Heiliger Berg

Mächtig erhebt sich die zweieinhalb Meter hohe Bildskulptur, bei der sich faltenreicher Stoff zu einem dreieckigen Berg auftürmt. Ein weiteres Tuch liegt oben auf, so dass der Ursprung der sich strahlenförmig nach unten weitenden Falten nicht sichtbar ist. Vor dem großen Faltenwurf liegt ein drittes Tuch am Boden.

Die üppigen Falten scheinen etwas zu verbergen, ebenso wie das textile Gewebe selbst oder das angehäufte Material. Schillernd wird ein Geheimnis angedeutet, die nackte Wahrheit mit einem Kleid bedeckt, es umhüllend und ihm eine äußere Gestalt gebend, ohne etwas von seinem inneren Wesen preiszugeben.

Und dennoch: Etwas Banales wird nicht verhüllt, geschützt oder mit kostbaren Materialien umgeben. Aber für die Auf-Bewahrung des Heiligen werden keine Kosten gescheut, um ihm eine angemessene Wohnstatt zu geben, einen Aufenthaltsort, der von seiner Größe und Herrlichkeit erzählt. Übermenschlich groß wirkt das in einem Dreieck herabfallende Tuch, das trotz seiner Abstraktheit fast menschlich gegenübertritt. Es verbirgt etwas Größeres als wir Menschen sind und die dreieckige Silhouette steht für das Geistige überhaupt. Kostbare Materialien wie Blattgold, Weißsilber und Platin auf einer Marmor- und Alabastergrundierung veredeln die Bildskulptur äußerlich zu einem Tabernakel des Heiligen und Göttlichen.

Der dreieckige Faltenwurf erinnert auch an weite, stark gefaltete Röcke von Frauen und lässt daher zusammen mit dem aufliegenden Tuch an Pietàdarstellungen denken, bei denen der Leichnam Jesu auf dem Schoß Mariens liegt. Die roten Farbstellen im unteren Bereich vermögen seine Passion anzudeuten, sein Leiden, seinen Schmerz, sein vergossenes Blut. Gleichzeitig erzählt die Skulptur unter diesem Aspekt betrachtet von der Größe Mariens, von ihrer Stärke. Der Faltenwurf wirkt wie ein Zelt, in dem der Ewige temporär auf Erden wohnt (vgl. Offenbarungszelt, Ex 33,7-20; Num 12,4-6), ein vorübergehender Schutzraum, wie nur Frauen ihn während der Schwangerschaft zu geben vermögen.

Insofern öffnet die Skulptur einen weiten Assoziationsraum, in dem das Transzendente und Heilige in einer kostbaren, aber dennoch vergänglichen irdischen Wohnung Platz nimmt als auch Jesus andeutet von seiner Empfängnis bis zu seinem letzten Ruhen im Schosse Mariens. Das Velum, wie die Künstlerin die Skulptur nennt, ist so nicht nur verbergender Schleier oder prachtvolle Draperie, sondern auch ein offenbarendes Kommunikationsobjekt, durch das der interessierte Betrachter viel über den Unsichtbaren erfahren und mit ihm ins Gespräch kommen kann. Eine spirituelle Perspektive, die auch das vor der Skulptur liegende Stück Tuch, das unsere Einsamkeit, Verlorenheit und Bedürftigkeit verkörpern mag, in die Skulptur aufnimmt und uns das Erhabene als auch das Erhebende des Heiligen erleben lässt.

Mein Auge schaut den Berg hinan, dort kommt mir Hilfe her;
von Gott wird mir die Hilfe nahn, der Land erschuf und Meer.
Getrost! dein Fuß geht nimmer fehl, dein Hüter kennt nicht Ruh;
nicht schließt dein Wächter, Israel, sein Aug im Schlafe zu.
Der Herr, dein Schutz und Schatten, hält an deiner Rechten Wacht,
dass tags die Sonne dich nicht quält und nicht der Mond bei Nacht.
Gott lässt kein Übel dir geschehn, dein Leben ist geweiht.
Er schützt dein Kommen und dein Gehn jetzt und in Ewigkeit.

