Ein Mensch – tendenziell eine Frau – verlässt mit einem großen Schritt eine quadratische Platte. Sie trägt einen langen Mantel mit großen Taschen und einem breiten Kragen gegen die Nässe. Einzig der mit krausem Haar bedeckte Kopf ragt ungeschützt und andersförmig aus der geradezu geometrisch geformten Gestalt heraus. Obwohl der Blick nach innen gerichtet ist, deutet die Kopfhaltung eine Sicht in die Ferne.
Es ist spürbar, dass etwas Fernes diesen Menschen aus seinem gewohnten Bereich herausholt und ihn bewusst den Schritt ins Niemandsland machen lässt. Was dem einen ein Wagnis, ist dem anderen ein ganz normales Bedürfnis. Neuland beschreiten, neue, unsichtbare Wege gehen. Wege sind zuerst immer ein Weggehen, ein Verlassen des Bekannten, Vertrauten und Gewohnten, vielleicht sogar der Heimat. Etwas Verlassen bedeutet zuerst immer einmal in die Fremde ziehen und zu einem Fremden zu werden.
Die quadratische Platte deutet das Verlassen der Erdenbühne an. Es sieht wie ein Übergang ins Nichts, ins Niemandsland, ins Ungewisse aus. Doch in der menschlichen Gestalt ist eine innere Gewissheit zu spüren, diesen Schritt gehen zu müssen. Aufrecht geht sie den Schritt von der sichtbaren Welt in die unsichtbare Welt. Dieser alles verändernde Schritt ist bei ihr nicht mit Angst oder einem Zögern verbunden, sondern mit einer geheimnisvollen Gelassenheit und Selbstverständlichkeit.
Es muss nicht immer der letzte Schritt sein. Wer sich weiterentwickeln will, muss Fort-Schritte machen. Wer Neues kennenlernen will, muss seinen Blick visionär auf das Zukünftige ausrichten. Er oder sie muss bereit sein, lieb gewonnenes zurückzulassen bzw. es als verinnerlichte Erfahrungen, eben Erinnerungen und Beziehungen, mit auf die Reise zu nehmen. Ohne Rucksack, ohne Gepäck oder Proviant. Es geht um mehr. Es geht um die Reise in das unfassbare Jenseits. Es ist kein Schritt ins Nichts, sondern in die unendliche Weite Gottes. Seine unsichtbare Gegenwart hält die Gestalt aufrecht, sein Geist führt.
Die schreitende Gestalt erinnert an die Weisung Gottes an Abram: „Geh fort aus deinem Land, aus deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde! Ich werde dich zu einem großen Volk machen, dich segnen und deinen Namen groß machen. Ein Segen sollst du sein. Ich werde segnen, die dich segnen; wer dich verwünscht, den werde ich verfluchen. Durch dich sollen alle Sippen der Erde Segen erlangen. Da ging Abram, wie der Herr ihm gesagt hatte.“ (Gen 12,1-4a)
Auch hier ist der Fortschritt eine positiv bewertete Weiterentwicklung, ein innovativer, also erneuernder Prozess, der mit Gottes Hilfe das Leben in einer neuen Dimension erleben lässt.
Unter dem Ausstellungstitel „bewegt, beflügelt, bewahrt“ waren Werke von Annette Zappe in natura vom 05.06. – 13.09.2020 im Münster und im Religionspädagogischen Zentrum Heilsbronn ausgeststellt. >>> Flyer