An Gott hängen

An einem Balkengerüst hängen drei längliche, menschengroße Körper. Der linke Körper hat die Gestalt eines zusammengerollten, braunen Blattes, während sein Pendant auf der rechten Seite eine Mischung aus einer Muschel und einer Schmetterlingspuppe darstellt. Die Oberflächen beider Körper sind mit großer Sorgfalt gestaltet worden. Beim gerollten Blatt winden sich braune Linien spiralförmig um seinen bronzefarbenen Körper, bei der Muschel oder dem Kokon ist die silbern erscheinende Außenhaut mit einem wunderbar feinen Muster überzogen, während die Innenseite fleischfarben ausgestaltet ist. Damit strahlen die beiden Hüllen trotz ihrer prekären Lage eine natürliche Schönheit und Kostbarkeit aus.

Der mittlere Körper hebt sich in mehrfacher Hinsicht von den beiden äußeren Figuren ab. Zum einen hängt er an einem Strick, während die anderen mit einer Schnur an einem Fleischerhaken hängen. Zum anderen handelt es sich bei diesem Körper eindeutig um eine menschliche Gestalt, die vollständig in ein weißes Tuch eingewickelt einen Leichnam vermuten lässt. An verschiedenen Stellen sind im weißen Leinen rote Flecken erkennbar. Da sie dort sind, wo sich Hände, Füße, Seite und Stirn befinden, weist das durchsickernde Blut auf ein Opfer einer Kreuzigung und noch mehr auf einen mit Dornen Gekrönten hin: Jesus.

Die Balkenkonstruktion lässt auf den ersten Blick an eine ganz normale Hinrichtung durch Erhängen denken. Weil niemand an oder auf das Holzgerüst genagelt ist, tritt die Kreuzform in den Hintergrund bzw. wird erst auf den zweiten Blick sichtbar. Dadurch kann in dieser erweiterten Kreuzform durch die zwei senkrechten Balken ein Triptychon gesehen werden, das einerseits traditionell Leiden, Tod und Auferstehung Jesu zum Inhalt hat, gleichzeitig aber auch die Kreuzigung Jesu zwischen den beiden Verbrechern rechts und links anklingen lässt.

Die Installation parallelisiert den Kreuzestod Jesu mit anderen Sterberealitäten. Links als Folge des Alters, rechts als Sterbeerfahrungen im Leben jedes Einzelnen, wo immer wieder Wandlungsprozesse wie bei einer Raupe notwendig sind, wenn wichtige Phasen im Leben zu Ende gehen und eine Umorientierung notwendig machen. Oft führt das zu einer Zeit des Rückzugs, einer Abkapselung, während derer die Trauer verarbeitet und (Über-)Lebensstrategien und neuer Lebensmut gefunden werden müssen.

Durch die Radikalität dieser Erfahrungen, die wir nicht steuern oder aufhalten können, sind wir besonders in solchen Situationen, genau wie Jesus, ganz auf Gott angewiesen. Auf ihm ruht unsere Hoffnung, dass der Tod nicht das letzte Wort hat, das Leben nicht genommen, nur gewandelt wird und eine neue Gestalt erhält.

Der Titel der Arbeit entstammt dem 9. Vers des 63. Psalms, der lautet „Meine Seele hängt an dir, deine rechte Hand hält mich fest.“ Mit diesen Worten bringt der Betende sein Ur-Vertrauen in Gottes Nähe und Kraft zum Ausdruck. Durch den starken Glauben hat sich der Beter wie ein Kind an die Hand seines Vaters gehängt. Und Gottes Hand hält ihn so fest, dass er, was auch geschieht, nie von ihr losgerissen oder verloren gehen wird. – Ob der dicke Strick als „Hand“ Gottes gedeutet werden darf? Der Strick geht ja nicht um den Hals, er hält den eingebundenen Körper in der Schwebe. Die bisherige Gestalt ist bereits verborgen, die Kommende noch nicht sichtbar. – Aber meine Seele hängt an dir, Du mein Gott!

Die Installation war 2015 im Rahmen des Concentration-Projektes in der Dreifaltigkeitskirche in Konstanz zu sehen (Ansicht 1; Ansicht 2). 

