Hände reden vom Kreuzweg

Am 1. März 2020 ist in Landquart (unweit von Chur, Schweiz) ein Kreuzweg eingeweiht worden, der bis auf wenige Hilfsmittel wie Brot, Kreuz, Tuch, Natodraht oder Erde ausschließlich mit Händen aus der Gemeinde gestaltet worden ist. Es sollte ein Kreuzweg „von Landquarter*innen für Landquarter*innen“ werden. Ein Kreuzweg, der das Leben der heutigen Gläubigen über ihre Hände mit dem  Kreuzweg Jesu verbindet. Der Kreuzweg stellt unseren irdischen Leidensweg, unseren Kreuzweg, den Jesus für uns vorausgegangen ist, dar!” Die 33 cm Kantenlänge der quadratischen Fotos verweisen auf das Lebensalter Jesu.

In der elementaren Gebärdensprache der Hände wird dem Betrachter der Kreuzweg Jesu nahegebracht. Die Hand-Zeichen lassen ihn zum Mitwirkenden werden, denn der Leidensweg Jesu geht uns alle etwas an. Er setzt sich quer durch unsere Leben hindurch fort und begegnet uns z.B. in allen Situationen der Todesangst, der Ver-urteilung, des Mit-tragens oder der Linderung. Bei der zweiten Station werden einem Momente und Zeiten der Abwehr bewusst, des Nicht-wahr-haben-Wollens, des Versteckens. Bei der vierten Station wird man an Situationen erinnert, in denen man in ein Gruppengeschehen hineingeraten ist und sich plötzlich beim Lästern und Urteilen über andere ertappt. In der sechsten Station sind die Hände dem Kreuz nahe, sie tragen und berühren es gleichzeitig, um dem Leidtragenden nahe zu sein und ihn durch ihre solidarische Aktion zu entlasten. In der siebten Station werden alle Begegnungen angesprochen, in denen durch Zuwendung Trost und Linderung gespendet wird.

Dreizehn Stationen sind als schwarz-weiß-Fotografien ausgeführt, nur die Auferstehung in der XIV. Station deutet mit ihrer Farbe auf eine wesentliche Veränderung hin. Sie verweist durch ihre blaue Farbe auf die blau gemalte Decke im Chor und leitet so von dieser Welt in die jenseitige Welt über, die wir auch gerne als Himmel bezeichnen. Zwei Hände voller Erde muten da wie ein Widerspruch an. Doch sie sprechen von einem Neuanfang, losgelöst von irdischen Gebundenheiten oder dem, was von uns materiell übrigbleibt. Und sie erinnern daran, dass wir in diesem Leben fruchtbar sein sollen im Hinblick auf die Ewigkeit und dass wir – was auch immer mit uns passiert – von Gott getragen und in seiner Hand geborgen sein dürfen.

Broschüre mit kurzen Meditationstexten und Abbildungen zu allen Stationen

Das unsichtbare Kreuz

Zwei Paar Schuhe befinden sich in einer Metallbox mit Glasabdeckung. Es sind schwarze Herren-Halbschuhe, die Oberfläche des Glattleders glänzt und die Schnürsenkel sind gebunden. Sie stehen bzw. hängen auf dem grauschwarzen Mittelfeld eines sonst weißen Hintergrundes. Es ist keine Befestigung auszumachen. Die Drähte, welche die Schuhe mitten in der Einstiegsöffnung und vor dem Absatz umwickeln, halten farbige Glassteine in den Schuhen.

Die vier Lederschuhe „stehen“ ordentlich im Zentrum des Objekts. Ordentlich bedeutet in diesem Fall, dass sie vertikal ausgerichtet sind, paarweise übereinander stehen, zwischen dem linken und dem rechten Schuh jeweils gut eine halbe Schuhbreite Abstand. Alle Freiflächen stehen zueinander in einer harmonischen Beziehung.

Den Hintergrund oder aus anderer Sicht die Grundlage bildet ein teilweise mit grauschwarzer Farbe bedecktes Büttenpapier. Es ist schwer zu erkennen, ob die Farbe ausgegossen oder aufgemalt wurde. Unten rechts lassen helle Bereiche Spuren eines Pinsels vermuten. Auf den weißen Flächen verteilte Farbtupfer und –spritzer suggerieren eine spontane Arbeitsweise.

Man kann die dunkle Fläche einfach als abstrakte Form stehen lassen. Assoziativ lassen die Konturen aber auch einen weiblichen Torso von der Seite sehen, bei dem der Hals spitz zuläuft. Der einzige weiße Punkt in der Spitze des Farbkörpers ermöglicht zudem eine weitere Sichtweise. Das kleine weiße Rund ist eine Aussparung von Farbe und wirkt wie ein Loch, an dem der schwarzgraue Farbkörper wie ein Stück Schlachtfleisch im Raum aufgehängt ist.

Diese Beobachtungen und Gedanken mögen verstören und skandalös wirken. Denn es sind Männerschuhe auf einer Frauensilhouette. Es sind mit Steinen beschwerte Schuhe, die ein stilisiertes Stück Fleisch treten, das getötetes Leben bedeutet, ein enthauptetes, gehängtes Lebewesen. Unter der ästhetischen Schönheit der Arbeit verbergen sich tatsächlich grausame Beziehungen und Machenschaften, die unzähliges und unsägliches Leid im zwischenmenschlichen Bereich wie im Umgang mit anderen Lebewesen anprangern.

Unbarmherzig stellt der Künstler mit seinem Objekt die barbarische Seite vieler Männer wie in einem Schaufenster zur Schau . Die schwarzen Lederschuhe deuten auf diejenigen, die sie normalerweise tragen. Es ist typisch, dass diese Männer nicht sichtbar sind, denn sie verheimlichen ihre Machenschaften gerne. Stehen sie doch oft im Gegensatz zu dem, was sie vorgeben zu tun und zu sein. Die farbigen Glasbrocken mögen Symbole für alles sein, das sie sich selbst (in die Taschen) oder gegenseitig in die Schuhe schieben, um sich damit zu bereichern oder zu entlasten.

So ist es nicht verwunderlich, dass auch das Kreuz, das sich aus den horizontalen und vertikalen Abständen der Schuhe ergibt, ein unsichtbares Kreuz bleibt. Mit seinem Tod am Kreuz hat sich Jesus mitten in das Leid dieser Welt hineinbegeben, um das Leid aller Menschen und aller Zeiten, um das Leid der ganzen Schöpfung von innen heraus zu umfassen und durch seinen Tod zu sühnen. Durch Jesus ist Gott gerade im Leidenden bleibend gegenwärtig, in dem, der seine Schmerzen und sein Leid oft in großer Einsamkeit und bis zum Tod ertragen muss.

Das Kreuz ist unsichtbar. Aber es ist geistig wahrnehmbar. Gott sei Dank ist es da. Gott sei Dank ist GOTT da. Still und leise, aber machtvoll.