Durst nach Gott

 

Kreuzwegmeditation von Sr. Edith M. Senn, Kloster Hegne, zum 12. Bild des Kreuzwegs der Migranten

Ich will schauen, hören, aushalten, einfühlen, mitgehen, den letzten Weg mitgehen und in das Leben finden, das stärker ist als der Tod. Der Kreuzweg Jesu ist auch heute in der Welt tausendfach Wirklichkeit.

Gedanken zum Bild und zur Kreuzwegsituation:

Es ist vollbracht. Jesu Schrei vom Kreuz ist der Schrei des ertrinkenden Flüchtlings. Die Schiffsplanken, auf welchen der Migrant liegt,  sind zum Kreuz gefügt. Im Meerschwimmend wirken sie wie ein Rettungsanker, der vor dem Untergehen und Ertrinken Halt geben soll. Doch das täuscht: Der Leib des Flüchtlings ist gekrümmt, vom Verdursten bedroht, von der Hitze versengt, dem Sturm der Wellen ausgeliefert, die Kehle ist vor Angst zugeschnürt, haltlos treibend, wohin? Der Sterbende schreit gegen alle Todesangst an: Mich dürstet. In dieser Bedrohung ist er den Naturgewalten und den Schleusern ausgeliefert, weil kein Hafen im Mittelmeer dem Rettungsschiff Erlaubnis zum Anlegen signalisiert. Wie aktuell ist diese Tatsache gerade in diesen Tagen. Der Migrant schaut dem Tod ausgeliefert hilfesuchend in den Himmel. Kann der Lichtblick zum geöffneten Himmel die Botschaft sein: Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist?

Durch Karl Rahners Wort wachse ich immer mehr in die Wahrheit hinein, wie das Geheimnis seines Kreuzweges und seines Sterbens zu verstehen ist: „Das Sterben Jesu am Kreuz sind die Sünden, die Intrigen der Menschen, die Jesus ausgeliefert und getötet haben. Wir sind nicht durch Jesu Tod am Kreuz erlöst, sondern wir sind erlöst, weil Gott vergibt, weil Gott GOTT ist. Am Kreuz wird die vergebende Liebe Gottes sichtbar. Jesus musste nicht sterben, damit Gott vergibt. “

Persönliche Impulse:

  • Der Blick auf das Kreuz kann mir helfen, an die vergebende Liebe Gottes zu glauben, jeden Tag neu.
  • Ich möchte mit J. Sudbrak beten: „Lass meine Liebe hineinwachsen in deine Liebe, meinen Lebensbaum in dein Leben, dass mein Kreuzweg einmünde in den Weg, den du gegangen bist“.
  • Jesu Gebet: Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist, ist auch mein Gebet. Vater, ich lege mein Leben in deine Hände, im Vertrauen, dass alle Liebe aufgehoben ist in deiner Liebe. Denn du schenkst uns die Zusage: „Mit ewiger Liebe habe ich dich geliebt und dich an mein Herz gezogen“. Jeremia 31, 3

Jesus, du sagst zu mir:  „Mir nach, hinauf nach Jerusalem (es hat viele Namen) hinauf ans Kreuz, (es gibt viele Weisen zu sterben) hinüber zum Vater, er ergreift deine Rechte, in Liebe streckt er seine Rechte dir entgegen. Du bist im Schlepptau deiner Vollendung, wenn du deinem Bruder, deiner Schwester die Hände reichst, dann wächst eine Kette ins Ostern. Die Kette muss halten, bis auch der Letztgeborene am jüngsten Tag endgültig ankommt im Ostern“.  Nach Kyrilla Spieker

Alle Bilder des Kreuzwegs der Migranten

 

Seit 2014 ertrinken Monat für Monat etwa 250 Menschen bei ihrer Flucht über das Mittelmeer (2014-2018 lt. UNHCR 15.562 Personen). „Diese humanitäre, von Menschen und durch politisches Versagen verursachte Katastrophe lässt sich nur schwer in Worte fassen und ist durch nichts zu entschuldigen. Der Bildhauer und Graphiker Joachim Sauter hat sich von diesem Skandal bewegen lassen, als er im Jahr 2016 bei einer Wettbewerbsbeteiligung eine alte kirchliche Gebets- und Meditationsform aufgriff und sie – angereichert durch eigene Erfahrungen in Ostafrika – in diesem Kreuzweg der Migranten aktualisierte. Die Betroffenheit, die diese Kreuzwegstationen auslösen können, ist für uns als Betrachtende zunächst einmal eine Anfrage an unsere humane Solidarität und menschliche Empathie. Darüber hinaus berührt Joachim Sauter durch seine zeitgenössische Umsetzung einer alten christlichen Bildtradition ein zentrales Thema menschlichen Lebens und christlichen Glaubens: Leiden – Tod – Erlösung.“ (Sr. Regina Lehmann / Peter Stengele)

Der Kreuzweg der Migranten war im Frühjahr 2019 im Haus St. Elisabeth im Kloster Hegne ausgestellt.