Friedensstifter

Geradezu „wortkarg“ präsentiert sich das Triptychon aus drei gleich großen, weißen Tafeln. Das mittlere Bild zeigt aus der Vogelperspektive ein nestartiges Gebilde aus kreisförmig ineinander verflochtenen Zweigen. Auf der linken Tafel ist in der unteren Hälfte eine weiße Taube zu sehen. Das rechte Bild ist leer. Was die wenigen Zeichen wohl aussagen wollen? Wie kommt die Künstlerin dazu, sie mit Weihnachten zu verbinden?

Das kreisförmige Geflecht mit seiner weißen Mitte dominiert die Bildfläche. Seine Zweige sind nicht, wie zu erwarten wäre, dunkel, sondern weiß, weil sie mit Schnee bedeckt gezeichnet wurden. Da das Zentrum darunter verdeckt ist, erscheint die Mitte leer.

Durch den Vogel unten links wird der Kranz assoziativ mit einem Vogelnest verbunden. Doch da, wo er seine Eier ablegen könnte, liegt dicker Schnee. Ein unwirtlicher Ort, genau wie die Krippe. Sie verweisen auf die Stelle 1,11 im Johannes-Evangelium: “Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.“ Gleichzeitig verweist das unbrauchbar gewordene Nest als Dornenkorne auf die Passion Jesu. Der Vogel, der keinen Platz findet, dem Schnee und Kälte den Gebrauch des Nestes verwehren, das ist die Fortsetzung der Weihnachtsgeschichte.

Die zur Mitte hin gerichtete Taube möchte primär an den Heiligen Geist erinnern, der bei der Verkündigung über Maria kam und sie überschattete (Lk 1,35). Während er in den mittelalterlichen Darstellungen jedoch dynamisch von Gott Vater zu Maria flog, steht die Taube hier seltsam statisch da, eher abwartend und beobachtend, was nun geschehen wird. Doch über den drei Bildtafeln herrscht ein bewegungsloses Schweigen, das durch die absolut leere rechte Tafel noch verstärkt wird.

Denn neben den Andeutungen auf das Weihnachtsgeschehen stehen die drei gleichformatigen Tafeln auch für die Dreieinigkeit Gottes: Links der Heilige Geist, (Taube), in der Mitte des Weihnachtsgeschehens Jesus, (Dornenkrone), rechts Gott Vater, der Verborgene, nicht Darstellbare (leere Fläche).

Im Zusammenhang mit dem zentralen Dornenkranz als Sinnbild für Unrecht, Folter, Leid und Mord kann die Taube im weiteren auch als Friedensmahnerin gesehen werden. Durch Jesaja ist das göttliche Kind als Fürst des Friedens angekündigt worden, dessen Herrschaft groß sei und dessen Friede kein Ende habe (9,5-6). Doch die Hoffnung der auf Jesus schauenden Taube wurde enttäuscht. Jesus konnte in seinem kurzen Wirken gerade den Anfang für ein Reich des Friedens setzen. Nun liegt das Bewahren und Bewirken des Friedens an uns.

Die Festlegung des Weltfriedenstages auf den 1. Januar und die damit verbundene jährliche Botschaft des Papstes möchten daran erinnern, dass Frieden nicht einfach geschieht, sondern durch innere Haltung und aktives Handeln entsteht. Eine innere Haltung, die wie das Innere des Dornenkranzes von Ruhe und Zufriedenheit gekennzeichnet ist, ein aktives Handeln, das wie jenes von Jesus aus dieser inneren Kraft gegen die kleinen und großen Missstände in der Welt angeht, die einem oft wie ein unentwirrbares Geflecht umgeben. Den Mut für die stets kommende und viele Chancen beinhaltende neue Zeit wünsche ich uns allen. Spricht nicht aus der Haltung und dem Blick der Taube auch diese Hoffung, dieser Wunsch?

Bedeutsame Hände

Hände und Unterarme sind in diesem Kreuzweg die Hauptdarsteller. Bis auf drei Ausnahmen sind keine Körper oder Köpfe zu sehen (alle Bilder). Aber es geht ganz klar um den Menschen, ein Essen, Gefangenschaft, Stürze, Leid, Kreuzigung und Auferstehung. Die Handlung beschränkt sich in ihrem Ausdruck auf die fotografische Wiedergabe der menschlichen Arme und Hände, deren unterschiedliche Haltungen voller Symbolik sind. Im Dialog mit dem Holzbalken und dem Licht verstehen sie das Leiden und die Auferstehung Jesu eindrücklich zum Ausdruck zu bringen. Dies verstärkt der sparsame Einsatz von Farbe im ersten und letzten Bild sowie ankündigend in der Kreuzigung.

Die Hände begegnen und berühren sich, sind in gestischem Gespräch. Hier wird die eine von einer anderen ergriffen und gehalten. Ihre diagonal-vertikale Ausrichtung ist von Bedeutung. Ebenso, dass der untere Arm das waagrechte Holz kreuzt und ein breites gelbes Lichtband senkrecht die Dunkelheit trennt. Vor dem Hintergrund der Kreuzigung wird so die göttliche Hilfe symbolisiert: Einerseits die rettende Hand von oben, welche den Menschen am schlaffen Handgelenk aus der Tiefe des Leids und des Todes errettet. Andererseits das hereinbrechende Licht, das die Dunkelheit zurückweichen lässt und durch seine Vertikale dem furchtbaren Kreuzestod bereits einen glorreichen Ausgang gibt.

Bedeutsam sind die sechs Hälften der Passionsfrucht, die im Kreuzungspunkt des Lichtstrahls auf dem Holzbalken liegen. So wie seit dem 17. Jahrhundert in der Passionsblume die ganze Leidensgeschichte Jesu gesehen wurde (daher auch der Name), so kann deren Frucht die Auferstehung bezeichnen. Die Hälften geben gleichsam Einblick in das an sich Verborgene der Auferstehung, lassen im Innern der unansehnlichen und harten Schale das reife Fruchtfleisch sehen, sie bilden eine symbolische Siegeskrone angesichts des überwältigten Todes und der erlittenen Folterqualen.

Das Fehlen von Blut und geschundenen Körperteilen mag irritieren. Ob damit gesagt werden will, dass den Darstellern die Erfahrung der Folter und des Todes unbekannt ist? Oder könnte dies auch zum Ausdruck bringen, dass in der Auferstehung alle Wunden geheilt werden? Dass wir im Tod zu einem neuen und ganzheitlichen Leben auferweckt werden, das zeitlos und integral unser ganzes Wesen beinhaltet? – Wir?

Auch die verschiedenen Hände und Arme mögen verunsichern. Der Kreuzweg folgt in seiner Handlung und Abfolge dem Leidensweg Jesu. Aber er wird von Menschen jeden Alters und Geschlechts dargestellt, um deutlich zu machen, dass erstens viele Menschen einen solchen Leidensweg gehen müssen. Zweitens zeigt er auf, dass es unsagbar schwer ist, einen solchen Weg alleine zu gehen und es gut tut, eine hilfreiche Hand bei sich zu haben. Letztlich zeigen die verschiedenen Teilnehmenden auf, dass der Leidensweg Jesu in seiner Wirkung alle Menschen betrifft. Jesus ist für uns alle gestorben. Durch seine Auferweckung von den Toten hat er uns allen die Hoffnung auf ewiges Leben geschenkt.

