Herrlichkeit Gottes

Bäume säumen die zentrale Blickachse, deren Horizont durch eine sanfte Erhebung begrenzt wird. Auf jeder Seite der Allee stehen zwölf, die in ihrer Zusammenschau dreieckige Pyramiden bilden. Die idealisierten Kronen der Bäume gehen am Horizont übergangslos in die Wölbung des Hügels über und bewirken damit eine zentralperspektivische Sogwirkung, welche das weiße Quadrat hervorhebt. Diese Hervorhebung wird durch die vertikale Beschneidung der Bäume zur Mitte hin und den dadurch entstandenen ehrerbietenden Abstand verstärkt. Die „Schatten“ in den tropfenartigen Baumkronen machen eine Art Transparenz oder Durchleuchtung sichtbar, wodurch alle Bäume bis in die hinterste Reihe in ganzer Gestalt erkennbar sind.

Der Blick durch die Allee wird durch die geometrische Form eines aufrecht stehenden weißen Rechtecks gebremst und verschleiert. Die Lichterscheinung erhebt sich kontrastreich aus einer schwarzen, in den Boden eingesenkten Form, die einem Grab gleicht, und sie ragt etwa hälftig über den Horizont hinaus in den zartrosa gefärbten Himmel hinein. Am Scheitelpunkt der sanften Steigung der blauen Erhebung kann in blassroten Großbuchstaben schwach V E R G E H E N gelesen werden. Das Wort weitet das bisher Gesehene zu einer neuen Sicht mit anderen Augen. Plötzlich wird der abstrakte helle Raumkörper in der Bildmitte gleichsam zu einem Monument für die Vergänglichkeit, zu einem „Denk-mal“ über die Bedeutung und das Wesen von Werden und Vergehen.

Alles vergeht, alles verändert sich, außer Gott bleibt nichts in Ewigkeit so wie es ist. Könnte die rechteckige Erscheinung ein Symbol für die Zeit darstellen? Viereckig, weil die Zeit eine menschlich weltliche Formulierung ist, transparent, weil sie nicht sichtbar ist? Inmitten des Hains, weil sie eine kostbare Erfahrung der Gegenwart ist mit möglichem Rückblick auf die Vergangenheit und begrenzter Aussicht auf die Zukunft?

Das aus der Dunkelheit des „Grabes“ aufsteigende gefasste Licht löst wie eine unsichtbare Gegenwart von unten nach oben die Grenze zwischen Erde und Himmel auf. Durch den fließenden Übergang in den blauen Bereich und die Wiederaufnahme und Steigerung der nach oben weisenden Horizontlinie des Hügels findet auch diese Bewegung im erhabenen Quadrat ihre Vollendung.

Das weiße Quadrat wirkt am Horizont wie eine Großleinwand, wie eine Projektionsfläche für Visionen. Es lenkt den Blick in die Ferne und kann ermahnen, im gegenwärtigen Handeln auch an die Zukunft zu denken und nicht alles rosarot verzaubert zu sehen. Seine Leuchtkraft lässt zudem an eine höhere Gegenwart denken, in der alles Werden und Vergehen seine Vollendung findet. Es könnte ein Sinnbild für das Neue Jerusalem sein, in dem es keine Nacht mehr geben wird, weil Gottes Gegenwart selbst allen Menschen Licht ist und sie der Macht des Todes entreißt. Das Quadrat kann gar als „Wohnung Gottes unter den Menschen“ gedeutet werden nach der Vision des Himmlischen Jerusalems im Buch der Offenbarung (21,3-5): „Da hörte ich eine laute Stimme vom Thron her rufen: „Seht, die Wohnung Gottes unter den Menschen! Er wird in ihrer Mitte wohnen und sie werden sein Volk sein; und er, Gott, wird bei ihnen sein. Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen. Er, der auf dem Thron saß, sprach: Seht, ich mache alles neu.”

