Licht in der Nacht

Menschenleer und nächtlich still präsentiert sich die Raum-Landschaft. Die Behausungen lassen des Menschen Werk spüren, ihn aber nicht sehen. So wirkt die Leere geheimnisvoll und lässt die Raumhüllen für sich sprechen.

Ein quaderförmig gemauertes Gebäude dominiert die linke Seite des Querformates. Der nach vorne offene, bildhohe Innenraum wirkt groß und palastartig. Die Wände sind grünlich-blau, wobei vorne links die Gesetze der räumlichen Wahrnehmung ausgehebelt werden. Die Decke ist schwarz wie die Dunkelheit, die über der hellen Landschaft und Außenwand liegt. Die Farbe des braunen Bodens zieht sich in der Türöffnung links nach oben, so dass nicht klar ist, ob die Türe die gleiche Farbe hat oder der Boden hinter der Türe unendlich weitergeht. Das erdige Braun signalisiert einen fruchtbaren Boden, das Grün der Wände Wachstum und Hoffnung. Alles ist bereit, um zu empfangen, aufzunehmen und mit Leben zu füllen. Verstärkt durch das seitliche Fenster bleibt es ein Raum der Sehnsucht und der Erwartung. Die umgekehrte Perspektive vergrößert diesen Raumeindruck nach hinten und führt über die Seitenwand vom Vordergrund in die Bildmitte und -tiefe.

Das Holzhaus mit Satteldach steht klein und unscheinbar neben seinem großen Nachbar im freien Feld. Ohne sichtbare Fenster und Türen erscheint es als einfache Feldscheune. Doch der Lichtpfeil im schwarzen Hintergrund weist eindeutig auf die ärmliche Hütte als Ort des Geschehens. Der die dunkle Nacht spaltende Lichtkeil reißt nicht nur die Himmel auf, er lässt auch das durch die Bretterritzen schimmernde Licht im Innern der Hütte wahrnehmen. So wie die Stirnwand der Scheune erwartungsvoll nach oben weist, zeigt der Lichtspalt erfüllend nach unten auf den verborgenen Glanz im Innern. Wenn man sich das dreieckige Licht als unterste Spitze eines vielfach größeren Sterns vorstellt, dann lässt das überwältigende Himmelszeichen noch mehr ahnen, was für ein bedeutungsvolles Ereignis in dieser bescheidenen Behausung gerade stattfindet.

Das Bild lädt ein, einengende und leer gewordene Räume zu verlassen und uns wie die Weisen aus dem Osten dem Licht folgend auf die Suche nach Jesus zu begeben. Es fordert auf, unsere kleinformatigen Vorstellungen immer wieder über Bord zu werfen, weil Gott anders und größer denkt und handelt als wir. Es ermutigt, den Blick zu heben, aufzuschauen und das Licht zu sehen. Hier ist Bethlehem, das Haus des Brotes, das Haus des Lebens. In die bescheidene Hütte ergießt sich die Fülle des Lichts, des Lebens (Mi 5,1) und des Heils. Der palastähnliche große Raum bleibt leer (vgl. Lk 1,53). Diese beiden Sinnbilder dürfen wir uns zu Herzen nehmen: Gott ist uns gerade in den größten Dunkelheiten nahe. Und er liebt es, im Kleinen und Unscheinbaren geboren zu werden und da zu sein.

Geheimnisvolles Zusammenspiel

Rätselhaft gibt sich die Assemblage aus altem Holz, aufgesetzten Metallteilen und blauem Glas. Die Arbeit aus Fundstücken lebt von Gegensätzen wie rund – eckig, oben – unten, außen – innen, geschlossen – offen, aber auch durch Dreiklänge wie Metall – Holz – Glas oder die drei zentralen Rundformen aus verrostetem Eisenblech.

Bei der Annäherung an das Rätsel bildet die gestemmte Holztür die Grundlage und den Rahmen. Sie formt das rechteckige Pendant zu den drei Kreisformen im oberen Drittel. Im Zusammenspiel erscheinen sie wie ein Haus, bei dem die drei Metallteile das Dach bilden und sich vertraute Elemente wie die Öffnung oder der blaue Glasstein in der Türfüllung wiederfinden. Zwei sich gegenüberliegende flache Bogen betonen die sich nach unten öffnende Bewegung und formen gleichzeitig einen geschützten Innenraum.

Jedes einzelne Element des Werkes ist gleichsam energetisch aufgeladen mit seinem sinnlich-physischen Dasein und seiner Geschichte und weist doch im Zusammenhang darüber hinaus. Die drei Kreiselemente vermögen in ihrer runden Vollkommenheit die Unendlichkeit und die Dreifaltigkeit Gottes anzudeuten. Darunter findet sich in der rechteckigen Tür als Symbol für die Erde als viertes Kreiselement ein rundes Loch, das kreuzförmig mit Flacheisen versperrt wurde und deshalb an den Kreuzestod Jesu erinnert. So wie dieses Loch mit der Öffnung ganz oben korrespondiert, stehen die beiden blauen Glasstücke miteinander im Dialog. Während das obere im Kreis unzugänglich fern wirkt, erscheint das größere, herzförmige Glas näher und durch die offenen seitlichen Bogenformen greifbarer. Senkrecht von oben nach unten betrachtet thematisiert das Werk Entäußerung, Niederkunft, Gestaltwerdung im Herzen der Schöpfung und insbesondere des Menschen.

Denn die Assemblage kann auch als vereinfacht dargestellter menschlicher Oberkörper gelesen werden: Die oberste Kreisform als Kopf, die anderen beiden als Schulterpartie, die knochenartigen hellen Bogen als Rippen des Brustkorbs und gleichzeitig als bewahrende Arme oder große Hände vor dem rechteckigen Oberkörper. Bereits 2008 hat Jörgen Habedank eine ähnliche Assemblage geschaffen, die er „Heilige Umarmung der Welt“ genannt hat. Dieses Umarmende, Beschützende, Geborgenheit und Lebensraum Schenkende kulminiert in dem blauen Herz. Die Beleuchtung intensiviert seine Strahlkraft und lässt es noch lebendiger wirken.

In der Mitte der beiden „Rippenbogen“, die auch als offenbarende und verherrlichende Mandorla oder als symbolische Krippe gesehen werden können, gewinnt das himmelblaue Herz eine besondere Bedeutung: In seiner blauen Farbe schwingt die Symbolik des Saphirs mit, der als Edelstein mit der stärksten Energie gilt und für Reichtum und Weisheit steht. In ihm leuchtet die Weite des Himmels und die Tiefe der Ozeane, geheimnisvoll verborgen auch der Gottessohn.

So verwandeln sich die weggeworfenen Fundstücke durch den Künstler in Objets trouvés und erhalten im Zusammenspiel der Assemblage eine weitere Bedeutung und neues Leben: Die Geburt des Gottessohnes in der Welt und insbesondere in den Menschenherzen andeutend.

 

Die Assemblage war Teil der 82. Telgter Krippenausstellung “Mittendrin” im RELíGIO, dem Westfälischen Museum für religiöse Kultur in Telgte. Die Ausstellung war mit über 120 zeitgenössischen Ausstellungsstücken bis zum 22. Januar 2023 zu sehen.

Weitere Assemblagen des Künstlers

Trio natale – Verborgene Gegenwart

Verwirrt und irritiert wandert der Blick zwischen den verschiedenen Elementen dieser Krippeninstallation hin und her. Irgendwie will so gar nichts in die gängigen Bildvorlagen und -erfahrungen von Weihnachtskrippen passen: weder der sperrige Wäscheständer noch die festgeklammerten Bildtafeln mit den Umrissen von Krippenfiguren, noch das vergoldete Wandbild darüber, dessen Mitte leer ist.

Immerhin sind auf den Bildtafeln mit etwas Glück in Leserichtung die heiligen drei Könige, der Esel, die Hirten, der Ochs, Josef, Maria mit dem Jesuskind, ein Stall und der Engel zu erkennen. Wie Wäschestücke sind sie mit Holzklammern am Draht befestigt, nicht hängend, sondern stehend, auch wenn die Schatten einen anderen Eindruck vermitteln.

Die Befestigung der Bildtafeln wirkt improvisiert, vorübergehend, so wie dieser Ständer nicht als Bleibe für die Wäsche vorgesehen ist. Der mobile Wäscheständer mit X-Beinen bietet der heimatlosen Truppe einen vorübergehenden Ort zum Verweilen. Er gibt denen, die in sozial labilen Strukturen leben, trotz seiner wackeligen Konstruktion einen festen Halt, damit sie auf ihm stehen, sich zeigen und sichtbar werden können.

Von unten nach oben betrachtet bildet die Installation ein „Trio natale“, ein „Weihnachtstrio“: Wäscheständer, Krippenfiguren, vergoldetes Wandbild. Der Wäscheständer steht für unsere Zeit, für die Gegenwart. Wäschewaschen gehört zu unserem Lebensalltag wie Essen und Schlafen. Die bescheidene Konstruktion und die kreuzförmigen Beine rücken die knappen Mittel vieler Haushalte und die Mühe und Last der Hausarbeit an die Krippe heran.