Gesamtansicht aller Kreuzwegbilder

Kreuze zum Leben

Kann man nur mit Kreuzen Leben darstellen, Veränderung? Ist es möglich, allein mit dem Kreuz einen Weg zu gestalten, der nicht nur Kreuzweg, sondern auch Lebensweg versinnbildlicht? Über mehrere Jahre hat sich Peter Burkart mit diesem Thema auseinandergesetzt. Dabei ist dann und wann aus dem Leben heraus ein neues Blatt zu diesem Thema entstanden: ein vom Leben gezeichneter Weg mit dem Kreuz, ein vom Kreuz gezeichneter Lebensweg (Übersicht). Auch wenn die einzelnen Blätter auf der Rückseite datiert sind, die Farben und Formen der Kreuze geben keine eindeutige Zuordnung zu einzelnen Kreuzwegstationen wie etwa die römischen Zahlen. Jede Reihenfolge ist daher individuell, persönlich.

Dieser Kreuzweg gibt dem Betrachter keine weiteren Anhaltspunkte als das Kreuz, die Hintergrund- oder Umfeldgestaltung und das in Großbuchstaben geschriebene Wort LEBEN. Der Künstler hat das Leben gleichsam in die Gestaltung eines jeden Blattes eingearbeitet, wie es die drei ausgewählten Blätter veranschaulichen.

In der linken Arbeit steht das Kreuz senkrecht in der Blattmitte und berührt mit seinen Armen weder den seitlichen noch den oberen Bildrand. Dadurch wirkt es trotz seines hoch angesetzten Querbalkens recht gedrungen und statisch. Die rote Farbe des Kreuzes vermag die Erinnerung an das schreckliche Blutvergießen zu wecken, aber auch an die umfassende Liebe dessen, der sich am Kreuz für uns Menschen hingegeben hat. Vor dem bewegten Hintergrund erhält das Kreuz durch seine dichte Farbe Festigkeit. Obwohl haltlos in den Himmel ragend, lädt es ein, inmitten größter emotionaler Ergriffenheit bei ihm Halt zu suchen. Die Bewegtheit des Hintergrundes vermittelt im Lila einerseits gegenwärtigen Schmerz, deutet im verdeckten Licht andererseits das kommende Heil an. Das Wort Leben ist in zwei Teilen neben das Kreuz geschrieben. Diese „Kreuzwegstation“ macht alles in allem einen äußerst aktiven, mit starken Emotionalitäten geladenen Eindruck. Dem Kreuz kommt in diesem unruhigen, geradezu turbulent wirkenden Leben eine bestimmende, tonangebende Rolle zu.

Die mittlere Arbeit mutet an, als wäre das Kreuz perspektivisch festgehalten worden. Durch die leichte Neigung erhält es einen dynamischen Charakter, scheint es sich nach rechts zu bewegen. Hell leuchtend setzt es sich vom dunklen Umfeld ab. Hier scheint der Lebensweg von starker Gegensätzlichkeit geprägt. Doch es ist keine farbliche Klarheit wie in den Blättern links und rechts zu beobachten. In der Art und Weise, wie das Kreuz teilweise mit blauer Farbe übermalt wurde, ist hier Kampf herauszuspüren. Von Innen heraus leuchtet schon die neue Freiheit, doch die finsteren Mächte lassen sie noch nicht zu. Trotz aller Leuchtkraft kann sich die Farbe des Kreuzes nur schwer in die dunkle Umgebung mitteilen.

In der rechten Arbeit ist das Kreuz fast nicht mehr zu sehen. Gelb auf gelbem Hintergrund vermittelt es erlöste Ruhe und Freude. Wiederum ist das Kreuz zentral ins Bild gemalt worden: Doch dieses Mal in breiten Balken, die Waagrechte nur wenig über der Bildmitte, mit allen Armen deutlich den Bildrand berührend. Trotz seiner massiven Malweise wirkt das Kreuz lebendig: Die Horizontale ist leicht schräg, mit aufstrebender Tendenz platziert, die Umrisse sind unregelmäßig, lebendig gestaltet. Leichte Schattierungen geben ihm zudem eine plastische Gestalt, durch die es sich vom leicht helleren Hintergrund abhebt, aber auch mit ihm verbunden wird. Feine rötliche Punkte könnten an das vergossene Blut denken lassen, evozieren aber doch mehr die froh machenden Farbtupfer einer bunten Blumenwiese. LEBEN steht in frischen grünen Buchstaben vor dem Kreuz. Alle Dunkelheit ist weg, auch die starre Form des Kreuzes scheint sich immer mehr in seiner Umgebung aufzulösen. Harmonische Ruhe, gelassene Heiterkeit sind der vorherrschende Eindruck. Das Kreuz wirkt in das Leben, dem es seine Prägung zu geben scheint, integriert.

Geschichte der Erlösung durch das Kreuz. In jedem Menschenleben wird sie ihre eigenen Farben und Formen, ihren eigenen Ausdruck finden. So wird der Weg zur Erlösung, wie mit den Beispielen angedeutet, von unterschiedlichen Erfahrungen geprägt sein. Jesu Kreuzweg legt sich diesen Erfahrungen wie eine haltgebende Matrix zugrunde. Und seine Auferweckung wird auch all unsere dunklen und schweren Kreuzerfahrungen umfassen und in lichte Freude und aufblühendes Leben verwandeln. Leben, das gerade vom Kreuz her seine Helligkeit und seine Kraft bezieht. Österliches Leben ist aus der Auferweckung entstanden. Ohne dieses Vorzeichen wäre es nie so hell und stark. Aber in dieser Hoffnung ist das Leben umso schöner, stärker, wunderbarer.

Unendliche Sehnsucht

Fragmente prägen diese Arbeit, die eine Kreuzwegstation sein will. Von links nach rechts sind waagrecht aneinandergereiht zuerst ein Bildzitat, dann ein Schriftzitat mit zwei großen Zierbuchstaben oben und unten. Es folgen eine Stoffapplikation mit Häkelspitze, ein Röntgenbild sowie waagrechte Schriftzitate in spanischer Sprache. Sie alle sind akkurat auf einem feinen Tuch aufgetragen und durch Linien aus Nadelstichen verbunden.

Die linke Begrenzung bildet ein Ausschnitt aus der Beweinung Christi von Botticelli (1490/92). Auf Goldgrund herausgehoben sind die Brust Jesu mit dem herabhängenden Arm zu erkennen, darüber zwei verschränkte Hände und ein verhüllter Kopf. Dazwischen steht waagrecht „la IIIa caída“ (span. der dritte Fall) geschrieben. Ein Hinweis auf das Thema dieser Kreuzwegstation und gleichzeitig, das zweite Fragment kreuzend, zu einem auf grünem Grund applizierten Stofffragment führend. Die Kreuzbordüre verweist auf seine Herkunft als Altartuch. Die Vertikale des Kreuzes liegt genau auf einer das Bild durchquerenden Linie und wird durch eine kaum lesbare Inschrift nach oben verlängert: “Nada deseo más que a mi propio desco.“ (Ich sehne mich nach nichts mehr als nach meiner eigenen Sehnsucht.) Rätselhafte Worte, die wir fürs Erste stehen lassen müssen.