Vision des Lebens

Plastisch erhebt sich die bildhohe T-Form vor dem schwarzen Hintergrund. Wie eine Lichtgestalt hebt sie sich vom undurchdringlichen Dunkel ab. Und doch bildet die T-Form so etwas wie einen Durchblick in eine ganz andere Welt. Im Gegensatz zum kalten und leblosen Schwarz ermöglicht die T-Form den Blick auf eine schwelende Glut, von der Wärme und Leben ausgeht.

Inmitten dieser Glut ist in den hellen Stellen trotz der undeutlichen Umrisse eine menschliche Gestalt zu erkennen. Durch die ausgebreiteten Arme, den angedeuteten, nach links gesenkten Kopf und die sie umgebende T-Form lässt sie sich unschwer als Gekreuzigten identifizieren.

Der Tod mitten in diesem mit Wärme und Leben erfüllten Raum? Ja, doch erscheint er als notwendiger Durchgang für die Verwandlung des Leibes in eine neue Wesensform, die im Bild durch Helligkeit charakterisiert wird. Der Künstler präsentiert uns den Tod, auch wie ihn Jesus am Kreuz erlitten hat, als endgültige Metamorphose zum Licht. Was für eine ermutigende Perspektive! Ganz Licht zu werden und gleichzeitig auch ganz leicht.

Ist das nicht eine tief in uns liegende spirituelle Sehnsucht, die uns durch das ganze Leben hindurch bewegt? Licht ist etwas durch und durch Gutes und bedeutet Leben. Ohne Licht hätten wir keine Entwicklungs- und Überlebenschancen. Licht werden ist verbunden mit Erkenntnis und Einsicht in die vielen verborgenen Dinge um uns herum. Licht werden ist verbunden mit Ausstrahlung und der Absicht, integral gut werden zu wollen und Gutes zu bewirken.

Doch das Finden der persönlichen Lichtgestalt ist schwer. Durch viele Rollen und Verwandlungen hindurch versuchen wir, sie peu à peu zu erreichen. Allein durch die menschliche Entwicklung wachsen wir in immer neue Rollen hinein, die uns Entfaltung zum Gutsein ermöglichen. Auch viele kleine und große Abschiede bringen – meist schmerzhafte – Neuerungen in unser Leben und zwingen uns zu ungewollten Veränderungen. Erheblich helfen aber wiederkehrende Rituale, Bräuche und besondere Zeiten der tiefen Sehnsucht in uns, gut und licht zu werden. So ermöglichen uns Fasching oder Karneval, aus den alltäglichen Rollen aus- und vielleicht auch Festgefahrenes in uns aufzubrechen. Ist es nicht, als brauche es dieses feurig-intensive Austoben, um anschließend in der Fastenzeit umso mehr in die Tiefe gehen und sich auf sein eigenes Wesen sowie seine Berufung konzentrieren zu können? Verzicht und Beschränkung sind in dieser vorösterlichen Zeit gewissermaßen die reinigende Glut, welche alles Unnötige wegbrennt und das Wesentliche, das Wichtige und Gute im Leben mit einem erneuerten Blick erkennen und mit befreiter Kraft auch leben lässt.

Feuer des Lebens

Drei Lichtgestalten bewegen sich, ja scheinen zu tanzen vor dem orangeroten Hintergrund. Ihre Körper sind von goldgelben Flammen umgeben, die sie brennen, glühen und wie Gold leuchten lassen. Dampfwölkchen deuten auf große Hitze und einen verzehrenden Verbrennungsvorgang hin. Dabei hebt sich die mittlere Gestalt durch eine größere Leuchtkraft und Unversehrtheit von den beiden vom Verfall Gezeichneten ab. Es scheinen auch seine Arme zu sein, welche wie ein Bildstrich die beiden ihm Zugewandten auch körperlich mit ihm verbinden. Erst durch seine horizontale Armstellung werden die auf Einzeltafeln dargestellten und dadurch voneinander getrennten Menschen miteinander verbunden zu einer Gemeinschaft.

