Licht in der Nacht

Menschenleer und nächtlich still präsentiert sich die Raum-Landschaft. Die Behausungen lassen des Menschen Werk spüren, ihn aber nicht sehen. So wirkt die Leere geheimnisvoll und lässt die Raumhüllen für sich sprechen.

Ein quaderförmig gemauertes Gebäude dominiert die linke Seite des Querformates. Der nach vorne offene, bildhohe Innenraum wirkt groß und palastartig. Die Wände sind grünlich-blau, wobei vorne links die Gesetze der räumlichen Wahrnehmung ausgehebelt werden. Die Decke ist schwarz wie die Dunkelheit, die über der hellen Landschaft und Außenwand liegt. Die Farbe des braunen Bodens zieht sich in der Türöffnung links nach oben, so dass nicht klar ist, ob die Türe die gleiche Farbe hat oder der Boden hinter der Türe unendlich weitergeht. Das erdige Braun signalisiert einen fruchtbaren Boden, das Grün der Wände Wachstum und Hoffnung. Alles ist bereit, um zu empfangen, aufzunehmen und mit Leben zu füllen. Verstärkt durch das seitliche Fenster bleibt es ein Raum der Sehnsucht und der Erwartung. Die umgekehrte Perspektive vergrößert diesen Raumeindruck nach hinten und führt über die Seitenwand vom Vordergrund in die Bildmitte und -tiefe.

Das Holzhaus mit Satteldach steht klein und unscheinbar neben seinem großen Nachbar im freien Feld. Ohne sichtbare Fenster und Türen erscheint es als einfache Feldscheune. Doch der Lichtpfeil im schwarzen Hintergrund weist eindeutig auf die ärmliche Hütte als Ort des Geschehens. Der die dunkle Nacht spaltende Lichtkeil reißt nicht nur die Himmel auf, er lässt auch das durch die Bretterritzen schimmernde Licht im Innern der Hütte wahrnehmen. So wie die Stirnwand der Scheune erwartungsvoll nach oben weist, zeigt der Lichtspalt erfüllend nach unten auf den verborgenen Glanz im Innern. Wenn man sich das dreieckige Licht als unterste Spitze eines vielfach größeren Sterns vorstellt, dann lässt das überwältigende Himmelszeichen noch mehr ahnen, was für ein bedeutungsvolles Ereignis in dieser bescheidenen Behausung gerade stattfindet.

Das Bild lädt ein, einengende und leer gewordene Räume zu verlassen und uns wie die Weisen aus dem Osten dem Licht folgend auf die Suche nach Jesus zu begeben. Es fordert auf, unsere kleinformatigen Vorstellungen immer wieder über Bord zu werfen, weil Gott anders und größer denkt und handelt als wir. Es ermutigt, den Blick zu heben, aufzuschauen und das Licht zu sehen. Hier ist Bethlehem, das Haus des Brotes, das Haus des Lebens. In die bescheidene Hütte ergießt sich die Fülle des Lichts, des Lebens (Mi 5,1) und des Heils. Der palastähnliche große Raum bleibt leer (vgl. Lk 1,53). Diese beiden Sinnbilder dürfen wir uns zu Herzen nehmen: Gott ist uns gerade in den größten Dunkelheiten nahe. Und er liebt es, im Kleinen und Unscheinbaren geboren zu werden und da zu sein.

anwesend

Der Bildausschnitt führt den Betrachter zeitlich in die Nacht und räumlich in ein Zimmer mit einer offenen Balkontüre. Der Blick wandert über einen bläulich schimmernden See, der von einem Hügel begrenzt wird, hinauf in den türkis-nebligen Himmel, der etwa gleich viel Raum wie der See einnimmt.

Die einzige Lichtquelle im Bild ist die Reflexion des Mondscheins auf der Wasseroberfläche. Der angeschnittene Kreis lässt uns das Licht als sichtbare Hälfte eines unsichtbaren Ganzen wahrnehmen. Ungefähr in der Bildmitte positioniert erfüllt der Widerschein des Mondes alles gerade mit so viel Licht, dass die Landschaft und das Haus noch in unscharfen Konturen und dunklen Farbtönen wahrnehmbar sind.

