Gewagter Blick

Eine in ein blaues Tuch gewickelte Frau steht im Dialog mit dem Licht hinter einem raumteilenden Vorhang. Sie hat ihn ein wenig zur Seite geschoben, so dass sie unentwegt das blendend weiße Licht schauen kann. Dieses scheint auf der linken Seite so stark, dass es den Vorhang durchdringt und diesen gleichsam entmaterialisiert. Vom energiegeladenen Lichtereignis führt die Bewegung im Bild über den ausgestreckten Arm und die Falten des blauen Wickeltuches in die dunklere Ecke rechts unten, in der sich hinter der Ferse der Frau – die Wellenlinien ihrer Körperkontur aufnehmend  – eine Schlange windet. So gibt es im Gemälde ein dunkleres Diesseits, von dem aus die junge Frau den Blick wie von einer Bühne in ein unbeschreibliches Jenseits wagt.

„Maria“ nennt die Künstlerin das Bild, das die Frau „voll der Gnaden“ ganz anders als gewohnt und doch sehr treffend darstellt. Anders ist der moderne Kontext, in dem sie zwischen Licht und Schatten steht, dem „lichten“ Ruf folgend sich Gott zuwendet und dem Bösen und der Versuchung (in Gestalt der Schlange) widersagt. Treffend ist sie in ihrer Mittlerposition zwischen Gott und der Welt wiedergegeben. Es bleibt offen, im Bild die „Verkündigung an Maria“ zu sehen, die beispielhafte „Nachfolge Mariens“, eine Andeutung der „Himmelfahrt Mariens“ oder auch den „Apokalyptischen Kampf“.

Verkündigung
In traditionellen Darstellungen wird Maria vom Engel „heimgesucht“ – oder auch: „daheim besucht?“ Die Initiative liegt beim von Gott gesandten Engel, Maria verhält sich passiv bejahend (vgl. Lk 1,28-38). Hier scheint es so, als würde Maria aktiv einem Impuls der Neugier folgen, indem sie vorsichtig den Vorhang öffnet, um zu sehen, was sich dahinter verbirgt, während der Engel nicht personifiziert dargestellt ist. Wer könnte dem wehren, da Maria mit so großer Zartheit und Unschuld wie beiläufig den Vorhang beiseiteschiebt, nicht ahnend, dass sie damit eine Grenze überschreitet, die über ihren Daseinsbereich hinausgeht: Die Grenze zwischen Diesseits und Jenseits, Immanenz und Transzendenz, endlichem Raum und Zeitlosigkeit. So wird mit dem geöffneten Vorhang gleichzeitig eine höhere, heilsgeschichtliche Ebene angedeutet: Die bisher absolut geltende Grenze zwischen Gott und Mensch – für die auch der Vorhang stand, der in der Stiftshütte das Volk Israel vom Allerheiligsten trennte – wurde mit der Menschwerdung Gottes geöffnet.

Nachfolge
Durch das über ihrem rechten Arm hängende halbtransparente Tuch wird die Schwangerschaft Marias angedeutet. So kann sie als Gott schauende Christusträgerin gesehen werden. Sie erkennt in Jesus Gottes Sohn und sein Licht und folgt ihm daraufhin ihr Leben lang. So steht das Bild für die radikale Veränderung ihres Lebens, aus der eine lebenslange Haltung und Orientierung resultiert: Vorbildlich das Licht und damit das Gute im Blick zu behalten und das Leben aus dieser Grundhaltung heraus zu gestalten.

Aufnahme in den Himmel
Ihr gewagter Blick ermöglicht eine Vorschau dessen, was sie am Ende ihrer Tage erwarten wird: Vom Licht, das sie in sich aufgenommen und getragen hat und dem sie durch alle Höhen und Tiefen hindurch treu gefolgt ist, aus dem Tod erhoben, umarmt und in Ewigkeit gehalten zu werden.

Machtkampf
Ebenso finden sich Hinweise auf die schwangere Frau auf den Wolken, deren Kind vom Drachen bedroht wird (Offb 12,1-6). Der neutrale Boden wirkt durch die Schattierungen und Lichtreflexe wie ein Wolkenmeer über einer Wüstenlandschaft, es kleidet sie zwar kein Sonnenlicht, doch das starke Licht ist da und der Drache wird durch die Schlange symbolisiert. Es ist ein stiller Machtkampf zwischen Gut und Böse dargestellt, zwischen den Mächten des Himmels und der Erde, bei dem ganz klar das Licht gewinnt und die Schlange davonziehen muss. Vorbildlich hat Maria dem Reptil den Rücken zugewendet und ihre Augen zum Herrn erhoben, um ihn unentwegt zu schauen und ihr Heil von ihm zu erwarten (vgl. Ps 123).

Dieser gewagte und doch zuversichtliche Blick Mariens erhält durch den fast bildfüllenden Vorhang eine weitere Bedeutung. Während die rechte Hälfte von seiner braungrauen Farbigkeit her undurchdringlich erscheint, erstrahlt die linken Hälfte in einer zarten Farbigkeit von blauem und rotem Purpur und Karmesin und vermag dadurch auf den Vorhang im Offenbarungszelt (= Stiftshütte) zu verweisen, der das Heiligste vom Allerheiligsten mit der Bundeslade trennte (vgl. Ex 26,31ff; Ex 36,35), zu dem nur Aaron und seine Söhne Zugang hatten. Allen anderen war bei Todesstrafe der Zutritt verwehrt. Wie revolutionär mutet es nun an, wenn mit Maria eine Frau – der inneren Berufung folgend – es wagt, den Vorhang im „Tabernakel“ (lat. tabernaculum = Zelt, Hütte) mit sanfter Hand zur Seite zu schieben, um im Licht Gottes Herrlichkeit zu schauen und diese gleichsam über den Blick bejahend in sich aufzunehmen? Dadurch, dass die Künstlerin Maria ihre eigene Gestalt und eigenen Gesichtszüge gab, hat sie eine Brücke zur Gegenwart geschaffen und verstärkt die Einladung zur Nachahmung. Wir sollen wie sie die Erfahrung des Psalmisten erleben: „Meine Augen schauen stets auf den Herrn; denn er befreit meine Füße aus dem Netz.“ (Ps 25,15) Wir sollen wie sie erfahren: „Wenn wir offen sind für die Wirklichkeit Gottes, kann sich alles verändern.“ (Kardinal Marx)

Erstaunlicherweise zeigt sich Maria weder vom Licht geblendet noch erschrocken. Sie ist für die Begegnung mit Gott auch nicht besonders gekleidet. Barfuß und im übergeworfenen Umhang sieht es mehr danach aus, als sei sie eben aufgestanden, weil sie ein Klopfen oder Rufen gehört hat und nun mit dem Gewicht auf ein Bein verlagert gerade einen Blick nach draußen wagt, um den Rufer ausfindig zu machen. Maria geht einem Weckruf nach, Gottes Weckruf an uns. Alltäglich ruft Er uns aufzustehen, Ihn zu schauen, in Seinem Licht zu erkennen, was im Hier und Jetzt notwendig ist, und es mutig zu tun.

Herzensarbeit

Wie eine kosmische Wolke schweben und leuchten die vielen stilisierten Sterne vor dem nachtschwarzen Hintergrund. Jeder Stern ist aus sechs sich kreuzenden Strichen zusammengesetzt. Ihre Farbigkeit erinnert an eine bunte Blumenwiese oder an ein sich immer wieder neu entfaltendes Feuerwerk. Unterschiedliche Größen formen Gruppen und vermitteln ein natürliches Wachstum und einen lebendigen Dialog zwischen den einzelnen Sternen und Sternhaufen. Ein Dutzend weißer Sterne umgibt den Verband wie vorgelagerte Außenposten. Der „Blumenteppich“ leuchtet durch seine starke Farbigkeit von innen heraus, die dunkleren und dahinterliegenden Sterne verleihen dem Gebilde eine kosmische Tiefe und lassen eine starke Lichtquelle hinter dem Betrachter vermuten.

Das Bild ist über einen längeren Zeitraum entstanden. Jeden Tag hat der Künstler in einer anderen Farbe einen Stern gemalt oder eine Blume sich entfalten lassen. So haben sich über die Wochen und Monate viel Zeit und Aufmerksamkeit in diesem Bild versammelt und jedem einzelnen Stern in dem Gesamt einen einzigartigen und leuchtenden Platz gegeben.

Das Sternenmeer oder der „fliegende Blumenteppich“ lassen mich an den bekannten Pfadfinderspruch denken: „Jeden Tag eine gute Tat!“ Denn durch jede gute Tat, durch alles, was man tut, um anderen eine Freude zu machen, geht gewissermaßen ein Stern oder eine Blume auf. Jede gute Tat verändert  positiv das Leben des Beschenkten – und auch des Schenkenden selbst. Gutes Tun erfüllt den Tag mit Sinn und Zufriedenheit, weil das Leben wertgeschätzt und gefördert wird.

Jesus lebte uns beispielhaft vor, auf wie vielfältige Weise man Gutes tun kann. Seine Worte waren und bleiben Worte der Wahrheit und des Heils. Er holte Verstoßene und Ausgegrenzte in die Gemeinschaft zurück und gab ihnen neue Chancen. Er war barmherzig, wenn Menschen ihre Verfehlungen erkannten und um Vergebung baten. Er lebte in Armut und anspruchslos ganz aus der Beziehung zu seinem himmlischen Vater. Die guten Worte und Werke Jesu leuchten wie Sterne in der Nacht, sie sind für jeden, dem sie zugutegekommen, eine bleibende Wohltat und Freude, ein ewiges Heil.

Paulus ermutigt die Gläubigen in Galatien (Gal 6,10): „Deshalb lasst uns, solange wir Zeit haben, allen Menschen Gutes tun“ und die Gemeinde in Thessaloniki (2 Thess 3,13): „Ihr aber, Brüder und Schwestern, werdet nicht müde, Gutes zu tun!“ Seine Worte tönen bis in unsere Zeit, wo sie auch von weltlichen Seelenführern aufgenommen werden, weil das Gute-Tun einen wesentlichen Einfluss auf das Glück aller und auch das Seelenheil des Schenkenden hat.