Vor diesem Hintergrund erhält das Gemalte eine noch tiefere Dimension. Es geht um den Blick über alles Vergehen und Vergangene hinaus in die Ewigkeit. Dem Seher Johannes wurde die heilige Stadt Jerusalem gezeigt, „wie sie von Gott her aus dem Himmel herabkam, erfüllt von der Herrlichkeit Gottes. Sie glänzte wie ein kostbarer Edelstein, wie ein kristallklarer Jaspis.“  In der weiteren Beschreibung werden die „zwölf Stämme der Söhne Israels“ und die „zwölf Apostel des Lammes“ genannt (Offb 21,12.14), die sinnbildlich in den 24 gleichmäßig gewachsenen und schönen Bäumen ihren Platz seitlich der Herrlichkeit Gottes haben. In der Tropfenform der Baumkronen klingt das Abwischen aller Tränen an, denn „der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen.“

Das vom Künstler mit „Monument IV“ betitelte Bild ist weniger ein Monument für die Vergänglichkeit oder ein Denkmal für die Zeit, sondern vielmehr ein Monument für Gottes bleibende Gegenwart durch alle Zeit hindurch. Es ist ein Bekenntnis, dass nicht das lebensbestimmende VERGEHEN das letzte Wort hat, sondern Gott selbst im durch seine Liebe bewirkten AUFERSTEHEN zum ewigen Leben.

Dieses und weitere Werke von Nikola Saric waren bis zum 31. Oktober 2020 in der Ausstellung „Reflexionen“ im Domschatz- und Diözesanmuseum Eichstätt im Original zu sehen.

Berichtigung

Auf der weißen Scheibe des Bildes „Monument IV“ von Nikola Saric steht das Wort VERSEHEN und nicht VERGEHEN. Laut Künstler bezieht sich das “Versehen” hier eher auf die politisch-journalistische Sprache im Zusammenhang mit Ausdrücken wie “Kollateralschaden”, “menschliche Fehler” und “Tat aus Versehen”. Das Wort VERSEHEN steht dabei auch im Kontext der versehentlichen Zivilopfern bei militärischen Operationen.

In meinem Zugang zum Wort VERSEHEN habe ich mich also gleich zweifach versehen: Zum einen habe ich mich verschaut beim Lesen des Wortes, zum anderen habe ich das Wort auf der Erhebung am Horizont und nicht auf der Scheibe in der Bildmitte verortet. Für diese Fehldeutung entschuldige ich mich an dieser Stelle. Gleichzeitig wird deutlich – auch im Sinne der Intention des Künstlers, wie wichtig achtsames, umsichtiges Schauen und rücksichtsvolles Handeln sind, damit es eben nicht aus Versehen zu Kollateralschäden kommt.

Mein Bildzugang bleibt bestehen, weil die Deutung mit dem „Versehen“ in sich stimmig ist. Zudem hat Nikola Saric sein Einverständnis dazu gegeben: „Ich finde Ihren Text sehr interessant und finde es spannend wie unterschiedlich sich Gedanken zu einem Bild entwickeln können. Ich bin auch der Meinung, dass wir den Text so stehen lassen.“

Auferstehen in die Herrlichkeit Gottes

Aufstrebende Dynamik und kraftvolles Licht prägen diese Arbeit aus farbigem Glas. Weite goldgelbe Flächen, versetzt mit braunen Nuancen, bestimmen den Grundton des Bildes und vermitteln Freude und ein wunderbares, unfassbar kostbares Geschehen voller Leben.

Es scheint seinen Ursprung im schwarzen, höhlenartigen Bereich am unteren Bildrand zu haben, in dem vor unförmigem Gestein auch zwölf kleinere, rundliche Bälle zu sehen sind. Sie leuchten wie kostbarstes Gold und muten wie Samenkörner an, die tief unter dem Boden darauf warten, zum Leben auferweckt zu werden und ihr verborgenes Potential entfalten zu können. Die Zahl Zwölf symbolisiert dabei Vollkommenheit und Vollständigkeit alles Geschaffenen, das zum Leben erweckt wird, hier aber noch im Machtbereich des Todes ruht.