Das Zimmer selbst ist in Dunkelheit gehüllt. Nur durch die große Öffnung werden die linke Wand mit der Balkontüre und der Boden schwach beleuchtet. So wirkt das Zimmer wie ein Rahmen für den nächtlichen Ausblick auf den mondbeschienenen See und macht diesen zu einem Blick ins Licht.

Es sind Elemente wie der Glanz des Sees oder der wolkig schattierte Himmel mit den grünlichen und rötlichen Lichteffekten, die zur wohltuenden Ruhe und dem tiefen Frieden im Bild beitragen. Harmonie geht von der flächig ausgeglichenen Darstellung von Wasser und Himmel aus und im Gegensatz zur Nacht und dem See ist hier im höhlenartigen Gemäuer Geborgenheit erfahrbar. „Durch die Sanftheit der Übergänge, den weichen Schmelz im Spiel mit Licht und Schatten, das glimmende Geheimnis magischen Farbdunkels bieten die Nachtstücke […] dem Betrachter einen nächtlich warmen Resonanzraum, in dessen Geborgenheit er mit seinen eigenen Empfindungen eintauchen, in den er sich wie in einen dunklen Mantel einhüllen kann.“ (Dr. Barbara Renftle in: „umnachtet-bestirnt – Das Nächtliche in der Kunst“, Stiftung BC – pro arte 2022, S. 46)

In der Stille einer solchen Nacht sind durchaus Gotteserfahrungen möglich. Durch das die Nacht erhellende und sich im See spiegelnde indirekte Mondlicht wird eine starke unsichtbare Gegenwart angedeutet, auch wenn die Lichtquelle selbst nicht zu sehen ist. Der Psalmist hat die Anwesenheit Gottes so stark erfahren, dass er zu Ihm sagen konnte: „Auch die Finsternis ist nicht finster vor dir, / die Nacht leuchtet wie der Tag, wie das Licht wird die Finsternis.“ (Ps 139,12) Das Wasser und die Nacht können dazu beitragen, dass der dunkle Raum als Zufluchtsort und Schutz erlebt wird, Eigenschaften, die gerne Gott zugeschrieben werden: „Da wurde mir der HERR zur Schutzburg, mein Gott zum Fels meiner Zuflucht.“ (Ps 94,22) Das gibt Kraft und Zuversicht, den Schwierigkeiten und Herausforderungen des Lebens zu begegnen und sie mit Seinem Beistand auszuhalten und zu überwinden in der Gewissheit, dass der Nebel sich lichten und ein neuer Tag anbrechen wird.

 

Das Bild war in der Themenausstellung „Umnachtet – bestirnt: Das Nächtliche in der Kunst“ bis zum 25. November 2022 in der Galerie der Stiftung BC – pro arte, Biberach zu sehen. Zur Ausstellung ist ein Katalog mit allen Werken und einer umfassenden kunstgeschichtlichen Einführung der Kuratorin Dr. Barbara Renftle erschienen.

Das Leben nicht vorbeiziehen lassen

Eine kunterbunte Menschengruppe ist in der Nacht unterwegs. Ihre leuchtenden Farben und außergewöhnlichen Kleider erinnern vielleicht an Karneval, doch der Stacheldraht im Vordergrund passt nicht zu diesem Gedanken.

Diese Frauen, Männer und Kinder, die hier in scheinbar endloser Reihe vorbeiziehen, haben sich nicht zum Spaß verkleidet, sie kommen von woanders her, sie sind in anderen Kulturkreisen aufgewachsen und vom Leben dort geprägt. So lassen ihre Kleider auf eine afrikanische Herkunft oder muslimische Religion schließen, der Totenkopf und die Zielscheibe, dass sie vom Tod begleitet werden und im Fokus vieler Menschen stehen. Die Linienführung ihrer Kleider oder deren Musterung lässt zudem an lange und vielfältige Erfahrungen denken, die sie mitbringen.

Weil sie anders sind, fremd, nicht dazugehörend, müssen sie vorbeiziehen, ausgesperrt durch eine Stacheldrahtrolle. Die Fremden sollen auf der anderen Seite bleiben und vorüberziehen. Sie sind unerwünscht und sollen nicht hereinkommen. Weshalb sollen sie auch ein Gesicht haben, wenn sie von unserer Seite her gar nicht gesehen werden wollen?