So leuchten auch unsere guten Gedanken, Worte und Werke wie Sterne im Leben unserer Mitmenschen. Insbesondere wenn es ihnen nicht gut geht, ist das an sie herangetragene Gute in ihrer Dunkelheit ein Lichtblick der Hoffnung, in ihrer Ratlosigkeit haltgebende Orientierung, in ihrer Krankheit oder Einsamkeit eine heilsame Umarmung, in der Armut und Not eine wertvolle Zuwendung.  In unserem Leben brauchen wir das Gute so notwendig wie die Luft zum Atmen. Ist es da verkehrt, in dem Sternenensemble auch ein Herz, mehrere Herzen oder zwei Lungenflügel zu sehen, die das Gute ein- und ausatmen – immer und immer wieder – und es zum Leuchten bringen?

Geisteskraft

Eine eruptive Stichflamme bestimmt dieses Bild. Sie bricht aus dem dunklen kantigen Teil des Bildes hervor und gestaltet lebendig die Bildmitte. Sie ist der helle Mittelpunkt im dunkleren Umfeld. Sie ist das Licht in der Nacht, die unbändige Kraft in der lähmenden Kälte der Erstarrung.

Der abstrakte Aufbau des Bildes lässt keine zeitliche oder örtliche Zuordnung des Geschehens zu. Einzigartig und gleichzeitig unendlich steht es im Raum des sich stetig erneuernden Geschaffenen.

Es ist eine Urkraft zu spüren, die wie bei einem Vulkanausbruch aus der Tiefe kommend gewaltige Massen zu bewegen und zu verändern vermag. Mit den warmen Gelb- und Rottönen wird eine kraftvolle Energie angedeutet, das verdeckte Licht lässt ahnen, dass sie im Verborgenen agiert und der große Widerschein verweist auf ihre übergroße Wirkung.

Das Bild erinnert an Auferstehungsbilder, in denen sich Christus in hellem Glanz aus dem Grab erhebt. Vielleicht soll in dieser Assoziation aufleuchten, dass Jesus nach der Auferweckung von den Toten seinen Jüngern den „Heiligen Geist“ geschenkt hat (Joh 20,22), und „die Verheißung“ seines Vaters in Erinnerung rufen, dass „die Kraft aus der Höhe“ sie erfüllen wird (Lk 24,49). Schemenhaft und subjektiv meint man eine formatfüllende rundliche Form zu erkennen, die oben links eine Doppelung aufweist. Ob in diesen beiden „Köpfen“ Vater und Sohn gesehen werden dürfen, die uns aus ihrer göttlichen Einheit heraus ihren Geist senden, damit wir mit ihnen eins werden? – So gesehen erscheint das Bild wie eine moderne Dreifaltigkeitsdarstellung!

Gleichzeitig darf das Licht in der Bildmitte mystisch spirituell auf uns gedeutet werden:  Der Heilige Geist ist ein Geschenk Gottes an alle Menschen, um aus einer intensiven Verbindung mit Gott unsere Beziehungen zu Ihm, den Mitmenschen und der ganzen Schöpfung zu gestalten. So ist es der Heilige Geist, der in dieser Verbundenheit in unseren Geistesblitzen aufleuchtet und der überall wirkt, wo wir geistesgegenwärtig seinen Impulsen folgend handeln. Der Heilige Geist stärkt unsere Begabungen, er brennt in unserer Leidenschaft und befeuert unser Engagement für das Gute.

Wie das Magma im Innern der Erde glüht der Heilige Geist in uns. Wir sind wie Vulkane, durch die seine erneuernde Lebenskraft fruchtbar in unsere Lebenswelten einfließen will. Das geschieht die meiste Zeit still und unbemerkt, doch es gibt auch gewaltige Ausbrüche und Manifestationen, bei denen große Veränderungen und Wandlungen bewirkt werden. Die schöpferische und erneuernde Kraft des Heiligen Geistes wird oft unterschätzt. Sie vermag Welten zu bewegen und in einem stetigen Prozess zu erneuern. Die gleiche Kraft Gottes ist in uns aktiv, belebt und erneuert uns unablässig. Sie ermutigt, stärkt, tröstet und fördert unseren Geist und unsere Kräfte in einem uns angemessenen Maß. Zum einen durch den Glauben, dann durch die Hoffnung, vor allem aber durch die Liebe.

 

1. Der Geist des Herrn erfüllt das All
mit Sturm und Feuersgluten;
er krönt mit Jubel Berg und Tal,
er lässt die Wasser fluten.
Ganz überströmt von Glanz und Licht,
erhebt die Schöpfung ihr Gesicht,
frohlockend: Halleluja.

2. Der Geist des Herrn erweckt den Geist
in Sehern und Propheten,
der das Erbarmen Gottes weist
und Heil in tiefsten Nöten.
Seht, aus der Nacht Verheißung blüht;
die Hoffnung hebt sich wie ein Lied
und jubelt: Halleluja.

3. Der Geist des Herrn treibt Gottes Sohn,
die Erde zu erlösen;
er stirbt, erhöht am Kreuzesthron,
und bricht die Macht des Bösen.
Als Sieger fährt er jauchzend heim
und ruft den Geist, dass jeder Keim
aufbreche: Halleluja.

4. Der Geist des Herrn durchweht die Welt
gewaltig und unbändig;
wohin sein Feueratem fällt,
wird Gottes Reich lebendig.
Da schreitet Christus durch die Zeit
in seiner Kirche Pilgerkleid,
Gott lobend: Halleluja.

Maria Luise Thurmair, GL 347 / EG 554

Link zu allen Pfingstbildern der Künstlerin

Von Gottes Gegenwart erleuchtet erkennen

Kraftvoll umreißt die gelbe Linie eine menschliche Kopfform und lässt sie aus dem blau-grünen Grund hervortreten. Die Form ist nach oben geöffnet, wodurch die beiden geschwungenen Linien auch wie grafisch vereinfachte – den Kopf umfassende – Hände gesehen werden können. Nur das rechte Auge ist mit Bleistift ausgearbeitet und mit einem gelben Strich konturiert und hervorgehoben. Der Mund ist lediglich angedeutet. Alle anderen Gesichtsmerkmale sind weggelassen worden, um die Botschaft klarer zum Ausdruck zu bringen. Die Signatur am linken unteren Bildrand gleicht einem achtlos weggeworfenen Auge. Offensichtlich ist das zweite, für das räumliche Sehen wichtige Auge für den Prozess des geistigen Sehens unbedeutend.

Dafür bricht von der oberen rechten Ecke ein weißliches Objekt in die Bildfläche und den Kopf dieses Menschen ein. Die kantige Form lässt an einen keilförmig behauenen Stein denken, der, ohne die Schädeldecke zu verletzen, ins geistige Bewusstsein tritt, die eigenen Vorstellungen durchbricht und ins Geistige überführt. Die stilisierte Dreidimensionalität der Form kann auch als lichtes Buch gesehen werden, dessen Inhalte in den Geist des Menschen übergehen. Die weiße Farbe, die lebendige Offenheit der Form und die von oben hereinbrechende Bewegung erinnern auch an die Taube als Symbol für den Heiligen Geist.

Begeisterung? Oder geht es mehr um den Geist der Erkenntnis, um den Geist, der uns mit Gedankenblitzen mehr als nur das Sichtbare sehen lässt? Tut es nicht grundsätzlich und immer not, über die vordergründige Begrenzung hinauszusehen, die Wirklichkeit in ihren Höhen und Tiefen auszuloten und auch die geistige Dimension ins Auge zu fassen? Letztlich bis in die Seele zu blicken?  Der jugendliche Gesichtsausdruck und die wache Kopfstellung lassen spüren, wie dieser Mensch etwas Unsichtbares entdeckt hat und nun mit dem geistigen  Auge zu erkennen und mit dem Verstand zu „begreifen“ versucht.

Der fokussiert suchende und gleichzeitig die gesichtete Wirklichkeit abtastende Blick fasziniert. Der aufmerksam nach oben gerichtete Blick wirkt wie durch ein Fernrohr in die Weite gerichtet und gleichzeitig wie ein Röntgenblick, wie ein die Wirklichkeit durchdringendes Schauen, das auch unsichtbare Welten wahrnimmt und zu fassen versucht.  Die weichen, die Kopfform querenden Pinselstriche mögen für diese unsichtbaren und doch gegenwärtigen Welten stehen, die wie Gedanken durch den Kopf gehen und den Hintergrund wie das Wasser eines unergründlichen Sees erscheinen lassen.

Die gelben Linien elektrisieren. Es geht darum, nicht nur mit dem äußeren Auge zu erkennen, sondern die Wahrheit auch mit dem inneren, geistigen Auge zu sehen und anzunehmen, bis sich Gott im „Auge als Spiegel der Seele“ wie ein Lichtpunkt widerspiegelt. Wer IHN in sein Leben aufnimmt und Jesus in allen Menschen erkennt, der ist ein von Gott wie von einem Keil Gezeichneter und gleichzeitig ein von Gottes Gegenwart Leuchtender.

„Der Gott Jesu Christi, unseres Herrn, der Vater der Herrlichkeit, gebe euch den Geist der Weisheit und Offenbarung, damit ihr ihn erkennt. Er erleuchte die Augen eures Herzens, damit ihr versteht, zu welcher Hoffnung ihr durch ihn berufen seid, welchen Reichtum die Herrlichkeit seines Erbes den Heiligen schenkt und wie überragend groß seine Macht sich an uns, den Gläubigen, erweist durch das Wirken seiner Kraft und Stärke.“
(Eph 1,17-19)

Gesegnet, gestärkt, ermutigt

Einsam steht ein Mensch zwischen Himmel und Erde im Übergang von Licht und Dunkelheit. Wie ein Strich in der Landschaft ragt seine aufrechte Gestalt über der weiten Ebene in den Himmel hinein. Er gehört zur Erde und steht geerdet da, schaut aber über den Horizont hinaus in die Ferne – und vielleicht in die Zukunft.

