Ein kleiner Mensch wird von einem von oben kommenden Händepaar gehalten. Das Bild gibt keine Auskunft, woher dieses Menschlein kommt, das klein wie ein Kind ist und das mit seinen großen Händen, dem festen Haar auf dem Hinterkopf, ja von den Proportionen selbst die Züge eines Erwachsenen trägt. Doch dem Künstler scheinen zwei Umstände bei der Wahl des Bildausschnittes wichtig gewesen zu sein. Zum einen der haltlose, schwebende Zustand des kleinen Menschen, zum anderen der Halt, den dieser in diesem Moment erhält. Die Hände von oben sind noch offen, sie haben noch nicht zugegriffen. Aufschluss über die Zusammenhänge gibt erst ein Blick auf den bekannten Holzschnitt aus dem 15. Jahrhundert, aus dem der Künstler die dem Mund eines Sterbenden in Form eines Menschleins entschwebende Seele zitiert, die von einem Engel erwartet wird, um sie dann zu Gott zu führen.
Diese Darstellung entspricht dem Glauben, dass der Mensch genauso nackt, klein und arm wie er bei der Geburt diese Erde betritt sie beim Tod auch wieder verlassen wird. Doch der Künstler hat dem mittelalterlichen Blatt durch die Auswahl und Freistellung des besagten Ausschnittes „den religiös-christlichen Kontext entzogen, verallgemeinert und die konkrete Vorstellung der Aufnahme der Seele in eine jenseitige Sphäre z.B. des Paradieses aufgelöst. Dadurch wird die ins Allgemeine gerückte existentielle Frage des Wohin – hinauf oder hinab? – aufgeworfen, ebenso taucht der im sozialen Sinn gültige Gedanke des Geborgen- und Aufgehobenseins, der Assistenz und des Beistands“ (Nolte) auf.
Zu hinterfragen ist demzufolge, wieso der Künstler diesen „ergreifenden“ Moment nun auf einen sandfarbenen Hintergrund gemalt hat. Denn dieser bildet jetzt den neuen Kontext. In 56 kleinen Bildtafeln sind schattenhafte Farbvariationen sichtbar, die in manchen auch Gesichtspartien einer jungen Frau erkennen lassen, die nach rechts schauen – auf die Seele. Ob die Hervorhebung ihrer Augen daran erinnern möchte, dass auch die Augen Spiegel der Seele sind? In anderen Bildtafeln verliert der Betrachter durch Übermalungen den Blickkontakt, muss er die Augen unter den Farbschichten zurück- und loslassen, so dass nur noch verschwommene Silhouetten auszumachen, vage Schatten von einer verborgenen Gegenwart erkennbar sind. In diesen Farbschichten wird die Vergänglichkeit des Lebens durch die sandfarbenen „Verwehungen“ oder den wie bei einer Sanduhr herabrieselnden Sand immer wieder neu thematisiert.
Einen formalen und inhaltlichen Gegensatz dazu bildet ein gutes Dutzend Kreisformen, welche die aufsteigende Seele wie Luftblasen zu begleiten scheinen. Die großen Kreise sind wie die Seele in reinen Umrisslinien gemalt, allerdings in einer kontrastierenden Perfektion. Die kleinen Kreisformen sind flächig dargestellt, gleichen eher Fixpunkten. Insgesamt muten sie wie moderne Sternzeichen an, die in Dreierkonstellationen und runder Geschlossenheit den Übergang in die Ewigkeit andeuten.
Leichtigkeit wohnt ihnen inne. Ist nicht auch eine helle Freude zu spüren? So vermittelt das Bild in neuer Gestaltung die ursprüngliche Hoffnung und Zuversicht weiter, dass es ein Danach gibt, einen Ort und eine Gemeinschaft, in der das Wesentliche von uns – unsere Seele –, aus der Vergänglichkeit gerettet, eine unvergängliche Heimat finden wird.