Doch vor dem Hintergrund der dunklen Nacht und hinter dem winterlich kalten Stacheldraht sind diese Menschen der einzige Lichtblick im Bild und erfüllen es mit Wärme. Sie sind Symbol für das Leben und seine Vielfalt und machen deutlich: Wer Menschen ausgrenzt, grenzt das Leben aus.

Dabei haben wir nicht erst seit Jesus den Auftrag, das Leben zu schützen und zu fördern. Wir machen das in der Familie, vielleicht zeigen wir auch Nachbarn oder sogar Landsleuten diese Solidarität. Aber bei Fremden stoßen viele von uns an Grenzen und wir tun uns schwer, sehr schwer sogar.

Wahrscheinlich hat gerade deswegen Jesus in der Bergpredigt sein Augenmerk auch darauf gelegt, wenn er sagt: „Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen. Gib jedem, der dich bittet! Und wie ihr wollt, dass euch die Menschen tun sollen, das tut auch ihr ihnen! Wenn ihr die liebt, die euch lieben, welchen Dank erwartet ihr dafür? Denn auch die Sünder lieben die, von denen sie geliebt werden. Und wenn ihr denen Gutes tut, die euch Gutes tun, welchen Dank erwartet ihr dafür? Das tun auch die Sünder. Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist! Richtet nicht, dann werdet auch ihr nicht gerichtet werden! Gebt, dann wird auch euch gegeben werden! Ein gutes, volles, gehäuftes, überfließendes Maß wird man euch in den Schoß legen; denn nach dem Maß, mit dem ihr messt, wird auch euch zugemessen werden. (Lk 6,27, 30a,31-33,36-37a,38)

Den ersten Satz könnte man leicht abgewandelt auch auf die Fremden beziehen, ohne aus ihnen gleich Feinde zu machen: Liebt die Fremden, tut denen Gutes, die ihr nicht kennt. Und in Anlehnung an Mt 25 „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Als ich fremd war, habt ihr mich aufgenommen; ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war nackt und ihr habt mir Kleidung gegeben. (nach V. 40 und 35)

Wir sollten das Leben nicht vorbeiziehen lassen und erst recht nicht Jesus, wenn er uns als Fremder unverhofft besuchen möchte!

Verheißung

Dreieckförmig bricht von oben kommendes Licht die nachtblauen Schatten auf. In seiner Mitte scheint ein dunkelgelber Lichtstrahl die Dunkelheit wie ein scharfes Messer zu teilen und zur Seite fallen zu lassen. Wie schroffe Berghänge beim ersten Tageslicht geben die Schatten nun einen Blick durch das Tal und auf das Dahinterliegende frei. Es ist kein Weg zu sehen, der sich dem Betrachter öffnet und den er mit seinem geistigen Auge beschreiten könnte.

Vielmehr lädt ihn das hinter den nachtblauen Schatten Offenbarte und gleichzeitig Verborgene ein, schritt- und stufenweise durch die weichende Dunkelheit dem Licht entgegen zu gehen. Denn die Dunkelheit hat ihre Macht verloren. Mit der Vertreibung der Nacht ist die Herrschaft des Lichtes angebrochen. Diese Verheißung steht im Raum.

Im Hintergrund ist von den letzten Schleiern der Nacht noch halb verborgen eine Architektur mit einer blauen Türe sichtbar. Noch ist sie verschlossen, aber sie weist eindeutig auf ein Haus und auf die Möglichkeit hin, dass es weitergeht, wenn sie entriegelt und geöffnet wird. Wohin sie wohl führen wird? Und wer wird die Türe öffnen? Was wird demjenigen zu schauen gegeben, der mutig anklopft und um Einlass bittet?

Das Bild scheint auf den ersten Blick keine Auskunft darüber zu geben. Doch direkt hinter der Lichtsäule ist mehr angedeutet als sichtbar eine engelsgleiche Gestalt auszumachen, die mit einem erhobenen Leuchtschwert der Türe zugewandt ist. Sie scheint die hellblaue Türe zu bewachen und weist gleichzeitig auf sie hin. Ob die Türe den Eingang zum Himmel bildet? Ist sie eine Art Himmelspforte? Darf der Besucher dahinter – wie auch immer – den Himmel erwarten, den Himmel auf Erden? Das Bild schweigt dazu. Es lässt die Verheißung im Raum stehen.

