Monumentale Leichtigkeit

Weit ausladend queren die breiten Stahlbänder mit ihrer geschwungenen Form die große Halle. Mit hoher Hitze und extremen Kräften wurden die Platten aus massivem Stahl sowohl in der Vertikalen als auch in der Horizontalen verformt, so dass sie sanfte Bögen bilden und damit zu Kreissegmenten und Teilen von etwas Größerem werden.

Die drei lose aufeinander liegenden Stahlplatten vermitteln durch die verdichtete Mitte Bodenhaftung, Halt und Zusammenhalt im Balanceakt des Seins. Doch sie liegen versetzt aufeinander, wie zufällig verschoben, oft sich kaum berührend, Freiräume lassend. Durch diese freie Anordnung und die weit auskragenden Teile erhält die Skulptur eine luftige Dynamik und eine weltumarmende Offenheit. Mit den sanften, perfekt gerundeten Bögen hat Thomas Röthel den tonnenschweren Stahl gleichsam entmaterialisiert (weitere Ansicht 1, Ansicht 2).

Gleichzeitig lädt die Skulptur ein, sich gedanklich in ihre Mitte zu stellen oder hineinzusetzen, sich vom Schwung der Skulptur mitnehmen und erheben zu lassen.  Ihre abgesenkte, geerdete Mitte regt zur Sammlung an, während die abhebenden freien Enden begeistern, die erhebende Bewegung der Skulptur aufzunehmen und, ihr gleich, die Arme so weit als möglich auszubreiten, um sich für das unfassbar Größere zu öffnen: Aus einem stabilen, zentrierten Sein heraus sich bis in die Fingerspitzen dem Licht zuzuwenden und zu öffnen. Sich Gott öffnend, um von Ihm gesehen, von seinem Licht gehalten und erfüllt zu werden.

Unendlich zart und doch kraftvoll stark ziehen die gleichmäßigen Bögen in den Aufschwung hinein, den Aufbruch in eine neue, unbekannte Welt, die wir in uns spüren und die immer wieder den äußeren Ansporn braucht, um sich zu öffnen und aufzubrechen, licht und Licht zu werden.

Steh auf, werde licht,
denn es kommt dein Licht
und die Herrlichkeit des Herrn
geht strahlend auf über dir.
(Jes 60,1)

Leuchtende Becher – leere Schreine

Ein ganzes “Heer” leuchtender Becher stellt Alois Neuhold hin: Unbenützbar, leer, weil deren Inhalt das Füllbare nicht ausfüllen kann, ja darf. Zu viel, zu gut, zu heilig! Es sind Gefäße für die Verwendung bei einer himmlischen Hochzeit. Im Ensemble sind es trotzdem Öffnungen für das Nichtgreifbare und Hoffnung auf ein Getränk unstillbaren Genusses. Das Bilderverbot ist das Zentrum dieser Behälter und doch ist die Inkarnation des Lichtes in der Farbe seine dialektische Durchkreuzung.

„Wir halten diesen Schatz in irdenen Gefäßen“ (2 Kor 4,7), in Erdzerbrechlichkrügen …

Der Künstler selbst:

Unnützbarkeitsgefäße, Nichtbefüllbarbecher, Tabernakelchen, ein ganzes „Heer“ davon, achtzig, zehn mal acht – der achte Schöpfungstag, ein Bechermeer, Nutzlosschreine, ein Becherblumenfeld des Nichtverwertbaren, des Nichtverwendbaren, Blühbehälter, die nur dem Blühen dienen und dem bloßen Sein, dem verweilend Sein, dem empfangend Sein, farblichtschattend, offen, Empfängnistat. Ein Anflug vom Möglichkeitsparadies vielleicht …

Leer sind die Becher, Schalen und Schreine, leer müssen sie bleiben, frei von menschlichen Anfüllungen. Nur das Licht, der Schatten, Tag und Nacht, Luft, der Atem, Farben, Regenbogenoffenbarungen, die Leere wohnt in ihnen. Lichtbienen nippen daran.

„Nehmet hin und trinket!“ Das Licht ist Leib geworden.

Schlürft den Lichtwein, esst vom Schattenbrot, tanzt die Farbekstasen, trinkt Atemweite, haucht Luftgedichte, preist die Schöpfungswiese, tretet ein in die Hallen, in den Festsaal einer himmlischen Hochzeit! Feiert Auferstehung!

(Das Grab ist leer.)

Entrümpelt die Häuser, die Keller und Kapellen, die Warenkörbe, die Überfüllregale, die Übersattideen! Entrümpelt auch die Seelenstübchen und die Zuinnerstkämmerlein! Werft weg die Niederdruckgewichte, die Gottverbildungsbilder, die vielen Gott-und Weltverstellungsdogmen, das Moralingedudel, das immer-noch-Mehr-und-nie-Genug! Werft sie weg in weiten Bögen aus den Büchern, aus den Köpfen, aus den Schulen! Zieht aus die Uniformen, die Waffenröcke und all die anderen Unterdrückungs- und Machtbezeugungskittel! Verbrennt die Wortgewehre, die süßen Sonntagsreden, die Abertonnen Hass-und Aufhetzschriften! Räumt weg die ausgelatschten Glaubenssätze!

Öffnet die Fensterläden, die Auswegtüren, die verriegelten Ostertruhen, die Taborschreine, die Herzverschlüsse, die vernagelten Einzwängkästen! Befreit den Geist vom Seichtgewäsch, vom Gedankenmüll, vom Allerweltsgeplapper! Schüttet aus die Endlosjammertöpfe! Schafft endlich Raum und Leere, Entfaltungsräume, Begegnungsorte, Lichterfahrungsplätze, weite Dome, Erlösungshorizonte, denn die „Fülle des Lebens“ will Einzug halten! Der Esel steht bereit. Tempelreinigung ist angesagt.

Fassbare Gefäße des Unfassbaren. Ein Abendmahl ohne Brot und Wein.

Der Kelch ist leer. Das Blut verschüttet. Im Tabernakel keine Hostie. –

Gefäß werden, einfach Gefäß sein für das Ankommende, für das Licht,

für das Ein und Alles. Advent.

Das Licht ist Leib geworden in den Farben.