Buchstäbliche Auflösung

Unzählbar viele Buchstaben türmten sich im November 2007 in der evangelisch-reformierten Kirche in Zürich-Witikon vor dem Besucher auf einer großen schwarzen Metallplatte auf. Die Buchstaben waren als Suppeneinlagen allen bekannt, vom Aussehen her sogar vertraut.

Aber das Auftauchen der Suppenbuchstaben in der Kirche war doch verwirrend. Wieso Suppenbuchstaben? Warum diese Anhäufung? Lose liegen die einzelnen Buchstaben unter-, über- und nebeneinander. Der Zufall hat kein Wort ergeben. Ohne menschliches Zutun haben diese Buchstaben ebenso wenig eine geistige Bedeutung wie die Buchstaben in einer Suppe.

Da die Suppenbuchstaben in einer Kirche – und erst recht einer Kirche der Reformation – angehäuft wurden, drängt sich die Vermutung auf, dass sie etwas mit DEM Wort zu tun haben: dem Wort Gottes. Tatsächlich wurden alle Buchstaben in der neuen Zürcher Bibel gezählt und durch die entsprechende Anzahl eines jeden Buchstabens als Suppenbuchstaben auf der Metallplatte, auf der jedes Jahr das Osterfeuer brennt, sichtbar gemacht. Am meisten kommen die Buchstaben E und G vor (571.347 x), am seltensten das X (144 x).

3.402.248 Buchstaben sind eine beeindruckende Anzahl. Doch das kann nicht alles sein. Ohne den ordnenden und sinngebenden Rahmen der biblischen Bücher wären sie bedeutungslos. Es muss also einen weiteren Grund geben, dass der Künstler die Aktion in einer Kirche durchgeführt hat. Noch haben wir nicht hinterfragt, warum der Künstler Suppenbuchstaben verwendet hat. Um die Anzahl zu visualisieren, hätte er die Buchstaben der Bibel auch ausstanzen oder in einem anderen Material sichtbar machen können.

Suppenbuchstaben sind zum Essen vorgesehen. Sie wollen verzehrt werden. Und darum ging es auch Hans Thomann. Er wollte die Gemeinde darauf aufmerksam machen, dass die Texte der Bibel nicht nur gelesen, sondern verinnerlicht, angeeignet werden, immer mehr wesentlicher Bestandteil von uns werden. Interessanterweise entspricht das Gewicht der 3,4 Millionen (Suppen)Buchstaben der Zürcher Bibel mit 74,875 kg ungefähr demjenigen eines „durchschnittlichen“ Menschen. Wie DAS Wort in Jesus Christus Mensch geworden ist, soll auch Gottes Wort in der Heiligen Schrift in uns Gestalt annehmen, uns immer mehr zu seinen Menschen gestalten.

Der Anspruch geht damit weit über den Brauch der sogenannten Fresszettel hinaus, bei dem kleine Stücke aus den Seiten der Bibel herausgerissen und gegessen wurden, um die Genesung der Patienten zu fördern. Im Rahmen des Martinimahls und dreier Suppentage im Januar wurde die Gemeinde eingeladen, sich die Bibel einzuverleiben.

Ein schönes Symbol, das viele Parallelen zur Bibelmeditation aufweist. Die Buchstaben müssen eingeweicht, essbar gemacht werden, so wie die Bibeltexte gelesen werden und ihnen ein Sinn abgerungen wird. Oft ist dabei ein wiederholtes Lesen notwendig, ähnlich dem (Wieder)Kauen im Geiste, dem Hin- und Herbewegen, um seine Bedeutung für mich zu verstehen. Dabei werden die Worte und einzelnen Buchstaben aufgelöst und erhalten – ihrem Ziel zugeführt – in Leib und Seele eine ganz neue, individuelle Bedeutung, die durchaus stärkend und heilsam sein soll.

Konsum-Mandala

Wie eine Stadtlandschaft breitet sich dieses Kunstwerk auf dem Boden aus. Die einzelnen Teile der Installation stehen wie in verdichteter Bauweise ineinander verschachtelt da und bieten eine verwirrende Farben- und Formenvielfalt. Beim Nähertreten offenbart sich die idyllische Stadtlandschaft allerdings als eine Ansammlung von Konsumgegenständen, bzw. von deren Abbildungen.