Allerdings vermag eine andere Assoziation die Ahnung zu vergrößern, was denjenigen erwarten wird, der auf das Licht zugeht. So wie die Intervention von oben einen Weg durch die Dunkelheit bahnt, werden Parallelen zum Durchzug der Israeliten durch das Rote Meer sichtbar. Gott selbst ist „herabgestiegen, um es [sein Volk] der Hand der Ägypter zu entreißen und aus jenem Land heraufzuführen in ein schönes, weites Land, …“ (Ex 3,8). Wie die Israeliten von den Ägyptern verfolgt dann am Meer standen, streckte Mose seine Hand aus, ließ Gott durch einen starken Wind die Wassermaßen zurückweichen, so dass „rechts und links von ihnen das Wasser wie eine Mauer stand“ (Ex 14,22). Damit war für das Volk Gottes der Weg in die Freiheit offen.

Auch heute befreit Gott uns von den Dunkelheiten unserer Zeit, damit wir in der Freiheit seines Lichtes seine Nähe zu uns in seinem Sohn erkennen und selbst Lichtträger werden.

Mutterliebe – Nächstenliebe

Eine junge Frau mit einem Knaben steht im Blickpunkt dieser Arbeit. Es sind nur die Köpfe und je ein Arm von ihnen zu sehen. Ihr Haupt ist mit einem Schleier bedeckt, ihre Augen blicken fragend in die Weite. So eng wie sie ihn an sich drückt, muss es ihr Sohn sein. Mit ihrer linken Hand drückt sie gerade eine der großen Kapseln zur Seite, so als suchte sie einen Weg oder gar einen Ausweg aus dem Feld mit den übergroßen Mohnkapseln. Der Junge hält in seiner Hand eine geschlossene Mohnblüte, sein Blick geht in die Richtung dieser Knospe in das Feld hinein. So kreuzen sich ihre Blicke.

Mit den vielen unterschiedlichen Blautönen vermittelt das Bild eine düstere Stimmung. Mutter und Sohn sind teilweise in dunkle Schatten gehüllt. Nur Teile ihrer Gesichter leuchten in der Dunkelheit dieser Nacht auf, die mehr als nur die äußere Nacht andeutet. Angst spricht aus den Augen der Frau, Betroffenheit und gleichzeitig Sehnsucht nach Licht und Freiheit. Angsteinflößend groß hat die Künstlerin die Mohnkapseln dargestellt, gleichsam als Konkurrenz zu den Köpfen von Mutter und Sohn. Sie muten wie Leuchten an, welche die beiden auf dem Weg begleiten. Sie gaukeln vor Lichtträger zu sein und in die Freiheit zu führen.

Und doch ist der Schlafmohn der Feind der Freiheit. Er führt in die Verwirrung und Abhängigkeit durch das Opium, das der Rohstoff für das Rauschgift Heroin ist. „Gefangen in Rot“ erinnert an das Schicksal von Frauen und Kindern in Afghanistan, dem Herkunftsland der Künstlerin und dem weltweit größten Produzenten von Opium. Denn der Vormarsch der Taliban fördert bei den Bauern den Anbau von Schlafmohn, weil dieser in einer kriegsbedingten Hochrisikolandschaft wenige Risiken birgt. Die innige Darstellung von Mutter und Sohn steht für die vielen Mütter, die trotz der widrigen Umstände ihre Kinder bedingungslos lieben. Sie gehen in ihrer Liebe zu den Kindern innerlich durch die Nacht, getragen von der Hoffnung, dass es zumindest für die Kinder einen Weg aus dieser „Gefangenschaft“ gibt. Steht für diesen Gedanken vielleicht der Mann in der Haltung eines Sämanns an der Stirn der Frau? Vermag er einen Samen zu säen, der nicht mit Unterdrückung und Not, Ungerechtigkeit und Leid verbunden ist?

In der gleichen Größe wie der Sämann finden sich überall auf dem Bild verstreut weitere Menschengestalten. Auch in den Mohnkapseln. Damit weitet die Künstlerin den Blick auf alle Menschen und das, was sie tun. Ob es ihnen um ihre Macht und ihren Reichtum geht oder um das Wohl aller, gerade auch der Schwächsten? Indirekt wird damit die Sehnsucht nach einer besseren Zeit angedeutet, die Parallelen mit dem Reich Gottes hat. Auch hier ist entscheidend, ob der Samen des Sämanns – als Symbol für die Kraft von Gottes Wort – auf guten Boden fällt und reiche Frucht und Wirkung entfalten kann oder nicht (vgl. Mk 4,1-23).

