Jesus steht als Kleinkind auf dem Schoß seiner Mutter. Von ihr gehalten kann er sich aufrecht und mit weit ausgebreiteten Armen dem Betrachter zeigen. Sein Gewand ist weiß, doch seitlich von den ihn und seine Mutter umgebenden Rosen rot eingefärbt. Die Rosenfülle in diesem lebensfrohen Bild deutet ihre übergroße Liebe an, die rote Farbe verweist aber auch auf das am Kreuz verlorene Blut und Leben. Das Kreuz und der Tod sind hintergründig im Bild gegenwärtig, doch durch seine aufrechte Haltung und das im angedeuteten Heiligenschein leuchtende Gelb stehen seine Auferweckung von den Toten und seine Verherrlichung nach der Heimkehr zum Vater im Vordergrund.
Maria ist in mystischer Zurückhaltung als Quelle des Lebens und des Glaubens dargestellt. Ihre Gestalt tritt in der blau-grünen Ausarbeitung hinter Jesus zurück. Ihr Torso ist jedoch lichterfüllt hervorgehoben als Quelle eines Glaubensstroms, der sich über ihren rechten Oberschenkel schwungvoll nach unten ergießt und dort neues Wachstum ermöglicht. Mit ihrer sitzenden Haltung und Jesus auf dem Schoß tragend bildet Maria die sogenannte „Sedes sapientia“ – den Stuhl der Weisheit. Gleichzeitig weist ihr die Mondsichel unter ihren Füßen auch den Platz der apokalyptischen Frau (Offb 12,1) zu, die ihr Kind dank Gottes Hilfe vor Satan retten konnte.
Still tönt aus dem Bild die Botschaft, die nach diesem Ereignis im Himmel zu hören war: „Jetzt ist er da, der rettende Sieg, die Macht und die Königsherrschaft unseres Gottes und die Vollmacht seines Gesalbten; denn gestürzt wurde der Ankläger unserer Brüder, der sie bei Tag und bei Nacht vor unserem Gott verklagte. Sie haben ihn besiegt durch das Blut des Lammes und durch ihr Wort und ihr Zeugnis. Sie hielten ihr Leben nicht fest, bis hinein in den Tod. Darum jubelt, ihr Himmel und alle, die darin wohnen.“ (Offb 12,10-12)
In der Gottesmutter von Oberschönenfeld klingt wie in den meisten religiösen Arbeiten von Erich Schickling die ganze Heilsgeschichte an. Das biblische Wort ist durch den Künstler Bild geworden. Er lässt die Frohe Botschaft in starken Farben durch das Hinterglasbild dem Betrachter entgegenleuchten und diesen spüren, dass Jesus das Licht und der Retter der Welt ist. Die Darstellung der Gottesmutter ist eine genial verdichtete Momentaufnahme, die kunsthistorisch den berühmten Madonnen im Rosenhaag von Stefan Lochner oder Martin Schongauerin Referenz erweist und doch als eines seiner Schlüsselwerke ganz eigene Wege geht. Nicht Maria steht im Mittelpunkt des Bildes, sondern Jesus, der Gottessohn. In der Art und Weise wie Maria ihren Sohn stützt, weist sie auf ihn hin, als wollte sie wie Gott sagen: „Das ist mein geliebter Sohn, auf ihn sollt ihr hören.“ (vgl. Mt 17,5). Dabei erfährt ihre linke, grüne Hand (der Hoffnung) in der rechten Hand ihres Sohnes eine auffallende Wiederholung und Fortsetzung. Einen Drittel größer als die linke Hand gemalt, lässt sie an die Taten Gottes denken, die er mit starker Hand vollbracht hat. Die rechte Hand ist – auch ohne entsprechenden Gestus – die Segenshand. Jesus umarmt mit seinen ausgebreiteten Armen die ganze Welt, gleichzeitig segnet er freudestrahlend alle, die zu ihm und zum Vater kommen. Seien es die Kinder, die Mühseligen und Beladenen (vgl. Mt 11,28) oder auch die Hungernden und Dürstenden. Ihnen allen schenkt Jesus die Freude: „Ich bin das Brot des Lebens; wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben.“ (Joh 6,35)
Zum 100. Geburtstag ist ein zauberhafter Bildband zu seinem Leben und Wirken erschienen, den ich sehr empfehlen kann:
Erich Schickling 1924–2012. Werke – Wirken – Licht, Erich-Schickling-Stiftung (Hrsg.), Kunstverlag Josef Fink, 2024, 240 Seiten, 275 Abb., Hardcover 23,5 x 25 cm, 39 Euro, ISBN 978-3-95976-469-8
Rezension