Rechts schließt sich die Radiographie einer stark gekrümmten Wirbelsäule an. Hell ist der Brustkorb ersichtlich. Schmerz ist spürbar, Aufbäumen, Kampf, hinten Hinunterfallen. Die Dynamik und Dramatik des Bildfragmentes aus Botticellis Beweinung wird hier fortgesetzt. Die gelblichen Spuren suggerieren große Mengen auslaufender Körperflüssigkeit: Entweichendes Leben, Erschöpfung, Kraftlosigkeit. Quer durch das Kreuz hindurch verbindet ein Pfeil aus Nadelstichen die Wirbelsäule mit dem Brustkorb Jesu: Das Leben ist am Entweichen.

Die beiden waagrechten und senkrechten Linien, die in den meisten anderen Kreuzwegstationen durch ihren Abstand eine Kreuzform bilden, sind hier in Schieflage gekommen. Steil führen die Linien von rechts oben nach links unten, sie überschneiden und kreuzen sich in der Mitte. Hier ist kein Platz mehr für Leben, es geht dem Ende zu.

Ebenfalls mit Goldfarbe geschriebene Worte in spanischer Sprache verstärken diesen Eindruck. Sie stammen aus dem Buch Infarto del Alma (Seeleninfarkt) der chilenischen Schriftstellerin Diamela Eltit. In der Übersetzung von Ursula Varchmin lauten sie: „Wir werden nie wieder gehen, keine Wiese mehr überqueren. / Mit dir erlosch mein Schicksal und es blieb mir die Last meiner unendlichen Sehnsucht. / Wie außergewöhnlich die Verwandlung in einen von Mitleid erfüllten Gott.“

Die Grundlagen für die Meditation dieser Kreuzwegstation wären ohne das Offenlegen des Textfragmentes auf der linken Seite unvollständig. Es stammt aus einem deutschen Erste-Hilfe Buch und gibt die Anweisung wieder: „Nach Möglichkeit sollten stark blutende und entstellende Wunden umgehend abgedeckt werden.“

Die vielfältigen Gestaltungselemente fordern die Wahrnehmung heraus. Äußeres wird mit Innerem verbunden, Körperliches mit Geistigem. Begegnung und Auseinandersetzung sollen geschehen, ähnlich wie an einem Krankenbett, aus dessen Laken der Grundstoff stammt und dessen Grundform durch das Längsformat angedeutet wird. Vom Leidensweg ausgehend, führt dieser Kreuzweg Jesu zu den Leiden eines jeden Menschen. Dabei erzählen die einzelnen Bilder auf eigene Weise „Leidensgeschichte“ – indem sie in Bild und Poesie starke Impulse geben.

Die Ausweglosigkeit des Leidens wird hier in Sprachform gebracht. Der Leidende hat den Boden unter den Füßen verloren, er wird „nie wieder gehen können“ und befindet sich gewissermaßen im freien Fall. Haltlos klammert er sich an seine unendliche Sehnsucht nach Heilung und Erlösung, die ihm angesichts der Ausweglosigkeit allerdings Last ist.

Der altertümlich formulierte Rat aus dem Erste-Hilfe Buch zeigt die Notwenigkeit auf, dem Klagenden beizustehen und erste Hilfe zu leisten. Der Rat mag der Situation nicht wirklich angepasst sein. Aber macht er nicht deutlich, dass wir das Leiden nicht entfernen, sondern den Leidenden durch unsere Teilnahme allenfalls trösten, den Schmerz lindern können?

Der Mensch kann den physischen und psychischen Beschwerden nicht entfliehen. Er muss sie aushalten und lernen, mit ihnen umzugehen, wie aus dem Textfragment aus dem Buch Infarto del Alma hervorgeht. Seine einzige Hoffnung bleibt das schier Unglaubliche: ein mitleidender Gott. Das sich zwischen den Texten befindliche und optisch leicht in den Vordergrund gestellte Stück Altartuch versucht diesen Gedanken zu visualisieren. Auf ihm wurden Tod und Auferstehung desjenigen gefeiert, der am Kreuz seine Sehnsucht nach Leben durchlitten, stellvertretend für alle, die ihm ihre Lasten und Leiden anvertraut haben. Jesus verbindet. So kann die Altartuchreliquie zu einer symbolischen und zeitlosen Einladung werden, alles Sehnen und alles Bedrückende, ja das ganze Sein in Gottes Hand zu legen, damit in seiner Liebe das Außergewöhnliche geschehen kann: unverhoffte Auferstehung, ungeahntes Leben.

Diese Arbeit war im Rahmen der Ausstellung VIA DOLOROSA im März 2008 in der Kirche St. Bonifaz in München ausgestellt. Ein Katalogbuch mit den Abbildungen und Texten zu allen 14 Stationen ist bei der Künstlerseelsorge in München zum Preis von 15,- Euro + Porto erhältlich. Email: kuenstlerseelsorge@ordinariat-muenchen.de

Ausführliches Interview mit Lilian Moreno Sánchez anlässlich ihrer Ausstellung zum “Aschermittwoch der Künstler” 2013 in Hildesheim

Feuer des Lebens

Drei Lichtgestalten bewegen sich, ja scheinen zu tanzen vor dem orangeroten Hintergrund. Ihre Körper sind von goldgelben Flammen umgeben, die sie brennen, glühen und wie Gold leuchten lassen. Dampfwölkchen deuten auf große Hitze und einen verzehrenden Verbrennungsvorgang hin. Dabei hebt sich die mittlere Gestalt durch eine größere Leuchtkraft und Unversehrtheit von den beiden vom Verfall Gezeichneten ab. Es scheinen auch seine Arme zu sein, welche wie ein Bildstrich die beiden ihm Zugewandten auch körperlich mit ihm verbinden. Erst durch seine horizontale Armstellung werden die auf Einzeltafeln dargestellten und dadurch voneinander getrennten Menschen miteinander verbunden zu einer Gemeinschaft.

Kopf-, Körper- und Beinhaltung deuten Zuneigung an, ein Miteinander. Es ist, also wolle der Künstler darauf hinweisen, dass sich menschliches Leben ganz für sich allein nicht entfalten kann, dass es auf Zusammenhalt, -arbeit und -leben angelegt ist.

Wie bereits erwähnt, steht der junge Mann in der Mitte als der Verbindende und Haltgebende in dieser Trias. Intensiv schaut er auf den Mann zu seiner Rechten, dessen Gesichtszüge ein fortgeschrittenes Alter verraten und dessen Glieder starke Spuren der Zersetzung aufweisen. Lange wird er nicht mehr stehen können. Von der Frau auf seiner Linken kann schwer etwas gesagt werden. Ihr Gesicht erscheint verhüllt, ihr Körper durch die zusammenhängenden Flächen jugendlicher. Von ihrer Haltung her steht sie im Einklang mit dem jungen Mann in der Mitte – beide Körper sind gleich gebogen, beide Köpfe gleich geneigt.