Die Darstellung von Mutter und Sohn soll ganz bewusst auch Maria mit dem Jesuskind sichtbar machen. Durch ihre Präsenz lässt die Künstlerin ein himmlisches Licht in der Nacht der Bedrängnis und Bedrohung aufleuchten. Mit Marias Liebe ermutigt sie nicht nur Eltern, sondern alle, die Verantwortung für andere tragen, für sie den Weg aus vielerlei Abhängigkeiten und Gefangenschaften zu suchen und zu wagen, damit diese eines Tages in Freiheit ihren eigenen Weg gehen können, mag er wie bei Jesus noch so schwer und schmerzhaft sein.

Diese Arbeit war zu Mariä Himmelfahrt im Rahmen der Ausstellung “Maria ImPuls der Zeit” am 19. und 20. August 2017 in Warendorf ausgestellt. Hier finden Sie ausführliche weitere Informationen.

Unerwartet – Nachts im Wald

Durch das Licht wird der Blick von der rechten unteren Ecke in das Bild hineingeführt. Es handelt sich um eine verschneite Wiese, die nach rechts leicht ansteigt und in deren Mitte ein kahler Baum steht. Nur durch den Schnee wird sichtbar, wie er sich aus dem Wiesenboden erhebt und gleich einer Lichtsäule alles über den Bildrand hinaus in die Höhe zieht. Rechts von ihm führt der Horizont direkt in die undurchdringliche Nacht, wobei die Schneeflocken die Nacht wunderbar verzaubern und wie Sterne in die Weite des nächtlichen Kosmos öffnen. Links vom Baum sind im Hintergrund schwarze Baumstämme und damit Wald erkennbar, davor aber eine Gruppe Menschen. Auf den ersten Blick denkt man an Hirten, die mit ihrer Herde auf dem Feld lagern, vielleicht auch an eine Gruppe Obdachloser oder Flüchtlinge.

Aber bei der Entdeckung, dass es sich bei dieser Menschengruppe um Jesus und die zwölf Apostel beim Letzten Abendmahl handelt, ist das Erstaunen groß. Alles hätte man hier erwartet, aber nie Jesus in der Abendmahlszene nach Leonardo da Vinci, der auf dem Horizont der Wiese seine Arme genauso ausbreitet wie auf dem Abendmahltisch. Jesus mit seinen Jüngern in dieser Umgebung wiederzufinden ist befremdlich und irritiert. Was macht er hier, was hat er hier verloren? Wieso malte die Künstlerin die Gruppe in diese unwirtliche Landschaft? Die aufgebrachten Körperausdrücke und die heftigen Gesten der Jünger stehen für Ihre Fragen, Gespräche und Diskussionen. Sie könnten auch unsere sein.

Wieso ausgerechnet Jesus und die Jünger beim letzten Abendmahl? In der vorweihnachtlichen Zeit verbinden wir die nächtliche Landschaft vielmehr mit Vorstellungen der schwangeren Maria auf dem Esel und einem Josef, der vorausgeht. Vielleicht dachten wir spontan auch an das Adventslied „Maria durch den Dornwald ging …“ Doch hier spricht Jesus mit ausgebreiteten Armen in die Winterlandschaft hinein: Nehmt und esst, das ist mein Fleisch. Und das ist mein Blut, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden. Tut dies zu meinem Gedächtnis. (vgl. Mt 26,26f)

Es sind die Worte, die er einige Tage vor seinem Tod am Kreuz zu seinen Jüngern gesagt hatte. Die Bildumgebung schafft durch die Nacht, das Licht und den Schnee eine Parallele zu unserer vorweihnachtlichen Zeit des Advents, in der wir gleichsam mit Maria und Josef auf die Heilige Nacht zugehen, in der Jesus geboren wurde. Damit wird auf eine ungewöhnlich neue Weise die Geburt Jesu in Verbindung mit seinem Sterben gebracht. Gleichzeitig wird unser Blick für das Besondere geschärft und wir werden gleichsam aufgerufen, wachsam zu sein, um sein Kommen am „Rand der Welt“ wahrzunehmen, zu sehen und für ihn bereit zu sein. Von Anfang an schenkt sich Jesus in unsere Dunkelheiten, Kältezonen und Erstarrungen hinein, auf dass sie wieder hell, warm und lebendig werden. – Bereiten wir uns vor, seien wir wachsam, damit wir ihn nicht verpassen, wenn er ganz unauffällig in unser Leben eintritt und es mit Leben erfüllen will.

