Die Gestalt des Gekreuzigten wächst hoch oben aus der dünnen Senkrechten heraus. Sein Körper ist bis auf den Kopf und die Arme vor allem auf der Vorderseite figürlich als Beine, Lendenschurz, Bauch und Brustbereich gestaltet. Die senkrechte Teilung der Beine setzt sich in einem Spalt im Brustbereich fort und bildet dort mit der Unterseite der Brust ein Kreuz.
Der Kopf ist nach rechts gedreht, der Blick nach unten gerichtet. Seine Arme hat der Erhöhte maximal ausgestreckt, ebenso seine Hände: rechts senkrecht erhoben, links waagrecht nach vorne abgewinkelt. So bildet der Körper als Ganzes ein hochaufragendes Kreuz, gleichzeitig trägt er im Brustbereich das Kreuz in den Körper eingeschrieben.
Er ist nicht als der leidende Jesus dargestellt, auch wenn seine Wundmale deutlich zu sehen sind. Jesus wird nicht als passiv das Leiden Erduldender, sondern als Mitleidender, als sich Erbarmender und Beschützer aller wie er Gekreuzigter dargestellt. Er hat das Unrecht der Missbrauchten durch Spott, Folter und Tod am eigenen Leib erfahren. Nun wehrt er sich und verteidigt alle: Es ist genug! Hört auf! Das ist nicht auszuhalten!
Jesus tritt den Peinigern und Mächtigen als Verteidiger der Missbrauchten und Entwürdigten entgegen: Am Kreuz erhöht stellt er sich mahnend zwischen die Gewalttätigen und die Unterdrückten. Mit seiner aufgerichteten rechten Hand gebietet er Halt und Einhalt, mit seiner waagrecht gehaltenen linken Hand wehrt er eher ab. Jesus hält die Gewalttätigen auf Distanz, er schaut sie nicht an. Er, der Menschenfreund, weist sie ab und will auch nicht mit ihnen in Verbindung gebracht werden. Er will auch von seinen eigenen Leuten nicht missbraucht oder verzweckt werden.
Missbrauch hat viele Gesichter und durchzieht zu allen Zeiten alle Gesellschaftsbereiche. Er ist uns näher als wir vielleicht denken, wenn wir stärker, reicher, klüger, älter, gesünder oder einflussreicher sind als andere (vgl. Lk 1,48-53). Macht ist schnell missbraucht, wenn Eigeninteressen höher gestellt werden als das Gemeinwohl und insbesondere das Wohlbefinden des Nächsten im biblischen Sinne. Niemand ist vor dieser Versuchung gefeit, auch nicht Priester oder Lehrer, Väter oder Mütter, Geschäftsleute, Arbeitgeber oder Politiker. Jesus ist gegen jede Art der Unterdrückung und Bevormundung. Im Christuslied des Philipperbriefes (2,6-8) wird beschrieben, wie Jesus auf seine unvorstellbare Machtfülle verzichtete, um den Menschen nahe zu sein und ihnen durch Gottes heilende, stärkende und rettende Kraft ihre Menschenwürde zurückzugeben.
Jesu Gegenmacht zum „Missbrauch von gutem Brauch“ ist seine Liebe und Fürsorge, sein Für-andere-da-Sein. Sein Umgang mit den Menschen ist geprägt von Respekt und Toleranz, von Wertschätzung und Vertrauen in deren Fähigkeiten und Kräfte. In seinen Augen sind alle Menschen gleich und in seiner Gerechtigkeit gibt es keine Unterschiede, außer dass den wie auch immer Benachteiligten Hilfe und Unterstützung zusteht.
Dieses Kreuz verkörpert Jesu Haltung über den Tod hinaus. Von „Gott über alle erhöht“ (Phil 2,9) bleibt er für alle Selbstsüchtigen und Peiniger ein Mahner des Unrechts und somit ein Stein des Anstoßes und ein Zeichen des Widerstands. Alle anderen stärkt Jesus als unübersehbares Vorbild im rechten und guten Umgang miteinander.