Kopf-, Körper- und Beinhaltung deuten Zuneigung an, ein Miteinander. Es ist, also wolle der Künstler darauf hinweisen, dass sich menschliches Leben ganz für sich allein nicht entfalten kann, dass es auf Zusammenhalt, -arbeit und -leben angelegt ist.

Wie bereits erwähnt, steht der junge Mann in der Mitte als der Verbindende und Haltgebende in dieser Trias. Intensiv schaut er auf den Mann zu seiner Rechten, dessen Gesichtszüge ein fortgeschrittenes Alter verraten und dessen Glieder starke Spuren der Zersetzung aufweisen. Lange wird er nicht mehr stehen können. Von der Frau auf seiner Linken kann schwer etwas gesagt werden. Ihr Gesicht erscheint verhüllt, ihr Körper durch die zusammenhängenden Flächen jugendlicher. Von ihrer Haltung her steht sie im Einklang mit dem jungen Mann in der Mitte – beide Körper sind gleich gebogen, beide Köpfe gleich geneigt.

Vom Bildaufbau her den „Drei Grazien“ von Raffael (1504/05) nahestehend, lenkt der Künstler den Blick durch die Verfremdung und vor allem durch die Darstellung der einzelnen Personen über das Bekannte hinweg. Insbesondere die zentrale Gestalt lässt aufgrund der von gotischen Kreuzen her bekannten gebogene Körperhaltung und den Wundmalen an den Gekreuzigten denken. Ohne Kreuz und nicht erhöht – auf gleicher Ebene – schafft er als vom Licht Verwandelter und Auferstandener mit seinen ausgebreiteten Armen eine partnerschaftliche Verbundenheit, bei der die ihm zur Seite gegebenen Menschen gleichsam seine „Hände“ werden. Er lässt sie teilhaben an dem Licht und der Energie, die ihn durchströmen …

… damit auch sie immer mehr in das hineinverwandelt werden, was Jesus von Ewigkeit her ist und wofür er gestorben ist. Stellvertretend stehen sie für die ganze Menschheit. Wir alle sollen, von Jesu leidenschaftlichem Zeugnis angesteckt, immer mehr zu Söhnen und Töchtern Gottes werden, von materiell Verhafteten zu geistigen Menschen, die Jesu „Feuer“, seine Wahrheit und Liebe, durch unser Leben lichtvoll, verwandelnd und erneuernd in die Welt hineintragen. Jesus selbst wird uns dabei Mitte, Halt und feurig pulsierende Quelle sein.

Österliche Verwandlung

Leicht und scheinbar ungebunden schwebt diese Installation in der Ecke eines Sakralraumes. In einem spannungsvollen Bogen bildet ein feiner Ast die tragende Horizontale für ein an ihm hängendes Objekt voller Symbolkraft, dessen Material aus der Ferne schwer zu bestimmen ist.

Oben legt es sich in ganzer Breite über den Ast, während es in der Mitte unsichtbar zusammengehalten wird. Dadurch verläuft der „Stoff“ v-förmig nach unten und bildet seitliche Falten, die letztlich nebeneinander zu hängen kommen. Dieser zu einem Korpus gefaltete „Stoff“ ist über und über mit Erde und Asche bedeckt, hier und dort farbige Spuren einer früheren Bemalung freigebend. > Detailbild

Das Trägermaterial dieses Objektes, es ist farbiges Zeitungspapier, wurde vielfach bearbeitet, um ihm die jetzige Gestalt und Geschichte zu geben, aus der Schönheit und Veränderung sprechen, Festigkeit und Vergänglichkeit. Nun hängt es als erstarrte Hülle einer Verwandlung erdenschwer im Raum, als Relikt einstigen Lebens, das es umgeben und gekennzeichnet hat. > Detailbild

Material, Form, Bearbeitung und Installation dieses fragilen Papierobjektes lassen deshalb ganz unterschiedliche Ansichten zu: Es kann in ihm einfach eine interessante ungegenständliche Plastik gesehen werden, es kann aber auch als Zeichen für den Menschen ganz allgemein gedeutet werden. Durch die ärmliche Erscheinung drängt sich in der unmittelbaren Nähe zum Altar aber der Bezug zur Kreuzigung Jesu auf. Gleich einem vom Leben gezeichneten Gewand verweist es auf den, der einst unter uns vieles erfahren und erlitten hat, nun aber zu seinem Vater im Himmel auferstanden ist.