Gesucht und zusammengetragen aus unzähligen Zeitschriften, Katalogen und Werbebroschüren wurden sie ausgeschnitten und auf Pappkarton aufgeklebt. Je zwei farblich gleiche Abbildungen dieser käuflich erwerbbaren Gegenstände wurden kreuzweise miteinander verbunden, um ihnen Stand zu verleihen. Die Rückseiten sind unbeklebt. Dadurch ergibt sich beim Umschreiten des Mandalas stets ein anderes Bild: Mal sind vor allem die hellen, einfarbigen Rückseiten zu sehen, dann nur eine Bildfläche, in der Diagonalansicht wiederum die erschlagende Fülle aller Gegenstände: Lebensmittel, Autos, Möbel, Elektronikgeräte, Spielsachen, Kleider, Kosmetika, Werkzeuge, Haushaltsgegenstände, Musikinstrumente, Kunstwerke, etc.

Geduld, Ausdauer und ein meditatives Schauen waren nötig, um die Abbildungen nach Farben zu ordnen. Um eine rechteckige grüne Mitte gruppieren sich in vier Kreissegmenten rote, blaue, gelbe und weiße Objekte. Danach folgt ein orange-brauner Bereich, der wie durch eine quadratische Mauer von schwarzen Gegenständen eingegrenzt ist. Anschließend bildet ein weiß-schwarzer Bereich den Übergang zu einem Kreis, dem konzentrisch weitere, je ein gelber, blauer und roter Kreis folgen. Den äußeren Abschluss bildet ein niedrig gehaltener schwarzer Kreis.

Der dreiteilige Aufbau strahlt etwas Sakrales, Heiliges aus. Die einmalige grüne Fläche in der Mitte des Mandalas lässt an das Paradies denken, in dem Gott Bäume wachsen ließ, die „verlockend anzusehen und mit köstlichen Früchten“ behangen waren (Gen 2,9). Im Mandala sind die Verlockungen unserer Zeit zur Betrachtung vereint worden. Die vielen Abbildungen, die normalerweise um die Gunst der Konsumenten werben, sie beeinflussen und zum Kauf verführen sollen, regen nun in der Konzentration dieses Mandalas zum Denken an.

Sinnigerweise bilden die kreuzförmigen Objekte der Abbildungen in dieser Stadtlandschaft nur Fassaden und leere Räume. Kein Mensch ist zu sehen. Die Konsumgegenstände sind das Wesentliche dieser Stadt geworden. Der Mensch, der sie geschaffen hat und dem sie eigentlich zu Diensten stehen sollten, ist durch die erschlagende Fülle verdrängt worden. Nicht mehr er steht im Mittelpunkt, sondern die Ware und der Gewinn, der sich damit erwirtschaften lässt. Insofern ist dieses Mandala ein Abbild unserer Welt, die zu einem alles beherrschenden Supermarkt verkommen ist, in dem nur das Geld zählt. Durch die Anhäufung dieser Gegenstände wird der Betrachter nach der Bedeutung dieser Produkte in seinem Leben gefragt. Vielleicht fühlt er sich mit ihnen paradiesisch wohl, vielleicht aber auch bedrängt. Für den einen mögen sie unverzichtbar und (über-)lebenswichtig sein, für den anderen ein belastendes und oftmals auch zerstörendes Übel.

Die alles beherrschende Konsumwelt stellt die Frage nach Gott. Worauf bauen wir unser Leben auf, an wen oder was binden wir uns? In den zehn Geboten sprach Gott zu seinem Volk: „Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen. Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott“ (Ex 20,5a).

Die aus Papierabbildungen und Karton gefertigte „Stadt“ legt eine Scheinwelt nahe, ein Blendwerk, das der Wirklichkeit entbehrt und ins Nichts führt (vgl. Jes 2,18; Jer 51,17). Trotz ihrer verführerisch glänzenden Darstellung suggeriert gerade ihr äußerst vergängliches Material, dass der Wert des angepriesenen Gegenstandes nicht von langer Dauer ist. Auch der Besitz noch so vieler käuflich erwerbbarer Gegenstände kann den Hunger nach wahren Werten wie Vertrauen, Liebe, Gerechtigkeit, Anerkennung u.a.m. nicht stillen. Im Gegenteil! Eine Enttäuschung nach der anderen spornt wie in einer Teufelsspirale den Kauf von weiteren Gegenständen an – immer in der Hoffnung, damit zufrieden und glücklich zu werden.