Was mag die Zukunft, die sich am rechten Bildrand noch in geheimnisvolles Dunkel hüllt, für ihn bereithalten? Noch erscheint sie wie eine tiefblaue Nacht und jeder Schritt in die Zukunft wäre ein Schritt ins Ungewisse. Was könnte den Menschen bewegen, einen Schritt in diese Ungewissheit zu wagen? Seine Ängste, Sorgen, Belastungen mutig zu überwinden und einfach loszugehen? Ist es vielleicht der helle Himmel am linken Bildrand? Hier ist die Zukunft in das hellblaue Kleid des Tagesanbruchs gekleidet: Klarheit ausstrahlend, Weite offenbarend, zum Aufbruch einladend!

Auch der funkelnde Lichterreigen, der wie ein Sternenhimmel über ihm schwebt und wie ein sanfter Regen auf ihn und die dunkle Erde niederfällt, scheint ihn zu einem ersten Schritt zu ermutigen. Die Lichtpunkte sind wie Sternen- oder Sonnenfunken, die zur Erde gleiten und dort wie Samenkörner des Lichts darauf warten, zu wachsen und Frucht zu tragen.

So einsam sich der Mensch am Übergang ins Neuland, in das neue Jahr oder eine andere Zeit vielleicht auch fühlen mag, er steht unter einem großen leuchtenden Stern. Was für ein Glück, solch einen Moment zu erleben! Was für ein Segen! Sinnfällig hat die Künstlerin den göttlichen Segen als funkelnde Wolke ins Bild gebracht, die den Menschen von allen Seiten umgibt. Als Gesegneter steht er am Übergang zu etwas Neuem und Unbekannten. Er geht nicht im Dunkeln, er geht nicht allein, sondern im Licht und in der Kraft von Gottes Segen.

Abraham kommt einem in den Sinn, dem Gott vor seinem Aufbruch in ein neues Land Mut zugesprochen hat: „Geh fort aus deinem Land, aus deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde! Ich werde dich zu einem großen Volk machen, dich segnen und deinen Namen groß machen. Ein Segen sollst du sein.“ (Gen 12,1-2) Wen Gott segnet, der wird von Gott so für die Aufgabe gestärkt, so dass er zu einem Segen für andere wird. Paulus hat das am eigenen Leib erfahren und lobt Gott für die Kraft des Heiligen Geistes, der ihn unsichtbar führt und leitet: „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus. Er hat uns mit allem Segen seines Geistes gesegnet durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel.“ (Eph 1,3)

Nun stehen wir an der Schwelle zu einem neuen Jahr, vor einer Zeit der Ungewissheit mit vielen unbekannten Herausforderungen.  Aber wir dürfen zuversichtlich in das neue Jahr hineingehen, im Glauben, dass Gott „ganz gewiss an jedem neuen Tag“ (Dietrich Bonhoeffer) mit uns ist. Mit den Segensworten, die Gott Aaron und seinen Söhnen gegeben hat (Num 6,24-26) und den sie entfaltenden Worten des Theologen Jörg Zink sollen auch Sie gesegnet, gestärkt und ermutigt durch das neue Jahr gehen können:

Der Herr,
der Mächtige, Ursprung und Vollender aller Dinge,

segne dich,
gebe dir Gedeihen und Wachstum,
Gelingen deinen Hoffnungen, Frucht deiner Mühe

und behüte dich
vor allem Argen, sei dir Schutz in Gefahr und Zuflucht in Angst.

Der Herr lasse leuchten sein Angesicht über dir,
wie die Sonne über der Erde Wärme gibt dem Erstarrten
und Freude gibt dem Lebendigen,

und sei dir gnädig,
wenn du verschlossen bist in Schuld,
er löse dich von allem Bösen und mache dich frei.

Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich,
er sehe dein Leid und höre deine Stimme, er heile und tröste dich

und gebe dir Frieden,
das Wohl des Leibes und das Wohl der Seele, Liebe und Glück.

Amen.
So will es der Herr, der von Ewigkeit zu Ewigkeit bleibt.
So steht es fest nach seinem Willen für dich.

Wirbel um das Licht

Kreisförmige Bewegungen ziehen wie bei einem Strudel alles zur weißen Mitte hin. Die Spirale erinnert an Naturphänomene wie Wasserstrudel, Gletschermühlen, Wirbelstürme, Schneckenhäuser u.a.m. Im Wesentlichen besteht das Bild aus Blautönen, die an einen Wassersog nach unten erinnern. Doch dann müsste es zur Mitte hin immer dunkler werden. Im Bild wird es jedoch immer heller und die kreisrunde Mitte erscheint mit den gebogenen Strahlen eher wie ein leuchtender Stern in dunkler Nacht.

Dieser Zugang wird unterstützt durch die mit Hügeln und Bäumen angedeutete Landschaft, die links unten zu erkennen ist. Sie wird zur Mitte hin in den Wirbel hineingezogen und löst sich dabei auf.

Was ist das für ein Wirbel um ein Licht, das die ganze Schöpfung um sich kreisen lässt und alle Aufmerksamkeit auf sich zieht? Was ist das für ein Stern, der sich der Dunkelheit widersetzt, ja kontrastreich in sie hineinzustrahlen und sie nachhaltig aufzuhellen vermag? Was ist das für ein Licht, das auch in der größten Dunkelheit noch wahrnehmbar ist und seine rettende Anziehungskraft ausübt?

In Psalm139,12 werden diese Gedanken staunend mit Gottes Allgegenwart in Verbindung gebracht: „Auch die Finsternis ist nicht finster vor dir, die Nacht leuchtet wie der Tag, wie das Licht wird die Finsternis.“ Und der Prophet Jesaia kündigt die Geburt des messianischen Herrschers mit dem Aufstrahlen eines hellen Lichtes über dem Volk an, das in der Finsternis lebt. Dieses Licht entreißt das Volk den „Todesschatten“. Er schreibt: „Denn ein Kind wurde uns geboren, ein Sohn wurde uns geschenkt. Die Herrschaft wurde auf seine Schulter gelegt. Man rief seinen Namen aus: Wunderbarer Ratgeber, Starker Gott, Vater in Ewigkeit, Fürst des Friedens. Die große Herrschaft und der Frieden sind ohne Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, es zu festigen und zu stützen durch Recht und Gerechtigkeit, von jetzt an bis in Ewigkeit.“ (Jes 9,1-6)

Die Geburt dieses Kindes wandelt den Sog nach innen in einen nach außen sprühenden Wirbel. In wunderbaren Worten beschreibt Paulus im Brief an die Kolosser das Heilswirken Gottes durch Jesus Christus: „Dankt dem Vater mit Freude! […] Er hat uns der Macht der Finsternis entrissen und aufgenommen in das Reich seines geliebten Sohnes. […] Er ist Bild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung. […] Alles ist durch ihn und auf ihn hin erschaffen. […] um durch ihn alles auf ihn hin zu versöhnen. Alles im Himmel und auf Erden wollte er zu Christus führen, der Frieden gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut.“ (Kol 1,12a.13.15,16c.20)

Der Wirbel um das Licht ist also weit über die Advents- und Weihnachtszeit hinaus berechtigt, sofern Jesus Christus der Dreh- und Angelpunkt ist. Und überall, wo dem so ist, geht von ihm eine alles durchdringende, zum Leben verwandelnde Segenskraft aus.

Stille

 

„Im Anfang erschuf Gott Himmel und Erde. […] Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht. Gott sah, dass das Licht gut war. […] Dann sprach Gott: Es werde ein Gewölbe mitten im Wasser und scheide Wasser von Wasser. Gott machte das Gewölbe und schied das Wasser unterhalb des Gewölbes vom Wasser oberhalb des Gewölbes. Und so geschah es. […] Dann sprach Gott: Es sammle sich das Wasser unterhalb des Himmels an einem Ort und das Trockene werde sichtbar. Und so geschah es. Und Gott nannte das Trockene Land und die Ansammlung des Wassers nannte er Meer. Gott sah, dass es gut war.“ (Gen 1,1.3-4a,6-7,9-10)

Wie in den ersten Zeilen der Bibel aufgezählt finden sich auch im Bild Licht, Himmel, Wasser, Meer und Land in betörender Einfachheit. Eine traumhaft schöne und menschenleere Meereslandschaft breitet sich vor dem Betrachter aus. Der unberührte weiße Sand auf der rechten Seite und der brandungslose Übergang zum Meer vermitteln eine große Ruhe, ja Frieden. Bei dem strahlend blauen Himmel und der klaren Sicht kann der Blick fast unendlich weit schweifen. Am Horizont lässt sich in der nach rechts auslaufenden blauen Linie sogar die Erdrundung erahnen.

Die paradiesische Schönheit ist fast zu schön, um wahr zu sein. Himmel und Erde ergänzen sich in gleichwertigen Dimensionen. Das auf der Wasseroberfläche changierende Licht gestaltet einen fließenden Übergang zwischen Wasser und Land und lässt uns gerade darin das spiegelnde Himmelsblau sehen. In der Vertikalen korrespondiert die Aufhellung des Himmels mit den weißen Sandpartien. Durch die Abwesenheit der Sonne, jeglicher Lebewesen und Wasserbewegungen sowie durch das spannungsfreie und damit entspannte Miteinander der verschiedenen Landschaftskomponenten liegt eine große Stille über dem Meerhimmelland von Manfred Koch.

So lädt das Bild zum Inne-Halten und Still-Werden ein. Mit seiner atemberaubenden Schönheit reißt es den Betrachter aus der Atemlosigkeit unserer beschleunigten Zeit heraus in die Slow Motion und von da aus in den Still-Stand des bewundernden Staunens, der Kontemplation. Ohne Ablenkung kann die Stille wahr-genommen werden und die stille Erhabenheit des Seins wieder gespürt und erlebt werden: Das Da-Sein ohne Aktivität, ohne etwas tun oder bewegen zu müssen.

Und vielleicht sehen wir dann – im Einklang mit Gott – dass die Schöpfung gut ist, so wie sie ist!

weitere Bilder von Manfred Koch

Die Fotoarbeiten von Manfred Koch waren 2020 im Donau-Einkaufszentrum Regensburg ausgestellt. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen: ÜBERGANGENES | MEERHIMMELLAND, hrsg. von den Kunstsammlungen des Bistums Regensburg im Erich Weiß Verlag Bamberg. 100 Seiten mit 85 Fotografien und Texten von M. Baumann, R. Feiter, I. Schönwald, M. Liebel, R. Goretzki, B. Hauser. Der Katalog kostet 15 EURO und kann direkt über den Verlag bezogen werden.