Vom Bildaufbau her den „Drei Grazien“ von Raffael (1504/05) nahestehend, lenkt der Künstler den Blick durch die Verfremdung und vor allem durch die Darstellung der einzelnen Personen über das Bekannte hinweg. Insbesondere die zentrale Gestalt lässt aufgrund der von gotischen Kreuzen her bekannten gebogene Körperhaltung und den Wundmalen an den Gekreuzigten denken. Ohne Kreuz und nicht erhöht – auf gleicher Ebene – schafft er als vom Licht Verwandelter und Auferstandener mit seinen ausgebreiteten Armen eine partnerschaftliche Verbundenheit, bei der die ihm zur Seite gegebenen Menschen gleichsam seine „Hände“ werden. Er lässt sie teilhaben an dem Licht und der Energie, die ihn durchströmen …

… damit auch sie immer mehr in das hineinverwandelt werden, was Jesus von Ewigkeit her ist und wofür er gestorben ist. Stellvertretend stehen sie für die ganze Menschheit. Wir alle sollen, von Jesu leidenschaftlichem Zeugnis angesteckt, immer mehr zu Söhnen und Töchtern Gottes werden, von materiell Verhafteten zu geistigen Menschen, die Jesu „Feuer“, seine Wahrheit und Liebe, durch unser Leben lichtvoll, verwandelnd und erneuernd in die Welt hineintragen. Jesus selbst wird uns dabei Mitte, Halt und feurig pulsierende Quelle sein.

Wandlung

Ein Weiser erzählte seinen Schülern von einem alten Mann, der mit einem geflochtenen Weidenkorb zur Quelle ging, um Wasser zu holen, nicht nur einmal, sondern wieder und wieder. Die Leute lachten über ihn und sagten: „Du Tor! Merkst Du denn nicht, dass Du so niemals Wasser nach Hause bringen kannst?“ „Das weiß ich. Aber schaut, mein Korb wird rein und die Erde bekommt dadurch Wasser.“

Wir sehen hier einen Kelch, nein, die Form eines modernen Kelches, dicht geflochten aus dickem und dünnerem Dornenreisig, stabil ineinandergefügt – aber welchen Sinn hat ein Gefäß aus Dornen, das doch keine Flüssigkeit halten kann?

Bei weiterem Betrachten könnte man an einen Menschenkopf mit dem Halsansatz denken, einen aus Dornenzweigen geformten Kopf ohne Gesicht, ohne Ausdruck. Doch, je länger man bei dem Bild verweilt, desto ausdrucksstärker wird es. Eine Dornenhecke wehrt ab, grenzt aus und bei Berührung fließt Blut. All das trifft auf die Dornenskulptur nur sehr bedingt zu. Die klar abgegrenzte Form wirkt trotz der spitzen Dornen harmonisch schön, trotz der kleinen oder größeren Zwischenräume bereit, aufzunehmen und zu bergen. Von diesem Gefäß, in den weißen Hintergrund hineingezeichnet, ohne Schattenwurf, geht etwas Besonderes, etwas Sakrales aus.

„Christus“ nennt die Künstlerin ihr Werk. Christus als Kelch symbolisiert, aber als Kelch, der alle gewohnten Vorstellungen sprengt. Nicht nur, weil er wie der Korb des alten Mannes, keine Flüssigkeit halten kann, sondern weil er sich auch wegen des Materials, aus dem er gefertigt ist, dem Gebrauch, dem Anfassen und Festhalten entzieht.

Die Assoziation zum „Kelch der Leiden“ kann weiterführen: Christus, ein Gefäß, dazu bestimmt, alles Leid der Welt aufzunehmen, alle Verletzungen und Ängste, alle Not und Verzweiflung, alles Versagen und Scheitern, alle Schuld und Tränen, alles Blut. Seine durchlässige Form ist von allen Seiten aufnahmebereit, nicht für materiellen Inhalt, sondern für alles, was Menschen geistig bedrängt und bedrückt. In der Bildsprache des Dornenkopfes oder -kelches identifiziert sich Christus in anschaulichster Weise mit all diesem Leid.

Eine zweite Assoziation: In der Liturgie steht der Kelch für Wandlung, für Erlösung. In der Kraft des Heiligen Geistes wandelt Gott Leid und Schuld in überströmende, heilmachende Liebe, die überallhin ihren Weg findet, die durch die kleinsten und unscheinbarsten Ritzen zu allen Menschen dringt, die sich berühren lassen. Liebe kann verwandeln und nichts geht verloren, was aus Liebe geschah. Was wissen wir, ob aus unseren Fehlgriffen nicht letztendlich Gutes entstehen kann, wie durch das „sinnlos“ verschüttete Wasser des alten Mannes Reinigung geschah und aus der verhärteten Erde Leben sprießen konnte? Oder wie aus dem „Ärgernis“ und der „Torheit“ des Kreuzes Wandlung im eigentlichsten Sinn entstand: Der Einbruch der Liebe Gottes in unsere Welt, wo und wann immer wir sie annehmen?

Entkleidung

Kein Mensch ist zu sehen. Die wenigen Zeichen deuten in der Stille des Bildes mehr an als sie Konkretes sagen. Aus dem Holz geschnitten, dem gleichen Material wie das historische Kreuz von Jesus, haben sie auf dem Leinen ihren Abdruck hinterlassen, um in ihrer Einfachheit die Menschen anzusprechen – bis zum 11. April 2006 in einigen U-Bahnhöfen Berlins. Damit thematisiert der Künstler die Leidensgeschichte Jesu an einem ungewohnten, aber stark frequentierten Ort. Er konfrontiert damit Menschen, die auf dem Weg sind – zur Arbeit oder zum Arbeitsamt, zur Schule oder in die Freizeit, zu Menschen, die ihnen gut gesonnen oder mit denen sie zerstritten sind – und richtet sich an all jene, die im übertragenen Sinn jeden Tag ihr persönliches Kreuz auf sich nehmen.

Auf einem angedeuteten Hügel liegt hochkant ein schwarzes, an seiner Struktur deutlich erkennbares Holzkreuz. Drei schwarze Schädel weisen auf Golgota, die Schädelhöhe, hin (Mt 27,32) und kennzeichnen damit die Hinrichtungsstätte als Ort des Todes. Dahinter ein aufgerichtetes weißes Kreuz. – Oder ist es aus dem blutroten Himmel ausgespart worden, weil das schwarze Kreuz hier zuerst seinen Platz fand? Nacktheit ist aus dem weißen Kreuz herauszuspüren. Einerseits ist es, als wäre es entkleidet, seines Kleides beraubt worden (vgl. Mt 27,35). Andererseits strahlt in ihm bereits der durch Gott verherrlichte Leib auf, den keine Entkleidung mehr bloßstellen und in seiner Würde erniedrigen kann.

Der Tod steht kurz bevor. Die kleinere hellrote Fläche am rechten Bildrand könnte für das Lebensblut stehen, das sich im Begriff ist zu verabschieden? Dem roten Hintergrund nach steht ja das große Blutvergießen bevor, das “für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden“ (Mt 26,28).