Doch genau an diesem Ort, unerwartet inmitten unseres Alltags offenbart sich Gottes Gegenwart in der Geburt seines Sohnes durch Maria. Völlig überraschend, wie bei einem Wunder, stehen die Bildtafeln und weisen unauffällig auf das Wandbild darüber. Die in Umrissen gezeichneten Figuren stehen stellvertretend für Arme und Reiche, für die Menschen vom Land wie aus der Stadt. Die Silhouetten sind Werken berühmter Künstler entnommen und gleichzeitig so offen, dass der Betrachter in den einzelnen Figuren eigene Bilder sehen kann, ja in ihre Rolle schlüpfend einen Platz unmittelbar an der Krippe, beim Jesuskind, finden kann.

Jesus will in dieser Installation gesucht werden, auch wenn er wie Maria zweimal dargestellt ist: Geborgen bzw. verborgen in der Gestalt seiner Mutter ist auf der hell beleuchteten Bildtafel vorne rechts und im goldenen Wandbild jeweils links vom Kopf Mariens eine Auswölbung zu sehen, die im Original vom Kopf Jesu stammt. Die Frage bleibt: Wieso ist Jesus gerade da, wo sich alles um ihn dreht, kaum bis gar nicht zu sehen? Ist er nur noch abwesend gegenwärtig? Ist er in unserem durch eine allgegenwärtige Informationsflut und materielle Fülle gekennzeichneten Leben nur noch in den Zwischenräumen als Negativbild da? Unsichtbar in den aus einer fernen Epoche, mit der wir nicht mehr viel gemein haben, entlehnten „Krippenfiguren“?

Das quadratische Wandbild mit der ausgesparten Abbildung der Sixtinischen Madonna von Raphael bildet den Höhepunkt im vertikalen Aufwärtsstreben. Im Gegensatz zum ärmlichen Wäscheständer, der geerdet auf dem Boden der Tatsachen steht, bringt das goldglänzende Wandbild eine überirdische Komponente in die Installation. Außergewöhnlich in seiner Leuchtkraft, erhoben über der bescheidenen Krippe auf dem Wäscheständer, bewirkt das Bild eine Verherrlichung der Gottesmutter und ihres Kindes. Die schwebende Darstellung verknüpft die abwesende Figur der freien Bildmitte mit der apokalyptischen Frau, deren Kind nach der Geburt zu Gott und zu seinem Thron entrückt wurde, um es vor dem Drachen zu schützen (Offb 12,1-6).

Ähnlich dem Goldgrund einer Ikone weist der vergoldete Rahmen auf die Heiligkeit seiner Mitte hin. Einer Mitte, die offen ist für das sichtbare oder unsichtbare Bild, das durch uns hineingelegt wird: Unsere Vision des Jesuskindes, unser verinnerlichtes Bild des menschgewordenen Gottessohnes, der mitten unter uns gewohnt hat und der durch uns weiterhin in unserer Welt wohnen und wirken will. Wo sich die Zwischenräume füllen, wo die Krippenfiguren lebendig werden, da ist auch für uns das Kind geboren.

„Darum jubelt, ihr Himmel und alle, die darin wohnen.” (Offb 12,12)

Die Arbeit von Jörg Länger ist im Original bis zum 23. Januar 2022 in der 81. Telgter Krippenausstellung “Geheimnis der Heiligen Nacht 2.0” target=”_blank” im RELíGIO – dem Westfälischen Museum in Telgte zu sehen. Sehr empfehlenswert! 

Kein Platz für Gottes Sohn

Zwei geflügelte Männer in weißen Latzhosen stehen etwas verloren bzw. verwundert auf einem Fernsehgehäuse, das ein Stern mit Schweif gerade durchschlagen hat.

Auf der Innenseite des Gehäuses weist er nicht auf eine idyllische Krippenszene, sondern auf eine Dreierfamilie, die mit vielen Geschenken vor einem kleinen, mit Kugeln geschmückten Tannenbaum sitzt. Vater und Mutter hocken gelangweilt oder erschöpft in ihren Sesseln, ihr Sohn fotografiert das Ereignis des hereinbrechenden Sterns.  Erstaunlicherweise stehen auf ihrer Seite im Hintergrund ein verschmitzt schauender Ochse und ein lachender Esel. Die Wände ihrer Behausung sind mit Schlagworten wie BILDUNG IST KINDERSACHE, SKY, MY PERSON FIRST und in einem Stern SALE über den roten Buchstaben von XMAS bedeckt. Hier wird ein soziales Milieu auf dem Niveau einer Bild am Sonntag in Szene gesetzt, das den tieferen Sinn und Zugang zu Weihnachten verloren hat.

Wahrscheinlich aus diesem Grund stehen Maria in Gestalt einer einfach gekleideten Frau mit einem Neugeborenen auf dem Arm, und Josef auf der anderen Seite der Trennwand in der dunklen und kalten Nacht. Das Lämmchen verweist auf Jesus als dem Lamm Gottes, es scheint aber genauso zu frieren wie die kleine Familie.

Sozialkritisch formuliert der Künstler in dieser Krippe Missstände in unserer Gesellschaft. Weihnachten hat sich immer mehr zu einem Konsumfest entwickelt, bei dem es zentral um Erfüllung persönlicher Wünsche und um mehr oder weniger kostspielige Geschenke geht. Fast wie im Fernsehen (oder gar nach dessen Vorbild?) ist das Fest in vielen Familien zu einer großen Show verkommen, bei denen Christbaum und Geschenke zu netten Attributen eines profanisierten Weihnachtsfestes gehören. Alles dreht sich um die Familie, das Essen, die Dekoration und natürlich die Geschenke. Aber nicht mehr um die Geburt des Gottessohnes in unser Welt. Gnädigerweise erhält er vielleicht einen Platz in einer Krippe, vielleicht geht man auch zur Kirche – weil es sich so gehört. Aber die Heilige Familie und das Jesuskind haben viele vor die Türe gestellt. Sie finden keine Herberge, keinen Eingang und keinen Platz in den Herzen dieser Konsumfamilien.

Es ist Zeit umzukehren. Es ist Zeit, Gott wieder einen Platz in unserer Mitte zu geben, in unserem Leben. Die sonderbare Krippe zeigt, wie wir unser Leben von Konsumgütern bestimmen lassen. Es ist Zeit umzukehren. Es ist Zeit, Gott wieder einen Platz in unserer Mitte zu geben, einen festen Ort in unserem Leben. Die Konsumkrippe als kritisches Selbstbildnis möchte uns aufrütteln, uns wieder auf wesentliche Werte zu besinnen, damit wir unser Leben Tag für Tag mit Gottes Geist gestalten und es auf IHN ausrichten. Denn wenn wir anfangen, uns selbst zu verschenken, dann wird Weihnachten nicht nur an einem Tag, sondern das ganze Jahr gefeiert werden können.

Die Arbeit von Rudi Bannwarth war in der 79. Telgter Krippenausstellung “Auf der Suche nach dem Licht der Welt” im RELíGIO – dem Westfälischen Museum in Telgte zu sehen.

Ankündigung und Programm

Im Basler Münster befinden sich in der Nikolauskapelle drei Glasfenster, die mit dem Ornament der Schriftzeichen gestaltet worden sind. Sie stehen konsequent in der Tradition der Schweizer Reformation, die Gläubigen durch das Wort zu stärken und nicht durch Bilder vom Wesentlichen abzulenken. Die „Wortfenster“ des Basler Künstlers Samuel Buri sind alle mit den gleichen Worten aus dem Buch Jesaja 9,6 (Lutherbibel; 9,5 Einheitsübersetzung) gestaltet. Im Chorfenster in Deutsch, in den beiden seitlichen Fenstern in Englisch und Französisch.

WUNDERBAR, RAT, KRAFT, HELD, EWIG VATER, FRIEDE FÜRST

Wonderful Counselor, Mighty God, Ever Lasting Father, Prince of Peace

Admirable Conseiller, Dieu puissant, Père éternel, Prince de la Paix

Die farbliche Gestaltung beschränkt sich auf die drei Grundfarben rot, gelb und blau, die im Giebelmaßwerk der Fenster in Dreieckformen die Positionen wechseln. In jedem der Fenster „fließt“ eine der drei Farben nach unten in den Text hinein und bildet zwischen den weißen Buchstaben und insbesondere im seitlichen und unteren Randbereich feine farbliche Akzente.