Verborgene Gegenwart

Tastend klettert der Blick über das dunkle Gebüsch in das Bild hinein. Der Himmel ist verhangen, neblig, diffus. Schwaches Licht erhellt minimal die urwüchsige Landschaft, die sich im Gehölz im Vordergrund konkretisiert.

Das Bild gibt sich bedeckt. Es zeigt eine geheimnisvolle Atmosphäre, undurchsichtig und rätselhaft wie wir sie von nebligen Herbsttagen kennen. Die dunkle Wolkenseite schafft eine spannungsvolle Stimmung, bei der nicht klar ist, ob sie vom aufgehenden oder untergehenden Licht erzeugt oder durch ein sich bald entladendes Gewitter verursacht wird. Wie auch immer stehen sich Licht und Dunkelheit gegenüber. Sie scheinen um die Vorherrschaft zu ringen und nehmen den Betrachter in diese Auseinandersetzung zwischen Verhüllung und Offenbarung hinein.

Dabei leuchtet das Licht mystisch in der Finsternis und lässt sich von der Dunkelheit nicht verdrängen (vgl. Joh 1,5). Trotz oder gerade wegen der dunklen Bereiche um es herum lässt das Licht eine wohltuende Kraft und Beständigkeit spüren. Gerade in dunklen und unsicheren Zeiten gibt Licht Orientierung und Halt, so wie Gott.

Das Bild lebt von der verhüllten Gegenwart. Gott als der Unbegreifbare wird in der Bibel an mehreren Stellen als naher Gott beschrieben, der sich in einer Wolke verbirgt. So führte Gott die Israeliten in einer Wolkensäule beim Auszug aus Ägypten (Ex 13,21) und in der Apostelgeschichte (1,9) wird überliefert, dass der Auferstandene bei seiner Aufnahme in den Himmel von einer Wolke aufgenommen und den Blicken der Apostel entzogen wurde.

Wenn im Bild die Wolken und mit ihm das Licht nicht weit oben am Himmel, sondern wie Nebel unmittelbar in Berührung mit der Erde dargestellt werden, so kann das als nahe Gegenwart des unsichtbaren Gottes in dieser Welt gedeutet werden. Gott ist physisch nicht greifbar da, doch zeichenhaft im Licht und den Wolken wahrnehmbar und spürbar. Wer sich Ihm nähern will, dem wird im Bild ein beschwerlicher und mit Anstrengung und Zweifeln verbundener Weg angedeutet. Ein wie im Nebel tastender Lebens-Weg, der aber dennoch aus der glaubenden Verbindung mit Ihm seine Kraft schöpft. Ein lebenslanger Weg aus der Zuversicht, dass Er sich in Sternstunden und ganz gewiss am letzten Tag unverhüllt dem Suchenden, Wartenden, Erwartenden und Ihm Vertrauenden als sein Gott und Lebenslicht offenbaren wird.

„Stückwerk ist unser Erkennen, Stückwerk unser prophetisches Reden; wenn aber das Vollendete kommt, vergeht alles Stückwerk. […] Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht.“ (1 Kor 13,9b-10, 12)

Dieses Kunstwerk von Daniel Sigloch und Arbeiten weiterer Künstler*innen waren im November 2020 in der Themenausstellung „Bewölkt. Der Himmel in der Kunst – vom Goldgrund zum Wolkenberg“ in der Galerie der Stiftung S BC – pro arte in Biberach im Original zu sehen.

Lebendiges Wasser

Quirlig fällt Wasser von oben durch die Bilddiagonale ins Blickfeld hinein. Links unten schlägt es spritzend auf einer bewegten Wasseroberfläche auf. Vor dem schwarzen Hintergrund tanzen die Wassertropfen und -spritzer wie eine zeit- und ortlose Lichterscheinung auf dem durch Lichtreflexe aus der Dunkelheit hervortretenden Grund.

Das fallende Wasser ist eine Momentaufnahme von etwas Fließendem. Das Foto zeigt einen normalerweise nicht fixierbaren Augenblick in seiner Einzigartigkeit. Es zeigt einen unsichtbaren Ausschnitt des Lebens, wie ihn nur eine fotografische Aufnahme mit ganz kurzer Belichtungszeit einfangen und festhalten kann. Eine minimale Momentaufnahme – vergleichbar mit einem Film-Still, dem Einzelbild aus einem Film – das Wesentliches des Großen und Ganzen sichtbar macht. Umso mehr als es sich um einen sich wiederholenden Bewegungsablauf handelt.

Die Reduzierung auf das spielerisch herabtanzende Wasser verleiht dem Schwarzweißfoto eine Faszination und Ausstrahlung, die über sich hinausweist. Das Wasser als Lebensquell und Lebensträger wird spürbar, seine bewässernde, erfüllende und erfrischende Kraft. Gleich einem Gnadenstrom durchbricht es die Dunkelheit, bricht sie auf und lässt sie wie Erde fruchtbar werden.

Das Wasser bringt Bewegung und Licht ins Dunkel. Der lockere und leuchtende Wasserfluss transportiert eine heitere Freude und Begeisterung. Er verbindet den unsichtbaren Schöpfer und Spender des Wassers mit allen Kreaturen der Schöpfung, die des Wassers für den Erhalt ihres Lebens bedürfen. Voller Leben plätschert das Wasser sanft auf dessen harte und kantige Oberfläche der Wasserwoge unten im Bild, wie vor Freude hell aufspritzend, um dann in das große Wasser einzutauchen und sich mit ihm vermischend zu erneuern.

Die Lebendigkeit des Wassers lässt an die Worte Jesu vom „lebendigen Wasser“ denken, die er zur Frau am Jakobsbrunnen sprach:  „Wenn du wüsstest, worin die Gabe Gottes besteht und wer es ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, dann hättest du ihn gebeten und er hätte dir lebendiges Wasser gegeben. … Wer von diesem Wasser trinkt, wird wieder Durst bekommen; wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals mehr Durst haben; vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zu einer Quelle werden, deren Wasser ins ewige Leben fließt.“ (Joh 4,13-14) Jesus braucht kein Schöpfgefäß, weil er selbst die Quelle des Lebens ist. Wer an ihn glaubt, trinkt davon und wird von „Strömen lebendigen Wassers“ erfüllt werden, dem Heiligen Geist (vgl. Joh 7,37-39).

Inspiration und Begeisterung erhalten im lichten Wasserfall ein symbolisches Gesicht. Erleuchtung in der Tiefe der Seele, in der es vielleicht so dunkel ist wie am Grund eines tiefen Brunnens. Licht und Wasser von oben, die neuen Lebensatem einhauchen und in der erneuerten Verbundenheit mit Gott der Seele neue Kraft schenken. Dem Gläubigen wird ein Gnadenstrom der göttlichen Geisteskraft zuteil, der unendlich fließt, um das Leben schöpferisch kreativ zu gestalten.

Lebendiges Wasser – in jeder Beziehung eine himmlische Kostbarkeit!

Das besprochene Bild ist aktuell bis 31.10.20 zu sehen in derSchöpfergeist+Meisterwerk“-Foto-Ausstellung im Terassensalon der Residenzgalerie, DomQuartier Salzburg

Herrlichkeit Gottes

Bäume säumen die zentrale Blickachse, deren Horizont durch eine sanfte Erhebung begrenzt wird. Auf jeder Seite der Allee stehen zwölf, die in ihrer Zusammenschau dreieckige Pyramiden bilden. Die idealisierten Kronen der Bäume gehen am Horizont übergangslos in die Wölbung des Hügels über und bewirken damit eine zentralperspektivische Sogwirkung, welche das weiße Quadrat hervorhebt. Diese Hervorhebung wird durch die vertikale Beschneidung der Bäume zur Mitte hin und den dadurch entstandenen ehrerbietenden Abstand verstärkt. Die „Schatten“ in den tropfenartigen Baumkronen machen eine Art Transparenz oder Durchleuchtung sichtbar, wodurch alle Bäume bis in die hinterste Reihe in ganzer Gestalt erkennbar sind.

Der Blick durch die Allee wird durch die geometrische Form eines aufrecht stehenden weißen Rechtecks gebremst und verschleiert. Die Lichterscheinung erhebt sich kontrastreich aus einer schwarzen, in den Boden eingesenkten Form, die einem Grab gleicht, und sie ragt etwa hälftig über den Horizont hinaus in den zartrosa gefärbten Himmel hinein. Am Scheitelpunkt der sanften Steigung der blauen Erhebung kann in blassroten Großbuchstaben schwach V E R G E H E N gelesen werden. Das Wort weitet das bisher Gesehene zu einer neuen Sicht mit anderen Augen. Plötzlich wird der abstrakte helle Raumkörper in der Bildmitte gleichsam zu einem Monument für die Vergänglichkeit, zu einem „Denk-mal“ über die Bedeutung und das Wesen von Werden und Vergehen.

Alles vergeht, alles verändert sich, außer Gott bleibt nichts in Ewigkeit so wie es ist. Könnte die rechteckige Erscheinung ein Symbol für die Zeit darstellen? Viereckig, weil die Zeit eine menschlich weltliche Formulierung ist, transparent, weil sie nicht sichtbar ist? Inmitten des Hains, weil sie eine kostbare Erfahrung der Gegenwart ist mit möglichem Rückblick auf die Vergangenheit und begrenzter Aussicht auf die Zukunft?

Das aus der Dunkelheit des „Grabes“ aufsteigende gefasste Licht löst wie eine unsichtbare Gegenwart von unten nach oben die Grenze zwischen Erde und Himmel auf. Durch den fließenden Übergang in den blauen Bereich und die Wiederaufnahme und Steigerung der nach oben weisenden Horizontlinie des Hügels findet auch diese Bewegung im erhabenen Quadrat ihre Vollendung.

