Himmlischer Augenblick

Ist ein Blick in den blauen Himmel nicht immer auch ein Blick in die räumliche und zeitliche Unendlichkeit? Zuverlässig erscheinen Sonne, Mond und Sterne am Horizont und bespielen mit ihrem Lauf das Himmelsgewölbe. Wolken lassen hingegen die gewaltigen Dimensionen des Luftraums erahnen und die Zeit vorbeiziehen sehen. Sie erwecken mit ihren besonderen Formationen und Farben, insbesondere im Morgen- oder Abendlicht, unsere Aufmerksamkeit. Wenn jedoch Regenbogen oder andere seltene Lichtphänomene am Himmel erscheinen, ist das immer etwas ganz Besonderes, denn sie sind das Resultat von Zufällen, von unplanbaren Zusammentreffen von Faktoren wie Planetenkonstellationen, Temperatur, Wind, Regen und anderem mehr.

So ein zufälliger Moment ist im Foto festgehalten worden. Zum einen die vom Wind zu hauchzarten Gebilden verwehten Schleierwolken, eine himmlische „Lüftlmalerei“ in einigen Kilometern Höhe, die uns manchmal mit figurativen Assoziationen wie hier an einen Hund oder ein Schaf beschenken. Die watteähnliche Sanftheit der Schleierwolken, die aus feinsten Eiskristallen bestehen, kleiden den Himmel mit ihren auseinandergezogenen Verwehungen aufsehenerregend schön.

Gesteigert wird dieser flüchtige Moment durch das Aufleuchten eines Lichtbogens. Die Lichtbrechung und -reflexion an den runden Regentropfen in den Spektralfarben Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau und Violett erzeugt an sich einen Kreis, den wir von unserem Standpunkt aus aber immer nur als Bogen wahrnehmen können.

Das phänomenale Erscheinen des Regenbogens, diese Verbindung von Sonnenlicht und Regen, seine grazile und perfekte Gestalt, sein intensives Leuchten und unfassbares Auftauchen und Vergehen zwischen Himmel und Erde haben dem Lichtereignis von alters her eine spirituelle Bedeutung gegeben, die einem Geschenk des Himmels gleicht. In seiner perfekten Rundung leuchtet im Augenblick und exklusiv aus der Perspektive für den Betrachter ein Teil des gewöhnlich unsichtbaren Kreises auf. Da der Kreis und auch das Licht Symbole für Gott sind, mag der farbige Lichtbogen gleichzeitig wie eine Offenbarung Gottes wirken, als ein Zeichen seiner Gegenwart, Kommunikation, Versöhnung und seines Friedens. So hat Gott den Regenbogen nach der Sintflut als Zeichen des Bundes zwischen ihm „und allen Wesen aus Fleisch aufgerichtet“ (Gen 9,17).

Um einen Regenbogen zu sehen, muss man zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Im Altgriechischen gibt es dafür den Begriff des Kairos (καιρός). Im Gegensatz zum Chronos, der fortlaufenden, messbaren Zeit, beschreibt der Kairos einen flüchtigen, aber wichtigen Augenblick, den es zu nutzen gilt, um eine Handlung erfolgreich durchzuführen oder eine wegweisende Entscheidung zu treffen. Manchmal muss man solche Gelegenheiten beim Schopf packen, ein anderes Mal muss man warten, um es dann zu sehen und geschehen zu lassen. Regenbogen sind Geschenke des Himmels und schenken himmlische Augenblicke.

Leuchtende Zeichen geschehen aber nicht nur am Himmel, sondern auch mitten unter uns. Ihre faszinierende Leuchtkraft ist nicht geringer, doch es braucht offene Augen, um sie in den Wolken des Alltags wahrzunehmen. Wo Gutes in seiner ganzen Vielfalt getan wird, da treffen Sonnenstrahlen auf Regentropfen und lassen für einen Augenblick den Himmel offen wahrnehmen und etwas von Gottes Güte spüren, denn er ist der Gute par excellence. Denn in allem Guten wird ein Teil seiner Größe und Herrlichkeit sichtbar.

Erwartung neuen Lebens

Von links unten wächst ein karger Strauch oder Baum mit vier dünnen Ästen zur Bildmitte. Bis auf wenige Blätter ist er nackt. Trockenheit lässt er spüren, Sehnsucht nach Leben. Wie Fühler hat er seine Äste in den Himmel gestreckt, denn der Boden gibt nichts mehr her. Er erwartet alles vom Himmel.

In der rechten Bildhälfte werden diese Äste von breiten Farbbögen erfasst: dunkelblau, gelb, rot in verschiedenen Helligkeitsstufen – fast ein vertikaler Regenbogen. Mit ihren seitlichen Farbverläufen muten sie wie die Wassermaßen eines heftigen Platzregens an. Dicht und stark stehen die breiten Farberscheinungen dem feinen Baumskelett gegenüber. Sie verbinden das Oben mit dem Unten, den Himmel mit der Erde. Sie sehen wie eine Antwort des Himmels aus und können als himmlisches Erbarmen gedeutet werden. Kraftvoll tragen sie in sich das Leben über das Land.

Perspektivisch sieht es so aus, als würden die Regenschauer in weiter Ferne am Strauch vorüberziehen. Doch die ausladenden Äste strecken sich nicht nur nach diesem himmlischen Segen aus – sie werden auch von ihm erfasst und mit seiner Fülle beschenkt. Die Erwartung – das Warten und Ausharren – ist belohnt worden. Das Hören und Lauschen sind erhört worden. Neues Leben kehrt ein.

Viele bisher unveröffentlichte Arbeiten von Arnulf Rainer waren bis zum 23. Februar 2020 im Museum Moderner Kunst Wörlen in Passau in der Ausstellung „Arnulf Rainer und Karl Schleinkofer“ zu sehen.