Auf der anderen (Bild-)Seite durchquert und verbindet eine dünne gelbe Linie die beiden Kreuze. Dabei ist nicht auszumachen, ob sie von oben kommt oder von unten nach oben geht. Doch durch diese Himmel und Erde verbindende Linie erhalten die beiden Kreuze Hal. Ihre helle Farbe und ihr bloßes Dasein lassen Hoffnung schöpfen, dass Einer schützend über den Notleidenden steht, ihnen in ihrer Not beisteht und sie eines Tages wie seinen Sohn erlösend in seine Herrlichkeit eingehen lässt.

ganzer Kreuzweg

Der ganze Kreuzweg mit hervorragenden, ganzseitigen Farbfotos und Texten von Anuschka Koos, Eugen Biser, Fridolin Haugg, Friedrich Nietsche, Helmut A. Müller und Wolf-Günter Theil ist als Buch erhältlich: Bernd Zimmer, Lema Sabachtani. 14 Stationen des Kreuzwegs, München 2006. ISBN 3-88779-016-2

Begegnung

Halb verdeckt von Farbflächen, Pinselstrichen und Bleistiftlinien schweift unser Blick wahrscheinlich zuerst auf den leicht geneigten Menschenkopf im Hintergrund. Unschwer lässt sich an seinen Gesichtszügen das Haupt einer gotischen Christusgestalt erkennen. Aus welchem Zusammenhang es jedoch extrahiert worden ist, lässt sich durch die Isolierung und malerische Verfremdung nicht sagen.

Wesentlich scheint der Blick, mit dem Jesus durch das Liniengewirr hindurch dem Betrachter eindringlich in die Augen schaut. Das Leid ist zu spüren, das er aushalten muss, ebenso das Kreuz auf seinen Schultern, das in der Diagonalen unter seinem Kopf angedeutet ist. Arnulf Rainer hat das Jesus zugefügte Leid in einer gestischen Aktion malerisch umgesetzt: Zuerst wurde er von ihn mit dem Pinsel und mit Stift „gegeißelt“, bis sein Gesicht mit Striemen gezeichnet und sein Haupt mit einem Liniengeflecht gleich einem Dornenkranz gekrönt war (Mk 15,17-19). Dann hat er mit seiner Hand gelbe und dunkelrote Farbe so aufgetragen, dass er damit dem Abbild des Gekreuzigten heftige Hiebe versetzte. Die triefenden Farbspuren legen Zeugnis ab, dass der Künstler ihm mit vollen Händen „eins ausgewischt“ hat. Dick wie verklebtes Blut ist die Farbe unter seinem Gesicht eingetrocknet, während die gelben Farbspuren wie zwei Leuchten links und rechts von seinem Angesicht erscheinen: Nichts beschönigend, aber erinnernd und mahnend als ein ehrendes Zeichen für denjenigen, der für seinen Glauben an Gott und an uns Menschen gestorben ist.

Die dem Werk zu Grunde liegende Fotografie hat der Künstler auf einen Karton aufgezogen. Durch die Übermalungen sind ihre Ränder hervorgehoben und lassen das Rechteck wie ein Fenster in eine andere Welt erscheinen. Es ist, als ob die Übermalung diesseits bliebe und dem heiligen Gesicht nichts anhaben könnte. Viele Christus-Übermalungen hat Rainer auf einem kreuzförmigen Träger durchgeführt. Hier ist das Grundformat jedoch rechteckig. Allerdings hat er den Christus-Kopf in eine Kreuzform integriert. Die beiden gelben „Figuren“ bilden die Außenseiten des stehenden Balkens, die Unterkante der Fotografie zeichnet die Unterkante des Querbalkens, während zwei in der Mitte des Gesichts seitlich vorstehende Elemente den Querbalken oben abschließen.

So gesehen ist dieses Bild wie ein Zeitfenster, das uns zu Zuschauern des Leidens Jesu Christi macht und uns an die Seite von Simon von Zyrene, seiner Mutter Maria oder Veronika stellt, die ihm das Schweißtuch gereicht hat.

Nun begegnet er mir und scheint mich schweigend zu fragen: Wie willst Du bei meinem Anblick reagieren? – Im Augenblick haben wir vielleicht Mitleid und wollen ihm beistehen. Nichts läge uns ferner als ihn wie die Soldaten mit Peitsche und Stöcken zu schlagen oder wie der Künstler mit Farbe und Bleistift zu malträtieren. Aber wer von uns ist schon ohne Schuld? Können vernichtende Gedanken und Worte über andere Menschen (vgl. Mt 25,40.45) oder die bewusste Missachtung und Verletzung der Schöpfung nicht auch wie Peitschenhiebe wirken, entstellen und Leid verursachen?

“Nun, was du, Herr, erduldet, ist alles meine Last;
Ich hab’ es selbst verschuldet, was du getragen hast.
Schau her, hier steh’ ich Armer, der Zorn verdienet hat;
Gib mir, o mein Erbarmer, Den Anblick deiner Gnad’!”

4. Strophe aus “O Haupt voll Blut und Wunden”

Kreuzauflegung

Weiß und wie eine Wolke, in den Konturen luftig zerzaust schwebt das Kreuz in diesem rot-gelben Bildraum. Links unter ihm eine mit gelben Linien skizzierte Menschengestalt. Über dem Kreuz helle Lichtpunkte, die an einen Sternenhimmel denken lassen, und eine rosafarbene Wolke.

Mit diesen wenigen Angaben lässt sich das Geschehen schwer einem Ort oder einer Zeit zuordnen. Außer dem Menschen gibt es keine irdischen Anhaltspunkte. In gewisser Weise ist dem Geschehen der Boden entzogen worden, spielt sich die Szene irgendwo im kosmischen Weltenraum ab. Nur der rot leuchtende Nebel bildet in der raum- und zeitlosen Weite ein äußerst vergängliches Gewand und einen minimalen Sichtschutz für das schändliche Vorgehen: Dem Mensch gewordenen Sohn Gottes wird das Kreuz aufgebürdet, damit er es zur eigenen Folterstätte trage und dort an ihm den Tod erleide.

Die blutrote Kulisse und die weiße Kreuzform mögen auf die Passion hinweisen. Doch wer mag die Gestalt unter dem Kreuz sein, und wieso ist das Kreuz leuchtend weiß, und leicht und schwebend wie eine Wolke dargestellt? Zum Verstehen des Bildes ist die Bilderfolge des Kreuzweges wichtig, in der es sich befindet. Aus ihr geht hervor, dass der Künstler Jacques Gassmann den Kreuzweg aus der Sicht von Jesus gemalt hat. Beim Malen nahm zuerst der Künstler Jesu Sichtweise an. Nun stehen wir Betrachter an seiner Stelle und werden durch die Bilderfolge in den Leidensweg von Jesus hineinversetzt.

So sehen wir unter dem Kreuz den einen Menschen stellvertretend für alle Menschen, die ihm vor Wut glühend zurufen: „Ans Kreuz mit ihm!“ (Mt 27, 22f) Das schwebende Kreuz mag andeuten, dass Gott es zugelassen hat, dass die Menschen seinem Sohn das Kreuz aufgelegt haben (Mt 26,39.42). Weil es Gottes Wille ist, kann das Kreuz als geistige Last gesehen werden, die von „oben“, also von Gott her gegeben ist.