Von oben gesehen bilden die vielen Gegenstände dieser „Konsumwelt“ eine unüberschaubare Anzahl von Kreuzen. – Bildet unsere Konsumgesellschaft eine durch ihren Konsum sich gegenseitig kreuzigende, zerstörende Gesellschaft? Bei der die einen, wie es das Mandala anschaulich darstellt, in einer überbordenden Angebotsfülle ihre Wünsche und Ansprüche immer höher schrauben, während die Menschen auf der anderen Seite so leer ausgehen, dass sie nicht einmal ihre Grundbedürfnisse befriedigen können? Erschreckend!

Das Mandala wirft virulent die Frage auf, was in unserem Leben sinnstiftend ist. Wer oder was bildet unsere Welt? Welche Menschen oder Gegenstände sammeln wir, um mit ihnen unsere Lebenswelt zu gestalten und glücklich zu werden? Ist unsere „Welt“ noch eine lebenswerte Stadtlandschaft oder ist sie dabei, zu einer künstlichen, dem Leben entfremdeten „Satt-„ oder „Stattlandschaft“ zu verkommen?

Dieser Bild-Impuls wurde in der Ausgabe 2/2006 der Zeitschrift “das münster”, Zeitschrift für christliche Kunst und Kunstwissenschaft erstveröffentlicht.

“Gebt ihr ihnen zu essen”

Ein Einbaum und eine schwer zählbare Menge an Tellern bilden dieses Kunstwerk. Das Boot ist schmal und lang, seine Form kann als elegant bezeichnet werden. Die Teller liegen im Mittelteil des Bootes und neben dem Boot, so als würden sie aus dem Boot herausfließen oder wie von einem unsichtbaren Fischernetz gehalten ins Boot gezogen werden (Detailbild).

Eine ungewohnte Kombination! Und doch sind beides Gefäße und Transportmittel. Das Boot trägt Menschen und Waren über das Wasser. Auf dem Teller werden Speisen angerichtet und gegessen. Beide stehen im Dienste des Menschen, sei es zur Fortbewegung oder zur Nahrungsaufnahme.

In den verschiedenen biblischen Geschichten vom Fischerboot vereinigen sich die beiden Themen. Die Fischer fahren mit ihrem Boot hinaus, um Fische zum Essen zu fangen. Die Installation vergegenwärtigt diese Szene und erinnert gleichzeitig an Jesus, der Fischer in seine Nachfolge berufen hat (Mk 1,16-20). Das Boot und die vielen Teller spannen auch eine Brücke zur Brotvermehrung. Mit dem Boot war Jesus mit seinen Jüngern in eine einsame Gegend gefahren, um allein zu sein (Mk 6,30-33). Da ihnen jedoch viele Menschen folgten und Jesus sie lange unterrichtete, tauchte bald die Frage nach der Verpflegung auf. Die Jünger wollten die Menschen wegschicken, doch Jesus sagte zu ihnen: „Gebt ihr ihnen zu essen!“ Sie machten sich auf und fanden im Volk fünf Brote und zwei Fische, über denen Jesus den Lobpreis sprach und die sie an alle verteilten. Zwölf Körbe mit Essensresten blieben übrig (Mk 6,37-44).

Doch von dieser Fülle ist im Kunstwerk außer der Vielzahl der Teller nichts zu sehen. Die Teller vor uns sind leer. Viele liegen verkehrt herum da, wie achtlos weggeworfen. Als Betrachter bleiben wir auf unserem Hunger sitzen.