Das weiße Quadrat wirkt am Horizont wie eine Großleinwand, wie eine Projektionsfläche für Visionen. Es lenkt den Blick in die Ferne und kann ermahnen, im gegenwärtigen Handeln auch an die Zukunft zu denken und nicht alles rosarot verzaubert zu sehen. Seine Leuchtkraft lässt zudem an eine höhere Gegenwart denken, in der alles Werden und Vergehen seine Vollendung findet. Es könnte ein Sinnbild für das Neue Jerusalem sein, in dem es keine Nacht mehr geben wird, weil Gottes Gegenwart selbst allen Menschen Licht ist und sie der Macht des Todes entreißt. Das Quadrat kann gar als „Wohnung Gottes unter den Menschen“ gedeutet werden nach der Vision des Himmlischen Jerusalems im Buch der Offenbarung (21,3-5): „Da hörte ich eine laute Stimme vom Thron her rufen: „Seht, die Wohnung Gottes unter den Menschen! Er wird in ihrer Mitte wohnen und sie werden sein Volk sein; und er, Gott, wird bei ihnen sein. Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen. Er, der auf dem Thron saß, sprach: Seht, ich mache alles neu.“

Vor diesem Hintergrund erhält das Gemalte eine noch tiefere Dimension. Es geht um den Blick über alles Vergehen und Vergangene hinaus in die Ewigkeit. Dem Seher Johannes wurde die heilige Stadt Jerusalem gezeigt, „wie sie von Gott her aus dem Himmel herabkam, erfüllt von der Herrlichkeit Gottes. Sie glänzte wie ein kostbarer Edelstein, wie ein kristallklarer Jaspis.“  In der weiteren Beschreibung werden die „zwölf Stämme der Söhne Israels“ und die „zwölf Apostel des Lammes“ genannt (Offb 21,12.14), die sinnbildlich in den 24 gleichmäßig gewachsenen und schönen Bäumen ihren Platz seitlich der Herrlichkeit Gottes haben. In der Tropfenform der Baumkronen klingt das Abwischen aller Tränen an, denn „der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen.“

Das vom Künstler mit „Monument IV“ betitelte Bild ist weniger ein Monument für die Vergänglichkeit oder ein Denkmal für die Zeit, sondern vielmehr ein Monument für Gottes bleibende Gegenwart durch alle Zeit hindurch. Es ist ein Bekenntnis, dass nicht das lebensbestimmende VERGEHEN das letzte Wort hat, sondern Gott selbst im durch seine Liebe bewirkten AUFERSTEHEN zum ewigen Leben.

Dieses und weitere Werke von Nikola Saric waren bis zum 31. Oktober 2020 in der Ausstellung „Reflexionen“ im Domschatz- und Diözesanmuseum Eichstätt im Original zu sehen.

Berichtigung

Auf der weißen Scheibe des Bildes „Monument IV“ von Nikola Saric steht das Wort VERSEHEN und nicht VERGEHEN. Laut Künstler bezieht sich das „Versehen“ hier eher auf die politisch-journalistische Sprache im Zusammenhang mit Ausdrücken wie „Kollateralschaden“, „menschliche Fehler“ und „Tat aus Versehen“. Das Wort VERSEHEN steht dabei auch im Kontext der versehentlichen Zivilopfern bei militärischen Operationen.

In meinem Zugang zum Wort VERSEHEN habe ich mich also gleich zweifach versehen: Zum einen habe ich mich verschaut beim Lesen des Wortes, zum anderen habe ich das Wort auf der Erhebung am Horizont und nicht auf der Scheibe in der Bildmitte verortet. Für diese Fehldeutung entschuldige ich mich an dieser Stelle. Gleichzeitig wird deutlich – auch im Sinne der Intention des Künstlers, wie wichtig achtsames, umsichtiges Schauen und rücksichtsvolles Handeln sind, damit es eben nicht aus Versehen zu Kollateralschäden kommt.

Mein Bildzugang bleibt bestehen, weil die Deutung mit dem „Versehen“ in sich stimmig ist. Zudem hat Nikola Saric sein Einverständnis dazu gegeben: „Ich finde Ihren Text sehr interessant und finde es spannend wie unterschiedlich sich Gedanken zu einem Bild entwickeln können. Ich bin auch der Meinung, dass wir den Text so stehen lassen.“

Momentum der Unendlichkeit

Wenn natürliches Licht in Form von Strahlen sichtbar wird, ist das an sich schon ein Ereignis, denn das Licht selbst ist unsichtbar. In der Architektur geschieht eine sichtbare Lichtführung in der Regel durch Maueröffnungen. Und wenn in Kirchen das Sonnenlicht durch die Fenster gebündelt hereinbricht und choreografiert durch die großen Räume wandert, ist das ein besonderes Schauspiel.

Für die Künstlerin Elke Maier bilden solche Beobachtungen die Vorarbeit für Ihre Installationen, in denen sie Fäden durch den Luft- und Freiraum von Kirchen wie Christ-König in Bochum spannt. Sie sagt dazu: „Ich entwickle meine Arbeiten von Anfang an im kontinuierlichen Dialog mit dem Raum wie mit dem im Raum wandernden Licht, wobei die Form der Werke noch die prozessuale Bewegung ihrer Entstehung erkennen lässt.“ (Maier) Aus diesem Dialog heraus haben sich der solitäre Höhepunkt der Fäden an der Decke und die beiden Kreiselemente mit den vielen kegelförmigen Erhöhungen am Boden ergeben. Dazwischen loten die weißen Garnfäden „den Raum diagonal aus und kulminieren in radialen Strahlenbündeln. Die energetische Fadenführung wirkt ambivalent, da sie sowohl eine Aufwärts- als auch eine Abwärtsrichtung impliziert, die auf dieses Kraftfeld zuläuft bzw. von dort ausstrahlt.“ (Kessler-Slotta)

Als Betrachter steht man zwischen den beiden sichtbaren Polen der Installation und kann den extrem feinen Raumkörper umschreiten und aus unterschiedlichen Perspektiven in wechselndem Licht und vor verschiedenen Hintergründen betrachten. Wie bei einem Spinnennetz ist eine erstaunliche Raumpräsenz bei den dünnen Seidenfäden zu beobachten. Je nach Hintergrund sind sie mehr oder weniger sichtbar, aber dennoch wahrnehmbar. Doch wenn das Sonnenlicht sie kreuzt, beginnen sie zu leuchten und im Reigen ihrer Abstände durch den Raum zu tanzen. Dabei lassen sie den Betrachter in einer künstlerischen Interpretation etwas von dem erleben, was den Kirchen genuin eingeschrieben ist: den Dialog des einzelnen als auch der vielen mit dem einen Gott. Beziehung wird sichtbar. Von oben her kommend können die Fäden als Gnade, Segen, Liebe, Leben oder Barmherzigkeit Gottes gesehen werden. Von unten her als die Antwort der Menschen durch das Leben, ihre Liebe zu Gott, die Gebete, den Dank oder den Lobpreis Gottes.

Dieser durch die gespannten Seidenfäden sichtbar in den Raum eingeschriebene und strahlende Dialog der vielen mit dem Einen ist nicht auf den Kirchenraum begrenzt. Er setzt sich zeitlich und räumlich in ungebundener Form fort. Wie das Licht sich temporär in den dünnen Seidenfäden verfängt und sie zum Leuchten bringt, so lässt Elke Maier mit ihrer Installation ein Geschehen sichtbar und sinnlich anders erlebbar werden, das unsichtbar überall gegenwärtig ist. Darauf weist die spiralförmige Entwicklung der Bodenkreise hin. Entsprechend können auch die geraden Fadenlinien ohne Anfang und ohne Ende gedacht werden – sich im Boden wie über der Decke endlos fortsetzend.  So gesehen lässt die Künstlerin mit ihrer Installation ein Momentum der Unendlichkeit aufleuchten. Sie macht einen Ausschnitt von etwas unendlich Größerem sichtbar und lässt den Betrachter spüren, dass auch er oder sie gleichermaßen ein Momentum der Unendlichkeit am Horizont oder der Schwelle von der sichtbaren zur unsichtbaren Dimension unserer Welt ist.

Weitere Bilder und Einführungstext von Dr. Elisabeth Kessler-Slotta auf der Website der Christ-König-Kirche Bochum

Diese Fadeninstallation „ins Licht geatmet“ war bis zum 8. November 2019 in der Studienkirche St. Josef in Burghausen (Bayern) zu sehen. Hier finden Sie umfangreiche Informationen, Bilder und ein Video zur Installation.

zu gast mahl

Ein dreifacher Dreiklang klingt durch das von geometrischen Formen geprägte Bild. Farblich ertönt er durch den gelben Hintergrund, die dunklen Balken und die roten Dreiecke. Formal finden sich Quadrat, Rechteck und Dreieck wieder und jedes Element ist mehr oder weniger mit der Zahl Drei verbunden.

Ein warmes Gelb bildet den haltgebenden Rahmen für die nach innen und nach unten führenden farblichen Abstufungen, die im zentralen Freiraum des Quadrates ihre Ruhe finden. Diese „Mitte“ befindet sich über dem von links eingerückten waagrechten schwarzblauen Rechteck, welches die Basis für diese unsichtbare Gegenwart darstellt.

Die vertikalen Rechtecke sind schlanker und länger geformt als die Basis. Aber die gleiche Fläche und Farbe verbindet die drei Rechtecke und lässt eine von der linken Seite der liegenden Form ausgehende und über das äußere Rechteck aufsteigende Bewegung entstehen, die am oberen Ende des erhöhten und genau in der senkrechten Bildmitte angeordneten Rechtecks endet.

So überlagert sich die absteigende Bewegung der gelben Elemente mit der aufsteigenden Bewegung der dunkelblauen Elemente. Gleichsam als Symbol für diese Begegnung können die beiden roten Dreiecke gesehen werden, die sich auf der linken Seite des Quadrates mit der rechtwinkligen Spitze berühren. Das große Dreieck zeigt nach unten, das kleine Dreieck nach oben. Zusammen bilden sie eine stilisierte Kelchform, die neben der „freien Mitte“ über dem altarähnlichen Rechteck schwebt. Der Künstler erweist damit eine Referenz an die „Dreifaltigkeitsikone“ von Andrei Rubljow und weitet gleichzeitig die Symbolik der beiden Dreiecke, so dass sie auch als lebendiges Miteinander von Himmel und Erde oder als herzliche Zuneigung von Gott und Mensch gesehen werden können.