Als starkes Gegenüber zum geschlossenen Raum des Todes hat die Künstlerin einen offenen Himmel gestaltet. Kräftiges, blau-weißes Wehen erfüllt den oberen Bereich des nahezu quadratischen Bildes und zeugt von Bewegung und Leben. Durch das Symbol des Auges wird dieses Leben Gott zugeordnet, dem Lebendigen, der Quelle des Lebens par excellence, dem Dreifaltigen, wie es das rötliche Dreieck anzudeuten vermag.

Direkt unter dem Auge ragt eine „Himmels-Zunge“ tief in den Bildraum hinein. Aus ihr scheint kostbares Wasser des Lebens zu fließen, zuerst ein Strom (vgl. Ez 47,9a: „Wohin der Fluss gelangt, da werden alle Lebewesen, alles, was sich regt, leben können …“), der dann wie feiner Regen in der Tiefe die einzelnen Samen berührt (vgl. Jes 45,8: „Taut, ihr Himmel, von oben, ihr Wolken, lasst Gerechtigkeit regnen! Die Erde tue sich auf und bringe das Heil hervor, sie lasse Gerechtigkeit sprießen. Ich, der Herr, will es vollbringen.“). Der offene Himmel streckt sich einem aufsteigenden Menschenwesen wie eine einladende Hand entgegen, auf dass der der Mensch sie annehme und ins Reich Gottes eintrete.

Die Auferstehung oder Auferweckung von den Toten wird hier eindeutig als ein Werk Gottes beschrieben, als ein Wirken voller Gnade und wunderbarer Herrlichkeit. Und es macht auch deutlich, dass Auferweckung von den Toten gleichzeitig Himmelfahrt und Heimkehr zum Vater bedeuten, ganz wie Jesus zu Maria nach seiner Auferstehung gesagt hat: „Ich gehe hinauf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.“ (Joh 20,17)

In der Bewegung des Bildes, seiner Dynamik, Kraft und seinen Farben darf jede Auferstehung zudem als ein ausgesprochen pfingstliches Geschehen verstanden werden. Das Wehen des Geistes ist allgegenwärtig spürbar. Er erfüllt mit neuem Atem, neuer Kraft und führt in die unfassbare Weite des von Gott erneuerten, ewigen Lebens. – Uns allen ist der Heilige Geist zugesagt, versprochen! Wir brauchen uns seinem Wirken nur zu öffnen, seine Auferweckung zum Leben nur zuzulassen!

> Video in einer Präsentation der Arbeit von Gabi Weiss in der Schwäbischen Zeitung 2017

Habemus Papam

Es gibt unzählige Fotos von der Verkündigung der Wahl Joseph Ratzingers zum Papst Benedikt XVI. Und Bilder? Thalia Uehlein versuchte es – mit einer inneren Schau dieses geschichtsträchtigen Momentes. Entstanden ist ein abstraktes Gemälde in roter und gelber Farbe.

Unmittelbar in die Augen sticht das bewegte gelbe Band, welches das Bild in der Mitte vertikal durchquert und mit seinen Schattierungen körperähnliche Formen bildet. Es scheint von außerhalb des Bildes zu kommen, durch es hindurchzufließen und unten weiterzugehen. Die roten Farbabstufungen der anderen Flächen lassen an ein Fenster denken, an dem dieses „Band“ steht oder durch das es in einen roten Raum gekommen ist.

Der Blick aus diesem Fenster ist verschleiert, denn der ganze Fensterbereich ist mit unregelmäßigen horizontalen Pinselstrichen überzogen, die wie eine Jalousie etwas Geheimnisvolles verhüllen und gleichzeitig doch teilweise offenbaren. Lässt sich nicht eine rosafarbene Wolke erkennen sowie rechts und links von ihr Durchblicke auf einen hellgelben Hintergrund?

