voll Kommen

Licht durchdringt die Mitte eines dicht gebundenen Astkranzes, der von seiner Erdenschwere befreit im Bildraum schwebt. Immaterielles begegnet Materiellem, das Unfassbare dem Fassbaren.

Von hinten unten überstrahlt das Licht den oberen Teil des Kranzes und löst ihn partiell auf. In der unteren Hälfte geschieht das Entmaterialisieren durch Absprengen von kleinen Astteilen oder Dornen. Das Licht nimmt dem Kranz die einengende Kraft, überwältigt ihn loszulassen und aus der Starre in die Bewegung zu gehen.

Durch das aufstrahlende und überstrahlende Licht von hinten wird der Dornenkranz zu einem Fenster in die Ewigkeit, einem Durchbruch, einem Durchgang für die Begegnung mit Gott.

Der geflochtene Kranz erinnert mit seinen spitzen Enden an die Dornenkrone Jesu und das damit verbundene Leiden. Der Kranz vermag darüber hinaus Symbol für das irdische Leben mit seinem Wachstum zu sein. Zum einen waren die Äste einmal Teil aufstrebender und blühender Pflanzen, die dann geschnitten und in eine neue Form gezwungen worden sind. Zum anderen steht das Kranzgeflecht für das Wiederkehrende in unserem Leben, das sich Jahreskreis um Jahreskreis zu einem festeren Gebilde fügt.

Hier, mitten drin, leuchtet nun dieses neue Licht auf, das fähig ist, das oft dornige und festgefahrene Leben in eine neue Dimension zu überführen. Nicht von vorne, sondern von hinten, aus dem Verborgenen heraus, von der Schattenseite her. Es kommt von außerhalb, und doch von innen her. Was für eine Botschaft: Das österliche Licht strahlt mitten in unserem Leben auf, es verwandelt uns von innen. Von unseren inneren Freiräumen her schenkt uns Gott Erlösung von allem Bindenden, die Gnade, ganz zu Ihm zu kommen und in der vollkommenen, allumfassenden Gemeinschaft mit ihm zu leben.

Fenster zur Ewigkeit

Wie ein übergroßer Tabernakel zieht dieses Diptychon den Blick des Besuchers auf sich. Unterstützt durch die Architektur der Kirche – ihre schlichte Ausstattung wie die Platzierung unter dem Chorbogen in der Apsis – kann dieses Bild seine Wirkung als Fenster in die Ewigkeit entfalten.

Der Künstler versteht seine Arbeit als Versuch über das irdische Leben und die glückselige Ewigkeit. Dadurch stellt er es in die räumlichen und zeitlichen Spannungsbögen „Erde – Himmel“ und „Zeit – Ewigkeit“.

Mit irdisch begrenzten Mitteln hat Robert Weber den „Sprung“ von hier nach dort gewagt. Das vertikale Format hat allein schon Verweischarakter. Das Bild besteht im Wesentlichen aus zwei identischen, rechteckigen, mit Blattgold belegten Holzplatten, die in der Mitte durch ein gleichgestaltetes Streifenelement getrennt, bzw. verbunden werden. Ist damit angedeutet, dass Himmel und Erde nicht zu verwechseln sind, aber alles Irdische in seiner ganzen Größe in die Ewigkeit eingehen wird?

Die weiße Lichterscheinung – nur eine Wolke oder gar eine Lichtgestalt? – deutet den Übergang an. Alles Irdische ist berufen, in die Ewigkeit einzugehen. Was hier unten mit dem irdischen Leben anfängt, wird im Himmel vollendet. Die Lichterscheinung ist für mich ein Hinweis auf den Auferstandenen, der uns zu seinem Vater vorausgegangen ist und damit den Weg zu Ihm bereitet hat, wie er es seinen Jüngern verheißen hat: „Wenn ich gegangen bin und einen Platz für euch vorbereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir holen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin.“ (Joh 14,2-3)

Die roten Farbflächen erinnern mich unter anderem an das pulsierende Leben, das Zeugnis der Liebe und an freudige Glücksgefühle. Unten rechts kommen sie mir wie Samenkörner vor, aus denen die Fülle unserer Existenz hervorgeht. Von Gott in uns hineingelegt, wie die fast spiegelbildliche Anordnung suggeriert, durch Jesus neu belebt: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10)? Begleiten deshalb rote Farbspuren die Lichtgestalt hinauf und hinunter? Weil wir erst durch das Geschenk und dadurch die Erfahrung der unendlichen Liebe Gottes befähigt sind, an der göttlichen Lebensfülle teilzuhaben, und unsere Liebe erst vollendet und in die Ewigkeit eingehen wird, wo wir IHN und einander zu lieben vermögen?

Ein Wort aus dem Hebräerbrief vermag vielleicht auf seine Weise zusammenzufassen, wie mir das Bild Verheißung und Ermutigung im Glauben geworden ist: „Lasst uns mit Ausdauer in dem Wettkampf laufen, der uns aufgetragen ist, und dabei auf Jesus blicken, den Urheber und Vollender des Glaubens; er hat angesichts der vor ihm liegenden Freude das Kreuz auf sich genommen, ohne auf die Schande zu achten, und sich zur Rechten von Gottes Thron gesetzt.“ (Hebr 12,1b-2)