Die drei sich in der Mitte berührenden Farbsegmente lassen an ein Symbol für die Dreifaltigkeit denken, die sich in einem Menschenkind entäußert und ihre dreifaltige Größe in eben diesen fünf Namen offenbart. Jedes einzelne Wort ist Programm und geistige Nahrung für jeden, der die Worte liest. Wie die drei Grundfarben die Basis für alle weiteren Farben sind, so sind die Namen des verheißenen Kindes – das dem „Volk, das in der Finsternis ging“ verkündet wurde (vgl. Jes 9,1) – über seine Geburt hinaus eine lichtvolle Basis für die Gestaltung eines Lebens aus dem Glauben. Die kraftvollen Worte können nicht oft genug gelesen und meditiert werden. Sie führen zur Anbetung des Gottessohnes, sie führen zur lebendigen Gemeinschaft mit Jesus und aus dieser Gemeinschaft heraus „zu einer intensiveren Lebensfülle“. Denn für den Künstler „führt ein Fenster zur Fülle des Lebens“. (Beat Rink)

Alle Menschen sollen Zugang zu dieser intensiveren Lebensfülle erhalten. Deshalb war es nur konsequent, Gottes Botschaft zum einen in Deutsch und Französisch abzubilden, den beiden Sprachen, die im Länderdreieck „Schweiz – Deutschland – Frankreich“ gesprochen werden, zum anderen aber in Englisch, der Welt- und Touristensprache des 20. Jahrhunderts.

So können auch wir heute die Namen Gottes mit auf den Weg zur Krippe nehmen und sie Ihm – Ehre erweisend und Ihn anbetend – darbringen: Wunderbarer Ratgeber, Starker Gott, Vater in Ewigkeit, Fürst des Friedens! Wir können mit Seinen Namen an der Krippe verweilen und aus der gestärkten Gemeinschaft mit Ihm seine Namen als Halt und Wegweiser in den Alltag mitnehmen – einem nun mit Gott erfüllten Leben.

Zwischen den Zeilen

In einer aufgeschlagenen Bibel mit schwarz-weißen Reproduktionen von Zeichnungen des französischen Künstlers Gustave Doré (deutsche Ausgabe von 1865) entfaltet sich ein überraschendes Geschehen. In einem geschaffenen Freiraum werden reliefartig aus den Buchseiten geschnittene Figuren sichtbar, die links drei Kronen tragende Köpfe zeigen, die auf eine bescheidene Hütte zugehen, rechts zwei stehende Personen – Maria und Josef – mit dem göttlichen Kind in ihrer Mitte. Wie es die Seitenzahlen und –überschriften andeuten, sind die Seiten in die Mitte der Bibel verlegt und die entsprechenden Textzitate (Mt 2; Lk 2) aufgeklebt worden.

Vor dem dunklen Hintergrund mit den detailgetreuen Darstellungen (links „Der Engel zeigt Johannes Jerusalem“, Offb 21,10; rechts „Geburt Jesu/ Anbetung der Hirten“, Lk 2,16) wirken die aus dem Papier herausgeschnittenen und nur mit den passenden Bibelzitaten „texturierten“ Figuren sehr schlicht. Einen farblich-flächigen Kontrast bildet jedoch die dezente Vergoldung der Kronen, des Fensters und der Tür der Hütte sowie des Kinderkopfes. Gehalten werden diese zeitgenössischen Darstellungen durch den Seitenrand, der zugleich Bildrahmen und Raumbegrenzung ist.

Diese Darstellung macht auf das einschneidende Ereignis der Geburt Jesu in der Geschichte zwischen Gott und den Menschen aufmerksam. Sein Kommen in unsere Welt markiert nach dem christlichen Verständnis eine Zeitenwende, weshalb seine Geburt den Anfang der westlichen Zeitrechnung bildet.

Der Werktitel deutet zudem an, dass die Geburt „zwischen den Zeilen“ des Zeitgeschehens stattfand, so dass nur die wachsamen Weisen und Hirten zu Jesus fanden. Dies hat sich bis heute nicht geändert. Nur jene, die mit wachsamem und aufrichtigem Herzen Jesus suchen, werden in ihm auch das Licht der Welt erblicken.

In Bezug auf das Werk selbst kann der Titel auch als Geburtsdarstellung „zwischen den Seiten“ verstanden werden, weil sie sich zwischen den Seiten und in den Seiten der Bibel befindet.

Wie auch immer tritt das weihnachtliche Geschehen aus der Tiefe und dem Dunkel des Buchinnern nach vorne ins Licht der Gegenwart und damit in das Leben des Lesers und Betrachters. Auch wenn der Text durch die künstlerische Intervention beschnitten wurde, verbindet diese das Wort Gottes in ganz besonderer Weise mit den biblischen Gestalten. Ihre weiße Gestalt bildet letztlich eine Projektionsfläche für alle Menschen, die Gottes Wort in sich aufnehmen, ihm Wohnung geben und sich von ihm leiten lassen. In ihnen wird Gottes Gegenwart groß und für alle wachsamen Zeitgenossen ein sichtbares Licht werden.

Diese Arbeit entstand im Rahmen des vom Diözesanmuseum Freising ausgeschriebenen Krippenwettbewerbs und wurde bis 14. Januar 2018 mit 88 weiteren Arbeiten in der Karmeliterkirche in München gezeigt und ist im Ausstellungskatalog “Schöne Bescherung: Krippen 89/89 Kreative” abgebildet.

Gold, Weihrauch und Myrrhe

Warme Farben beherrschen das Bild. Goldgelb, Weiß, Gold und ein erdiges Rotbraun hüllen das Geschehen in ein festliches Kleid. Zwei Welten scheinen sich dabei zu begegnen. Die untere Bildhälfte ist durch eine intensivere Farbgebung und scharfe Konturen irdisch verhaftet, die obere kann durch ihre Bildposition, die helleren Farbtöne und verschwommenen Konturen mehr dem Himmel zugeordnet werden.

Dadurch hat die Künstlerin eine Bildtiefe geschaffen, die das himmlische Geschehen zu einer mystischen Schau werden lässt. Ein Mensch in goldgelben Farben ist in einem Kreis zu erkennen, umgeben von rauchähnlichen Aufhellungen. Erhoben und erhaben steht er da. Doch wen stellt er dar? Nur der Kopf und der rechte Arm können klar bestimmt werden. Um den Kopf lässt sich auch ein Leuchten beobachten, ein religiöses Zeichen, das zusammen mit der goldgelben Farbe auf seine Heiligkeit hinweist. Als Lichtgestalt kommt er von oben in das Bild hinein und wird die Mitte des Erdenrunds bilden. Umgeben von undefinierbaren Lichtgestalten, nimmt er die Position eines Weltenherrschers ein und darf somit als Jesus gedeutet werden.

Ihm gegenüber stehen im diesseitigen Bildteil drei Elemente mit gleichem Aufbau, jeweils aus einem stabähnlichen und einem kugelförmigen Teil bestehend. Sie könnten Menschen symbolisieren, doch ihre einfache Gestaltung, wie sie von unten in das Bild hineinragen und auf Jesus ausgerichtet sind, legen die Vermutung nahe, dass es sich vielmehr um drei gleichwertige Gegenstände handelt, die in das Bild hineingereicht werden. Ihre Geber müssen eine ähnliche Position wie wir Betrachter eingenommen haben. Doch während wir uns vor dem digitalen Abbild einer künstlerischen Wahrnehmung befinden, standen sie vor der Wahrheit selbst, dem Sohn Gottes.

Die drei Bildelemente symbolisieren also die drei Gaben der Sterndeuter bzw. Magier aus dem Osten. Die Charakteristika von Gold, Weihrauch und Myrrhe kommen besonders deutlich in der Gestaltung der Stäbe zum Ausdruck. Das Gold nimmt den zentralen Platz ein und korrespondiert mit der goldgelben Gestalt Jesu. Der Stab des Weihrauchs ist bläulich-weiß gemalt und hat eine rauchig-transparente Gestalt. Der Stab der Myrrhe befindet sich links im Bild und trägt mit klaren Konturen die symbolischen Farben violett und schwarz.

Über diesen Stäben schweben kreisförmige Elemente, welche die Symbolik von Gold, Weihrauch und Myrrhe weiterführen. So kann die zweiteilige Scheibe über dem Gold, die hintergründig durch eine weitere zusammengehalten wird, für die Doppelnatur des Neugeborenen stehen. Der Reichtum und die Herrlichkeit, die durch das Gold zum Ausdruck kommen, gründen darin, dass er als Mensch die Größe Gottes offenbart. Dieser Kreis steht durch seine Helligkeit der Sonne und ihrem Licht nahe. Die horizontale Bewegung im Kreis mag auch symbolisieren, dass Gold beim Menschen für den Geist und das Denken steht.

Das Element über dem Weihrauch nimmt die Bewegung des Rauchs auf. Es besitzt in der Spiralbewegung etwas Verbindendes, das aus zwei gegensätzlichen Welten eine einzige entstehen lässt. Weihrauch steht für das Leben und dient der Gottesverehrung. Als solches ist es in feierlichen Gottesdiensten zu sehen und zu riechen. In Bezug zum Menschen steht es symbolisch für die Seele und das Fühlen.