Verheißung – mehr als ein Lichtblick

Es muss eine traumhaft schöne Nacht sein, wenn so viele Sterne am Himmel sichtbar sind. Die unzähligen Lichtpunkte verwandeln die schwarze Unendlichkeit in ein funkelndes Lichtermeer. Groß und stark steht jedes einzelne Licht am Firmament. Viele von ihnen sind vier-, fünf- oder gar sechseckig ausgeformt – und funkeln wie Kristalle. Um jeden Stern hat sich ein Lichtkranz gebildet, der das tiefe Schwarzblau aufhellt.

So funkelt der Nachthimmel kristallin und klar über dem blassgrünen Grasband, das sich im unteren Drittel quer durch das Bild zieht. Es erdet den Blick zum Himmel, es verortet den Blick ins Weltall. Grünbraun stehen die kurzen Grasbüschel auf dieser Erderhebung, die keinen Blick in die Weite der Landschaft erlauben, sondern die unmittelbare Umgebung, den konkreten Lebensraum als Ausschnitt der ebenso wenig fassbaren Erdoberfläche wie die Weite des Himmels darstellen.

Zwischen den Grasbüscheln sind helle und dunkle Stellen erkennbar, die an Sand erinnern, an eine Steppenlandschaft mit schräg gewehten Grashalmen. Kargheit spricht aus ihnen, Widerstand gegen Trockenheit, Wind und den Wechsel von großer Hitze am Tag und Kälte in der Nacht.

Neben den vielen weißen Lichtern finden sich auch gelbe Lichter, allerdings über die ganze Bildfläche verstreut. Mit ihnen scheinen die Lichtpunkte auf die Erde zu fallen, sie gleichsam zu befruchten und einzelne Gräser in Blumen zu verwandeln. Sie verbinden die Erde mit dem Himmel.

Das Bild kann einfach als Abbildung der Natur gesehen werden. Eine andere Bedeutung kommt ihm zu, wenn das Bild die Schau eines unsichtbaren Betrachters wiedergibt, der wie wir dieses Naturschauspiel sieht. Dem Bild ist zu entnehmen, dass er in einer kargen steppenartigen Landschaft lebt, in der er derzeit keine großen Aussichten hat.

In so einer Situation stand Abraham, als Gott ihm nach der Trennung von Lot viel Land und „Nachkommen zahlreich wie den Staub auf der Erde“ verheißen hat (Gen 13,14-18). Nach der Begegnung mit Melchisedek erneuerte Gott seine Verheißung und konkretisierte, dass ein leiblicher Sohn sein Erbe sein werde. Darauf „führte ihn [Gott] hinaus und sprach: Sieh doch zum Himmel hinauf und zähl die Sterne, wenn du sie zählen kannst. Und er sprach zu ihm: So zahlreich werden deine Nachkommen sein. Abram glaubte dem Herrn und der Herr rechnete es ihm als Gerechtigkeit an“ (Gen 15,4-6).

Abraham glaubte das menschlich Unmögliche! Dadurch wurden für ihn die vielen funkelnden Sterne zu Symbolträgern, die Licht in seine menschliche Dunkelheit und Ausweglosigkeit brachten. Sie wurden für ihn zum Sinnbild der Verheißung, dass Gott mit ihm ist und ihn wegen seines unerschütterlichen Glaubens an seine Zusage zu einem Segen für Generationen machen werde. Und in jeder Nacht, in jeder Dunkelheit wurden die Sterne dadurch zu Lichtblicken und zur Ermutigung, im Glauben nicht nachzulassen.