So sehr das mit Erde gestaltete Papier, verstärkt und geerdet durch ein nach unten hängendes Seil, irdisch verhaftet ist, der durch die Faltung entstandene Leerraum vermittelt Transzendenz und lässt eine höhere Macht spüren, die bei solchen Wundern der Verwandlung am Werk sein muss. Das tröstet und erleichtert, das schenkt Hoffnung und Zuversicht – österliches Erleben!

 

Sie wirken vergänglich
Verwaschen
Labil

Doch
Zweig
Leim
Asche
Halten stabil

Sie wirken
Entleert
Verlassen
Befreit

Doch
Josef
Legt mehr
Als Winkel
Und Hobel
Hinein

Sie wirken
Leicht
Himmlisch
Entrückt

Doch
Josef
Hat sie
Erden
Bestückt

Papier
Asche
Staub
Sind des
Vergehens
Erstehens
Gewand

 

(Dr. Engelbert Paulus)

Die Arbeit von Josef Bücheler war bis zum 9. April 2007 im innovativen “Kreuzweg” des ökumenischen Ausstellungsprojektes VESTIGIA CRUCIS / Kreuzspuren – Gegenwartskunst in 14 kath. und evang. Kirchen im Landkreis Tuttlingen zu sehen. (Flyer zur Ausstellung als pdf) Der mit seinen Bildern, Texten und Gedichten einmalige Katalog (48 Seiten, ISBN 3-932764-16-1, 8 Euro) kann hier bestellt werden: projektgruppe@kreuzkirchenkunst.de.

Verwandeltes Leben

Es muss des Nachts geschehen sein, dass Jesus von den Toten auferstanden ist. Denn wie „Maria von Magdala frühmorgens, als es noch dunkel war, zum Grab kam, sah sie, dass der Stein vom Grab weggenommen war.“ (Joh 20,1)

Wie durch den offenen Eingang der Grabkammer hindurch scheint der Künstler das verborgene Geschehen der Auferstehung zu beobachten. Nur die golden leuchtende Gestalt des Gekreuzigten ist zu erkennen. Von innen her leuchtet er, ja glüht er wie flüssiges Metall im Schmelzofen. Verwandlung wird hier angesprochen. Noch ist seine Gestalt vollkommen menschlich, aber bereits durchdringt ihn das göttliche und ewige Leben. Johannes sah bei seiner ersten Vision einen, der wie ein Mensch aussah: „Seine Beine glänzten wie Golderz, das im Schmelzofen glüht“ (Offb 1,15) und der Prophet Jesaja spricht sinnbildlich von Gott als dem „verzehrenden Feuer“, der „ewigen Glut“ (Jes 33,14).

Im Gegenlicht zeichnet sich das Kreuz auf dem Rücken von Jesus wie ein Prägemal ab. Auch als Auferstandener ist Jesus der vom Kreuz Gezeichnete. Jesus hat das Kreuz auf sich genommen und durch den Tod hindurchgehend das Leben gewonnen. Das ewige Leben – für ihn und uns alle! (vgl. Mt 10, 38-39) Das ist die frohe Botschaft: „Er [Christus] hat dem Tod die Macht genommen und uns das Licht des unvergänglichen Lebens gebracht …“ (1 Tim 1,10)

Mit der dunklen Metallplatte deutet der Künstler sinnbildlich den Tod an. Wie eine Mauer, kalt und drohend, steht er unausweichlich vor uns. Aber der Tod wird nicht unser Ende sein, sondern Durchgang. Paulus erklärt dies den Gläubigen in Korinth so: „Seht, ich enthülle euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, aber wir werden alle verwandelt werden – plötzlich , in einem Augenblick, beim letzten Posaunenschall. Die Posaune wird erschallen, die Toten werden zur Unvergänglichkeit auferweckt, wir aber werden verwandelt werden. Denn dieses Vergängliche muss sich mit Unvergänglichkeit bekleiden und dieses Sterbliche mit Unsterblichkeit. Wenn sich aber dieses Vergängliche mit Unvergänglichkeit bekleidet und dieses Sterbliche mit Unsterblichkeit, dann erfüllt sich das Wort der Schrift: Verschlungen ist der Tod vom Sieg.“  (1 Kor 15, 51-54; vgl. Jes 25,8)

