Aufbruch zum Leben

Acht Skelette bilden auf den zwei großen Bildtafeln (Zoom) eine Art Totentanz quer durch den Chor der katholischen Kirche St. Peter und Paul in Dürbheim. Sie liegen nicht, sondern sitzen, stehen, hängen, trommeln, blasen die Fanfare. Aus dem Staub des sandigen Bodens haben sie sich erhoben, wieder menschliche Gestalt angenommen. Während die einen noch mit verschränkten Armen im Dunkeln kauern, stehen andere schon aktiv im Licht, blasen und schlagen zum Aufbruch. Sie scheinen nicht nur die im „Schatten des Todes“ Sitzenden zum Aufstehen bewegen, sondern auch alle im Kirchenraum Anwesenden wecken und aktivieren zu wollen. Damit steht die künstlerische Intervention in einer Linie mit der biblischen Erzählung von der Auferweckung der Toten im Buch Ezechiel 37,1-14. Damals stärkte Gott durch die großartige Vision sein in langjähriger Gefangenschaft entmutigtes Volk und gab ihm neue Kraft, seiner alles erneuernden Geisteskraft zu vertrauen.

Von außen nach innen bauen sich die beiden Bildtafeln auf und entwickeln über eine imaginäre Kopflinie hinweg eine ungeheure Kraft, die letztlich über die Fanfaren hinaus den Bildrand quert: Alle sollen von dieser Auferstehung hören, alle sollen von dieser Hoffnung leben. Im Gottesdienst bilden die beiden Fanfaren spielenden Skelette ein Spalier für den, der durch die Öffnung in ihrer Mitte geht: den Leiter des Gottesdienstes, den Pfarrer oder den Diakon, der den lebendigen Gott verkündet und das Brot des Lebens reicht. Und wenn der Priester am Altar steht, wird erst recht deutlich, dass die Fanfarenstöße und Trommelwirbel Christus gelten. Denn gerade während der sakramentalen Handlung am Altar handelt der Priester in „persona Christi“.

Die Bildtafeln sind eigens für diesen Chorraum gemacht. Wie eine Chorschranke trennen sie den Altarraum: vorne der aktuelle Volksaltar, hinten der barocke Hochaltar mit dem Allerheiligsten (Choransicht). Obwohl die Platten auf den ersten Blick wie eine Mauer wirken, lassen sie unzählige Durchblicke auf den Hintergrund zu. Die meisten Linien sind mit der Motorsäge „gezeichnet“ bzw. aus der Spanplatte herausgeschnitten worden. Sie finden sich bei den Schattenbereichen genauso wie bei den stern- und kreuzförmigen Gebilden, die dunkel den hellen Hintergrund strukturieren. Insbesondere fallen sie aber bei den Skeletten und der Zeichnung ihrer Knochen auf (Detailansicht). Was dem lebenden Menschen Halt gibt, ist hier Freiraum, Leere, Nichts. Durch die Schnitte wurde gleich in zweifacher Weise Trägermaterial (Spanplatte und Knochen) entfernt, was die Verwandlung zu immateriellen Wesen noch hervorhebt.

Geisterhaft, unwirklich erscheinen die Skelette so im Material der Spanplatte als skelettierte Lichtgestalten. Von den Knochen her, von ihrer tragenden Körperstruktur her löst sich ihre Körperlichkeit in Luft und Licht auf. Vollzieht sich an ihnen Auferstehung? Umgekehrt wurde die Spanplatte mit jedem Schnitt geschwächt, mit jeder Materialentfernung mehr zum Skelett ihrer selbst. Dabei hatte sie als Recyclingprodukt von Holzspänen selbst schon eine Verwandlung zu einer neuen Form erfahren. Aber diese Verwandlung von Material spielt sich in unserer Wirklichkeit ab und ist absolut verständlich und beobachtbar. Ganz anders ist es bei den Gestalten. Deren Rückkehr in bewegtes Leben, ihre Auferstehung entzieht sich unserer Beobachtung, unseren Sinneskräften und der Künstler muss zu Symbolen greifen, wenn er „anschaubar” machen möchte, was in einer anderen Dimension stattfindet. Hier kann es die Teilung des Chorraums sein, die eine Ahnung von dem vermittelt, was eigentlich verborgen ist. Der vordere Teil ist unser Lebensraum. Die Verwendung des Alltagsmaterials Holz unterstreicht das. Und dahinter, verbunden durch einen schmalen Gang, ist das Andere, das Sakrale, Auferstehung, ewiges Leben, Gott, zu dem nur Glauben und Hoffen gelangen können. Aber das Geschehen am Altar kann ein Wegweiser in diese andere Dimension sein.

Diese Installation von Hans-Jürgen Kossack wurde 2011 im Rahmen der Ausstellung malhalten – Gegenwartskunst in einundzwanzig Kirchen in der katholischen Kirche St. Peter und Paul in Dürbheim gezeigt.