Die Frage Jesu, die er nach seiner Auferstehung am See von Tiberias an seine Jünger gestellt hatte, könnte auch an uns gerichtet sein: „Habt ihr nicht etwas zu essen?“ Die Jünger antworteten ihm damals „Nein“, weil sie die ganze Nacht nichts gefangen hatten. Es ist, als hätten sie seinen Auftrag: „Gebt ihr ihnen zu essen!“ vergessen. Doch Jesus sagte zu ihnen: „Werft das Netz auf der rechten Seite des Bootes aus, und ihr werdet etwas fangen.“ Sie warfen das Netz aus und konnten es vor lauter Fischen nicht wieder einholen (Joh 21,1-6). Die Vielzahl der Teller erinnert an die 153 Fische (V.11), die symbolisch für die große Zahl der Gläubigen steht, welche die Jünger für Jesus gewinnen sollten.

Die Frage Jesu an die Jünger könnte unsere Frage an die Kirche sein: „Habt ihr nicht etwas zu essen?“ Eine geistige Nahrung, welche die ausgetrocknete Seele erquickt? Eine spirituelle Nahrung, welche den Geist belebt und ihn zu neuen Taten anspornt? Unser Hunger, unser Durst ist groß.

Sollten die Teller symbolisch für uns Menschen stehen, käme dem Material Blei eine besondere Bedeutung zu. Ohne religiöse Bindung, ohne Halt wären wir in Gefahr, in dieser Welt wie Blei im Wasser unterzugehen. Das Boot „Kirche“ und seine Mannschaft, die Glaubensgemeinschaft, sind unsere Retter, unser Leben. Doch sobald wir im „Boot“ gerettet sind, gilt auch uns der Auftrag Jesu: „Gebt ihr ihnen zu essen!“

Löffel

Auf diesem Blatt ist nur wenig zu sehen. Mit minimalen Mitteln ist die Bildfläche vertikal und horizontal in drei Teile gegliedert. Vertikal ist nur der mittlere Bereich gestaltet, der sich horizontal in eine untere schwarze und eine obere weiße Fläche teilt. Dazwischen, kaum wahrnehmbar, ein Löffel. Seine Länge entspricht der Breite dieses Bandes.

Der Löffel liegt genau zwischen Schwarz und Weiß. Die beiden Flächen berühren ihn nicht, bedrängen ihn nicht – frei liegt er zwischen ihnen. Bei genauerem Hinsehen sind in der weißen wie in der schwarzen Fläche feine Abstufungen sichtbar. Graue Schattierungen beleben die weiße Fläche zum Löffel hin, weiße Aufhellungen durchziehen die schwarze Fläche.

Inmitten der abstrakten Bildkomposition dieser Arbeit stellt der Löffel den einzigen Bezug zu einem menschlichen Tun her. Durch ihn wird das Essen, die Nahrungsaufnahme angesprochen und thematisiert, auch wenn keine Lebensmittel zu sehen sind.

Einsam schwebt er zwischen den beiden Flächen im „luftleeren“ Raum. Ob er je benutzt worden ist? Er ist doch geschaffen worden, damit jemand mit ihm essen kann und Kraft zum Leben und darüber hinaus für die Arbeit und andere Tätigkeiten erhält. Die schwarze Fläche nimmt für mich die Blockform eines Fundamentes an, auf dem sich das Leben entfalten kann. Die Fläche mag so dunkel sein, weil sie von verschiedenen übereinanderliegenden Farben gesättigt ist. Damit steht sie gleichsam für schwarze Erde oder für einen vollen Bauch, welche beide die Basis für die Entfaltung eines fruchtbaren Lebens bilden.

Für die Weite des auf dem Essen aufbauenden Lebens steht symbolisch die über dem Löffel schwebende „Lichtsäule“. Sie ist nach oben offen, in ihr fließt die gleiche lichte Transparenz wie links und rechts. Ganz unten erinnern nur noch die grauen Schattierungen an die Notwendigkeit der Nahrungsaufnahme. Ansonsten atmet Freiheit in dieser Fläche.

