mehr als acht Frauen …

Eine Maueröffnung gibt den Blick auf acht Frauen frei, die rege miteinander im Gespräch sind. Offensichtlich haben sich drei Gesprächsgruppen gebildet. Auf der linken Hälfte blicken drei Frauen erwartungsvoll auf die dunkelhäutige Frau am linken Rand, auf der rechten Seite sind je zwei Frauen miteinander im Gespräch. Sie hören einander zu, sie diskutieren miteinander, es scheint ihnen um die gleiche Sache zu gehen.

Die acht Frauen sitzen um einen mit einem weißen Tuch (das faltige Leinentuch lässt an frühchristliche Darstellungen von mit Leinenbinden umwickelten Verstorbenen denken) bedeckten langen Tisch und teilen miteinander Brot und Wein. Die Gesprächsrunde erinnert an das Letzte Abendmahl, ohne dass es in irgendeiner Weise einen Verweis auf eine traditionelle Darstellung gibt. Keine der Frauen nimmt die Position von Jesus oder des einen oder anderen Jüngers ein. Die Frauen sind modern gekleidet, unserer Zeit zugehörig. Und dennoch vertritt jede dieser Frauen auf eine ihr eigene Art und Weise charismatisch die Sache Jesu.

Denn der goldfarbene Hintergrund ist nicht einfach Dekoration, sondern er lässt sie eindeutig als Gesandte Gottes auftreten. Schlicht und einfach, sympathisch, engagiert. So eben, wie in der Kirche über Jahrhunderte hinweg von engagierten Frauen der christliche Glaube als etwas Kostbares an die nächste Generation weitergegeben und in die jeweilige Zeit hinein tradiert bzw. übersetzt worden ist.

Auch die Zahl Acht wird diesbezüglich kein Zufall sein, sondern kann als Hinweis interpretiert werden, dass die Frauen es – so wie die Zahl Acht keinen Anfang und kein Ende hat – von Generation zu Generation tun. Eine zweite Interpretationslinie geht vom christlichen Symbolverständnis der Zahl Acht aus: Wie Sieben die Zahl des Vollständigen, Vollkommenen ist, so ist Acht die Zahl der Erneuerung, des neuen Anfanges, der Fülle. Der achte Tag ist der Tag der Auferstehung Jesu Christi und aller auf seinen Namen getauften Menschen, er ist der Tag der Ausgießung des Heiligen Geistes. Im Gegensatz zu dem, was alt und vergangen ist, verbindet die Schrift den achten Tag in besonderer Weise mit dem Anfang des Neuen und mit dem, was JETZT ist. Gerade durch das Zeugnis der Frauen erneuert sich der Glaube unentwegt.

Die Maueröffnung suggeriert, dass mit dem Fresko etwas, das jahrhundertelang verdeckt war, wiederentdeckt wurde: Dass Amtsträgerinnen in der frühchristlichen Kirche ganz selbstverständlich zum neuen Lebensentwurf und sozialen Miteinander dazugehörten und letztlich im „Untergrund“ der Amtskirche bis in unsere Zeit wesentlich zur Glaubensverkündigung und -weitergabe beigetragen haben. Ihnen wird im Fresko ein Gesicht gegeben – typischerweise wieder ganz hinten in der Kirche. Aber sind sie nicht die „Türsteherinnen“, welche wo, wie und wann auch immer ihren Mitmenschen von ihrem Glauben erzählen und sie mit in die Kirche hineinnehmen?

Das Fresko erinnert an die ungebrochene Bedeutung der Frauen für die Kirche, an den den Rückhalt, die Basis, die sie durch die Frauen erhält. Auf der Brüstung der Chor-Empore haben die Namen der Amtsträgerinnen, an die das Gemälde erinnern soll, sichtbar einen Platz erhalten: Maria Magdalena, Martha, Phoebe, Junia, Lydia, Thekla, Priska und Die Namenlose. Diese Apostelinnen, Diakoninnen und Prophetinnen waren zu Jesu Zeiten und in seiner Nachfolge hoch angesehen und übernahmen mit Autorität verantwortungsvolle Führungspositionen in den ersten christlichen Gemeinden. Ohne ihr Engagement und ihren Mut hätte sich die damals neue Religion nicht entwickeln können. Ohne das (un)glaubliche Engagement der Frauen zu allen Zeiten wäre die Kirche nicht das, was sie ist. Ja, die Kirche hätte wahrscheinlich heute ein ganz anderes Gesicht, wenn die Männer den Frauen mehr zutrauen und ihre Leistung mehr achten würden. Die Katholische Kirche sähe wahrscheinlich sehr viel humaner aus. Das Fresko in der Rückwand der Kirche von Therwil ist diesbezüglich ein weiterer leiser Hinweis, den Frauen in der Katholischen Kirche endlich den Platz zu geben, der ihnen gebührt.