Die dreistufige Lichtmanifestation erinnert in Verbindung mit den drei tiefdunkelblauen Figuren und dem roten Kelch an Abrahams Begegnung mit Gott bei den Eichen von Mamre (vgl. Gen 18,1-15). In der „Hitze des Tages“ hat er in den drei Männern Gott erkannt und ihnen ein Gastmahl bereitet. In der Symbolik des modernen Meditationsbildes schwingt der Geist und die Bewegung dieser einzigartigen Begegnung mit: Im mehrfachen Dreiklang atmend, Gottes Anwesenheit und Abwesenheit gleichzeitig vergegenwärtigend (vgl. Jer 23,23), sie offenbarend im Licht und im Kelch, sie partiell verdeckend und verhüllend durch die schwarzblauen Rechtecke bzw. sie verbergend im unergründlichen Dunkel des Nachtblaus selbst.

Werke von Thomas Lauer waren bis zum 18. Oktober 2020 in der „Kunst am Berg“-Ausstellung „Wann reißt der Himmel auf?“ in der Feldbergkirche zu sehen.

Rampenlicht der Gnade

Eine Frau steht dem Betrachter zugewandt in gelblich-weißem Licht. Ihre Silhouette zeichnet sich klar vom Hintergrund ab. Der Blick folgt den Konturen ihrer Haare, dem Zweiteiler, den sie trägt. Ihre Arme sind leicht angehoben, die Hände in lockerer Haltung. Ihre Gestalt ist erdig braun, um anzudeuten, dass sie von der Erde geschaffen und irdischer Natur ist.

Sie steht in einem gegenstandsfreien offenen Raum. Unter ihr breitet sich eine bläuliche Wolke aus, darüber ist nur Licht, das sich durch die hellere Mitte bühnenartig nach hinten öffnet. Vertikale Farbverläufe deuten ein herabkommendes Geschehen an, das sich insbesondere in der Mitte über und um die Frau herum konzentriert.

Ohne sichtbaren äußeren Halt über den Wolken zu gehen braucht ein gesundes Maß an Selbstvertrauen. Sie sieht nicht wie eine Seiltänzerin aus oder dass sie mit dem Gleichgewicht zu kämpfen hätte. Im Gegenteil, es scheint für sie eine Selbstverständlichkeit zu sein (man beachte, dass in einem Wort drei wesentliche Wörter vereinigt sind: selbst, verstehen und stehen), vom Licht umgeben zu sein, in ihm zu stehen und zu leben.

Da die Künstlerin das Bild durch ihr Bibelzitat aus Röm 5,5b „denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist“ eindeutig in einen christlichen Kontext stellt, darf das Licht als eine Kraft gesehen werden, die von Gott ausgeht und für den Menschen gedacht ist.

So kann man das fließende Licht als Symbol für die Liebe Gottes sehen. Durch den Heiligen Geist umgibt sie jeden Menschen, der Gott als seinen Vater angenommen hat. Durch den Heiligen Geist pulsiert sie mit dem Blut in unseren Herzen und unseren Adern, um uns und alles, was wir tun, zu durchdringen und mit seinem Geist zu erfüllen.

Das Licht ist ein Ausdruck seiner Gnade, die er allen Menschen zukommen lässt, die offen für sein Wirken sind, ob sie ihn kennen oder nicht. Gott ist da – stark wie das Tageslicht, wärmend wie die Sonne, darüber hinaus am Tag und in der Nacht und auch im Innern von uns. Gottes liebende Gegenwart durch den Heiligen Geist gibt von unseren Herzen ausgehend einen Halt, der alle anderen Sicherheiten überflüssig macht. Seine Liebe ist wie eine Boje, die im Sturm am Ort und über Wasser hält. Sie ist wie ein Heißluftballon, der seine Passagiere sicher durch die Luft trägt, wenn es einem den Boden unter den Füßen weggezogen hat. Seine Liebe ist das Licht, das auch dann scheint, tröstet und gegen allen Anschein Halt und Orientierung gibt, wenn sich überall Dunkelheit und Hoffnungslosigkeit breit gemacht hat.

In Seinem Licht zu stehen bedeutet für Christen die Selbstverständlichkeit, dass Gott durch seinen Heiligen Geist da ist: immer, überall, in allen Lebenslagen. Das Licht symbolisiert von Gott her die Gnade und vom Menschen her das Vertrauen, dass er da ist und handelt, auch wenn es nicht danach aussieht (vgl. Ps 23). Es ist ein heiliges Miteinander, das wie das Licht weit über sich hinaus segensreich Gutes bewirken kann.

Pfingstfeuer – Geistes-Gegenwart

Raumfüllend und menschenbewegend durchweht ein feuriges Geschehen das Bild. Es wird von einer Person am unteren Bildrand wie von einem Docht gehalten. Diese Person steht zwischen Leben und Tod, denn links liegen Menschen in der bogenförmig angelegten Dunkelheit, rechts stehen die Menschen als Auferstandene in einem Bereich, in dem sich das Dunkle bereits aufzulösen beginnt. Der Mann steht schief, aber stark zwischen diesen beiden Existenzformen. Die gelbe und die rote Farbe zeichnen ihn als Auferstandenen, als alle überragenden Mann des Lichts und der Liebe, als Vermittler zwischen Himmel und Erde.

Über seinem Haupt steht eine weitere malerisch nur angedeutete Menschengruppe dicht beisammen. Sie bildet im Gegensatz zu den anderen beiden Gruppen eine neue Gemeinschaft. Eine Gemeinschaft, die durch einen gemeinsamen Geist geeint zusammensteht in guten und in schlechten Zeiten. Das über diesen Menschen lodernde Feuer tragen sie wie einen in Flammen stehenden hohen Hut. Die vom Wind angetriebene Feuersbrunst brennt lichterloh und scheint wie ein tobender Waldbrand alles zu verzehren. Das kraftvolle Rot und Gelb zeugt von der ungeheuren Dynamik des Geschehens, doch dazwischen sind blaue und grüne Stellen auszumachen: Zeichen der Hoffnung, des Wachstums, der Verwandlung und des Neuanfangs.

„Wenn der Geist sich regt“, wird uns Menschen eine Kraft zugesprochen, die das Menschenmögliche übersteigt und in göttliche Dimensionen führt. Durch den Titel verbindet die Künstlerin ihr Bild mit dem jungen geistlichen Lied von Norbert Weidinger:

Wenn der Geist sich regt, der Leben schafft,
unverständlich noch, doch voller Kraft.
Überwindet mutig die Distanz,
stehet auf und reicht die Hand zum Tanz.

Kv: Füllt den neuen Wein nicht in die alten Schläuche,
zwängt die junge Kirche nicht in alte Bräuche.

Öffnet Herz und Ohren weit dem neuen Klang,
schöpfet Mut für euren Glauben, seid nicht bang.

Wenn der Geist sich regt und Feuer legt
und verbrennen will, was ihr noch pflegt,
gebt ihm Raum, errichtet nichts, was trennt
Feuer warf er auf die Erde, dass es brennt.

Wenn der Geist sich regt, ein Sturm aufzieht,
in die Segel bläst, reißt alles mit,
springt ins Boot und helft dem Steuermann,
dass mit voller Kraft es vorwärts gehen kann.

Das Lied fordert zu einer Erneuerungsbewegung auf, welche bereit ist, das Alte zurückzulassen, um mit dem Steuermann Jesus zu neuen Ufern aufzubrechen. So kann das feurige Geistgeschehen auch als Segel des bogenförmigen Bootes gesehen werden, in dem Jesus Mast und Steuermann zugleich ist. Wir sind aufgerufen, zu ihm ins Boot zu springen, ihm zu helfen, indem wir uns Gottes Geist öffnen und dank seiner Geistes-Gegenwart in bislang verfahrenen Lagen situativ das Richtige tun. So kann Gott durch uns wirken und Großes vollbringen. So kann Gott das Wirken seines Sohnes durch uns fortsetzen (vgl. Joh 14,26), weiter an seiner Kirche bauen und über sie hinaus von seiner Geistes-Gegenwart Zeugnis ablegen.

Verdichtete Kraft

Vor einem blauen Hintergrund wirbelt in einem lichten Bogen eine weiße Wolke durch die Luft. So könnte es gesehen werden, wenn man den blauen Hintergrund als Himmel betrachtet. Dennoch stellt sich die Frage, was das Blau sein könnte. Die Farbe könnte ebenso für das Weltall, für Wasser oder etwas anderes stehen. Die weißen Lichtpunkte lassen sich durch ihre Unschärfe auch nicht genau identifizieren. Sie erinnern an Sterne, doch ihre Verdichtung lässt den Betrachter die Idee verwerfen. Die schmalen langen Stiele an den Lichtpunkten weisen vielmehr auf etwas Blumenartiges hin, ja von den Proportionen her gar auf Gänseblümchen.

Tatsächlich hat die Künstlerin hunderte von Gänseblümchen auf die beiden mit grünem Ammoniumeisencitrat und Kaliumhexacyanidoferrat fotosensibilisierten Büttenpapiere gelegt und sie dann mit Sonnenlicht belichtet. Bei diesem Fotogramm blieben die Stellen mit den Blumen unbelichtet, wodurch die blaue Farbe der Chemikalien anschließend ausgewaschen werden konnte. Der blaue Grund entstand bei diesem Cyanotypie oder auch Eisenblaudruck genannten Verfahren dadurch, dass die Eisenverbindung in den belichteten Bereichen zweiwertig und wasserunlöslich wurde. So entsteht bei dieser künstlerischen Technik eine Umwandlung, die nicht von Künstlerhand, sondern durch das Licht geschaffen wurde. Die Künstlerin musste die Umwandlung im Prozess des Auswaschens nur noch sichtbar machen.