In der senkrechten Gestalt der beiden „Flächenkörper“ finde ich die aufrechte Gestalt von uns Menschen wieder. Das Körper füllende und belebende Essen bildet die Grundlage, damit auch unser Geist aktiv sein kann. Das erinnert mich an das Jesuswort: „Der Mensch lebt nicht nur vom Brot, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt.“ (Mt 4,4; Dtn 8,3) Ist die weiße Fläche mehr als doppelt so groß wie die schwarze Fläche, weil der Geist in unserem Leib wichtiger sein sollte als der vergängliche Körper? In der Bergpredigt sagt Jesus weiter: „Sorgt euch nicht um euer Leben und darum, dass ihr etwas zu essen habt, noch um euren Leib und darum, dass ihr etwas anzuziehen habt. – Euch … muss es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen, dann wird euch alles andere dazugegeben.“ (Mt 6,25.33)

Damit wird über das Nehmen hinaus das teilende Geben angesprochen, das anderen Leben schenkt. Der leere Löffel liegt bereit für neue Handlungen, er möchte von jemandem in die Hand genommen, gefüllt und gebraucht werden. – Und das Bild regt auch zum Überprüfen unseres Denkens und Urteilens an, das in kategorischem Schwarz-Weiß-Denken oft die Feinheiten des menschlichen Lebens missachtet, Fehlurteile fällt und dadurch Ungerechtigkeit schafft.

„Christusträger“

Eine außergewöhnliche Schale,  ein ungewöhnliches Trinkgefäß. Für die Liturgie, für die Aufnahme des Allerheiligsten bestimmt. Kostbare Materialien, edle Verarbeitung, einzigartige Oberflächenbehandlung.

Alles weist auf IHN hin. Das Mysterium verhüllend – und doch geheimnisvoll offenbarend.

Durch eine lineare Oberflächengestaltung hat das weißlich-silberne Äußere eine „fasrige“ und matte Struktur erhalten und bildet einen Gegensatz zum goldglänzenden Inneren. In unregelmäßigen Formen scheint dieses Innere bruchstückhaft nach außen zu dringen.  Steht das glänzende Innere für die immaterielle Welt Gottes, das matte Äußere mit den pflanzlich wirkenden Strukturen für die Welt im Werden? Sie sieht jetzt in einem Spiegel nur rätselhafte Umrisse, „dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich unvollkommen, dann aber werde ich durch und durch erkannt worden sein“, schreibt Paulus (1 Kor 13,12).

Die Außenstruktur weckt in mir auch Assoziationen an ein Netz. Die unregelmäßigen Formen lassen nicht nur an Blüten, Früchte oder Fische denken, die gesammelt werden,sie können auch symbolisch für die Menschen und ihre Gaben stehen, die vom “Menschenfischer“ Jesus vereint Gott dargebracht werden.

Bei der Gabenbereitung betet der Priester jeweils leise, während er Kelch und Hostienschale mit den Gaben hochhält:

„Gepriesen bist du, Herr, unser Gott, Schöpfer der Welt.
Du schenkst uns das Brot, die Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit.
Wir bringen dieses Brot vor dein Angesicht, damit es uns das Brot des Lebens werde.“

„Gepriesen bist du, Herr, unser Gott, Schöpfer der Welt.
Du schenkst uns den Wein, die Frucht des Weinstocks und der menschlichen Arbeit.
Wir bringen diesen Kelch vor dein Angesicht, damit er uns der Kelch des Heiles werde.“

Der Kelch ist schlank und hoch. Mehr ein Becher als ein Pokal, hochgewachsen wie ein Weinstock. Die Weintrauben gekeltert in sich tragend, bewahrend für die Verwandlung durch den Geist Gottes und die Vergegenwärtigung der Worte Jesu beim letzten Abendmahl durch den Priester: „Nehmt und trinkt alle daraus: Das ist der Kelch des neuen und ewigen Bundes, mein Blut, das für alle vergossen wird zur Vergebung der Sünden. Tut dies zu meinem Gedächtnis.“

Die Hostienschale dagegen ist flach und weit wie ein Schiff, eine Barke, die Ihn vom „anderen Ufer“ in unsere Nähe bringt. In ihrer Form klingt auch die Krippe und die Mandorla an, Ort und Zeichen für den sich den Menschen offenbarenden Gott.

