ER reißt die Welt empor

Immer wieder lodern Diskussionen auf, ob das christliche Symbol des Kreuzes in öffentlichen Räumen präsent sein soll beziehungsweise sein darf? Vor allem Kreuze mit Kruzifixus, also mit einer Darstellung des Leibes Christi am Kreuz, stehen im Verdacht, Leid und Gewalt zu verherrlichen. Der Kärntner Künstler Werner Hofmeister hat sich mit einer neuen Arbeit wieder einmal diesem großen Thema gestellt.

Hofmeister hat die Kopie eines Christuskorpus aus dem 17. Jahrhundert – das Original aus der Pfarrkirche Maria Hilf in Ebenthal ist in der Schatzkammer Gurk zu bestaunen – mit einer Zugabe ergänzt, wie es für sein Werk typisch ist. Die nach oben gestreckten Arme sind nicht mehr an einem Kreuz fixiert. Die durchbohrten Hände halten eine Stange, an deren Enden jeweils in einer mandelförmigen Gloriole ein Buchstabe zu sehen ist: auf der einen Seite ein A, auf der anderen ein O. Der erste und der letzte Buchstabe im griechischen Alphabet, gemeint sind hier wohl Anfang und Ende der Welt. Gleich schweren Gewichten sie werden von Christus gehalten und in die Höhe gestemmt. Die Verbindungsstange, der zeitliche Ablauf alles Irdischen, bildet den Querbalken eines imaginären Kreuzes. Diese Horizontale steht für die weltbezogene Ausrichtung des geheimnisvollen Geschehens am Kreuz. Die vertikale Verbindung von unten und oben, von Erde (Unterwelt) und Himmel, ist hier nicht ein in die Erde gerammter Pfahl, sondern der Corpus Christi selbst. Jesus Christus verbindet Himmel und Erde, er ist „der eine Mittler zwischen Gott und den Menschen“, wie im 1. Brief an Timotheus zu lesen ist.

In seiner ursprünglichen Form ist dieser Christuskorpus eine Momentaufnahme der Todesstunde Jesu. Sein Haupt ist nach unten geneigt, seine Seite mit der Lanze durchbohrt, deutlich zu sehen sind auch die Drei-Nagel-Wunden. In seiner Be- und Überarbeitung legt der Künstler nun dem Gekreuzigten die ganze Welt in seine Hände. Er zeigt, dass der Tod Jesu am Kreuz nicht das Ende von allem ist, sondern der Beginn der Rettung von allem aus der Macht des Todes.

Jesus der Retter reißt die Welt empor
Im Johannesevangelium lesen wir von der Anziehungskraft des am Kreuz Erhöhten, zu dem wir emporblicken. Und im Credo beten und bekennen Christen: „ … gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel, …“  Die heilsame Aktionsfolge der Heiligen Drei Tage, diese Ab- und Aufwärtsbewegung ist auch in Hofmeisters Arbeit gut zu erkennen. Das Werk heißt bezeichnenderweise „ER-reißt-die-Welt-empor“ und weckt assoziativ Erinnerungen an Darstellungen christlicher Kunst, wo Jesus Christus Adam und Eva, also die Menschheit überhaupt, an den Händen fasst und aus dem Reich der Dunkelheit und des Todes herausreißt und emporhebt in die neue Dimension des ewigen Lebens bei Gott. Jesus Christus wird mit vielen Namen angesprochen und verehrt. Er ist ein Freund, Heiland und Arzt, Retter und Erlöser, er ist auch einer, der uns Menschen herausreißt aus den Bedrängnissen und Notlagen des Lebens.

Der Sieg des Lebens über den Tod
Diese neue Arbeit von Werner Hofmeister, die im goldenen Licht der Auferstehung glänzt, ist ein österlicher Blick auf das Kreuz und eine Hoffnungsbotschaft an die Betrachter. „Tod, wo ist dein Sieg? / Tod, wo ist dein Stachel?“, schreibt Paulus im 1. Korintherbrief. Das Ostergeschehen von Tod und Auferstehung verwandelt das dürre Holz des Kreuzes in einen Lebensbaum. Frühe christliche Kreuzesdarstellungen, wie z. B. das bekannte große Lebensbaum-Kreuz in der römischen Kirche San Clemente, stellen den österlichen Sieg des Lebens über den Tod beeindruckend dar. Aus dem toten Holz des Kreuzes ist ein blühender und Früchte tragender Lebensbaum geworden.

„ER-reißt-die-Welt-empor“ von Werner Hofmeister ist eine beeindruckende zeitgenössische Kreuzesdarstellung, die zugleich den Tod Jesu am Karfreitag und den endgültigen Tod seines Todes am Osterfest zum Ausdruck bringt. Das Marterholz wird zum Siegeszeichen. Der leblos Hängende wird zum kraftvoll Stehenden, zum Hoffnungsträger der ganzen Welt von A bis Z.

