Eine nackte männliche Person befindet sich im Schoß einer Frau mit blauem Gewand. Er schaut zu ihr hoch, während sie dem Betrachter in die Augen schaut. Ihre beiden großen Hände sind nach vorne gekehrt. Sie sind leer, als wollte sie damit sagen: Seht, das ist mein geliebter Sohn!
Auch ohne die traditionelle Ikonografie lassen sich in den beiden Personen Maria und Jesus erkennen. Sie, die ihn in der Geburt einst in die Welt entlassen hat, muss ihn nun erneut loslassen – in den Tod. Dabei liegt er nicht wie in bekannten Pietà-Darstellungen horizontal über ihren Knien, sondern steht in seiner Mutter. Der Künstler hat Jesus ganz materiell in ihren Mutterschoss zurückkehren lassen, so dass er nicht nur durch ihren Mantel, sondern auch durch ihren Körper geschützt wird. So wird Maria gleichzeitig als Schutzmantelmadonna wiedergegeben. Jesus war der Erste, der ihren Schutz erfahren durfte. Nackt wie er geboren wurde, liegt er nun wieder in ihrem Schoß, an ihrem Herzen.
Durch seine senkrechte Gestalt ist seine Auferstehung vorweggenommmen, auch wenn sein Körper mit Mariens loslassenden Händen zusammen noch auf das Kreuz und seinen Tod hinweisen. Deutlich sind seine Wundmale an den Füssen zu sehen.
Seine Gestalt ist eher jämmerlich zu bezeichnen. Sie erinnert an den im Buch Jesaja beschriebenen Gottesknecht (Jes 42,1-4; Jes 49,1-6; Jes 50,4-11; Jes 52,13-53,12), aber auch an von Krankheit, Not und Sterben gezeichnete Körper.
Damit kann sich jeder Mensch in Elend und Not in Jesu Gestalt wiederfinden und darf sich von Maria in seiner Not und gegebenenfalls auch in seinem Sterben gehalten und geborgen fühlen.
So sehr der blaue Mantel das Zeichen Mariens ist, wird die blaue Farbe in dieser Darstellung auch zur Farbe des Himmels. Maria wird zur Himmelspforte, durch die Jesus mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen wird. Maria wird dadurch auch zum Sinnbild für den barmherzigen Vater selbst, der seinen toten Sohn in sich aufnimmt, um ihm an seinem Herzen und zu seiner Rechten neues, ewiges, herrliches Leben zu geben.
Ohnmächtig
vor Trauer
Machtlos
gegenüber dem Tod
Loslassen
wie bei der Geburt
Lassen
was unfassbar ist
Marianne Oettl