Kreuz und Macht

Bei der ersten Begegnung mit diesem Bild müssen sich unsere Augen  zuerst orientieren. In chaotischen Strichen und Farben ist rechts ein mächtiger Soldat dargestellt, während links ein Mensch unter einem schwarz-grauen Kreuz zu entdecken ist. Es muss sich hier um einen Kreuzweg handeln, vielleicht sogar um jenen von Jesus. Der Bildausschnitt zeigt vom ganzen Weggeschehen nur diese beiden Personen: Es sind keine Schaulustigen zu sehen, es gibt keine Hinweise, ob das Bild als Kreuzwegstation gedacht ist. – Eigenartig, dass der Kreuztragende so klein ist und nicht wie auf anderen Darstellungen im Mittelpunkt dargestellt wird. Spontan kommt mir beim Größenvergleich auch David und Goliath in den Sinn.

Den Maler scheint die Auseinandersetzung zwischen dem Soldat und dem Kreuztragenden bewegt zu haben. Wir kennen viele Bilder von Machtausübung, Gewalt und Ungerechtigkeit aus Fernsehen und Zeitungen, die uns durch ihre Brutalität erschüttern. Dafür ist dieses Ölbild trotz seinen wilden Pinselstrichen bereits zu brav und schön. Wo es aber zu berühren vermag, das ist das Ungleichgewicht zwischen den Protagonisten und den Welten, die sie voneinander trennen.

Auf der rechten Bildhälfte ist raumfüllend ein Soldat gemalt. In seiner Rüstung und dem steil aufgerichteten Speer demonstriert er unbarmherzige, herzlose Macht. Noch sitzend ist er groß, stehend würde sein Oberkörper und Kopf über die obere Bildkante hinausragen. Wie ein Pfau sich mit seinem Rad schmückt, leuchtet der Soldat in allen Farben der von ihm repräsentierten Macht. Grimmig schaut er auf sein Opfer, die Waffe und seine langen schwarzen Finger jederzeit zum Einsatz bereit. An ihm führt kein Weg vorbei, jeglicher Rückweg ist versperrt.

Dem Mensch auf der linken Bildhälfte bleibt nur der Weg nach vorn. Das Kreuz liegt wie ein Pfeil auf seinen Schulter, direkt vom Soldaten ausgehend. Die Macht, der er dient und die er darstellt, hat es ihm aufgebürdet. Vom Mensch ist nicht viel übrig geblieben – nur der Kopf und die langen Beine sind zu sehen. Der Oberkörper scheint im Kreuz aufzugehen – sein Schicksal, das Kreuz, hat sich seiner bemächtigt. Die Füße wollen einen anderen Weg gehen, doch der Wille treibt ihn weiter. Nichts ist zu spüren von der Außerordentlichkeit der Person. Kein Heiligenschein zeichnet ihn als Gottessohn aus. Im Gegenteil. Wie alle Unterdrückten muss er den Weg im Staub dieser Erde gehen – farblos, wie entleert – gedrängt von der Willkür der Machthabenden.

Was gibt ihm die Kraft seinen Weg zu gehen? Im ersten Lied vom Gottesknecht gibt Jesaja folgende Worte Gottes wieder: „Seht, das ist mein Knecht, den ich stütze; das ist mein Erwählter, an ihm finde ich mein Gefallen. Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt, er bringt den Völkern das Recht. Er schreit nicht und lärmt nicht und lässt seine Stimme nicht auf der Straße erschallen. .. Er wird nicht müde und bricht nicht zusammen, bis er auf der Erde das Recht gegründet hat.“ (42,1-2.4)

Die Kraft des Kreuztragenden liegt außerhalb von ihm. Der Maler hat sie in den hoffnungsvollen und kräftigen Farben dargestellt. Blau steht für den Glauben – in ihm ist dieser Mensch verwurzelt. Grün drückt die Hoffnung aus, das Wachstum, die Zukunft. Und über ihm das helle Licht der Sonne für die Nähe und die erbarmende Liebe Gottes.

So finden sich trotz des Ungleichgewichts der Personen Trost und Zuversicht auf der Seite des Kreuztragenden. Und dieser Trost, dieser Halt, diese Hoffnung steht allen zu, die wie Jesus ein schweres Kreuz zu tragen haben. Die kleine graue Gestalt steht für alle durch menschliche Ungerechtigkeit Kleinge- machten, Verfolgten, Ausgebeuteten, Misshandelten, zu Tode Geplagten. Wenn sie auch wie Jesus von allen „guten Geistern“ verlassen / getrennt worden sind, dürfen wir die Gewissheit haben, dass Gott diese Armen nicht verlässt (vgl. Ps 9).

Kreuz zum Aschermittwoch

Noch ein Kreuz. Gleichschenklig, liegend, nicht stehend. Von seiner Form her erinnert es mehr an das Schweizer Kreuz als an das Kreuz Jesu Christi, durch den es seine heilsbringende Bedeutung erhalten hat. Auch das Material des Kreuzes ist besonders: Ein Stahlrahmen, gefüllt mit Erde. Trotzdem trägt es für mich eine christliche Botschaft, ist dieses Kreuz nicht leer, nicht seiner Botschaft beraubt durch seine vielleicht befremdenden Materialien oder einen fehlenden Corpus.