Umgeben vom „Blut des Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden“ (Mt 26,28), mag das lichte Kreuz auf die Unschuld und die Reinheit von Jesus hinweisen, wie sie im Hebräerbrief (7,26) beschrieben ist: „Ein solcher Hoherpriester war für uns in der Tat notwendig: einer, der heilig ist, unschuldig, makellos, abgesondert von den Sündern und erhöht über die Himmel.“

Von dieser Kreuzauflegung am Anfang der Passion Jesu Christi geht unser Blick letztlich bereits zum Ende des Kreuzweges. Das an diesem Kreuz vergossene Blut wird alle Menschen, die sich gläubig unter das Kreuz stellen und um Vergebung bitten, überströmen und Versöhnung und Heil schenken. So gesehen kann die gelbe Farbe des Menschen auch so interpretiert werden, dass er unter dem Kreuz zum Glauben gekommen ist (vgl. Mt 27,54) oder wie der weise Simeon beim Anblick des Gottessohnes Segen erfahren hat: „… meine Augen haben das Heil gesehen, das du vor allen Völkern bereitet hast, ein Licht, das die Heiden erleuchtet, und Herrlichkeit für dein Volk Israel“ (Lk 2,30-32).

Geißelung

Eigentlich ist auf diesem Bild nichts Christliches zu sehen. Allein der Titel „Geißelung“ könnte auf einen vom Künstler beabsichtigten Zusammenhang mit der Geißelung Jesu hinweisen (Mt 27,26-30). Die unscharf dargestellten Gewaltszenen mögen eine Verständnis- brücke bilden.

Das Bild ist in drei Ebenen gegliedert. Die dunklen Farben wie die rechts vom Bildrand eingeschobene Begrenzung verbinden die obere und die untere Darstellung. Oben stellen zwei Polizisten mit Helm und Atemschutz gerade einen Mann mit erhobenen Armen an die Wand. Was er wohl verbrochen hat? Hat er vielleicht etwas mit dem weißen Plakat hinter seinem Kopf zu tun, das zu einer Demonstration gegen die Obrigkeit aufrufen könnte?

Schwarz und gelb eingerahmt, wird in der darunter liegenden – von rechts her eingeschobenen – Szene ein Mann von zwei Polizisten abgeschleppt. Nur die Füße und Beine sind klar zu erkennen. Hatte er den Mut, in einer Kundgebung das Unrecht der Mächtigen anzuklagen?

Links davon schaut eine in Umrissen gemalte kniende Frau den Betrachter an. In ihrer Nacktheit ist sie unseren Blicken bloßgestellt. Die Ehebrecherin kommt mir in den Sinn und die Worte Jesu: „Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe als erster einen Stein auf sie.“ (Joh 8,7).

Wo die Mächtigen sich nicht selbst getrauen, Gewalt auszuüben, da senden sie Soldaten aus, für sie in den Krieg zu ziehen und mit Gewalt ein Land zu erobern oder ein Recht durchzusetzen.

Stellenweise tropft auf dem Bild die Farbe wie Blut herunter. Die einzelnen Szenen sind wie mit dem Pinsel geschlagen, gegeißelt worden. Gewalt und Folterung wurden auf das Bildmaterial übertragen und lassen verstärkt spüren, dass nicht nur körperliche Gewalt den Menschen geißelt, sondern auch ethische Diskriminierung und Machtmissbrauch. Das Leid kennt vielfache Formen.

Das Bild lässt mich nachdenken über die Grausamkeiten der Menschen, die ihre eigenen Rechte und Gesetze durchsetzen wollen. In den Worten des Psalmisten höre ich den Hilferuf der Unterdrückten und Geschlagenen: „Gott, freche Menschen haben sich gegen mich erhoben, die Rotte der Gewalttäter trachtet mir nach dem Leben; doch dich haben sie nicht vor den Augen. Du aber, Herr, bist ein barmherziger und gnädiger Gott, du bist langmütig, reich an Huld und Treue. Wende dich mir zu und sei mir gnädig, gib deinem Knecht wieder Kraft, und hilf dem Sohn deiner Magd.“ (Ps 86,14-16)

Das Bild lässt in mir auch die Frage nach der Gewalt in der Kirche aufsteigen, wo es auch vorkommen kann, dass im Namen Gottes eigene Interessen verteidigt werden. Letztlich stellt das Bild an mich Fragen: Wo marschiere ich mit, klage ich im Kollektiv, ohne zu hinterfragen, Menschen an und mache ich mich mitschuldig? Wo bürde ich Schwächeren – wie auf dem Bild kaum sichtbar – ein Kreuz, eine Last auf durch meine Rechthaberei, mein Beharren auf meinen Rechten, weil ich nicht Toleranz und Erbarmen übe?

Jesus sagt dagegen: „Selig die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit finden.“ (Mt 5,7)

Mitleid

Vor einem rot-weißen Hintergrund laufen drei Männer auf den Betrachter zu. Sie tragen eine vierte Person. Die grauen Gestalten und die rot eingefärbte irreale Landschaft lassen an eine Kriegsatmosphäre denken. Die Erde ist vom Blut der Ermordeten getränkt, der Himmel brennt im Widerschein der vernichteten Städte. Aus den Menschen ist alle Lebensfarbe und -klarheit gewichen. Übriggeblieben sind schattenhafte, unscharfe Wesen, die um ihr Leben rennen – und um dasjenige, das sie gemeinsam auf den Armen tragen.

Das Bild erinnert an Fotos aus Kriegs- und Katastrophengebieten. Es erinnert an das stets neu auf die Menschen übergreifende Leid durch Menschen- oder Naturgewalt. Die Frage, die Gott an Kain stellt: „Was hast du getan? Das Blut deines Bruders schreit zu mir vom Ackerboden“ (Gen 4,10), könnte auch unsere Frage sein. Die Handlung der Männer wie der blutrote Hintergrund wecken in mir Mitleid und Solidarität.

Als Betrachter werde ich auch dadurch angesprochen, dass die drei Männer mit dem Verletzten auf mich zulaufen! Die mittlere Person schaut mich an und ruft mir unhörbar etwas zu. Sie scheinen den Verletzten zu mir aus dem Bild heraus in die Sicherheit reichen zu wollen, damit ich ihre helfende Geste fortführe, sie in ihrer Erschöpfung ablöse … wie auch immer.

Wir brauchen immer wieder solche oder andere Bilder, die uns aus unserer Trägheit und Bequemlichkeit aufrütteln, damit wir den Notleidenden und Armen unter uns nach unseren Möglichkeiten zu Hilfe eilen – so wie Jesus! Was wir ihnen zu Liebe tun in unserem Mitleid ist nicht nur Nächstenliebe, sondern konkret gelebte Gottesliebe. Denn: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40) sagt Jesus im letzten Gleichnis vor seinem eigenen Leidensweg.

Narben

Markante schwarze Linien lassen uns auf diesem Bild einen menschlichen Körper wahrnehmen. Sie „zeichnen“ einen Torso, einen Oberkörper ohne Kopf, Beine und Arme. Am unteren Ende des Brustkorbes sind Klammern zu erkennen, mit denen die Arme an den Leib gebunden sein könnten. In der Brustgegend verdichten sich die an einen mäandrierenden Fluss erinnernden Linien zu einer Kreuzform, jedenfalls kann diese Stelle als ein Mensch mit ausgebreiteten Armen gesehen werden.

Der Torso ist zudem transparent, lässt die Sicht frei – oder offenbart – sein Innenleben: eine diagonale Gestalt, halb stehend, halb liegend, von einer starken weißen Linie umgeben. Durch die farbliche Dichte rundherum scheint sie in einer sargähnlichen Vertiefung zu liegen, gleichermaßen wie die schwarze Figur leicht von der Seite dargestellt und auf die einfachste Körperform reduziert. Alle drei Figuren überlagern sich – sie kreuzen sich am gleichen Ort in der Mitte der Brust!