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Erstveröffentlichung am 30.03.2018 auf der Website der Internetredaktion der Diözese Gurk. Die Wiedergabe erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Der rote Faden ist gelegt …

Die alten Mythen enthalten zentrale Aussagen über die Menschheit. Das Bild des Minotaurus von Christian Lippuner ist auf einer so tiefen Ebene anrührend, dass man es nur anschauen braucht – es ist alles drin. Obwohl nur ein “Portrait”, keine Ganzkörper-Darstellung – auf irgendeine geniale Art und Weise vermittelt es die ganze Tragik dieses Halb-Tier- und Halb-Mensch-Wesens. Dieser Stierkopf hat etwas Menschliches und unendlich Trauriges.

Ins Leben gerufen durch ein Schicksalsverhängnis, die Rache der Götter, durch einen Ehebruch seiner Mutter; dazu verdammt, eine menschenfressende Bestie zu sein, allein in einer Höhle zu leben … was für ein schlimmes Schicksal. Er hat nichts dazu getan. Gäbe es ein liebendes Wesen, das sich ihm nähert, müsste er es auffressen, zerstören.

Dann kommt einer, dringt zu ihm vor, mit einem Fadenknäuel und einem Schwert bewaffnet, aber nur, um ihn zu töten … Er ist blass, der Lippuner – Minotaurus, und sieht nicht aus wie kampfbereit. Eines seiner Hörner ist abgedreht. Sein Kampfesmut ist schon gesunken, er weiß, dass seine Tage gezählt sind. Vielleicht froh, bald von sich selbst befreit zu werden, aus dieser Verschlingung ins Verhängnis, in der er gefangen ist … Verschlingung ist hier sein Wesen.

Das waren spontan meine Gedanken, als ich ihn sah … verwundert! Aber auf den zweiten Blick verstehend … eine Metapher für die Menschheit?

Die Gier nach Liebe, nach dem Lebendigen, die im Mythos vom Minotaurus spricht, macht ihn zum Opfer seiner selbst. Am Ende steht er, mächtig aber verlassen, in der dunklen Höhle am Ende des Labyrinths. Und wird selbst getötet. Gibt das nicht die beste Metapher ab? Der Mensch ist so mächtig, dass er alle „Feinde“ beseitigen kann. Aber welchen Sinn hat das? Die Gewalt richtet sich am Ende gegen sich selbst, erschafft genau das, was sie am meisten fürchtet: die Einsamkeit, den Tod. Was für ein trauriges, verzweifeltes Wesen ist dieser Minotaurus! Ein Zwitterwesen, so in die Welt geworfen, kennt sich selbst nicht, muss auf immer seine Triebe ausleben …

Der Befreier kommt von außen, der Mensch! Er will dieses destruktive Triebwesen (in sich?) abtöten. Er findet aus dem Labyrinth heraus mit dem roten Faden der Liebe. Die Liebe ist das, was uns aus dieser elenden, gewalttätigen Existenz den Ausweg gibt. Aber das (gegenseitige und selbstige) Töten muss ein Ende haben. Das ist der Unterschied zwischen dem Helden im Altertum und dem Heute: Denn inzwischen ist der Christus in die Welt gekommen …Christus lehrt die bedingungslose Liebe und das Vergeben. Auge um Auge, Zahn um Zahn – das ist vorüber.

Ja, über das Töten und Abtöten (auch unserer eigenen Schattenseiten) müssen wir hinauskommen. Denn im Grunde sind all diese Kräfte, auch die scheinbar bösen, ein Zugang zum Lebendigen, wenn man sie nur richtig nutzt: Zerstörung des “Feindes” ist der Versuch, sich das Lebendige einzuverleiben, das kann heute auf die geistige Ebene verlagert werden. Wut ist gut, sie enthält viel kreatives Potential. Hass will im Grunde Liebe, er entsteht aus Ohnmacht. Konkurrenzstreben offenbart das Streben nach Vollkommenheit … usw. Das alles sind doch Energien, und wir wissen heute genug über die menschliche Seele, um uns diese Energien nutzbar machen zu können. Christus hat uns übrigens aufgezeigt, wie wir da hinkommen können.

Der Minotaurus ist schon überwunden. Der rote Faden ist gelegt. Wie in vielen alten Märchen, in denen Verwandlung stattfindet (z.B. „Die Schöne und das Biest“) muss nur eine/r kommen, die/der die Abscheu und Furcht überwindet. Dann kann der verwünschte Tier-Mensch entzaubert werden.