Aus dem Zusammenwirken der verschiedenen Chemikalien mit Licht und Wasser ist etwas Luftiges entstanden, etwas Beschwingtes, Frohes und Hoffnungsvolles. Die doppelte Verwandlung durch das Licht (Gänseblümchen in Lichtstellen, Eisen in blaue Fläche) rief einen mystischen Lichtertanz ins Leben, ein verdichtetes Sternenmeer, das wie ein segensreicher Regen langsam auf die Erde niederschwebt, ins Wasser fällt und in die Tiefe der Materie sinkt.

Die Zartheit des segensreichen Blütenregens erinnert an das Pauluswort im Römerbrief 5,5: „Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.“ Ist das nicht eine schöne Vorstellung, das lichte Funkeln als Gottes Segen zu sehen, der gerade in der menschlichen Nacht wie ein Feuerwerk funkelnd und niedergehend meine innere Dunkelheit erhellt, meiner Mutlosigkeit Hoffnung schenkt, meine Lähmung durch das Feuerwerk berührt und in Bewegung wandelt? Das Diptychon bringt in seiner Zweiteilung gut dieses Berührende, Verwandelnde und Verbindende zum Ausdruck. So wie Jesus sich bei der „Heilung des Gelähmten“ (Mk 2,3-12) des Gelähmten annahm, zu ihm stand und ihm durch die Vergebung der Sünden in der Tiefe half – was seinen ganzen Körper gesunden ließ und ihm damit wieder die Bewegungsfreiheit schenkte.

Auch der Psalm 65 (2-14) spiegelt diese Sicht und weitet sie auf die ganze Schöpfung aus. Der Beter formte seine Worte in einen eindrucksvollen Lobpreis auf Gott als Retter und Schöpfer:

Dir ist Schweigen Lobgesang, 

Gott, auf dem Zion,
dir erfüllt man Gelübde.
Du erhörst das Bittgebet.
Alles Fleisch wird zu dir kommen.
Sündenlasten, die mir zu schwer sind,
unsere Frevel, nur du kannst sie sühnen.
Selig, den du erwählst und in deine Nähe holst,
in deinen Höfen darf er wohnen.
Wir wollen uns sättigen am Gut deines Hauses,
am heiligen Gut deines Tempels.
Furcht gebietende Taten vollbringst du
und gibst uns Antwort in Gerechtigkeit,
du Gott unsrer Rettung, du Zuversicht
aller Enden der Erde und der fernsten Gestade.
Du gründest die Berge in deiner Kraft,
du gürtest dich mit Stärke.
Du stillst das Brausen der Meere,
das Brausen ihrer Wogen, das Tosen der Völker.
Alle, die an den Enden der Erde wohnen,
erschauern vor deinen Zeichen;
das Kommen des Morgens und des Abends
erfüllst du mit Jubel.
Du hast für das Land gesorgt, es getränkt,
es überschüttet mit Reichtum.
Der Bach Gottes ist voller Wasser,
gedeihen lässt du ihnen das Korn,
so lässt du das Land gedeihen.
Du hast seine Furchen getränkt,
seine Schollen geebnet,
du machst es weich durch Regen,
segnest seine Gewächse.
Du hast das Jahr mit deiner Güte gekrönt,
von Fett triefen deine Spuren.
In der Steppe prangen Auen,
es gürten sich die Höhen mit Jubel.
Sie jauchzen, ja, sie singen.

Es werde Licht

Aufstehen können, sich bewegen dürfen, frei sein – diese Ostertage lassen uns erleben, wie fragil unsere sonst scheinbar so selbstverständlichen Alltagsgeschenke sind. Wie kann ich das Lähmende all der beängstigenden und traurigen Nachrichten überwinden und mein Leben und das anderer Menschen verändern? Wie kann wieder neues Leben entstehen, wie kann es weitergehen?

Tom Kristen gelingt es in seinem Entwurf für ein Altarbild, die große Botschaft von Ostern mitten hinein in unseren Alltag zu setzen. Auferstehung: Wie soll ein Moment dargestellt werden, der unsere menschliche Vorstellungskraft komplett überfordert und der nur geglaubt werden kann?

Der in Straubing aufgewachsene Künstler schöpft aus einer Kindheitserinnerung: „Ich war krank und hatte nach mehreren Fiebertagen eine Grippe überstanden. und ein langer Schlaf brachte wohl die Lebensgeister zurück. Meine Mutter ging durch das dunkle Zimmer zum Fenster und öffnete den Vorhang. Licht flutete ins Zimmer und durch das geöffnete Fenster flossen Geräusche und Gerüche.“

Die einfache Geste weckt heilsame Assoziationen. Aus dem abgeschlossenen Raum tut sich eine neue helle Aussicht auf, der Ausblick in einen lebensvollen Morgen. Die Schwäche kann überwunden werden mit der Kraft des Neubeginns. Die achtsame Fürsorge eines liebenden Menschen stärkt uns, der eigenen Lebendigkeit zu vertrauen.

Tom Kristen gestaltet vor diesem Hintergrund eine ganz eigene Darstellung der Auferstehung. Es ist Christus selbst, der den Vorhang und damit eine neue Perspektive aufmacht. Das Wechselspiel zwischen Verbergen und Zeigen, Verhüllen und Enthüllen ist ein frühes und bedeutendes Motiv der christlichen Kunst  wie des kirchlichen Brauchtums. Damit das Wesentliche sichtbar wird, wurde am fünften Fastensonntag das Kreuz bis zum Ende der Karfreitagsliturgie verhüllt.

Der Künstler stellt in der weiten Geste des Öffnens Jesus dar als aufrecht stehenden „Christus Triumphans“, als den Gottessohn, der den Tod besiegt hat. Die ausgebreiteten Arme erinnern an das überwundene Kreuz. Ein hoch am Bildrand aufragender Baum deutet symbolisch noch den Kreuzesstamm an. Das abgefallene, auf dem Boden verstreute winterfahle Laub im Gegenüber zur verlassenen Ruhestätte des Schlafes zeugt vom Werden und Vergehen im ewigen Kreislauf der Natur.

Vor dem Fenster zeigt sich flächig aufgetragenes zartes Frühlings- und kräftiges Bergesgrün als Hoffnung auf neues Wachstum. Das christliche Osterfest ist in seinem Sinngehalt eingebettet in das Naturgeschehen im Jahreslauf, in den Rhythmus des Lebens. Die Wiederkehr der Vegetation, das Wiederaufsprießen des Korns, nachdem es in der Erde starb, erfüllt nicht nur die Sehnsucht des Menschen nach dem leuchtenden Aufblühen der Schöpfung, sondern ist existenziell. Doch Ostern erschöpft sich nicht in einer allegorischen Darstellung der Jahreszeiten. Der Sohn stirbt am Kreuz für einen Neuanfang der Menschen mit Gott. Christus verspricht als „Licht der Welt“ (Joh 8,12) eine lebensrettende Orientierung für alle zu sein, die ihm nachfolgen.

Christus selbst ist es, der im Auferstehungsbild von Tom Kristen das Licht herein lässt, die Dunkelheit vertreibt. „Ex oriente lux“, aus dem Osten kommt das Licht: Die Ausstrahlung des Auferstehungsortes Jesu bietet Christen eine neue Orientierung, wörtlich abgeleitet von „Orient“, die Richtung, wo die Sonne aufgeht. Mit Jesus ist eine neue Sonne aufgegangen, die ihre Strahlen in unseren Alltag schickt und Erstarrtes aufbrechen lässt.

Ostern lädt ein, diesen Aufbruch zu wagen, jeden Tag neu. Jesus macht dazu Mut: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10). Eine Fülle, die nicht immer mehr vom Selben bedeutet, sondern sich in jedem Moment zeigt, in dem wir neu aufstehen, für uns, für den Nächsten, in dem wir an das Leben glauben – in seiner ganzen Weite von Schmerz und Trauer, Freude und Liebe.

anders schauen – Neues entdecken

Der Blick des Betrachters taucht in eine fast formlose Farbenwelt ein, deren Aura neu schauen und denken lässt. Es gibt ein Oben und ein Unten, es gibt auch so etwas wie eine darüber (vordere) und darunter liegende (hintere) Ebene, diagonale Linien, die ein X bilden.

Die obere, vordere Ebene wird von der wolkig-grünen Farbe mit Tiefenwirkung zum tiefsten Punkt hin bestimmt. Diese Ebene ist an der unteren Kante  so nach hinten gebogen, dass darin zwei Flügel gesehen werden können, deren Unterseiten die unterhalb der Bildmitte liegenden Farben reflektieren. So scheint der obere Teil aufzureißen oder abzuheben und das Darunterliegende freizugeben.

In der Mitte dominiert ein intensives Gelb mit einer Kreisstruktur, welche an eine Sonne denken lässt, die zum unteren Bildrand hin fast stufenlos über ein luzides Lila-violett in ein intensives Blau übergeht.

In einer anderen Sichtweise führt vom unteren Bildrand her eine breite lichte Straße ins Bildzentrum. Links und rechts wird sie von einem hohen Wall mit rot-blau-weißem Abschluss gesäumt, der nur nach oben den Blick auf einen grünen „Himmel“ freigibt. Als Betrachter steht man beschützt in dieser fast unendlich langen Vertiefung mit den fantastischen Farben, die auf den grün gewölbten Himmel hin offen ist und ins Licht führt.

Ein nochmals anderes Schauen ermöglicht der gerundete und sphärische Farbverlauf zwischen dem Blau und dem Gelb. Denn es ermöglicht eine Sicht aus dem Weltall auf einen Planeten, über dem eine fremde Macht belebend und schützend seine Flügel ausgebreitet hat. Dort, wo sie sich am nächsten kommen, ist es im Bild am hellsten und von dort strahlt das Licht ins Bild hinein.