Die Kreisscheibe der Myrrhe gibt sich haptisch materiell aus Papier. Das Element hat farblich etwas vom Gold, ist aber in seiner Beschaffenheit vergänglicher und unvollkommener Natur. Da die Myrrhe als Medikament angewendet wird und bitter schmeckt, wird es dem menschlichen Körper und Willen zugeordnet. In dem Sinne steht es für Leiden, Vergänglichkeit und Tod.

Wie in den biblischen Quellen (Mt 2,1-12) stellt das Bild den Besuch der drei Weisen aus dem Morgenland und ihre Gaben in den Mittelpunkt, nicht aber die Magier selbst. Über sie selbst erfahren wir nur, dass sie den Stern gesehen haben, ihm gefolgt sind, beim Anblick von Jesus mit „sehr großer Freude erfüllt“ niederfielen und ihm huldigten. Was sie damals gemacht haben, danach sollen wir heute handeln. Heute sind wir eingeladen, die Zeichen Gottes zu erkennen und ihnen zu folgen, um in der Begegnung mit Jesus von „sehr großer Freude erfüllt“ zu werden und ihn zu ehren. Die drei Geschenke im Bild bleiben für jeden Besucher griffbereit. Im Geist kann er sie ergreifen, sie mit einem eigenen Wert zu einem kostbaren Geschenk machen und Jesus darbringen.

Durchblick – Anblick

Schwer zu sagen, wohin der Blick durch diesen schwarzen Rahmen führt. Außen klar abgegrenzt verläuft der breite Strich am inneren Rand und geht verwaschen in das blaue Innenfeld über. Feine Linien in weißer bis golden brauner Farbe erfüllen diesen gewölbten Raum mit Leben, scheinen von unten wie Rauch aufzusteigen, wie geistige Feuerzungen den Raum zu füllen, wie Wasser einer dreifach gefassten Quelle zu entspringen.

Die Dreiviertelkreise in der unteren Hälfte umgeben eine Mitte, die nur von unten zugänglich ist. Dadurch wird die Tiefenwirkung verstärkt, der Blick durch den dicken, festen Tür- oder Fensterrahmen hindurch und weiter die drei Bögen in das Bild hineingezogen. Man kann nur eintauchen in die Tiefe und Weite dieser von Licht durchdrungenen blauen Farbe, sich berühren lassen von dem feinen Leben, das der geheimnisvollen Mitte kraftvoll und doch ruhig entströmt.

Ob man zu weit geht, wenn man in der innersten Umschreibung die Andeutung eines Kinderkopfes sieht, bei dem mit der Öffnung unsichtbar das Kinn suggeriert wird? Vielleicht wird mit dem Zwischenraum auch auf den Mund dessen hingewiesen, der Worte voller Weisheit sagte, ja das Wort selbst ist, das göttliche Wort. Sieht es nicht aus, als würde aus dieser in unendlicher Tiefe gründender Mitte unaufhörlich gegeben und wir dadurch stets empfangen?

So ist es letztlich kein Blick in die Ferne. Eher steht man beim Verweilen vor dieser Arbeit unmittelbar vor dem Antlitz Christi, das zurückhaltend von der Ausstrahlung seines Wesens umgeben wird. Ein Blick durch das Fenster in ein Haus, das alle Begrenzungen übersteigt, ein Blick auf den, der uns einlädt, einzutreten und ihm nachzufolgen, denn er selbst ist die Tür zu einem erfüllten Leben.

Weltentreffen

Im Zentrum dieser Weihnachtsdarstellung steht zweifelslos die Geburt Christi. Und auch wenn der Künstler ein Bildzitat des Meisters von Moulin (Ende 15. Jh.) verwendet, ist es durch seinen Hintergrund und die beiden quadratischen Elemente ein modernes Bild mit einem zeitlosen Inhalt: die Geburt Jesu.

Die Komposition konzentriert sich auf die Mittelachse. Das untere Rechteck ergibt sich aus dem Abdruck von zwei Hirnhölzern. Beim einen sind die Jahrringe umlaufend, beim anderen ist die Mitte ausgespart, um dem Jesuskind als Krippe zu dienen. Darüber öffnet sich wie ein Fenster in eine vergangene Zeit das Bildzitat des Meisters von Moulin und gibt den Blick frei auf Maria und Josef.

Bei Maria ist intensivste Hinwendung zu beobachten. Mit geneigtem Haupt schaut sie staunend auf das Kind, es mit offenen Händen anbetend und gleichzeitig beschützend segnend. Josef dagegen steht mit seinem Körper parallel zu Maria und erscheint dadurch vom Kind abgewendet. Allein durch den zum Kind gedrehten Kopf erhält es Beachtung. Seine Hände sind zum Gebet gefaltet. Hinter Maria und Josef sind zwei weitere Personen zu entdecken, auch weitet sich das Bild durch ein Fenster hindurch bis zum Himmel.

Dieser öffnet sich gleichsam in der Vision eines rechteckigen Farbfeldes, welches sich majestätisch hinter dem Bildzitat erhebt. Es ist von einem zentralen hellen Quadrat geprägt, welches sich seitlich und nach oben in violett-roten Farberscheinungen weitet, sodass der Eindruck von einem Kreuz entsteht, in dem Leiden und Auferstehung gleichermaßen schon gesehen werden können. Nach unten hinterfängt es zum einen das Bildzitat, zum anderen scheint es durch die Ausbildung des unteren Abschlusses zu einem gerissenen Segmentbogen seine Kraft gleichsam in das Bildzitat einfließen zu lassen, an dessen unterstem Punkt sich der Gottessohn befindet. So gesehen, kann man den Holzstoß auch als modernen Altar sehen, an dem der Geburt, dem Leben und Sterben und der Auferstehung Jesu gedacht wird.

Noch nackt, doch nicht schutzlos liegt er da. Neigt sich der Himmel durch das Wolkenband nicht gerade tief zur Erde, wo es sich an seinem tiefsten Punkt wie eine große Schale behutsam auf den Holzstapel senkt, sich mit ihm schneidet und so das Kind in den Zeichen des Himmels und des Holzes zweifache Geborgenheit erfährt? Immaterielle, geistige, göttliche Zuwendung von oben, irdisch materiellen Schutz von unten.

Christi Geburt: Gott schenkt uns Menschen seinen Sohn, damit wir durch ihn IHN selbst besser kennenlernen. Er legt sich uns zu Füßen, setzt sich uns schutzlos aus, damit wir über das Staunen und ehrfürchtige Anbeten hinaus Vertrauen fassen und glauben, dass ER ein guter und treuer Gott ist. Dabei vermag das Holz einen dreifachen Impuls zu vermitteln. Erstens, dass Gott ganz irdisch Mensch wird, um uns in unserem Elend zu besuchen, zweitens, dass Jesus Zimmermann wurde und drittens, dass er sich am Kreuz wie auf dem Altar hingibt, um uns aufzurichten und erneut den Weg zu ihm zu öffnen.

Friedensstifter

Geradezu „wortkarg“ präsentiert sich das Triptychon aus drei gleich großen, weißen Tafeln. Das mittlere Bild zeigt aus der Vogelperspektive ein nestartiges Gebilde aus kreisförmig ineinander verflochtenen Zweigen. Auf der linken Tafel ist in der unteren Hälfte eine weiße Taube zu sehen. Das rechte Bild ist leer. Was die wenigen Zeichen wohl aussagen wollen? Wie kommt die Künstlerin dazu, sie mit Weihnachten zu verbinden?

Das kreisförmige Geflecht mit seiner weißen Mitte dominiert die Bildfläche. Seine Zweige sind nicht, wie zu erwarten wäre, dunkel, sondern weiß, weil sie mit Schnee bedeckt gezeichnet wurden. Da das Zentrum darunter verdeckt ist, erscheint die Mitte leer.

Durch den Vogel unten links wird der Kranz assoziativ mit einem Vogelnest verbunden. Doch da, wo er seine Eier ablegen könnte, liegt dicker Schnee. Ein unwirtlicher Ort, genau wie die Krippe. Sie verweisen auf die Stelle 1,11 im Johannes-Evangelium: “Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.“ Gleichzeitig verweist das unbrauchbar gewordene Nest als Dornenkorne auf die Passion Jesu. Der Vogel, der keinen Platz findet, dem Schnee und Kälte den Gebrauch des Nestes verwehren, das ist die Fortsetzung der Weihnachtsgeschichte.

Die zur Mitte hin gerichtete Taube möchte primär an den Heiligen Geist erinnern, der bei der Verkündigung über Maria kam und sie überschattete (Lk 1,35). Während er in den mittelalterlichen Darstellungen jedoch dynamisch von Gott Vater zu Maria flog, steht die Taube hier seltsam statisch da, eher abwartend und beobachtend, was nun geschehen wird. Doch über den drei Bildtafeln herrscht ein bewegungsloses Schweigen, das durch die absolut leere rechte Tafel noch verstärkt wird.

