Schiffbruch der Barmherzigkeit

Ein halbes Ruderboot liegt auf vier Rundhölzern, als ob es gerade auf ihnen nach einem Schiffbruch an Land gezogen worden wäre. Es sind keine Menschen zu sehen, nur wenige Objekte, die ihre frühere Anwesenheit bezeugen. Wer um das Boot herumgehen kann, findet eine Schwimmweste, eine schwarze Puppe, einen Teddybär, einen Geldschein und eine Muschel, die wie ein Aschenbecher auf dem Bootsrand liegt. Alle erzählen nachvollziehbar von Menschen, die eine Zeit auf diesem Boot verbracht haben, von Erwachsenen und Kindern, die mit wenigen Habseligkeiten die Überfahrt in ein Land der Verheißung gewagt hatten, um sich vor Not und Verfolgung in Sicherheit zu bringen.

Doch das Boot ist leer. Es hinterlässt nur Fragen zu seinen Passagieren: Wo sind sie nun? Wer und wie viele waren es? Woher kamen sie? Konnten sie sich retten nach dem Schiffbruch? Oder sind sie ertrunken? Übrig geblieben ist nur ein Steinkreuz mit dem Gekreuzigten. Mitten im Boot mutet es befremdend an. War es vor dem Unglück schon da oder erst danach? Wie ein abgebrochener Segelmast ragt das Kreuz in die Höhe. Ein erbärmlicher Anblick. Jesus ist hier so fremd wie die Fremden. So ist er, der Gekreuzigte, mit den Gescheiterten solidarisch .

Die fehlenden Extremitäten von Jesus sind durch Metallstücke ersetzt, was ihm noch stärker eine geschundene und bedürftige Gestalt gibt. Der linke Unterschenkel ist mit einem Winkeleisen angedeutet, der linke Arm bildet eine Stange, die mit einer Kette ans Kreuz gekettet ist, sein rechter Arm wird aus einem Stahlträger geformt. Auch das Kreuz hat verschiedene „Ecken ab“. Zudem steht auf dem Schriftband über Jesus nicht I.N.R.I., sondern „STATUS QUO“ (= bestehender aktueller Zustand). Wie um klar zu stellen, dass es nun so ist, obwohl die Flüchtlinge alles daran gesetzt haben, um der Bedrohung und Verfolgung zu entkommen und in ein Land mit besseren Lebensmöglichkeiten zu gelangen..

Die Flüchtlinge haben milde Umstände erwartet, damit ihnen die Flucht gelingt: ein ruhiges Meer, Menschen, die es gut mit ihnen meinen. Sie haben auf Barmherzigkeit gehofft. Sie haben gehofft, dass die Barmherzigkeit sie wie das Boot auf dem Wasser trage und sicher ans Ziel bringe. Vielleicht steht deshalb „BARMHERZIG“ in roter Schrift auf dem blauen Bootsrand und in ägyptischer Schrift als Name des Bootes am Rumpf.

Damit wird angedeutet, dass es weniger um die Barmherzigkeit an sich geht als vielmehr um eine barmherzige Haltung und ein entsprechendes Handeln daraus. Die Motivation dafür resultiert für den gläubigen Menschen aus der biblischen Vermittlung und Selbsterfahrung, dass Gott ein barmherzig Handelnder ist, in der Gegenwart genauso wie in der Vergangenheit (vgl. Ex 34,6 par). Wir leben durch die Liebe und Barmherzigkeit Gottes und in ihnen. Sie sind die Grundlage unseres und eines jeden Lebens. In der Haltung und in den Situationen, in denen wir uns selbst für das Leben des Nächsten einsetzen, treten wir in die Liebe und Barmherzigkeit Gottes ein, handeln wir wie ER und mit IHM zu seiner Verherrlichung. Wo oder wann das nicht geschieht, erleidet seine und unsere Barmherzigkeit „Schiffbruch“. Durch das Kunstwerk wird deutlich, dass bei unbarmherzigem Handeln etwas ganz Wesentliches und Tragendes zwischen den Menschen zu Bruch geht, das man mit Vertrauen und Solidarität beschreiben könnte. Es ruft mahnend in Erinnerung, dass dabei nicht nur der Notleidende unter Umständen mit dem Leben bezahlen muss, sondern auch der Wohlhabende an Menschlichkeit verliert.