Assoziationen werden wach: Gott erschien doch Mose in einer Wolke und sagte ihm, wie er die Israeliten zu führen habe (vgl. Ex 16,10). Und wie der „mobile Tempel“ für Gott gebaut und geweiht war, „verhüllte die Wolke das Offenbarungszelt, und die Herrlichkeit des Herrn erfüllte die Wohnstätte“ (Ex 40,34). Ist Gott im Ringen der Kardinäle um eine Entscheidung nicht auch gegenwärtig und offenbart er durch sie, bzw. den Papst, seine Pläne für sein Volk?

Das gelbe „Band“ könnte eine symbolische Darstellung des Heiligen Geistes sein, der erleuchtend in den Raum mit den versammelten Kardinälen eindringt. Sie tragen doch alle rote Kleider und sind bei der Wahl des neuen Papstes von der Liebe zu Christus und seiner Kirche erfüllt! In der Nachfolge der Apostel wählen sie im Hören auf den Heiligen Geist „aus ihrer Mitte“ (Apg 15,22) das Oberhaupt der Katholischen Kirche. Wie die Apostel könnten die Kardinäle nach der Wahl von der Loggia des Petersdomes herunter verkünden: „Der Heilige Geist und wir haben beschlossen“ (15,28)!

Wie eine Wirbelsäule verbindet der Heilige Geist (ist er nicht das Rückgrat unseres Glaubens, unserer Hoffnung und Liebe?) die „vielschichtigen“ Meinungen der Kardinäle und lässt sie in einer lichtvollen Entscheidung aufleuchten. Freudige Erleichterung ist spürbar: Habemus Papam – Wir haben einen Papst!

Thron Gottes

Gelb, Weiß und Rot geben diesem mehr oder weniger symmetrisch aufgebauten Aquarell den farblichen Ausdruck. Im unteren Drittel bildet ein dunkles Rot die Basis des Bildes. In seiner Mitte führen hellere Rechtecke wie Stufen oder ein Teppich zu einem sesselartigen hellen Gebilde, dessen „Armlehnen“ den Bildrand berühren. Darüber die durch ein dunkleres Gelb vom Hintergrund abgesetzte Rückenlehne dieses ungewöhnlichen Sitzes.

Den oberen Abschluss bildet ein horizontales Band, das mit freien Handbewegungen rot und blau dekoriert worden ist. Es könnte der Baldachin sein, der diesen königlichen Thron überdacht. An seiner Unterkante bricht ein nach unten zeigendes lichtes Dreieck mit den sonst rechteckigen Formen. Es weist mit seiner Spitze auf den leeren Sitz.

Wer regiert von hier aus? Wer sitzt auf diesem Thron? Die gelben Farben deuten auf eine Lichtgestalt hin, die über der Erde herrscht. Denn die leicht gewölbte dunkelrote Basis könnte ein Ausschnitt der Erdkugel sein, deren Rot auf das Leben und die gelebte wie die  verletzte Liebe hinweist. Der Thron würde dann gewissermaßen überdimensional auf der Erde stehen, wie Jesaja den Herrn sagen hört: „Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel für meine Füße“ (Jes 66,1).

Der Himmel ist vom Glanz der göttlichen Herrlichkeit erfüllt (Ps 113,4). Alles ist Licht, nicht nur um den Thron herum, sondern auch innerhalb des Throns. Es ist, als weise das Dreieck auf dieses hellste Rechteck hin, das in seiner Verlängerung bis an den unteren Bildrand reicht. Ich höre die Stimme Gottes auf dem Berg der Verklärung zu den Jüngern sagen: „Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe; auf ihn sollt ihr hören“ (Mt 17,5).