So sind Kelch und Hostienschale ausdeutende Zeichen des in der Armut des Brotes und des Weines Verborgenen. Sie tragen Gottes Sohn für jedermann und -frau fassbar, den Leib wie die Seele im Geschenk nährend und stärkend zu uns, damit wir immer mehr seine Gestalt annehmen. Letztlich sind die beiden Gefäße Symbole für jeden Gläubigen, ja die ganze Kirche, die wir den Herrn genauso kostbar und rein umfangen und tragen sollen.

Und – seine heilige und heilende Gegenwart möchte wie bei Kelch und Schale auch bei uns außen sichtbar werden!

Himmlisches Gastmahl

Geschmierte rote Flecken auf einer vergoldeten Fläche. Was für ein Kontrast! Unregelmäßig und unförmig sind sie über die kostbare und rein anmutende goldene Fläche verteilt.

Das breite, dreiteilige Format des Bildes erinnert mich an eine mittelalterliche Altartafel, deren Flügel je nach liturgischer Zeit auf- oder zugeklappt werden konnten. Der vergoldete Hintergrund verstärkt diesen Eindruck. Steht er nicht für die Herrlichkeit Gottes, die in diesem kostbaren Material und in diesem Glanz am besten zum Ausdruck kommt? Auch die Dreiteilung lässt an den einen Gott denken, der sich in drei Personen offenbart hat.

Andererseits beeindruckt mich das lange Bildformat und lässt mich an einen langen festlichen Tisch denken, der im Schein der vielen Lampen leuchtet. Allerdings ist kein Gedeck zu sehen, nur irritierende Flecken. Auch keine Stühle. Ob da wohl jemand eingeladen ist? Und wenn eingeladen, sind es nur Könige und Reiche, oder auch einfache Leute und Arme?

Jesus sagt: Es gibt eine Einladung! Alle sind eingeladen, und sie sind „selig“ (Offb 19,9). In einem Gleichnis vom Himmelreich erzählt er von einem König, der zur Hochzeit seines Sohnes einlud. Weil die Gäste der Einladung nicht Folge leisteten, schickte der König seine Diener, alle einzuladen. „Die Diener gingen auf die Straßen hinaus und holten alle zusammen, die sie trafen, Böse und Gute, und der Festsaal füllte sich mit Gästen.“ (Mt 22,1-10)

Voraus gingen allerdings Misshandlungen und Totschlag der Diener und als Vergeltung dann der Tod der Mörder. Besteht hier die Verbindung zu den roten Flächen die wie Blutspuren aussehen? Sie lassen mich an Blutflecken an Unfallorten denken, wo Menschen verletzt wurden oder sogar ihr Leben lassen mussten. Das verschmierte Rot lässt mich an die Kriegs- und Terroropfer denken, die unschuldig ermordet wurden, Erwachsene und Kinder, wie in Ruanda, New York oder jüngst in Beslan.

Aber wieso sind diese Spuren mitten auf dem Tisch, der goldenen Fläche? Vielleicht weil durch das Blut wie die Ungerechtigkeit, welche das Blutvergießen verursacht hat, das Heilige tief verletzt wird? Beide sind Widerspruch zu Dem, der das Leben schlechthin ist und es unentwegt ins Sein ruft. Es ist Widerspruch zu Dem, der gut und gerecht ist, und der sich dafür einsetzt.

Aber hat nicht Jesus am Kreuz sein Blut vergossen für das Heil der Welt, die Rechtfertigung der Menschen? Jesaja 53,7 zitierend, wird Jesus im Buch der Offenbarung „das Lamm“ genannt, „das geschlachtet wurde“ (5,12). Jesus selbst sagt beim letzten Abendmahl, wie er den Kelch mit Wein seinen Jüngern reicht: „Trinkt alle daraus, das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird, zur Vergebung der Sünden.“ (Mt 26,27b-28)

Dieses durch den Gottessohn vergossene Blut ist die Grundlage einer neuen Gemeinschaft. Wer seine Einladung annimmt und sich in Liebe Ihm zuwendet, erhält „durch sein Blut Erlösung und die Vergebung der Sünden nach dem Reichtum seiner Gnade“ (Eph 1,7). Mit seinem Blut fängt er alles andere Blut auf.