(Franz A. Herzog nach Ps 121; Kath. Gesangsbuch der Schweiz Nr. 550)

 

Die Skulptur wird vom 23. März bis 22. April 2025 in der reformierten Kirche Therwil (BL/Schweiz) ausgestellt sein.

Licht (-er Dreiklang) werden

Die menschliche Gestalt ist nur durch ihren senkrechten Körper und den leicht geneigten Kopf zu erkennen. Alle anderen Körper- und Haltungsmerkmale treten zu Gunsten eines anderen Geschehens zurück. Denn die Farben sind wohl maltechnisch äußerlich aufgetragen, deuten aber von ihrer Symbolik her auf innere Vorgänge und Befindlichkeiten hin, da besonders der Lendenbereich, die Brustgegend und der Kopf betont sind.

Der Kopf ist nur durch eine feste dunkelgelbe Kreislinie angedeutet. Sie umschreibt einen runden Freiraum, der durch seine ungeschaffene Form und das umgebende Dunkelgelb als ein geistiger und heiliger Bereich ausgewiesen ist. Ihm wohnt himmlische Transzendenz und irdische Demut inne. Aus seiner Mitte entspringen die weißen Farbelemente, die der Gestalt einen hellen Grund geben. Dieser stellt gleichzeitig ein klares Dasein im Hier wie einen lichten Verweis auf das Dort dar.

Der ganze Leib ist durch die hellen gelben und braun-roten Stellen geprägt. Insbesondere der Lenden- und Bauchbereich sind von gestischem Leben erfüllt und scheinen mit der Farbe zusammen auf ein inwendiges Leben wie ein ungeborenes Kind hinzuweisen. Die leuchtend gelben Stellen sind von da ausgehend wie Funken der Freude, welche den ganzen Körper durchziehen und bis in die letzte Faser das Glück der Mutterschaft spüren lassen, das in seiner Mitte einen Platz gefunden hat. Durch ihre Konzentration im Brust- und Herzbereich kann das leuchtende Gelb auch als Farbe des Glaubens gedeutet werden.

Mit diesen ungewöhnlichen Attributen hat der Künstler seine Erfahrungen mit Maria in gestischen Strichen aufs Papier gebracht. Er hat einen demütigen Mensch gemalt, der ganz transparent auf Gott hin ist, der in sich den Glauben, die Hoffnung und die Liebe trägt, feurig, warm und voller Leben. Er hat einen Menschen mit freiem Kopf gemalt, der für Gottes erfüllenden Geist offen ist und Sein Wort bereitwillig in sich aufnimmt. Und Maria hat Sein Wort so innig aufgenommen, sie hat Gott ihren Leib so vollständig zur Verfügung gestellt, dass Er durch sie ganz und gar Mensch werden konnte. Das ist das Licht und die Freude von Maria: ihre grenzenlose Hingabe an Gott. Dadurch konnte Gott sich in seinem Sohn in grenzenloser Hingabe uns schenken.

Im Bild scheint die Gestalt der Maria in Bewegung zu sein. Sie ist nicht nur innerlich mit Leben erfüllt, sondern auch dabei, dieses Leben und diese Freude zu Menschen wie Elisabeth zu tragen. Nach Mariens freudigem Gruß antwortete Elisabeth: „Gesegnet bist du mehr als alle anderen Frauen und gesegnet ist die Frucht deines Leibes. Wer bin ich, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? In dem Augenblick, als ich deinen Gruß hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leib. Selig ist die, die geglaubt hat, dass sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ.“ (Lk 1,42-45)

Alles, was der Künstler zu Maria gemalt hat, ist auch Anspruch an uns, so wie Maria zu leben: Glauben, dass Gott zu uns spricht. In unserem Kopf und Leben Freiraum für IHN zu lassen. Offen für Gottes Geist zu sein. Sein Wort erwarten, es in uns wohnen lassen, auf dass es in Fleisch und Blut übergeht, wächst und Seine Gestalt annimmt. „Licht werden“, „brennen für Gott“ bedeutet, ganz transparent auf IHN hin zu werden, damit die Menschen in der Begegnung mit uns IHM begegnen können, Gottes Barmherzigkeit, des Geistes Kraft, Jesu Menschenliebe.