In frühchristlichen Darstellungen des Thrones Gottes in Rom (4. Jh.) ist anstelle eines herrschenden Jesus die Heilige Schrift auf die Sitzfläche gestellt. Gott und auch Jesus sprechen zu uns durch das Wort, das uns in der Bibel überliefert und durch den Heiligen Geist eingegeben wird. Das hellgelbe Rechteck auf dem Thron mit dem schwach erkennbaren roten Kreuz in seiner Mitte könnte als Buch gedeutet werden, dessen Wort den suchenden Menschen erleuchtet und Licht auf seinem Weg ist (Ps 119,105). Das Rechteck hat für mich aber auch etwas von einem Tabernakel, in dem der Leib Christi aufbewahrt wird.

Ob Heilige Schrift oder Tabernakel, sie weisen auf den Herrn des Lebens hin, der sich uns unermüdlich in seinem Wort wie in seinem Leib schenken will. Was auf dem Bild als Thron dargestellt ist, das sollen wir selber sein: Ehrwürdiger, kostbarer Träger und Bewahrer des Allerheiligsten. Beim Kommunionempfang sollen unsere Hände ein Thron sein, im Alltag soll unser Leib Thron der göttlichen Weisheit sein, so wie Maria in der Kunst oft als Sedes sapientiae dargestellt wird. Durch sein Wort sollen wir so transparent sein, dass ER durch unser Leben hindurch für alle Menschen sichtbar wird.

Himmlisches Gastmahl

Geschmierte rote Flecken auf einer vergoldeten Fläche. Was für ein Kontrast! Unregelmäßig und unförmig sind sie über die kostbare und rein anmutende goldene Fläche verteilt.

Das breite, dreiteilige Format des Bildes erinnert mich an eine mittelalterliche Altartafel, deren Flügel je nach liturgischer Zeit auf- oder zugeklappt werden konnten. Der vergoldete Hintergrund verstärkt diesen Eindruck. Steht er nicht für die Herrlichkeit Gottes, die in diesem kostbaren Material und in diesem Glanz am besten zum Ausdruck kommt? Auch die Dreiteilung lässt an den einen Gott denken, der sich in drei Personen offenbart hat.

Andererseits beeindruckt mich das lange Bildformat und lässt mich an einen langen festlichen Tisch denken, der im Schein der vielen Lampen leuchtet. Allerdings ist kein Gedeck zu sehen, nur irritierende Flecken. Auch keine Stühle. Ob da wohl jemand eingeladen ist? Und wenn eingeladen, sind es nur Könige und Reiche, oder auch einfache Leute und Arme?

Jesus sagt: Es gibt eine Einladung! Alle sind eingeladen, und sie sind „selig“ (Offb 19,9). In einem Gleichnis vom Himmelreich erzählt er von einem König, der zur Hochzeit seines Sohnes einlud. Weil die Gäste der Einladung nicht Folge leisteten, schickte der König seine Diener, alle einzuladen. „Die Diener gingen auf die Straßen hinaus und holten alle zusammen, die sie trafen, Böse und Gute, und der Festsaal füllte sich mit Gästen.“ (Mt 22,1-10)

Voraus gingen allerdings Misshandlungen und Totschlag der Diener und als Vergeltung dann der Tod der Mörder. Besteht hier die Verbindung zu den roten Flächen die wie Blutspuren aussehen? Sie lassen mich an Blutflecken an Unfallorten denken, wo Menschen verletzt wurden oder sogar ihr Leben lassen mussten. Das verschmierte Rot lässt mich an die Kriegs- und Terroropfer denken, die unschuldig ermordet wurden, Erwachsene und Kinder, wie in Ruanda, New York oder jüngst in Beslan.

Aber wieso sind diese Spuren mitten auf dem Tisch, der goldenen Fläche? Vielleicht weil durch das Blut wie die Ungerechtigkeit, welche das Blutvergießen verursacht hat, das Heilige tief verletzt wird? Beide sind Widerspruch zu Dem, der das Leben schlechthin ist und es unentwegt ins Sein ruft. Es ist Widerspruch zu Dem, der gut und gerecht ist, und der sich dafür einsetzt.