Durch seinen Kreuzestod hat Jesus uns das Tor in seine Welt aufgestoßen, die Welt seines Vaters. In ihm kommt das Neue verdichtet zum Ausdruck – im  Bild durch die mit Blattgold ausgelegte Vertiefung, die Wärme und Lebendigkeit ausstrahlt. Jesus ist und bleibt die Einladung, ihm zu folgen, hier wie dort.

Dass uns dabei geholfen wird, dafür könnte die kosmisch anmutende Spur über dem Kopf von Jesus ein Hinweis sein. Denn auch Jesus ist nicht aus eigener Kraft auferstanden, sondern von seinem Vater auferweckt worden (vgl. Gal 1,1). Ebenso hat Jesus seinen Jüngern den Heiligen Geist verheißen. Er wird sie lehren und an seine Worte erinnern (Joh 14,26), damit sie wie Jesus Zeugen der Liebe Gottes sein können (vgl. Apg 1,8).

Weitere hervorragende Bildbetrachtungen von Karl Josef Kuschel finden Sie in dem mit Rudolf Kurz herausgegeben Buch Lebensspuren, ISBN 3-7966-1066-8, Schwabenverlag 2002.

Kreuz – Antlitz Gottes

Ganz unauffällig verhielte sich dieser Quadratmeter an der Wand, wäre er nicht vergoldet und hätte er keine Falten. Die oberen drei Falten sind zum Betrachter hin gewandt, während die untere Falte sich nach hinten biegt und damit einen spannungsvollen Kontrast bildet. Die Skulptur präsentiert sich uns wie ein sauber gebügeltes Tuch, das eben aufgefaltet worden ist. Die Falten bilden dabei ein gleichschenkliges Kreuz, das sich in sanfter Erhebung aus dem Tuch heraus abzeichnet.

Das gefaltete Tuch erinnert mich an den Bericht des leeren Grabes: „Petrus sah die Leinenbinden liegen und das Tuch, mit dem sie das Jesus das Gesicht bedeckt hatten. Dieses Tuch lag nicht bei den Leinenbinden, sondern getrennt davon zusammengelegt.“ (Joh 20,7 Übers. Gute Nachricht-Bibel) Diese Kreuzfläche lädt uns ein, hinter ihr das Antlitz Jesu zu suchen.

Die vergoldete Fläche weist uns auf seine göttliche Herkunft hin. Im Schauen dieser “Ikone“ werden wir zur Sterbens-„Stunde“ Jesu geführt, in der er durch seinen Vater verherrlicht wird. Wir können seine Worte im Abschiedsgebet hören: „Vater, die Stunde ist da, verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrlicht.“ (Joh 17,1) „Vater, verherrliche du mich jetzt bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, bevor die Welt war.“ (17,5)

Im Kreuz die Herrlichkeit Gottes schauen! „Für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit, für die Berufenen aber, Juden wie Griechen, Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit. Denn das Törichte an Gott ist weiser als die Menschen, und das Schwache an Gott stärker als die Menschen.“ (1 Kor 1,23-25)

Doch da sind rote „Risse“ in der „goldenen Herrlichkeit Gottes“ zu sehen. Beflecken sie seine Größe, müssen sie als Makel, als ein Mangel an Vollendung gesehen werden? – Nein. Sie offenbaren uns seine alles durchwirkende und belebende Liebe, die seine Herrlichkeit und Größe ausmacht. Die roten „Risse“ lassen uns seine Verletzlichkeit spüren – und damit seine Menschenfreundlichkeit.