In dem Sinne vermag das Bild an Gottes Verheißung an Abraham zu erinnern. Es ermutigt aber auch, gerade in Zeiten der gefühlten Gottferne oder gar Abwesenheit den Kopf nicht hängen zu lassen, sondern den Blick zum Himmel zu erheben und die Sterne zu schauen. Die Sterne mögen weit weg erscheinen, durch Wolken oft nicht sichtbar sein, dennoch sind sie da. Ebenso ist Gott da, er steht zu seiner Verheißung. Nicht nur an Abraham, sondern an jeden, der wie Abraham Gottes Treue glaubt. Dann werden Sterne über einen Lichtblick hinaus zu Lichtträgern werden, die fest und kostbar wie Edelsteine die Zusage Gottes wach halten.

Durchblick – Anblick

Schwer zu sagen, wohin der Blick durch diesen schwarzen Rahmen führt. Außen klar abgegrenzt verläuft der breite Strich am inneren Rand und geht verwaschen in das blaue Innenfeld über. Feine Linien in weißer bis golden brauner Farbe erfüllen diesen gewölbten Raum mit Leben, scheinen von unten wie Rauch aufzusteigen, wie geistige Feuerzungen den Raum zu füllen, wie Wasser einer dreifach gefassten Quelle zu entspringen.

Die Dreiviertelkreise in der unteren Hälfte umgeben eine Mitte, die nur von unten zugänglich ist. Dadurch wird die Tiefenwirkung verstärkt, der Blick durch den dicken, festen Tür- oder Fensterrahmen hindurch und weiter die drei Bögen in das Bild hineingezogen. Man kann nur eintauchen in die Tiefe und Weite dieser von Licht durchdrungenen blauen Farbe, sich berühren lassen von dem feinen Leben, das der geheimnisvollen Mitte kraftvoll und doch ruhig entströmt.

Ob man zu weit geht, wenn man in der innersten Umschreibung die Andeutung eines Kinderkopfes sieht, bei dem mit der Öffnung unsichtbar das Kinn suggeriert wird? Vielleicht wird mit dem Zwischenraum auch auf den Mund dessen hingewiesen, der Worte voller Weisheit sagte, ja das Wort selbst ist, das göttliche Wort. Sieht es nicht aus, als würde aus dieser in unendlicher Tiefe gründender Mitte unaufhörlich gegeben und wir dadurch stets empfangen?

So ist es letztlich kein Blick in die Ferne. Eher steht man beim Verweilen vor dieser Arbeit unmittelbar vor dem Antlitz Christi, das zurückhaltend von der Ausstrahlung seines Wesens umgeben wird. Ein Blick durch das Fenster in ein Haus, das alle Begrenzungen übersteigt, ein Blick auf den, der uns einlädt, einzutreten und ihm nachzufolgen, denn er selbst ist die Tür zu einem erfüllten Leben.

Ein Licht strahlt auf

Eine Vielzahl an Blautönen verleiht diesem Bild eine faszinierende Stimmung. Wolkenartig gehen sie ineinander über, zu den Bildrändern hin dunkler werdend, im unteren Bereich die schattigen Umrisse einer menschlichen Gestalt in sich bergend, nach oben geradezu vor der hellen Lichterscheinung zurückweichend.

Das Bild lebt von diesem Gegensatz, bei dem sich Hell und Dunkel nicht feindlich gegenüberstehen, sondern durchdringen. So sind in jedem Bildteil Farbnuancen aus anderen Bereichen zu finden. Am stärksten kommt dies im dialogischen Gegenüber des hellen Zentralbereichs und der zu einer Schale geformten Kreatur am unteren Bildrand zum Ausdruck. Gekrümmt und armselig liegt die menschenähnliche Gestalt am Boden. Sie ist nicht viel mehr als ein Schatten in der Nacht. Ihre Konturen sind vage, nur das Gesicht vermeint man wahrzunehmen. Der Kopf erscheint erhoben, die rechte Hand ans Ohr gelegt, um besser hören und sehen zu können. Alles an ihr ist auf die Lichterscheinung über ihr ausgerichtet Diese bildet ein Dreieck, in dessen Innerem ganz Unterschiedliches gesehen werden kann, da sich die Helligkeit zur Mitte hin verdichtet und nach unten eine auslaufende Struktur aufweist, wie sie Regenböen eigen ist. Unaufdringlich wird mit diesen Symbolen göttliches Wirken angedeutet. So kann im Dreieck der dreieinige Gott gesehen werden, der sich vom Himmel her dem in der Dunkelheit darbenden Menschen zuneigt und ihn mit der blauen Spitze ganz zärtlich zu berühren scheint, um ihn nicht zu verletzen und doch aufzuwecken. In der hellsten Stelle der Lichterscheinung ist zudem eine senkrecht stehende menschliche Gestalt zu erkennen. Sie scheint die Arme ausgebreitet zu haben und nur mit einem Lendenschurz bekleidet zu sein. Ist es der Gekreuzigte, Jesus, der sich im Licht dem in der Dunkelheit liegenden Menschen offenbart? Oder darf in der Erscheinung auch ein Engel gesehen werden, der vom Licht aus der Höhe umgeben auf die Erde niedersteigt? Die violetten Wolkenfetzen lassen zudem an einen dritten Austausch zwischen den beiden denken, an etwas, das auf den Liegenden herunterfällt.