Aber hat nicht Jesus am Kreuz sein Blut vergossen für das Heil der Welt, die Rechtfertigung der Menschen? Jesaja 53,7 zitierend, wird Jesus im Buch der Offenbarung „das Lamm“ genannt, „das geschlachtet wurde“ (5,12). Jesus selbst sagt beim letzten Abendmahl, wie er den Kelch mit Wein seinen Jüngern reicht: „Trinkt alle daraus, das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird, zur Vergebung der Sünden.“ (Mt 26,27b-28)

Dieses durch den Gottessohn vergossene Blut ist die Grundlage einer neuen Gemeinschaft. Wer seine Einladung annimmt und sich in Liebe Ihm zuwendet, erhält „durch sein Blut Erlösung und die Vergebung der Sünden nach dem Reichtum seiner Gnade“ (Eph 1,7). Mit seinem Blut fängt er alles andere Blut auf.

So ist dieses visionäre Bild von Robert Weber tatsächlich eine Einladung zum himmlischen Gastmahl im neuen Jerusalem, dessen „Mauer aus Jaspis gebaut ist, und die Stadt aus reinem Gold, …“ (Offb 21,18). Eine Einladung zu einer revolutionär neuen Gemeinschaft, in der es weder Tod, Trauer, Klage noch Mühsal geben wird (Offb 21,4-5). Denn die Menschen dieser Gemeinschaft sind durch das Blut Jesu erkauft und aus den Bindungen der Sünde herausgelöst. Und … wie in der Mahlgemeinschaft der Eucharistiefeier werden alle durch die Kommunion mit dem Gastgeber tief in sein eigenes göttliches Leben aufgenommen werden!

Kreuz – Antlitz Gottes

Ganz unauffällig verhielte sich dieser Quadratmeter an der Wand, wäre er nicht vergoldet und hätte er keine Falten. Die oberen drei Falten sind zum Betrachter hin gewandt, während die untere Falte sich nach hinten biegt und damit einen spannungsvollen Kontrast bildet. Die Skulptur präsentiert sich uns wie ein sauber gebügeltes Tuch, das eben aufgefaltet worden ist. Die Falten bilden dabei ein gleichschenkliges Kreuz, das sich in sanfter Erhebung aus dem Tuch heraus abzeichnet.

Das gefaltete Tuch erinnert mich an den Bericht des leeren Grabes: „Petrus sah die Leinenbinden liegen und das Tuch, mit dem sie das Jesus das Gesicht bedeckt hatten. Dieses Tuch lag nicht bei den Leinenbinden, sondern getrennt davon zusammengelegt.“ (Joh 20,7 Übers. Gute Nachricht-Bibel) Diese Kreuzfläche lädt uns ein, hinter ihr das Antlitz Jesu zu suchen.

Die vergoldete Fläche weist uns auf seine göttliche Herkunft hin. Im Schauen dieser “Ikone“ werden wir zur Sterbens-„Stunde“ Jesu geführt, in der er durch seinen Vater verherrlicht wird. Wir können seine Worte im Abschiedsgebet hören: „Vater, die Stunde ist da, verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrlicht.“ (Joh 17,1) „Vater, verherrliche du mich jetzt bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, bevor die Welt war.“ (17,5)

Im Kreuz die Herrlichkeit Gottes schauen! „Für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit, für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit. Denn das Törichte an Gott ist weiser als die Menschen, und das Schwache an Gott stärker als die Menschen.“ (1 Kor 1,23-25)

Doch da sind rote „Risse“ in der „goldenen Herrlichkeit Gottes“ zu sehen. Beflecken sie seine Größe, müssen sie als Makel, als ein Mangel an Vollendung gesehen werden? – Nein. Sie offenbaren uns seine alles durchwirkende und belebende Liebe, die seine Herrlichkeit und Größe ausmacht. Die roten „Risse“ lassen uns seine Verletzlichkeit spüren – und damit seine Menschenfreundlichkeit.