Denn neben den Andeutungen auf das Weihnachtsgeschehen stehen die drei gleichformatigen Tafeln auch für die Dreieinigkeit Gottes: Links der Heilige Geist, (Taube), in der Mitte des Weihnachtsgeschehens Jesus, (Dornenkrone), rechts Gott Vater, der Verborgene, nicht Darstellbare (leere Fläche).

Im Zusammenhang mit dem zentralen Dornenkranz als Sinnbild für Unrecht, Folter, Leid und Mord kann die Taube im weiteren auch als Friedensmahnerin gesehen werden. Durch Jesaja ist das göttliche Kind als Fürst des Friedens angekündigt worden, dessen Herrschaft groß sei und dessen Friede kein Ende habe (9,5-6). Doch die Hoffnung der auf Jesus schauenden Taube wurde enttäuscht. Jesus konnte in seinem kurzen Wirken gerade den Anfang für ein Reich des Friedens setzen. Nun liegt das Bewahren und Bewirken des Friedens an uns.

Die Festlegung des Weltfriedenstages auf den 1. Januar und die damit verbundene jährliche Botschaft des Papstes möchten daran erinnern, dass Frieden nicht einfach geschieht, sondern durch innere Haltung und aktives Handeln entsteht. Eine innere Haltung, die wie das Innere des Dornenkranzes von Ruhe und Zufriedenheit gekennzeichnet ist, ein aktives Handeln, das wie jenes von Jesus aus dieser inneren Kraft gegen die kleinen und großen Missstände in der Welt angeht, die einem oft wie ein unentwirrbares Geflecht umgeben. Den Mut für die stets kommende und viele Chancen beinhaltende neue Zeit wünsche ich uns allen. Spricht nicht aus der Haltung und dem Blick der Taube auch diese Hoffung, dieser Wunsch?

Anbetendes Verweilen vor Gott

Diese Krippe umgibt weder das Licht noch der Glanz und erst recht nicht die Unruhe unseres heutigen Weihnachtsfestes. Aus der Schlichtheit der Darstellung geht vielmehr eine Armut und Ruhe hervor, die betroffen macht, eine Hingabe und Anbetung, die einem als Betrachter veranlasst, es gleich zu tun (vergrößertes Bild) .

Dabei ist kein Neugeborenes zu sehen und die beiden Gestalten haben wenig menschliche Individualität. Wie zwei eckige Klammern ein Wort, so umgeben sie die Krippe in ihrer Mitte, und geben ihr durch die eigene Stärke Schutz und Geborgenheit. Die beiden Großen, die sich klein gemacht haben vor dem Kleinen, lassen viel Spielraum zwischen sich. Dieses Knien und die gebeugte Haltung ihrer Köpfe bringt in hohem Maße Staunen und Zuneigung, Hingabe und Verehrung zum Ausdruck. Während der weiße Hintergrund auf ein ort- und zeitloses Geschehen hinweist, bringt die spontane und lebendige Pinselführung eine gegenwärtige Dimension in das Bild. So dunkel die Gestalten auch sein mögen, sie sind im Verharren vor dem Wunder in ihrer Mitte dennoch voller Leben und innerer Bewegung. Durch die frischen Farbspuren wird das Gefühl vermittelt, dass das auf dem Bild Dargestellte jetzt geschieht. Jetzt, während ich das Bild anschaue. Jetzt sind sie da, vor mir, ganz gegenwärtig.

In der feineren, helleren Gestalt links mag man Maria sehen, auf der anderen Seite, dunkler und maskuliner geprägt, Josef. Wie bereits festgestellt, ist das Kind in ihrer Mitte nicht zu sehen. Vor der hölzernen Futterkrippe, die auf beiden Seiten mit Steinen gefasst ist, fällt allerdings der aus drei feinen Linien gebildete rote Kreis auf, der mit den Köpfen von Maria und Josef korrespondiert, sich in der Farbe jedoch von ihnen unterscheidet. Zusammen ergeben sie ein nach unten weisendes Dreieck, dessen untersten Punkt eben dieser rote Kreis bildet: Die unendliche Liebe Gottes macht sich klein und gibt sich in Menschenhand.

Weihnachten – anbetendes Verweilen vor Gott, der sich in seinem Sohn klein und arm gemacht hat, um uns mit dem Reichtum seiner Liebe zu beschenken.

Stern von Bethlehem

Erwartungen
In Kenntnis des Titels ist der Betrachter in seinen Erwartungen wahrscheinlich zuerst irritiert. Einen Stern sieht der Künstler in dieser Arbeit? Mit Sternen verbinden wir normalerweise Leichtigkeit, Leuchtkraft und Strahlen. Von all dem ist hier wenig zu erkennen. Diese Sternskulptur schwebt nicht, leuchtet nicht im Ganzen und die vorspringenden Vierkantblöcke entsprechen überhaupt nicht unseren Vorstellungen von Strahlen. Die Skulptur enttäuscht unsere Erwartungen und stellt vielmehr Fragen: Wie kann diese Arbeit einen Stern darstellen, erst recht den Stern von Bethlehem, der die drei Weisen zum Geburtsort von Jesus Christus geführt haben soll?

Die Stahlkonstruktion gibt sich nicht nur von ihrem Material her schwer, sondern auch von ihrem Inhalt. Aber vielleicht ist gerade das ein Zugang: Es könnte sein, dass der Künstler eine Skulptur schaffen wollte, bei der durch das Gewicht wie durch den komplexen Inhalt die große – schwere – Bedeutung dieses außerordentlichen Sterns zum Ausdruck kommt. Vielleicht ist es des Künstlers Absicht, dem Betrachter den Zugang nicht zu einfach zu machen. Vor gut zweitausend Jahren haben auch nur die drei Weisen die Botschaft des Sterns zu deuten vermocht und sind ihm gefolgt. Die Erwartungen im Volk Israel sahen ganz anders aus. In diesem Punkt wird unsere Skulptur dem Stern von Bethlehem ähnlich. Sie ist ebenso wie das Zeichen am Himmel schwer verständlich und erwartet eine Deutung.

Göttliche Fülle
Mit der Plastik wird in radikal einfacher, geometrischer Form versucht, dem Geheimnis von Weihnachten Ausdruck zu verleihen. Es geht um die Menschwerdung Gottes, um die einmalige Vereinigung von Gott und Mensch in Jesus Christus. In ihm berühren sich Himmel und Erde, das Unendliche mit dem Endlichen.

Der von allen Seiten durchdrungene Kreis fällt auf. Er verbindet, hält zusammen, bündelt. Geballte Kraft ist in ihm zu spüren. In seiner Geschlossenheit ohne Anfang und Ende ist er ein Symbol für Gott. In der sonst leeren Mitte kreuzen oder vielmehr durchdringen sich drei Vierkanteisen. Geradezu mit Gewalt scheinen sie den Kreis zu queren und seine Mitte zu füllen und zu definieren. Technisch ist die dreifache Verdichtung des Zentrums durch die vom Breitkantigen über das Quadratische zum Hochkantigen gehende Veränderung der Balken entstanden. Symbolisch gesehen bilden die beiden Stehenden ein X und verweisen auf den ersten Buchstaben des griechischen Hoheitstitels von Jesus: „Christos“ – „Gesalbter“ (hebräisch „Messias“) . Der horizontale Balken erinnert in seiner massigen Art an das Kreuz und somit an den Tod von Jesus. Die „Strahlen“ ergeben sich insofern erst nach der Durchdringung dieses Kreiselements, nach dem erduldeten Leid. Sie künden zum einen eine Herrlichkeit, welche von Gott her bedingt ist, zum anderen die Erniedrigung und Begrenzung durch menschliche Gewalt.

Erwartende Leere
Der Sockel, auf dem der wuchtige Stern ruht, gleicht in der Gesamtform einem einfachen Haus. Eine feste, durchgehende Basis, kurze Seitenwände, die sich schon bald zu einer Dachform neigen, umschreiben einen fast dreieckigen Freiraum. Offenheit strahlt dieses Haus aus, gleichzeitig Geborgenheit. Alles scheint für die Ankunft vorbereitet: in der Waagrechten die Krippe, in den sich zuneigenden Balken, die sich in der Mitte des Kreises treffen, symbolisch Maria und Josef, die sich erwartend einander zuneigen. Auf dieses Haus hat sich Gott sichtbar in Sternform niedergelassen, um zusammen mit Maria und Josef der noch unsichtbaren Wirklichkeit in ihrer Mitte einen geschützten Raum zu geben, denn sie erwarten in dieser Nacht die Geburt des göttlichen Lichts. Dieser Stern über Bethlehem hält sich mit seinem Licht zurück. Aber spiegelt sich in ihm nicht schon das Licht einer anderen Lichtquelle, welche bereits die Nacht erleuchtet?

Erfüllung
Nach den bisherigen Betrachtungen bringt die Stahlplastik von Thomas Werk mehr zur Sprache als erwartet wurde. Die einfachen Elemente lassen Altbekanntes in neuen Zusammenhängen sehen. Ganz im Materiellen verwurzelt, bringen sie das Metaphysische zum Ausdruck, das Unsichtbare und doch Wesentliche, welches jene Heilige Nacht charakterisiert.