All das lässt in dem Bild etwas Adventliches sehen. Dabei kann der Liegende als das Volk Israel, das seinen Retter erwartet, oder als Maria, die Auserwählte, gedeutet werden. Schon der Prophet Jesaja (9,11) kündigte an: „Das Volk, das im Dunkeln lebt, sieht ein helles Licht; über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf.

Durch das aufstrahlende Licht ist dieser Mensch fortan nicht mehr allein. Der Retter kommt und bringt Licht in die Dunkelheit, Leben in die Unbeweglichkeit. Schon … und doch noch nicht. Aber das Licht ist in Sicht und erste Berührungen und heilende Begegnungen finden statt. Die größte Sehnsucht ist gestillt, das ungewisse Warten macht einer absehbaren Erwartung Platz.

Nacht-Landschaft

Das Auge schweift über eine Ebene oder einen See, findet noch Halt an einem schwarzen Hügelzug – oder ist es ein Wald? Ebenfalls am Horizont künden in weiter Ferne einsame Lichter von bewohnten Häusern. Darüber breitet eine unendliche Himmelslandschaft ihren Zauber aus. Helle Wolkenfetzen spiegeln das Licht einer fernen Stadt, und darüber – wie in einer anderen Dimension – funkelt eine Vielzahl von hellen Punkten: leuchtende Sterne, die von fernen Sonnensystemen künden.

Wenn wir versuchen, uns in die Stimmung dieser Nachtlandschaft hineinzufühlen, stehen wir ganz klein unter diesem unermesslichen und unerreichbaren Firmament. Die Landschaft wirkt klein und gibt weder Halt noch Schutz. Auch die Dunkelheit macht uns unsicher – das menschliche Auge ist ja nicht für sie geschaffen. Ohne das Licht des Tages bekommt alles, was uns bedrückt und bedroht zusätzliche Schwere. Andererseits fällt viel alltäglicher Kleinkram ab, weitet sich das Herz für Wesentliches und lässt beim Anblick des Himmelszeltes tiefer atmen.

Spiegelung nennt Bernd Zimmer sein Bild. Warum – können wir nur ahnen. Dag Hammarskjöld fordert in seinem Nachtgedicht dazu auf, jeden einzelnen Tag als ein einmaliges, besonderes Stück des Lebens anzusehen. Das Leben vergleicht er mit einer Schale, die täglich neu gefüllt wird, “denn was vorher war, soll sich nun spiegeln in ihrer Klarheit, ihrer Form, ihrer Weite.”

Aber nicht immer oder nur selten wird die Bilanzierung eines Lebenstages voll zufriedenstellen. Und wir spüren – gerade unter dem nächtlichen Himmel, dass uns die Sehnsucht ins Herz gelegt ist: die Sehnsucht nach Mehr, nach einem gelingenden Leben, den Drang, zu neuen Ufern aufzubrechen, die Sehnsucht nach Wahrheit, nach Liebe und Ganzheit – letztlich nach Ewigkeit. Und da sie uns allen ins Herz gelegt ist, können wir wohl auf Erfüllung hoffen.

Spiegelt sich diese Sehnsucht, diese Hoffnung vielleicht in den großen, weißen Gebilden, die schräg nach oben weisen und eine eigenartige Lebendigkeit ausstrahlen? Sind es große Flügel, einer davon wie mit Herzblut getränkt? Spiegelt das Bild das wider, was Joseph von Eichendorff vor langer Zeit in seinem Gedicht “Mondnacht” zeitlos so ausdrückte: “Und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus, flog durch die stillen Lande, als flöge sie nach Haus.”