Hermann Bigelmayr hat dieses Kreuz als Kunstwerk von einem Meter auf einen Meter geschaffen. Er wollte ganz bewusst mit diesem Quadratmeter einen Bezug zur Erde schaffen, auf der wir leben, und jede und jeder auf irgend eine Weise etwas Platz zum Leben findet. Es gehört zur Menschenfreundlichkeit Gottes, dass er uns in die Gestaltung der Erde miteinbezieht, sie uns anvertraut, auch wenn er weiß, dass wir sie durch unsere Fehler und Schwächen wie Jesus kreuzigen.

Dennoch bleibt Gott in unserer Mitte. Kaum sichtbar hat der Künstler den Kreuzungspunkt der Falten als ein nach unten geneigtes Dreieck gestaltet. Das Dreieck als Symbol für die Dreifaltigkeit. Seine Neigung nach unten als Hinweis auf seine ungebrochene schöpferische Zuwendung. Gott hört auch im größten „Kreuz“ nicht auf, heilend und versöhnend mit seiner Liebe zu wirken!

Thron Gottes

Außergewöhnlich, seine Form und sein Material. Gegenüber den meisten anderen Altären aus Stein ist dieser Altar achteckig und aus Bronze. So hat er mehr die Gestalt vieler Taufbecken, die in Erinnerung an den „neuen Tag“ der Auferstehung des Herrn acht Seiten haben (7 + 1).

Doch wieso soll ein Altar nicht an die Taufe erinnern? An ihm wird doch das Geheimnis des Glaubens gefeiert: „Deinen Tod, o Herr, verkünden wir; und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit!“ Im Sakrament der Taufe sind doch die Menschen mit Christus “gestorben” und mit ihm als durch die Gnade neu geschaffene Gläubige auferstanden. Von nun an versammeln sie sich um den Tisch des Herrn, den Altar, um seine Gegenwart unter ihnen zu feiern.

Dem Volk zugewandt präsentiert der Altar in der ganzen Höhe sein glänzendes „Innenleben“, das auch im Sockel erkennbar ist. In seiner Mitte steigt vom Boden wie ein Baumstamm das Tau-Kreuz empor, um unter der Tischkante den ganzen Altar zu umfangen. Kreuz und Altar verschmelzen hier zu einer Einheit, weil derjenige, der für uns am Kreuz gestorben ist,  sich uns auf dem Altar in Gestalt von Brot und Wein schenkt.

Wie ein Tischtuch werden die anderen Seiten des Altars von einem Relief in dunkleren Brauntönen umgeben. Die darauf zu erkennenden helleren Linien signalisieren Bewegung, tönen Freude an. Beim nahen Hinsehen sind Engelsgestalten erkennbar, die den Altar umgeben.

Der Künstler scheint hier in freier Form die Vision des Propheten Jesaia aufzugreifen, in der er den Thron des Herrn von Seraphim umgeben sah, von denen jeder sechs Flügel hatte. Sie rufen einander bei Tag und Nacht ohne Unterlaß zu: Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heere, von seiner Herrlichkeit ist die ganze Erde erfüllt. (Jes 6,1-3 sowie Offb 4,1-11).

Der Altar als irdischer Thron Gottes! Der Altar als Thron seines Sohnes Jesus Christus, auf dem dieser im Sakrament der Eucharistie „erhöht“ in der Mitte seines Volkes gegenwärtig wird, um es zu sammeln und zu stärken.  Hier wird Jesu Wort zeichenhaft und sichtbar in einen liturgischen Vollzug gestellt: „Und wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der (an ihn) glaubt, in ihm das ewige Leben hat.“ (Joh 3,14-15)