Dennoch wären die bisherigen Erkenntnisse unvollständig, wenn sie den Stern nur aus der Sicht des Arbeitstitels ergründen würden. Denn die ganze Plastik kann auch als stehende Gestalt gesehen werden, bei der die Enden des horizontalen Balkens ihre ausgebreiteten Arme bilden. Die starke Vereinfachung lässt wahrscheinlich mehr als die beiden hier erwähnten Betrachtungsweisen zu. Durch die massive, kantige Bauweise erscheint das Gebilde einerseits breitbeinig und sperrig wie ein Widerstandskämpfer mit einem stark bewehrten Bauchbereich. Andererseits können die beiden Senkrechten auch als zwei Gestalten gesehen werden, die sich, nach hinten geneigt, in der Mitte umarmen und halten, mit den „Köpfen“ über dem Kreis einander anschauend. Der waagrechte Balken wird bei dieser Sichtweise zu einer Last, der die beiden in ihrem gemeinsamen Lebensbereich durchdringt. Miteinander vermögen sie sein Gewicht zu stemmen und auszuhalten, unterstützt durch die im Kreis angedeutete Kraft.

Damit könnte dieser Stern darauf hinweisen, dass der Stern von Bethlehem auch Stern über meinem Haus, über unserem Leben ist. Sein Dasein würde dann nicht nur die Ankunft des göttlichen Kindes verkünden, sondern die beschützende und stärkende Gegenwart Gottes – von der Wiege über die Hochzeiten des Lebens bis zur Bahre – immer in der Mitte des Lebens. Überall dort, wohin in der Begegnung der Liebe die Fülle des Lebens getragen wird.

Dieser Bild-Impuls wurde in der Ausgabe 4/2007 der Zeitschrift “das münster”, Zeitschrift für christliche Kunst und Kunstwissenschaft erstveröffentlicht.

Prolog – Vorwort – Vorbild

Drei gleich große blaue Tafeln bilden die Grundlage für einen schöpferischen Prolog, der durch die Formen und Farben zu einem Dialog zwischen der Einzeltafel oben und den beiden Tafeln unten wird. Letztere sind nur zusammen ein Ganzes. Der goldfarbene Kreis in ihrer Mitte erscheint wie ein Abbild des blauen Kreises im oberen Quadrat, der wie ein Planet über goldenen Wolken schwebt. In seiner Mitte sind über einer sichelförmigen Aufhellung vertikale Strukturen zu erkennen, die an Adern, Wurzeln oder Bäume denken lassen. Leben? Die Andeutung bleibt geheimnisvoll. Allerdings bringt ein diese Erscheinung umschreibendes Dreieck ein Symbol ins Gespräch, das für den Gott gebraucht wird, der sich uns Menschen in drei Personen offenbart hat.

Die Doppeltafel darunter zeigt sich uns nicht weniger geheimnisvoll. Im goldenen Kreis ist ein grünblaues Quadrat mit einem dunklen Auge zu sehen, das über einem Tisch mit Flügeln zu schweben scheint. Links daneben ist schwach angedeutet ein Mensch zu erkennen. Dieser abgeschlossene Raum wird nur durch ein von oben eindringendes Licht mit seiner Umgebung verbunden, die in einem wunderbar lebendigen Blau zum einen von einer weißen und einer grünen Waagrechten, zum anderen von an Weinranken erinnernden kräftigen blauen Linien geprägt wird.

Wollen diese beiden Tafeln auf die aus Gott hervorgegangene und im Werden begriffene Schöpfung hinweisen, das Quadrat in der Mitte auf den Tempel, der Tisch mit den Flügeln auf einen Altar oder das Gestell, welches die Bundeslade mit den Zehn Geboten trug (vgl. Ex 25,10-20)? Die beiden Bildebenen wecken das Verlangen nach mehr. Was wohl hinter dem Auge verborgen ist, das wie ein Schlüsselloch ein Öffnen von Türen suggeriert? – Die Künstlerin lässt uns nicht in unseren Erwartungen sitzen und hat tatsächlich eine dritte Ebene gemalt, die sich durch Entfalten des Diptychons ergibt und den Blick auf ein faszinierend bewegtes Geschehen ermöglicht (Geöffnetes Klappbild).

Anstelle des zentralen Kreises mit dem dunklen Auge schauen wir nun eine geheimnisvolle Lichterscheinung auf einem Gefährt mit zwei Rädern. Es ist von einem angedeuteten Dreieck umgeben und scheint für den Transport vorgesehen zu sein. So wie der Kreis des Diptychons mit der oberen Einzeltafel in Verbindung stand, so lässt die Wiederholung des Dreiecks aufmerken. Das in ihm aufleuchtende Licht scheint alles Umgebende in seinen Bann zu ziehen: Ein Männergesicht beugt sich über das eigenwillige Lichtgefährt, als schaue es in der Krippe denjenigen, der das Licht der Welt ist. Rechts davon ist eine Mutter mit ihrem Kind erkennbar, darunter der Kopf eines Schafes. Daneben am oberen Bildrand Köpfe von Besuchern, die sich um das offenbarte Geschehen scharen: Hirten, die drei Weisen, gewissermaßen auch wir.

Es ist, als sei die einsame Gestalt aus dem Schatten unter dem zentralen Auge hervorgetreten und habe die Seite gewechselt, um sich der aufleuchtenden Herrlichkeit zuzuwenden. Sein Haupt ist verehrend geneigt und erinnert an den weisen Simeon, dessen Warten auf den Retter Israels mit dem Anblick Jesu ein glückliches Ende genommen hat (vgl. Lk 2,25-32).

Auf der linken Seite assoziieren die Augen und Formen Tiere, die sich wie die Menschen vor dem Licht versammeln und verneigen und den Neugeborenen als ihren Herrn ehren. Darunter ist ein Raum mit Rundbogen angedeutet. – Was für ein Gegensatz zur „Krippe”! – Ob er auf Jesu königliche Abstammung aus dem Geschlecht Davids hinweisen oder auch zur Sprache bringen will, dass die Tore zum Paradies mit Jesus wieder offen sind (ähnlich wie bei diesem Klappbild)?

Das Kunstwerk lässt vieles offen. Dennoch will es, wie sein Titel es treffend bezeichnet, Prolog sein, hinführendes, vorbereitendes „Vorwort“ für die Begegnung mit dem wirklichen Wort, dem wahren Licht, das aus dem unsichtbaren Gott hervorgegangen und unter uns Mensch geworden ist. Das Kunstwerk macht auch deutlich, dass wir für eine intensive Gottesbegegnung und -beziehung in die Tiefe gehen, gleichsam hinter die verschleiernde Oberfläche der Dinge und Handlungen schauen müssen, um ihm wirklich zu begegnen. Und es bringt durch den Lichtwagen einzigartig zum Ausdruck, dass die Erfahrung des göttlichen Lichtes von uns mitgenommen werden und zu den Mitmenschen transportiert werden soll.

Heilige Familie

Die im Mittelpunkt stehende Krippe und das dem Betrachter gezeigte Kind lassen in den drei Menschen unschwer Jesus, Josef und Maria erkennen. Die geschnitzte Ausführung verbindet sie mit vielen traditionellen Weihnachtskrippen und birgt die Gefahr in sich, das Besondere dieser Figurengruppe zu übersehen: Die leere Krippe, der stehende Josef, der Jesus in die Höhe hält, Maria staunend, beinahe erschrocken dasitzend.

Die leere Krippe ist nicht leer! Sie ist voller Bedeutung. Zunächst ist sie der Ort des Geschehens in Bethlehem, als Maria das göttliche Kind gebar, es in Windeln wickelte und in eine Krippe legte, weil in der Herberge kein Platz für sie war. Desweiteren ist die Krippe weniger als ärmlicher Futtertrog für Tiere gestaltet, sondern vielmehr als Thron für einen König. Und drittens lässt die Konstruktion der Krippe aufmerken, denn unten wölbt sich ein tragendes Halbrund nach oben, in das ein nach unten weisender Dreieckskörper eingesenkt ist. Begegnung und Verbindung zweier Formen, die in ihrer einfachen Ausdrucksweise das Wunder der Heiligen Nacht und auch dieser Familie formulieren: Gott wurde in Jesus Christus Mensch!

Darum wird Jesus nicht als ein in Windeln eingewickelter Säugling dargestellt. In ein langes, schlichtes Gewand gekleidet, schwebt er, von Josef nur leicht gestützt und ihn um einen halben Kopf überragend, geradezu vor uns. (Detailbild) Mit großen wachen Augen – in einem eher unkindlich wissenden Gesicht – schaut er uns Betrachter an. Bedeutsam hält er uns seine nach vorne gewendeten offenen Handflächen hin, als wollte er sagen: „Schaut, das bin ich!“ Auf die Krippe deutend, könnten seine Hände darauf hinweisen, dass er als „reicher“ Gott durch die Menschwerdung „arm“ geworden ist. Andererseits weisen sie auch auf Maria und Josef hin, die ganz auf ihn ausgerichtet sind und ihn durch ihre Haltung in den Mittelpunkt stellen. Verhaltene Freude spricht aus ihren Gesichtern: Es ist nicht nur ihr eigener Sohn, es ist Gottes Sohn, den sie der Welt zeigen!

