Fußwaschung

Der Fuß in der Bildmitte, die gewellten Haare wie ein Vorhang auf der linken Bildseite, die beiden Hände, welche die Haare zum Fuß führen: deutlicher kann nicht auf die berühmte Begebenheit im Hause des Pharisäers hingewiesen werden.

Das Bild stammt aus einem Video, in dem Maria Magdalena vor allem durch ihre Haare thematisiert wird (Schwimmen mit offenen Haaren – „Fußwaschung“ – Kämmen der Haare). In der biblischen Erzählung wird der Name der Frau allerdings nicht erwähnt. Die Sprache ist von einer „Sünderin“. Erst die Tradition hat Maria Magdalena durch ihre Umkehr und Nachfolge mit der Sünderin in Verbindung gebracht. Lukas schreibt: „Als nun eine Sünderin, die in der Stadt lebte, erfuhr, dass Jesus im Haus des Pharisäers bei Tisch war, kam sie mit einem Alabastergefäß voll wohlriechendem Öl und trat von hinten an ihn heran. Dabei weinte sie und ihre Tränen fielen auf seine Füße. Sie trocknete seine Füße mit ihrem Haar, küsste sie und salbte sie mit dem Öl.“ (Lk 7,37-38)

Lukas geht es um die Reue, um die Umkehr dieser Frau. Sie wendet sich Jesus so radikal zu und erhofft von ihm durch diese starke Handlung so viel Vergebung, dass der Hausherr Anstoß daran nimmt (V. 39) und Jesus ihn mit einer Lehrerzählung über Schuldvergebung zurechtweisen muss (Vv. 41-43). Argumentativ und vergleichend mit dem nicht erfolgten Handeln des Hausherrn zählt Jesus die Handlungsschritte der Frau auf: Fußwaschung mit ihren Tränen, Trocknen mit den Haaren, Küssen der Füße und Salben mit wohlriechendem Öl. Aufgrund dieser umfassenden Liebesbezeugung spricht er die erlösenden Worte: „Deine Sünden sind dir vergeben.“ – „Dein Glaube hat dir geholfen. Geh in Frieden!“ (Vv. 48.50)

Im Videostill von Marta Deskur ist nur das Abtrocknen der Füße herauszulesen. Das Benetzen, Küssen und Salben der Füße bleibt für den Betrachter dieses Filmausschnittes im Verborgenen. Doch mit der Unschärfe in den Haaren wird Bewegung und Handlung signalisiert. Die ungewöhnliche Begegnung wird betont. Auf der einen Seite die Haare, die des Menschen Kopf als räumlich höchstes Gut zieren und schmücken, auf der anderen Seite die Füße, die als unterster Körperteil den Menschen tragen und fortbewegen. Eigentlich kommen sie nie miteinander in Berührung. Um so außergewöhnlicher, wenn die Haare die Füße berühren, streifen, trocknen. Die innere Haltung der Sünderin wird so überzeugend stark zum Ausdruck gebracht.

Mit der jungen Frau, die durch ihr langes Haar und die feinen Finger eher kindliche Züge aufweist, bringt Marta Deskur allerdings weniger die Sünde, als vielmehr die Unschuld ins Bild. Wurde die Frau in der Bibel erst durch die Sündenvergebung wieder rein und gewissermaßen in den Urzustand zurückgeführt, spricht Marta Deskur mit ihr von Anfang an die Thematik der Unversehrtheit, Unschuld und Reinheit an (Fußwaschung und Reinheit werden auch in der einzigen vergleichbaren Handlung von Jesus in Joh 13,1-12 thematisiert).

Ist es nicht die Sehnsucht nach dieser kindlich-göttlichen Reinheit, welche die Sünderin den Weg zu Jesus finden und diese eindrückliche Handlung vollziehen ließ? In der eigenen Erniedrigung wurde sie gesehen und durch die göttliche Vergebung erhöht. Ist da nicht das ganze Magnifikat Mariens herauszuhören (Lk 1,46-55)? Und kommt dies visuell nicht auch in der durch die Hände und den Fuß gebildeten aufsteigenden Bilddiagonale zur Sprache? Der Sünderin wurde durch Jesus das reine Herz wiedergeschenkt, damit sie der Seligpreisung gemäß wieder Gott schauen konnte (Mt 5,8). Uns mag das Bild vielleicht anregen, über zeitgemäße und aussagestarke Gesten der Reue, der Demut und der Zuwendung zu Jesus nachzudenken.