So ist dieses visionäre Bild von Robert Weber tatsächlich eine Einladung zum himmlischen Gastmahl im neuen Jerusalem, dessen „Mauer aus Jaspis gebaut ist, und die Stadt aus reinem Gold, …“ (Offb 21,18). Eine Einladung zu einer revolutionär neuen Gemeinschaft, in der es weder Tod, Trauer, Klage noch Mühsal geben wird (Offb 21,4-5). Denn die Menschen dieser Gemeinschaft sind durch das Blut Jesu erkauft und aus den Bindungen der Sünde herausgelöst. Und … wie in der Mahlgemeinschaft der Eucharistiefeier werden alle durch die Kommunion mit dem Gastgeber tief in sein eigenes göttliches Leben aufgenommen werden!

Emmaus

Die Szene könnte sich in einem heruntergekommen Lokal zwischen verklebten und vermalten Wänden abspielen. Drei seltsame Gestalten sitzen an einem grünen Tisch mit einem einsamen Glas Coca Cola. Ein in sich versunkener Gast hält mit seinen Händen etwas hoch. Seine beiden Kollegen schauen dem Ge- schehen scheinbar teilnahmslos zu.

Ist der Mann am Essen? Was hält er in den Händen? Was will uns der Künstler mit den vielen Etiketten von Brot, Wein, Bier und Coca Cola sagen? Hat die goldgelbe Hintergrundfarbe, die in das Gewand des frontal uns zugewandten Mannes einfließt, eine Bedeutung?

Mich erinnert das Bild an russische Ikonen, deren goldener Hintergrund auf die Herrlichkeit Gottes hinweist, die im dargestellten Ereignis aufleuchtet. Gleichzeitig wird der Raum in einen überzeitlichen Rahmen gestellt. Was hier geschieht, kann überall und zu jeder Zeit geschehen sein und wieder geschehen.

Ging Jesus nicht mit zwei seiner Jüngern nach Emmaus und kehrte dort mit ihnen ein, weil sie ihn drängten und es Abend wurde? Es könnte so eine Gaststätte gewesen sein, in der sie sich an den Tisch gesetzt haben, Jesus das Brot nahm, den Lobpreis sprach, das Brot brach und es den Jüngern gab (vgl. Lk 24, 13-34, hierzu 28-30).

Zugegeben, die vielen Etiketten an der Wand, auf dem Tisch und selbst im Glas irritieren. Doch hier macht der Künstler den Sprung in unsere Zeit, wo jedes Produkt zu einer Marke geworden ist, damit wir seine Qualität und seine Herkunft wiedererkennen. Wie den Jüngern am „Markenzeichen“ des Brotbrechens die Augen aufgegangen sind und sie ihren Begleiter als Jesus erkannten, so soll es uns gehen, wenn für uns das Brot gebrochen wird. Nicht nur in der Eucharistiefeier, sondern überall, wo zwei oder mehrere Menschen im Namen Jesu versammelt sind (Mt 18, 20). Er hat uns verheißen, dass Er dann mitten unter uns sein wird. Bei uns zuhause, im Freien auf einer Wanderung, im Restaurant, …

Die in sein Gewand hinlaufende goldgelbe Farbe signalisiert also die göttliche Abstammung des Brotbrechenden, weist auf die Herrlichkeit hin, die er von seinem Vater erhalten hat. Kurz zuvor hat ja Jesus zu den beiden Jüngern gesagt: „Musste nicht der Messias all das erleiden, um so in seine Herrlichkeit zu gelangen?“ (Lk 24,26)

Inmitten der Unruhe der vielen Etiketten, durch die die Hersteller um die Gunst und die Treue der Käufer werben, zieht die in sich gekehrte  Gestalt die Aufmerksamkeit auf sich – und eine andere Welt. Den sich in Sorgen und Verzweiflung verzehrenden Jüngern schenkt Jesus durch das „Teilen“ seiner Gegenwart neue „Zu-ver-sicht“. Sie merken, Er allein zählt. ONLY YOU, Gott allein. Vielleicht erinnern sie sich an seine Worte in der Bergpredigt: „Sorgt euch nicht! Euch muss es zuerst um das Reich Gottes und um seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben! (Mt 6,25-34)