Der Stahlrahmen sagt mir, dass das Kreuz eine beständige und unveränderliche Botschaft zu verkünden hat. Dabei kommt es nicht so sehr auf die Form des Kreuzes an, als vielmehr auf seinen Inhalt. Die stets an den Tod Jesu erinnernde Kreuzesform hält diesen Inhalt zusammen und sorgt dafür, dass die Botschaft von seinem Sühnetod für unsere Sünden nicht vergessen wird.

Die Erde erinnert mich einerseits an die Vergänglichkeit von uns Menschen und wie dies von der Kirche am Aschermittwoch ausgedrückt wird durch das Zeichen des Aschekreuzes auf die Stirn oder die Haare der Gläubigen und die Worte „Bedenke, Mensch, dass du Staub bist und wieder zu Staub zurückkehren wirst“ (vgl. Gen 3,19). Dadurch steht für mich die Erde symbolisch für den Corpus Christi. Auch in dem Sinne, dass alle Gläubigen zusammen den auferstandenen Leib Christi bilden. Besteht nicht die Erde aus unzählbar vielen Staubkörnern?

Andererseits sehe ich in der Erde das Potential der Fruchtbarkeit. Noch scheint sie tot, ist sie leblos. Aber etwas Wasser wird genügen, verborgene Samen in ihr keimen zu lassen, zum Leben zu erwecken. In diesem Kreuz ist die Auferstehung durch die Bereitschaft und Offenheit der Erde gegenwärtig. Auf uns Menschen bezogen, kann ein Impuls von Außen oder durch den Heiligen Geist in uns verborgene Talente zum Leben erwecken und heilbringend fruchtbar machen.

Ein Kreuz? – im Nichts?

Mitten auf dem neuen Friedhof Riem bei München steht dieses ungewöhnliche Kreuz. Manch einer mag sich fragen, wieso diese Plastik ein Kreuz sein soll. Denn rein äußerlich deutet nichts auf ein Kreuz hin.

Da sind vier dicke Eichenbalken, ohne Sockel aus der Erde aufsteigend, in ihrer Mitte ein begehbares Kreuz bildend. Aber das kann es nicht schon sein. In luftiger Höhe stemmen die Holzbalken eine Steinplatte in den Himmel. Durchblicke auf Dahinterliegendes oder den Himmel freilassend.

Das Kreuz will gesucht werden in dieser Skulptur. Annäherungen wollen gemacht werden. Die Eichenbalken erinnern mich an das Holz des Kreuzes. Ihre Ausmaße verbinde ich mit der Bedeutungsstärke und –kraft dessen, was am Kreuz geschehen ist.

Wer den Mut hat, sich zwischen die Holzpfosten zu stellen, entdeckt, dass aus dieser Perspektive die Steinplatte die Form eines Kreuzes annimmt, von der wie Strahlen alternierend die Holzbalken oder der Himmel ausgehen. Der Betrachter steht somit wörtlich unter dem Kreuz und es wird ihm durch die Steinplatte sinnlich das Gewicht, die Bedeutung oder der Wert des Kreuzes Christi für seinen Glauben bewusst.

Die Steinpatte weckt in mir noch andere Assoziationen. Sie könnte von ihren Ausmaßen her auch eine Grabplatte sein, wie sie rings um diese Kreuzskulptur aufgestellt sind. Die Eichenpfosten strecken in dem Sinne symbolisch fürbittend die auf den Grabsteinen verzeichneten Namen der Verstorbenen zum Himmel empor – Gott entgegen.

Von der Bildgeschichte des Kreuzes her gesehen ist diese Skulptur kein Kreuz. Aber sie ist Verbindung zwischen Erde und Himmel, durch die Materialien Stein und Holz in der Tradition stehend. Neu angeordnet, bringen sie die überlieferte Botschaft des Kreuzes auf herausfordernde Weise neu und kraftvoll zur Sprache. Es kann nicht wie viele andere Kreuze durch die Gewohnheit übersehen werden, sondern regt zur Auseinandersetzung und Stellungnahme an.

Wieso heißt das Kreuz aber „Kreuz im Nichts“? Es steht doch im Friedhof, auf der Erde. Möchte der Künstler damit vielleicht die Angst vieler Menschen ansprechen, dass wir mit dem Tod in den Abgrund des Nichts fallen? Möchte er damit vielleicht sagen, dass gerade in diesem Nichts des Todes das Kreuz Jesu aufgerichtet ist – wie ein Rettungsanker – und vom Leben erzählt, der dem Tod folgenden Auferstehung? Dass Gott die Seinen nicht fallen lässt? Ich spüre, wie dieses Kreuz von Gottes Macht und Schutz erzählt, den er allen gewährt, die sich zu ihm flüchten (vgl. Ps 71). Die vier Kreuzesarme scheinen sich tröstend über den Trauernden zu neigen, Geborgenheit in der Einsamkeit des Verlustes gewährend. Wer will, kann sich unter die dicke Steinplatte stellen oder an die mächtigen Eichenstämme anlehnen und etwas davon spüren.