Die beiden Gestalten dieser Skulptur – für manchen Betrachter erst auf den zweiten Blick klar zu erkennen – bilden eine unzertrennbare Einheit (auch aus anderer Perspektive: Ansicht von vorne). Ihre raue Oberflächenstruktur schweißt sie zusammen und erschwert gleichzeitig das Erkennen von Einzelheiten. Durch die grobe Holzbearbeitung wird der Eindruck erweckt, dass ihnen durch eine äußere Macht stark zugesetzt wurde. Sie wirken geschunden, gezeichnet, mitgenommen von dem, was sie erlebt haben. So bilden sie eine Schicksalsgemeinschaft.
Auf dem einfachen Hocker sitzt mit aufrechtem Rücken eine fein gebaute Frau. Über den Kopf hat sie ein Tuch geworfen. Ob die Kopfbedeckung fest zu ihrem Auftreten gehört oder ein Zeichen der Trauer ist, lässt sich aus diesem Blickwinkel nicht feststellen. Wesentlich erscheint, dass sie fortwährend auf das Haupt der zu ihren Füssen in die Knie gegangenen Person schaut.
Der Mann hängt wie ein Häuflein Elend in ihren Armen und fließt von da in einer einzigen diagonalen Bewegung erschöpft zu Boden. Ihre Knie geben ihm seitlichen Halt, der Hocker und ihr Schoß stützen ihn hinten.
Kaum zu glauben, dass es sich um Mutter und Sohn handelt. Sie sieht so jung aus, dass sie auch als Geschwister gesehen werden könnten. Doch jede Faser seines Leibes weist darauf hin, dass er, die Frucht ihres Leibes, aus ihr hervorgegangen ist.
Wie damals sind sie nun wieder vereint. Sie, die keinen sichtbaren Rückhalt hat, ist wiederum sein einziger Halt. Dabei trifft sie das Schicksal ihres toten Sohnes schwer. Wie Pfeile verlaufen die Diagonalen seines Oberkörpers und seines rechten Armes auf ihre Brust und ihren Kopf zu (vgl. Lk 2,35a). Er war ihre Hoffnung gewesen, ihr Stolz, ihr Leben. Auch wenn sichtbar das Leben aus ihm gewichen ist, kann sie noch nicht loslassen. Nachdenklich und betrachtend sitzt sie da.
Was ihr wohl alles durch den Kopf geht? An welche Erlebnisse, Begegnungen und Worte sie wohl denkt? – Wir werden es nie erfahren. – Wir können uns nur mit unseren eigenen Lebenserfahrungen in ihr Schweigen hineinfühlen. Vielleicht vermag ihr Leid und ihr Schmerz uns in unseren Leiden und Schmerzen Halt zu geben. Vielleicht spüren wir dann auch, wie diese Frau letztlich von Dem gehalten wird, der ihr diesen Lebensweg aus ihrer Glaubens- und Lebensbejahung heraus zugetraut hat. Ja vielleicht weitet sich unser Blick auch so weit, dass wir in der jungen Frau nicht nur Maria, sondern auch Gott selbst erkennen, der uns mütterlich das Leben schenkt und uns über unseren Lebensweg hinweg durch den Tod hindurch begleiten und letztlich zur endgültigen Heimat bei ihm führen wird.