Ist es ein neuer Tag? Eine neue Erkenntnis oder Einsicht? Eine Befähigung und Ermutigung, im Da-Seienden neue Dimensionen zu entdecken und zu betrachten …

… so wie in der Sicht Josef Roßmaiers:

Eine Decke geht auf, die Schale zieht sich zur Seite,
ein Oben wird frei und eine andere Art Himmel,
die Weite an All weicht zurück
ins Unendlich:
Bodenlos, seitenlos; randlose Tiefe,
die Ferne, das Anders,
die Fremde,
ich falle hinaus, hinüber, hinein, lichtschnell und
auf einmal kein Laut mehr zwischen den Sonnmilliarden,
jeder Lärm ist jäh ins Universum gewichen,
aber ich ahne die Schreie im Bild,
im Absturz der Räume.
Kein Ende an Weg,
in der Ausfahrt der Augen
und Träume,
der Zeit…
Plötzlich, im einen Moment, fällt die Tür weg
und ich ras an die Grenzen,
die Enge reißt auf,
ich fahre,
und alles wird groß, blitzheftig,
ein Wirrspiel der Farben,
Anbruch von Himmel,
Einstrahlung.
Jetzt geschieht doch die Musik, tönendes Leuchten,
Lieder und Bild.
Immer mehr Anwesenheit.

Gottes Liebe ist ausgegossen

Visionär ist die Schau, in der sich das Licht aus der Höhe in die menschliche Dunkelheit ergießt und sternförmig über einer winzigen Menschengruppe aufstrahlt. Denn dass ein Gott, der per se überirdisch, ewig und damit transzendent ist, sich entäußert und Menschengestalt annimmt, ist schlichtweg unvorstellbar.

Doch weil bei Gott nichts unmöglich ist, kam er in Jesus Christus zu uns auf die Erde und wurde durch Maria Mensch. Diesem Wunder nähert sich die Künstlerin ebenso wie die Heilige Schrift in Symbolen.

Gott ist Licht. Seine Ewigkeit wird durch die Kreisform, die keinen Anfang und kein Ende hat, beschrieben. Im Innern dieses Kreises erzählen wunderbar bewegte rote und gelbe Linien, dass Gott die Quelle des Lebens ist. Im weißen Herz kommt zum Ausdruck, dass Er reine schöpferische Liebe ist, die über sich hinauswachsen will. Davon erzählt die Schöpfungsgeschichte, die mit der Erschaffung des Lichts begann und mit der der Menschen endet (Gen 1,1-31).

Jesus ist das Licht der Welt, weil er aus dem Licht kommt. Durch die Parallelen zur Schöpfungsgeschichte verankert der Evangelist Johannes im Prolog seines Evangeliums Jesus in Gott, wenn er schreibt: „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott. Dieses war im Anfang bei Gott. Alles ist durch das Wort geworden und ohne es wurde nichts, was geworden ist. In ihm war Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst.“ (Joh 1,1-4)

Mit Jesus schenkt Gott seiner Schöpfung einen Neuanfang. Doch dieses Mal geht es nicht um die Erschaffung einer materiellen Welt, sondern um die Erneuerung des Menschen. Deshalb schreibt Johannes: „Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt. […] Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut […], sondern aus Gott geboren sind.“ (Joh 1,9.12.13d)

Jesus ist der Erstgeborene dieser neuen Schöpfung. Im Bild ergießt sich das Licht in die Dunkelheit hinein. Es bahnt sich einen bleibenden Weg durch die Dunkelheit und explodiert förmlich in einem großen leuchtenden Stern über der kleinen Menschengruppe. Diese ist aus Wachs geformt und vor dem unteren Bildrand auf einer Zündholzschachtel erhöht angeordnet. Maria im blau-roten Kleid kniet anbetend vor der Krippe ihres Neugeborenen, Josef steht als Hirte gekleidet daneben.

Die Künstlerin hat mit dem gekneteten Wachs symbolisch den neuen Adam geschaffen. Indem sie ihn figürlich geschaffen hat, ließ sie das (gemalte) Licht Materie annehmen. Sie bildet damit ab, wie „das Wort Fleisch geworden ist und unter uns gewohnt hat“ (Joh 1,14a).

Die Streichholzschachtel ist ein Hinweis, dass wir uns aufmachen, uns begeistern und anzünden lassen, und so Licht werden sollen. Sein Licht will wie der Stern im Bild in uns leuchten. Denn die schwarze Fläche im Bild ist mehr als ein effektvoller Hintergrund. Sie ist die symbolische Darstellung alles Dunklen in unserem Leben. Sie ist Ausdruck unserer Verlorenheit ohne Retter. Sie zeigt unsere Sehnsucht nach Licht, nach Erleuchtung und Orientierung, letztlich nach Gott.

Carola Wedell führt uns mit ihrer visionären Schau erneut die großen Zusammenhänge der Geburt Jesu vor Augen. Und alle, die von seinem Licht erleuchtet sind, die sein Wort in sich aufnehmen und ihm Wohnung geben, können staunend in das Bekenntnis des Johannes einstimmen: „Wir haben seine Herrlichkeit geschaut, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit“ (Joh 1,14b).

Die Arbeit von Carola Wedell war in der 79. Telgter Krippenausstellung „Auf der Suche nach dem Licht der Welt“ im RELíGIO – dem Westfälischen Museum in Telgte zu sehen. 

Glaubensgeheimnis

Flüchtig bewegt umgeben die goldenen Flächen einen relativ kleinen Christuskorpus im weiten Chorraum der Kirche Maria Rosenkranz in Osnabrück. Er schwebt vor einem weißen Kreuz, das seinem Körper in der Senkrechten eine Richtung gibt, ihn mit den kurzen Querbalken aber nicht zu halten vermag.

Als viertes Element verbindet eine dünne graue Linie mit roten Enden den ungegenständlichen goldenen Hintergrund mit der geradlinig strengen Form des Kreuzes. Sie verstärkt mit dem angedeuteten Kreis die Präsenz einer haltgebenden größeren oder höheren Macht. Denn der Kreis umgibt den Gekreuzigten und gibt ihm einen schützenden Raum. Wie eine Lupe lenkt er den Fokus auf den Mann mit den ausgebreiteten Armen und das immateriell weiß leuchtende Kreuz hinter ihm. Die geometrische Form verbindet den Kreis mit dem Kreuz, gleichzeitig bildet seine Rundung einen feinen Kontrast zu den Geraden des Kreuzes.

Zu diesen beiden linearen Elementen bilden die gestische Hintergrundmalerei und der zentrale Christuskorpus zwei organische Gegenpole. Sie stehen für das Leben, das Lebendige.

Der goldene Hintergrund erzählt von der schöpferisch dynamischen Kraft Gottes, von seiner Unbegreiflichkeit, von seiner Gegenwart und von seiner Schönheit. Im freundlichen Goldgrund können Anklänge an die Sonne wiedergefunden werden – Gott ist Licht, er ist das Licht der Welt. Im warmen Goldgrund kommt Gottes Größe zum Ausdruck und können seine Liebe und Güte gespürt werden.

In Jesus Christus ist er Mensch geworden, wegen uns gekreuzigt und für uns gestorben. Er ist hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tag auferstanden von den Toten. Symbol dafür ist das verwandelte Kreuz hinter dem Christuskorpus: anstelle von Holz ist es eine immaterielle Aussparung in der Mauer. Das Kreuz ist eine Vertiefung, die indirekt beleuchtet zu einem Lichtblick in die Ewigkeit wird. Durch Jesus hat der Tod seine Macht verloren und wurde uns der Weg zum ewigen Leben geöffnet. Aus der Ferne betrachtet scheint das Kreuz jedoch nicht in die Wand eingelassen, sondern von allem Materiellen befreit davor zu stehen. So ist es das leuchtende Zeichen des Sieges. 

Der vom Kreuz befreite schwebende Christuskorpus veranschaulicht, dass Jesus am dritten Tag auferstanden und in den Himmel aufgefahren ist.

In den Kreis Gottes zurückgekehrt, sitzt er nun zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters. Das Kreuz bildet gleichsam den Thron, von dem aus Jesus die Lebenden und die Toten richtet. Er ist uns zugewandt, denn er ist der Kommende, der uns zu sich holen wird, in die Wohnung seines Vaters.

 

Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen,
den Schöpfer des Himmels und der Erde,
und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn.

Gekreuzigt, gestorben und begraben,

hinabgestiegen in das Reich des Todes,
am dritten Tag auferstanden von den Toten,
aufgefahren in den Himmel;
er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters,
von dort wird er kommen zu richten die Lebenden und die Toten.
(Glaubensbekenntnis)

voll Kommen

Licht durchdringt die Mitte eines dicht gebundenen Astkranzes, der von seiner Erdenschwere befreit im Bildraum schwebt. Immaterielles begegnet Materiellem, das Unfassbare dem Fassbaren.

Von hinten unten überstrahlt das Licht den oberen Teil des Kranzes und löst ihn partiell auf. In der unteren Hälfte geschieht das Entmaterialisieren durch Absprengen von kleinen Astteilen oder Dornen. Das Licht nimmt dem Kranz die einengende Kraft, überwältigt ihn loszulassen und aus der Starre in die Bewegung zu gehen.

Durch das aufstrahlende und überstrahlende Licht von hinten wird der Dornenkranz zu einem Fenster in die Ewigkeit, einem Durchbruch, einem Durchgang für die Begegnung mit Gott.

Der geflochtene Kranz erinnert mit seinen spitzen Enden an die Dornenkrone Jesu und das damit verbundene Leiden. Der Kranz vermag darüber hinaus Symbol für das irdische Leben mit seinem Wachstum zu sein. Zum einen waren die Äste einmal Teil aufstrebender und blühender Pflanzen, die dann geschnitten und in eine neue Form gezwungen worden sind. Zum anderen steht das Kranzgeflecht für das Wiederkehrende in unserem Leben, das sich Jahreskreis um Jahreskreis zu einem festeren Gebilde fügt.

Hier, mitten drin, leuchtet nun dieses neue Licht auf, das fähig ist, das oft dornige und festgefahrene Leben in eine neue Dimension zu überführen. Nicht von vorne, sondern von hinten, aus dem Verborgenen heraus, von der Schattenseite her. Es kommt von außerhalb, und doch von innen her. Was für eine Botschaft: Das österliche Licht strahlt mitten in unserem Leben auf, es verwandelt uns von innen. Von unseren inneren Freiräumen her schenkt uns Gott Erlösung von allem Bindenden, die Gnade, ganz zu Ihm zu kommen und in der vollkommenen, allumfassenden Gemeinschaft mit ihm zu leben.