Überall am Torso sind Narben und Nähte zu entdecken – verheilte Verwundungen! Dieser Mensch muss viel Leid erfahren haben, das unter die Haut gegangen ist und unvergessliche Spuren hinterlassen hat. Michael Morgner hat mit der Radierung dafür eine sehr bildhafte Technik verwendet, die wegen ihrer Ähnlichkeit mit Foltermethoden sehr überzeugend und berührend wirkt. Denn beim Bearbeiten der Metallplatte durch Ritzen, Ätzen, Aufsprengen und Zerfurchen wird sie wie ein Körper „verletzt“ und hinterlässt „Wunden“.

In all den schweren Verletzungen hat sich der Mensch in sich zurückgezogen, die verbleibenden Kräfte sammelnd, alles Zerschlagene zusammenhaltend. Die innere Gestalt in Mumienform lässt daran denken, dass er sich bereits zu den Toten zählt. Dennoch strahlt die „gebündelte“ Gestalt Lebenskraft aus – bewahrt im Innersten und Wesentlichen ihr Selbst – umgeben von einer Linie des Lichts. Wie ein Samenkorn liegt sie still in der „Erde“ des irdischen Leibes (vgl. Joh 12,24f) und harrt auf die Auferweckung nach der Not.

Der Gekreuzigte auf seiner Brust lässt an eine Identifikation mit Jesus denken. Auf ihn schaut er in der Not. Von einem Beter im alten Israel sind diese treffenden Worte überliefert (Ps 38,9.18.22): „Kraftlos bin ich und ganz zerschlagen, ich schreie in der Qual meines Herzens. … Ich bin dem Fallen nahe, mein Leid steht mir immer vor Augen. … Herr, verlaß mich nicht, bleib mir nicht fern, mein Gott! Eile mir zu Hilfe, Herr, du mein Heil.“

Ausgehend vom Rücken des Breuer Christus in der Rast, hat Michael Morgner in vierzehn Bildern versucht, durch die Narben hindurch das vielgestaltige menschliche Leid neu zu thematisieren. Ein Kreuzweg in ganz neuen Bildern ist entstanden. Er erzählt vom Kampf um das Leben und gegen den Schmerz. Er erzählt vom Glauben an Gott und das ewige Leben. Er erzählt gerade durch die Narben von erfahrener Heilung und neuem, geschenkten Leben.

Palmsonntag

Jesus reitet auf einer Eselin in Jerusalem ein und erfüllt die Weissagung der Propheten Jesaja und Sacharia: „Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir. Er ist friedfertig und reitet auf einer Eselin.“ (Mt 21,4-5). Vor einem buntgemusterten Hintergrund, wo oben mit ein paar braunen Flächen Häuser angedeutet sind, ist in der Bilddiagonale eine Gruppe von Menschen prozessionsartig von rechts unten nach links oben unterwegs.

In ihrer Mitte kaum auszumachen Jesus auf der Eselin. Der Kreuznimbus hebt sein Haupt hervor und zeichnet seine Person aus. Mit dem Rücken zu uns winkt er der Volksmenge zu, die ihn wie in der Bibel beschrieben ausgelassen mit Palmzweigen bejubelt und Tücher aller Art auf dem Boden ausbreitet.

Doch bei genauerem Hinsehen sind Menschen zu entdecken, die sich ganz anders verhalten und – in unsere Zeit versetzt – uns etwas von der Aufregung und den Fragen ihrer Zeit spüren lassen (vgl. Mt 21,10). Der Mann mit Frack und Zylinder wie die junge Dame im Abendkleid lassen an eine Party denken, wo ein Star gefeiert wird. Zwei Rucksacktouristen gehen am Umzug vorbei, wie man in einer Fußgängerzone mit einem langen Kopfwenden kenntnisnehmend an einem Stand oder einem Performancekünstler vorbeigeht. Während ein Mönch und eine Klosterfrau ausgelassen tanzen, verhalten sich die Vertreter der Kirche liturgisch korrekt: In den entsprechenden Gewändern legen sie sich hingebend flach auf den Boden oder knien mit gefalteten Händen vor ihrem Herrn.

Mit etwas Abstand (!) folgt die Schar der Jünger. Die Heiligenscheine zeichnen sie als jene aus, die Jesus nachfolgen. Geschlossen stehen sie da, nur wenig Bewegung ist bei ihnen festzustellen. Was da geschieht, scheint sie zu befremden. Einer ist sogar in Ohnmacht gefallen oder so erschöpft, dass er von zwei anderen Jüngern gehalten werden muss. Ein Dritter scheint mit dem Arm auf Jesus weisend ihm zu sagen: Auf, nur nicht schwach werden, wir müssen ihm folgen!

Durch den bunten, fröhlich stimmenden Hintergrund wird Jesu Einzug in Jerusalem ein überzeitliches, globales und andauerndes Geschehen. Jesus zieht nicht nur jedem Palmsonntag liturgisch gefeiert in seine Kirche ein, sondern ist ununterbrochen daran, durch unseren Lebensalltag zu ziehen: Von den einen nur mit einem kurzen Seitenblick gestreift, von andern wahrgenommen und herzlich willkommen geheißen, wiederum von anderen missverstanden oder mit Abstand verfolgt. – Nehme ich wahr, dass Jesus bei mir Einzug halten will? Wie stehe ich zu ihm? Weiß ich ihn angemessen zu ehren, finde ich es einfach interessant oder halte ich mich auf Distanz, obwohl ich als getauftes Menschenkind zu seinen Jüngern gehöre?

Jesajas Worte „Siehe, dein König kommt zu dir“, richten sich ganz konkret an mich als Betrachter. Der Prophet sagt zu mir: Schau nur gut hin, du bist nicht ein (zeitlich) entfernter Beobachter dieses Ereignisses, sondern bist Teil dieses Einzuges. Jesus will in dein Herz einziehen. Tochter Zion, öffne weit deine Tore, juble laut deinem Herrn und König: „Hosanna, dem Sohn Davids! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn. Hosanna in der Höhe!“ (Mt 21,9)

Ölberg – Ort des Gebetes und der Kraft

„Abba, Vater, alles ist dir möglich. Nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht, was ich will, sondern was du willst“ soll geschehen. Dieses grenzenlose Vertrauen in die Macht und den Willen seines Vaters prägen Jesu Gebet kurz vor seinem Tod. Die Jünger sind bei ihm, doch ihr Fleisch ist schwach, sie schlafen und können der Aufforderung Jesu nicht nachkommen, mit ihm zu beten und der Versuchung zu widerstehen (Mk 14,32-42).

Diese gegensätzliche Situation hat Jörg Länger mit einfachen graphischen Mitteln ins Bild gebracht. Die Personen sind schematisch dargestellt, eher angedeutet.

Gerade noch erkennen wir in den schwarzen Formen liegende und damit schlafende Menschen: die Jünger. Sie sind schwarz, weil sie müde geworden, der Nacht und Versuchung keinen Widerstand geleistet haben. Die sie umgebende Nacht ist förmlich in sie hineingekrochen. Ihre halbkreisförmige Anordnung ergibt einen Hügel, ein Hinweis auf den Ölberg.

