestalten sind ganz unterschiedlich gestaltet und verweisen auf vielfältige äußere Einwirkungen. Da gibt es tiefe Einschnitte, die an Verletzungen mit einem Messer, aber auch an einschneidende und unvergessliche Erlebnisse erinnern können. Andernorts ist die Oberfläche wie von Bombensplittern zerfetzt aufgebrochen, die Ränder wie nach einer Explosion ausgefranst. Dann wieder findet man abgetrennte Glieder oder Bereiche, die sich aufzulösen scheinen. So sind überall Verletzungen zu sehen und Beschädigung des menschlichen Lebens und des Lebensumfeldes zu spüren.
Dazwischen finden sich mit Goldfarbe geschriebene Vor- und Nachnamen. Sie erinnern an das Schicksal von zwölf niederländischen und italienischen Zwangsarbeitern, denen beim Bombenangriff der Alliierten am 16. Februar 1945 auf Grund ihrer nicht-arischen Herkunft der Zutritt zum Bunker am Schinkelberg in Osnabrück verwehrt worden war. Darauf waren sie in den Keller der Rosenkranzkirche geflüchtet, die jedoch durch einen Volltreffer total zerstört wurde, so dass alle Zwölf darin den Tod fanden.
Im Zuge der Renovierungsarbeiten und Umbaumaßnahmen 2013/2014 sollte das Mahnmal, das schon 2003 unter der Leitung des damaligen Religionslehrers der Gesamtschule Schinkel, Heinrich Munk, durch eine Schülergruppe gestaltet worden war, erneuert werden. Wiederum nahm sich eine Schülergruppe der Gesamtschule Schinkel dieser Aufgabe an. Der Kunstkurs entwickelte Konzepte für die Neugestaltung und unterbreitete dem Bauausschuss der Gemeinde vier Vorschläge. Dieser entschied sich für den Entwurf, bei dem das Rosenmuster der Kirchenfenster blutig rot an den Wänden fortgesetzt wurde.
Für die Überarbeitung und Ausführung des Entwurfs wurde der Künstler Tobias Kammerer beauftragt. Unter seiner Anleitung konnten die Schülerinnen des Kunstkurses in einer Projektwoche ihren Entwurf selbst auf die Wand übertragen (Bild 1, Bild 2, Bild 3). Während die einen an der Wand direkt arbeiteten, bereiteten andere die Schablonen für die Namen der zwölf Opfer vor, wiederum andere kümmerten sich um die Dokumentation der Arbeit, machten einen Flyer zur Gedenkstätte oder sorgten für das leibliche Wohl der Arbeitsgruppe.
Von den alten Glasfenstern mit dem Thema der schmerzhaften Rosenkranzgeheimnisse ausgehend zeichnet sich die Malerei weiter. Die Farbe Rot steht für den Schmerz, den diese Leute erlitten, gleichzeitig verweist sie auf das Martyrium Christi. Die roten Farbfelder erinnern an die Zerbombung Osnabrücks und das Flammenmeer jener Tage. Das Kreuz in der Wandmitte stand seit 1914 am Hochaltar über den Tabernakel. Es wurde nach dem Bombenangriff in den Trümmern wiedergefunden und als Assoziation zu den Opfern dort angebracht. Die in Gold gemalten Namen der Opfer bilden eine Farb- und Symbolverwandtschaft zu der Auferstehungsthematik an der Chorwand.
Am 19. Januar 2015 wurde den Schülerinnen des Kunstkurses für die Realisierung dieser Gedenkstätte der zweite Platz des Niedersächsischen Schülerfriedenspreises verliehen.
Persönlich hat mich beeindruckt, dass die damalige Arbeits- und Lebensgemeinschaft der Zwangsarbeiter in Osnabrück durch dieses Projekt bereichsübergreifend (Schule/Kirche und Schülerinnen/Künstler) und auf seine Weise in unserer Zeit fortgesetzt wurde. Es wird damit eindrücklich gezeigt, dass Gemeinschaft einem Geist entstammt und eine verbindende Kraft bildet, die keine Grenzen kennt.