Ermutigend ist für heutige Familienväter, dass Josef nicht als grübelnder alter Mann dargestellt wurde, sondern als moderner junger Vater, der ohne Berührungsängste seine Vaterrolle ernst nimmt: Er steht hinter seinem Kind und gibt ihm Halt und Schutz, nicht nur mit den Händen. Mit seinem Oberkörper neigt er sich zur Seite, um dem kleinen Jesus Raum zu geben. Behutsam stützt er mit seiner Hand den Rücken von Jesus, so dass dieser aufrecht stehen kann.

Aber was ist mit seinem Gesicht geschehen? Die uns zugewandte linke Seite ist klar herausgearbeitet und lässt in Josef einen Mann mit Weltoffenheit, mit Realitätssinn und Augenmaß erkennen: den Zimmermann. Die andere Gesichtshälfte, dem Kind zugewandt, ist vom Künstler aus der Proportion geschnitten und mehr angedeutet als ausgearbeitet. Sie bringt die andere Seite von Josef zur Sprache: Er ist auch Gottesmann, der offene Sinne für das Unsichtbare hat und in seinen Träumen Gottes Stimme wahrnimmt. Innerlich und äußerlich wachsam, geht er seiner Berufung nach, steht er zu den ihm anvertrauten Menschen.

Maria sitzt. Mit ihrer „erniedrigten“ Position, dem offenen Haar und dem wallenden Mantel erinnert sie – hervorgerufen durch bekannte innere Bilder – einerseits an den Engel, der ihrem Leben mit seiner Botschaft eine jähe Wendung gab. Wie er legt sie ergriffen die linke Hand auf die Brust und die andere als Zeichen ihrer Hingabe offen in ihren Schoß. Zeichen der Ehrfurcht und des Staunens. Was ihr damals verkündet wurde, ist nun Wirklichkeit: „Das Wort ist Fleisch geworden!“ Durch sie, aufgrund ihres Glaubens, ihres Ja-Wortes. Deshalb ist ihre Haltung andererseits auch wesentlich die ihre. Was geschehen ist, bewegt sie zutiefst und lässt sie ahnungsvoll in die Zukunft schauen. Es ist, als sähe sie im Geiste bereits, was das Kind für sie und für alle Menschen zu bedeuten hat.

So zeigt uns diese Heilige Familie Menschen, die aus der Verbindung mit ihrem inneren Grund leben und die offen sind für die Anrufe Gottes in dem, was ihnen im Leben begegnet. Menschen, die aus der Gottverbundenheit heraus einander Halt geben, um die vielfältigen Zumutungen des Lebens anzunehmen und zu integrieren. Menschen wie Du und ich?

Vor-Stellung

Eine in sich gekehrte Gestalt mit einem etwas hilflos wirkenden Kind begegnet uns auf diesem Bild. Die beiden wären wahrscheinlich nichts Besonderes, wenn nicht ein feurig roter Block den Hintergrund für ihre frontale Darstellung bilden würde. Eingerahmt von dunklen Seiten, erscheint er wie eine Öffnung, durch die von hinten Licht, Wärme und Kraft ins Bild strömen. Die Einfassung wie das energiegeladene Feld versprechen Halt, Verlässlichkeit, Stabilität – letzteres mit seinem leuchtenden Rot zudem glühende Liebe.

Die davor stehende Gestalt, ein geheimnisvolles, ganz in Blau gehülltes Wesen, ist von diesem lebendigen Rot umgeben und scheint in ihm Geborgenheit und rückendeckenden Halt zu finden. Nur die längliche Form, die Füße und das Gesicht weisen sie als Menschen aus, die feinen Gesichtszüge und das spitze Kinn als Frau. Ihre Augen wirken geschlossen – als verberge sie jede Spur von Individualität, als konzentriere sie sich auf ihre Bestimmung, das Kind vorzustellen und ihm Rückhalt zu bieten. Sie braucht dazu keine Geste des Haltens, sie tut es ohne Besitzanspruch, ohne Eitelkeit und ohne Sentimentalität. Sie ist einfach da, verlässlich da, als Mutter des Kindes. Und das Kind, das sie vorstellt – uns vor Augen stellt – hat den Rückhalt, denn es kann selbständig vor ihrem Schoß stehen.

Die Form des Kindes ist deutlicher gezeichnet als die der Mutter, aber dennoch reduziert auf das Allernotwendigste. Hemdchen und Füße sind in warmem Gelb gemalt, das runde Gesicht entspricht farblich dem Gesicht der Mutter. So fehlt es auch dem Kind an Individualität.

Aber was hat dieser orangefarbene Kreis um seinen kleinen Kopf zu bedeuten? Ist er eine Entsprechung zur blauen Kopfverhüllung der Mutter? Oder bringt er – farblich in der Mitte zwischen dem körpereigenen Gelb und dem feuerroten tragenden Grund liegend – vielleicht die Herkunft des Kindes zum Ausdruck, seine aus der Liebe hervorgegangene Existenz und bildet deshalb einen „Heiligenschein“? Stellt das Bild also Mutter und Kind vor dem Ausdruck einer leidenschaftlichen Liebe dar? Oder dürfen in den beiden Gestalten Maria und ihr kleiner Sohn Jesus gesehen werden, beide von Gottes unendlicher Liebe einzigartig umfangen und durchdrungen?

Das Bild lässt beide Deutungen zu, und lässt die Antwort offen …

… denn in jeder Menschengeburt geschieht etwas Wunderbares und Göttliches. Wird nicht durch jede Geburt die Zeit geheiligt und zu einer „heiligen Nacht“ oder zu einem „heiligen Tag“? Und stellt sich nicht jede Mutter in den Dienst Gottes, wenn sie eine Schwangerschaft zulässt und das „himmlische“ Geschenk annimmt, werdendes Leben in sich zu tragen und es der Welt zu gebären – wenn sie ihrem Kind liebender und zur Selbständigkeit verhelfender Rückhalt ist?

Engel

Mächtig steht er mit seinen offenen Flügeln da, der Engel, standfest wie ein Berg uns gegenüber, auch wenn keine Füße zu sehen sind. Erhöht blickt er von einem Podest oder einem Sockel und scheint uns laut eine Botschaft zu verkünden. Denn sein kleiner weißer Mund im verhältnismäßig kleinen runden Kopf ist weit geöffnet. Irritierend, dass kein Ton zu uns herüber kommt. Aber ob wir dort, wo die Töne wirklich übertragen werden, seine Stimme im Lärm des Alltags, im Stress unserer vielen Aktivitäten überhaupt hören würden?

Vielleicht muss er sich gerade deswegen so mächtig vor uns aufbauen, damit wir ihn nicht übersehen können und gewissermaßen gegen ihn anrennen. So transparent die Farbe seiner Flügel leuchtet und ihn als geistiges Wesen auszeichnet, die Farbe seines Mantels ist dick wie ein Panzer aufgetragen: Dieser Engel kann nicht umgerannt werden! Wie von den Spuren der Auseinandersetzung hat die getrocknete Farbe in der Brustgegend Risse hinterlassen, doch der Engel bleibt.

Deutlich hebt sich seine Gestalt vom tiefblauen Hintergrund ab. Er kommt in der Nacht, ist Sprecher des Verborgenen, Verkünder des Unvorstellbaren: Gott wird als Mensch mit uns sein!

Was ihn dazu berechtigt? Der Hauch eines Heiligenscheins weist auf seine himmlische Herkunft hin, der Heroldsstab in Form einer feurig leuchtenden Blume zeichnet ihn als Boten einer anderen Wirklichkeit aus. Außerdem leuchtet an verschiedenen Stellen helles weißes Licht durch, das den Eindruck erweckt, dass der Engel selbst eine Lichtgestalt ist, der seine wahre Identität unter einem Gewand verhüllt, um uns nicht zu blenden.

Seine geheimnisvolle Erscheinung will uns behutsam auf die Begegnung mit Gott einstimmen, auf die Begegnung mit seinem Sohn. Und es ist, als würde er uns leise, aber eindringlich bestimmt sagen: Lauf nicht weiter, halte an. Werde still … und höre zu! Das Feuer dieser in der Blume symbolisierten Botschaft will auch in Dir brennen. Lass Dich entzünden … damit auch Du Licht wirst für die Ankunft des wahren Lichtes.