Hermann Bigelmayr hat dieses Kreuz als Kunstwerk von einem Meter auf einen Meter geschaffen. Er wollte ganz bewusst mit diesem Quadratmeter einen Bezug zur Erde schaffen, auf der wir leben, und jede und jeder auf irgend eine Weise etwas Platz zum Leben findet. Es gehört zur Menschenfreundlichkeit Gottes, dass er uns in die Gestaltung der Erde miteinbezieht, sie uns anvertraut, auch wenn er weiß, dass wir sie durch unsere Fehler und Schwächen wie Jesus kreuzigen.

Dennoch bleibt Gott in unserer Mitte. Kaum sichtbar hat der Künstler den Kreuzungspunkt der Falten als ein nach unten geneigtes Dreieck gestaltet. Das Dreieck als Symbol für die Dreifaltigkeit. Seine Neigung nach unten als Hinweis auf seine ungebrochene schöpferische Zuwendung. Gott hört auch im größten „Kreuz“ nicht auf, heilend und versöhnend mit seiner Liebe zu wirken!

Auferstehungskreuz

Luftig leicht schwebt dieses Kreuz im Raum. Die Auferstehung ist spürbar. Hier hing eben noch ein Mensch, nun ist er unseren Augen entschwunden, sein Gewand ist zurückgeblieben. Verwandlung ist geschehen. Es erinnert an den Gekreuzigten, doch ist er nicht mehr fassbar.

Eigentlich ist diese Skulptur weder ein Kreuz noch ein drapierter Stoff. Aber das helle Holz und die Form erinnern an das Kreuz, die drapierten Falten erinnern an einen gewebten Stoff, ein hingelegtes Gewand, seine Größe an einen Menschen. In dem Sinne ist das Auferstehungskreuz von Hermann Bigelmayr in vielerlei Hinsicht ein eindeutiges Erinnerungszeichen an das am Kreuz in Jerusalem Geschehene und darauf Erfolgte. Seine Skulptur ist ein einziger Verweis auf den Gottmenschen, der verletzlich und sterblich geworden unter uns geweilt hat, nun aber durch die Auferstehung in die uns nur durch seine Erzählungen bekannte Welt seines Vaters zurück gekehrt ist.

Hier ist nichts mehr von der Erdanziehungskraft, der Schwere des Todes zu spüren. Von des Vaters unsichtbarer Liebe gehalten, ist Christus durch den Tod hindurch gegangen und hat uns dadurch das Tor zum ewigen Leben geöffnet.

In diesem neuen Leben zählen nur noch innere Werte. Äußerlichkeiten wie das „irdische Gewand“, eine menschliche Gestalt mit ausgebreiteten Armen andeutende Stoffdrapierung, bleiben zurück, so sehr sie Sinnbild der Auferstehung, der Himmelfahrt sind. Den Christen in Kolossä, die durch die Taufe bereits an der Auferstehung Christi teilhaben, schreibt Paulus: „Bekleidet euch mit aufrichtigem Erbarmen, mit Güte, Demut, Milde, Geduld.“ (3,12)

Im Auferstehungskreuz von Hermann Bigelmayr wird deutlich, dass sich das Wesentliche der Auferstehung unsichtbar im Verborgenen vollzieht. Der gefaltete Stoff verhüllt – und enthüllt gleichzeitig mit dem angehobenen Stoffzipfel das vom Geist Gottes durchwehte Leben nach der Auferstehung.

Dieses Kreuz weist über das am Kreuz Geschehene hinaus. Die Hoffnung unseres Glaubens wird spürbar, unser neues Leben, das von der Taufe weg sich in uns entfaltet (wie der Stoff) und erst nach der eigenen Auferstehung seine wahre Größe und Schönheit zeigen wird.

Paulus beschreibt dies wunderbar: „Ihr seid mit Christus auferweckt, darum strebt nach dem, was im Himmel ist, wo Christus zur Rechten Gottes sitzt. Richtet euren Sinn auf das Himmlische und nicht auf das Irdische. Denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist mit Christus verborgen in Gott. Wenn Christus, unser Leben, offenbar wird, dann werdet auch ihr mit ihm offenbar werden in Herrlichkeit.“ (Kol 3,1-4)