Die Installation war im Rahmen des Projektes „Da-Sein in Kunst und Kirche“ in der Kirche St. Franziskus in Regensburg-Burgweinting zu sehen.

Aufforderung zu retten

Aus der Ferne ist das Kunstwerk ein Rettungsring, wie man ihn überall an den Ufern von Gewässern an Pfosten oder Hauswänden hängen sieht. Weit leuchtet seine signalrote Farbe, vierfach unterbrochen von breiten weißen Streifen, normalerweise in der Diagonale. Ringsum ein Seil, um sich besser daran festhalten zu können.

Aus der Nähe betrachtet entpuppt sich der vermeintliche Rettungsring als eine eingefärbte Stacheldrahtrolle, ironischerweise mit Verbandmull zusammengebunden. Wer ihn anfasst, verletzt sich, wer sich an seinen Seilen festhalten will, geht mit ihm unter. Denn dieser Ring ist bleischwer, er hat weder Schwimm- noch Tragvermögen, sondern zieht mit seinem Gewicht in die Tiefe.

So erinnert das Kunstwerk an die unzähligen Flüchtlinge aus Afrika und dem Nahen Osten, deren Boot kenterte und seinen Passagieren in den Wellen und Stürmen des Mittelmeers den Tod brachte. Es erinnert an all jene Flüchtlinge, die aus Seenot gerettet worden sind, nun aber, wie alle Flüchtlinge, die das rettende Ufer erreicht haben, die Stacheln der Behörden und viel Unmut und Unverständnis der Bevölkerung spüren.

Dieser Rettungsring symbolisiert eine trügerische Sicherheit. Der Ring wird nicht verwendet, um Menschen in Seenot zu retten, sondern um sich vor ihnen zu schützen, sie abzuwehren. Manchen Europäern kommt das Mittelmeer als großer Wassergraben der „Festung Europa“ sehr gelegen, sonst wären es noch mehr Überlaufer, noch mehr Flüchtlinge, die kommen würden, noch mehr Asylgesuche.

Eine leichte Drehung um 45 Grad brachte die weißen Bereiche eines Rettungsringes zudem in eine waagrechte und senkrechte Ausrichtung, so dass in ihnen ein Kreuz gesehen werden kann. Auch Assoziationen zum Heiligenschein von Jesus werden dadurch geweckt, da dieser sich mit der Kreuzform von den Heiligenscheinen anderer Heiliger abhebt, um an seinen Kreuzestod zu erinnern. Doch dieser Kreis umgibt keinen Kopf. Er ist leer in der Mitte. Dieser Rettungsring hat keine Verdienste, hat niemandem Heil gebracht, er ist scheinheilig.

Die Arbeit appelliert eindrücklich an unsere Hilfsbereitschaft und Menschenfreundlichkeit. Wir sollen die Grenzen nicht zu eng ziehen in unserer Angst und Sorge um unser eigenes Wohl. Der „Rettungsring“ von Nikodemus Löffl zeigt, wie wenig es braucht, um eine Idee, ein Verhalten ins Gegenteil kippen zu lassen. Ins Negative, aber auch ins Positive. Denn dieser „Negativ-Rettungsring“ ermutigt, wo und wem auch immer, der in Not ist, richtige, tragfähige Rettungsringe zuzuwerfen: „Rettungsringe“ in Form von Haltungen und Verhalten von uns, die sie aus der Verlorenheit der See in die Gemeinschaft zurückholen, die ihnen wieder festen Boden unter den Füßen schenken. Hilfeleistungen, die sie von Hunger und Durst, Kälte und Nässe erlösen.

Letztlich geht es um unsere Herzlichkeit, die ihnen über die temporäre Zuwendung und Anteilnahme hinaus Geborgenheit und eine neue Heimat schenkt. – Einen rettenden Ring herzlicher Wärme. Ganz in der Nachfolge Jesu, der uns durch sein Verhalten deutlich gezeigt hat, wie Gott jeden von uns grenzenlos liebt und in dieser Liebe umgibt und trägt.