Bibelstellennachweis: Maria aus Magdala (Lk 8,3; Mt 27,55f; Mk 16,1-5; Joh 20,11-18), Martha (Lk 10,38–42; Joh 11,17-44), Phoebe (Röm 16,1), Junia (Röm 16,7), Lydia (Apg 16,14), Thekla (Paulusakten), Priska (Röm 16,3-4)

Bericht auf der Website der Kirchgemeinde

Buchstäbliche Auflösung

Unzählbar viele Buchstaben türmten sich im November 2007 in der evangelisch-reformierten Kirche in Zürich-Witikon vor dem Besucher auf einer großen schwarzen Metallplatte auf. Die Buchstaben waren als Suppeneinlagen allen bekannt, vom Aussehen her sogar vertraut.

Aber das Auftauchen der Suppenbuchstaben in der Kirche war doch verwirrend. Wieso Suppenbuchstaben? Warum diese Anhäufung? Lose liegen die einzelnen Buchstaben unter-, über- und nebeneinander. Der Zufall hat kein Wort ergeben. Ohne menschliches Zutun haben diese Buchstaben ebenso wenig eine geistige Bedeutung wie die Buchstaben in einer Suppe.

Da die Suppenbuchstaben in einer Kirche – und erst recht einer Kirche der Reformation – angehäuft wurden, drängt sich die Vermutung auf, dass sie etwas mit DEM Wort zu tun haben: dem Wort Gottes. Tatsächlich wurden alle Buchstaben in der neuen Zürcher Bibel gezählt und durch die entsprechende Anzahl eines jeden Buchstabens als Suppenbuchstaben auf der Metallplatte, auf der jedes Jahr das Osterfeuer brennt, sichtbar gemacht. Am meisten kommen die Buchstaben E und G vor (571.347 x), am seltensten das X (144 x).

3.402.248 Buchstaben sind eine beeindruckende Anzahl. Doch das kann nicht alles sein. Ohne den ordnenden und sinngebenden Rahmen der biblischen Bücher wären sie bedeutungslos. Es muss also einen weiteren Grund geben, dass der Künstler die Aktion in einer Kirche durchgeführt hat. Noch haben wir nicht hinterfragt, warum der Künstler Suppenbuchstaben verwendet hat. Um die Anzahl zu visualisieren, hätte er die Buchstaben der Bibel auch ausstanzen oder in einem anderen Material sichtbar machen können.

Suppenbuchstaben sind zum Essen vorgesehen. Sie wollen verzehrt werden. Und darum ging es auch Hans Thomann. Er wollte die Gemeinde darauf aufmerksam machen, dass die Texte der Bibel nicht nur gelesen, sondern verinnerlicht, angeeignet werden, immer mehr wesentlicher Bestandteil von uns werden. Interessanterweise entspricht das Gewicht der 3,4 Millionen (Suppen)Buchstaben der Zürcher Bibel mit 74,875 kg ungefähr demjenigen eines „durchschnittlichen“ Menschen. Wie DAS Wort in Jesus Christus Mensch geworden ist, soll auch Gottes Wort in der Heiligen Schrift in uns Gestalt annehmen, uns immer mehr zu seinen Menschen gestalten.

Der Anspruch geht damit weit über den Brauch der sogenannten Fresszettel hinaus, bei dem kleine Stücke aus den Seiten der Bibel herausgerissen und gegessen wurden, um die Genesung der Patienten zu fördern. Im Rahmen des Martinimahls und dreier Suppentage im Januar wurde die Gemeinde eingeladen, sich die Bibel einzuverleiben.

Ein schönes Symbol, das viele Parallelen zur Bibelmeditation aufweist. Die Buchstaben müssen eingeweicht, essbar gemacht werden, so wie die Bibeltexte gelesen werden und ihnen ein Sinn abgerungen wird. Oft ist dabei ein wiederholtes Lesen notwendig, ähnlich dem (Wieder)Kauen im Geiste, dem Hin- und Herbewegen, um seine Bedeutung für mich zu verstehen. Dabei werden die Worte und einzelnen Buchstaben aufgelöst und erhalten – ihrem Ziel zugeführt – in Leib und Seele eine ganz neue, individuelle Bedeutung, die durchaus stärkend und heilsam sein soll.