Die goldgelbe Gestalt, zur rechten Seite hin kniend, muss Jesus sein. Durch den Abstand zu den Jüngern wie durch seine Farbgebung scheint er zu schweben, in eine Welt der Schwerelosigkeit entrückt zu sein, wo die irdischen Gesetze keinen Zugriff haben. Allein kniet er da in der Auseinandersetzung mit seinem Vater. In der weiten, weißen Fläche ist die nächtliche Stille zu spüren, die langen Stunden des Gebetes, aber auch die zärtliche Umarmung seines unsichtbaren Vaters, der ihm in einer der schwersten Stunden seines Lebens Halt gibt. Es geht um mehr als nur Jesus allein, es geht um die Rettung der Menschheit.

Mit der Jesusgestalt von Hans Holbein dem Älteren hat Jörg Länger eine altvertraute Form aufgenommen. Durch die Reduktion auf ihre Umrisse hat er sie allerdings vom Gegenständlichen losgelöst und auf das Wesentliche verdichtet zu einem neuen Bedeutungsträger werden lassen. Die Intensivierung der Farben von unten nach oben in der Gestalt Jesu steigert diese Wirkung. So wird Jesus zum „aufstrahlenden Licht aus der Höhe, um allen zu leuchten, die in Finsternis sitzen und im Schatten des Todes“ (Lk 1,78f), zum „Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (Joh 8,12)

Die leuchtende Gestalt Jesu bildet die Spitze eines nach oben gerichteten Dreiecks, dessen Basis die schlafenden Jünger bilden. Symbol für die sich in der „Nacht“ befindende, von der Erdanziehungskraft ermüdete Menschheit, an deren Spitze Jesus unermüdlich mit dem Einsatz seines Lebens für uns betet? Es lohnt sich auch, das Bild aus dieser Perspektive mit den Worten aus dem Hebräerbrief 4,14 – 5,10 über Christus als Hohenpriester zu betrachten.

So zieht mich die leuchtende Bildmitte immer wieder an, konzentriert meinen Blick auf den betenden Jesus und erinnert mich an seine Worte: Bleibet hier und wachet mit mir! Das Bild wird mir Gebetshilfe, Symbol für die Fastenzeit. Durch das Fasten und Verzichten auf so viel Nebensächliches und doch so Belastendes soll mein Blick wieder frei werden für alles, was durch Jesus geschehen ist. In der Stille werde ich wieder seine Worte hören und die Kraft erhalten, mit ihm wach und im Gebet innigst mit Gott verbunden zu bleiben.

Kreuz und Macht

Bei der ersten Begegnung mit diesem Bild müssen sich unsere Augen  zuerst orientieren. In chaotischen Strichen und Farben ist rechts ein mächtiger Soldat dargestellt, während links ein Mensch unter einem schwarz-grauen Kreuz zu entdecken ist. Es muss sich hier um einen Kreuzweg handeln, vielleicht sogar um jenen von Jesus. Der Bildausschnitt zeigt vom ganzen Weggeschehen nur diese beiden Personen: Es sind keine Schaulustigen zu sehen, es gibt keine Hinweise, ob das Bild als Kreuzwegstation gedacht ist. – Eigenartig, dass der Kreuztragende so klein ist und nicht wie auf anderen Darstellungen im Mittelpunkt dargestellt wird. Spontan kommt mir beim Größenvergleich auch David und Goliath in den Sinn.

Den Maler scheint die Auseinandersetzung zwischen dem Soldat und dem Kreuztragenden bewegt zu haben. Wir kennen viele Bilder von Machtausübung, Gewalt und Ungerechtigkeit aus Fernsehen und Zeitungen, die uns durch ihre Brutalität erschüttern. Dafür ist dieses Ölbild trotz seinen wilden Pinselstrichen bereits zu brav und schön. Wo es aber zu berühren vermag, das ist das Ungleichgewicht zwischen den Protagonisten und den Welten, die sie voneinander trennen.

Auf der rechten Bildhälfte ist raumfüllend ein Soldat gemalt. In seiner Rüstung und dem steil aufgerichteten Speer demonstriert er unbarmherzige, herzlose Macht. Noch sitzend ist er groß, stehend würde sein Oberkörper und Kopf über die obere Bildkante hinausragen. Wie ein Pfau sich mit seinem Rad schmückt, leuchtet der Soldat in allen Farben der von ihm repräsentierten Macht. Grimmig schaut er auf sein Opfer, die Waffe und seine langen schwarzen Finger jederzeit zum Einsatz bereit. An ihm führt kein Weg vorbei, jeglicher Rückweg ist versperrt.

Dem Mensch auf der linken Bildhälfte bleibt nur der Weg nach vorn. Das Kreuz liegt wie ein Pfeil auf seinen Schulter, direkt vom Soldaten ausgehend. Die Macht, der er dient und die er darstellt, hat es ihm aufgebürdet. Vom Mensch ist nicht viel übrig geblieben – nur der Kopf und die langen Beine sind zu sehen. Der Oberkörper scheint im Kreuz aufzugehen – sein Schicksal, das Kreuz, hat sich seiner bemächtigt. Die Füße wollen einen anderen Weg gehen, doch der Wille treibt ihn weiter. Nichts ist zu spüren von der Außerordentlichkeit der Person. Kein Heiligenschein zeichnet ihn als Gottessohn aus. Im Gegenteil. Wie alle Unterdrückten muss er den Weg im Staub dieser Erde gehen – farblos, wie entleert – gedrängt von der Willkür der Machthabenden.

Was gibt ihm die Kraft seinen Weg zu gehen? Im ersten Lied vom Gottesknecht gibt Jesaja folgende Worte Gottes wieder: „Seht, das ist mein Knecht, den ich stütze; das ist mein Erwählter, an ihm finde ich mein Gefallen. Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt, er bringt den Völkern das Recht. Er schreit nicht und lärmt nicht und lässt seine Stimme nicht auf der Straße erschallen. .. Er wird nicht müde und bricht nicht zusammen, bis er auf der Erde das Recht gegründet hat.“ (42,1-2.4)

Die Kraft des Kreuztragenden liegt außerhalb von ihm. Der Maler hat sie in den hoffnungsvollen und kräftigen Farben dargestellt. Blau steht für den Glauben – in ihm ist dieser Mensch verwurzelt. Grün drückt die Hoffnung aus, das Wachstum, die Zukunft. Und über ihm das helle Licht der Sonne für die Nähe und die erbarmende Liebe Gottes.

So finden sich trotz des Ungleichgewichts der Personen Trost und Zuversicht auf der Seite des Kreuztragenden. Und dieser Trost, dieser Halt, diese Hoffnung steht allen zu, die wie Jesus ein schweres Kreuz zu tragen haben. Die kleine graue Gestalt steht für alle durch menschliche Ungerechtigkeit Kleinge- machten, Verfolgten, Ausgebeuteten, Misshandelten, zu Tode Geplagten. Wenn sie auch wie Jesus von allen „guten Geistern“ verlassen / getrennt worden sind, dürfen wir die Gewissheit haben, dass Gott diese Armen nicht verlässt (vgl. Ps 9).