Ankunft

Auf einer Ankunftsübersicht der Deutschen Bahn (12.6. – 10.12.2005, Berlin?) sind einerseits ein aus einem Lexikon herausgeschnittener Text zum Stichwort „Advent“, andererseits ein in einem Rot-Ton gehaltenes Christusbild angeordnet. Das eine oben, das andere unten, sind sie beide seitlich aus der Mittelachse geschoben. Vom Hintergrund zum Vordergrund, von Zahlen und Namen ausgehend konzentriert sich das Bildgeschehen über das Text-Wort im farblich hervorgehobenen Druck einer russischen Christus Immanuel Ikone vom Ende des 17. Jahrhunderts.

Die Übersicht der Zug-Ankunftszeiten lässt an das geschäftige Treiben in einem großen Bahnhof denken, wo fast pausenlos Züge ein- und ausfahren, täglich Tausende von Menschen ankommen und von sie erwartenden Menschen abgeholt werden. Mit einem zeitgenössischen Dokument wird so unsere Erwartung zur Sprache gebracht und die Ankunft Jesu in unsere Zeit gerückt. Wer kennt nicht die Vorbereitungen zu Hause, um alles schön zu machen für den erwarteten Gast, die Fahrt zum Bahnhof, um pünktlich da zu sein, das bange Warten, ob die Person auch kommt und vor allem, ob man sich in der großen Menschenmenge auch sieht und wiedererkennt?

Der Lexikontext zum Stichwort „Advent“ stellt dieses profane Geschehen in einen religiösen Zusammenhang. Geht es in der Vorweihnachtszeit, in der „Vorbereitungszeit für die [Feier der] Ankunft Christi“, wie es im Lexikontext heißt, nicht um ähnliche Vorkehrungen – wie bei der Erwartung eines bedeutenden Gastes?

Doch wer ist diese Person, welche die vielen Aktivitäten ausgelöst hat und eigentlich allen vor dem geistigen Auge gegenwärtig sein müsste? Die vereinfachte Wiedergabe einer Ikone stellt klar vor Augen, dass es sich um ein Kind handelt. Sie stellt allerdings kein soeben geborenes Kind dar, sondern einen Knaben mit erwachsenen Gesichtszügen. Die frontale Ansicht, das königliche Gewand wie der Heiligenschein zeichnen ihn als den Sohn Gottes aus, der schon vor seiner Menschwerdung als Wort Gottes präexistierte. So blickt uns durch den jungen Jesus das kluge Antlitz des präexistenten Immanuel an und bringt zum Ausdruck: „Gott ist mit uns“ (Mt 1,23)!

Er, „der ist und der war“, er kommt wieder (Offb 1,4; Ex 3,14). Wir feiern seine Ankunft auf Erden, als er damals sein Volk Israel besuchte und ihm Erlösung schuf (Lk 1,68). Doch machen wir nicht jedes Jahr „einen großen Bahnhof“ um seine Geburt, weil wir darüber hinaus glauben und hoffen, dass uns Jesus Christus aus der Ewigkeit Gottes heraus auch im Heute unserer Zeit begegnet? Dass er uns wie bei einem Wiedersehen herzlich umarmt, uns sein gutes, wohltuendes Wort zuspricht und in unserem Leben spürbar bei uns bleibt?

Stern

Sterne gehören zum Nachthimmel … und in die Advents- und Weihnachtszeit.

Der Stern von Winfried Muthesius will jedoch weder an den einen Ort noch in die andere Zeit passen. Grob und unförmig ist das Holzstück aus einem größeren Ganzen herausgeschnitten worden. Die Umrisse des Sterns sind mit Gewalt in die mit Bitumen bedeckte Oberfläche des Fragmentes eingearbeitet. Bitumen blättert ab, stellenweise ist der gelbe Grund sichtbar.

Dieser Stern kündet nicht von der Schönheit der Schöpfung und schon gar nicht vom hellen Licht, dem die drei Weisen zum Stall in Bethlehem gefolgt sind. Durch die sechs Ecken ist er wohl als Davidstern erkennbar und spannt den Bogen nach Israel, dem Geburtsland von Jesus.

Aber aus diesem Stern spricht Gewalt, Leid, Schmerz. Er erinnert mich an ungepflegte Wohnungen, wo die Farben abblättern und darunter liegende Schichten und Zeiten sichtbar werden. Dieser in die Wand gehauene Stern scheint wie eine Ausprägung des in diesem Raum stattgefundenen Lebens zu sein. Die Axthiebe kommen mir wie Einschüsse von Gewehrkugeln vor …

Mahnend und bedrückend erinnert dieser Stern an die rassistischen Gewalttaten an den Juden. Was geschehen ist, darf nicht überstrichen werden oder in Vergessenheit geraten. Die Katastrophe muss in unserem Gedächtnis eingekerbt bleiben, damit wir sensibel für Gewalt  und Ungerechtigkeit in der Welt bleiben.

Nach wie vor werden Menschen wegen ihrer Herkunft und ihres Glaubens verfolgt, gefoltert und getötet. Nach wie vor leben Menschen unter unmenschlichen Bedingungen, werden ihnen Würde und Grundrechte aberkannt, befinden sie sich heimatlos auf der Flucht, um zu überleben.

Hat Gott seinen Sohn nicht ihretwegen in die Welt gesandt? (vgl. Lk 4,18; Jes 42,3) Soll nicht gerade ihnen Gerechtigkeit von höchster Stelle widerfahren? Wird Gott nicht ihretwegen als Retter erwartet – auch heute noch? Sehnsüchtig, erwartungsvoll, adventlich?

Viele Hilfswerke machen besonders in der Advents- und Weihnachtszeit auf ihre Arbeit aufmerksam. Wie der Stern von Winfried Muthesius rütteln sie an unserem Gewissen, damit wir nicht untätig der Ungerechtigkeit und dem Leid in der Welt gegenüberstehen, sondern unseren Not wendenden Beitrag zu einer menschenfreundlicheren Welt leisten. Damit nicht nur einmal im Jahr bei den Reichen Weihnachten wird, sondern jeder Tag bei allen Menschen durch gegenseitigen Respekt und durch Fürsorge ein weihnachtliches Gepräge erhält.

Lichteinbruch

Dunkelblau und Gelb bestimmen dieses quadratische Bild. Die leuchtend gelbe Fläche gleicht durch ihre Ausdehnungen einer Säule, welche die beiden blauen Flächen voneinander trennt. Dem Bildrand entlang finden sich kleine dunkelgelbe Flächen.

Mich fasziniert an diesem Bild der Lichteinbruch in den Bildraum, der durch seine quadratische Form durchaus Symbol für die Welt sein kann. Von oben scheint sich das Licht in diese vormals dunkle Welt zu ergießen.

Als erstes kommt mir die Schöpfungsgeschichte in den Sinn: „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde … Finsternis lag über der Urflut, und Gottes Geist schwebte über dem Wasser.
Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht. Gott sah, dass das Licht gut war. Gott schied das Licht von der Finsternis, und Gott nannte das Licht Tag, und die Finsternis nannte er Nacht. (Gen 1,1-5a)

Dieses Zurückdrängen der Dunkelheit durch die Stärke des Lichtes prägt meines Erachtens das Bild. Kommt die Kraft vielleicht von der Menschengestalt, die sich im unteren Teil der Lichtsäule schemenhaft abzeichnet? Von der aufrecht stehenden Lichtgestalt?

So kommt mir als zweites Jesus in den Sinn, der von sich selbst sagte: „Ich bin das Licht der Welt.“ (Joh 8,14) Aus dem Bild ist zu spüren, was Johannes im Prolog seines Evangeliums schrieb: „Und das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst.“ (1,5) Und etwas weiter spricht er das an, was die Künstlerin auch mit dem quadratischen Format ausdrückte: „Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt.“ (1,9)

Durch die Menschwerdung seines Sohnes erschafft Gott die Schöpfung gleichsam ein zweites Mal. Diesmal von innen, nicht materiell, sondern geistig und mit der Kraft des Herzens und der Liebe.

Wie Feuer will Seine Liebe in uns brennen (Lk 12,49), warm und hell in der Dunkelheit der Anonymität, der Ignoranz und aller Kaltherzigkeit. Sind die dunkelgelben „Feuer“ am unteren Bildrand vielleicht Platzhalter für alle, die „Feuer und Flamme“ für die Botschaft Jesu geworden sind und ihm nachfolgen? Heißt es doch: „Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (Joh 8,14)

Das bedeutet, dass wir am Licht Jesu Christi teilhaben werden. Wer sich dem „Licht der Welt“ öffnet, in dem wird Jesus in dem Maße leuchten und die Lebensfülle erfahren lassen, wie er oder sie sich Ihm zu öffnen vermag. Wahrscheinlich wird er oder sie nie so hell wie Er leuchten, aber auch die Finsternis verdrängend und durch das Licht neuen Raum für die Entfaltung des Lebens schaffend – die Erschaffung der Welt fortsetzend.

Hochzeit mit dir, Mensch

Zuunterst im silbernen Wassergrund,
tief unterm Sehn und Verstehn,
ruht schon der Himmel in dir,
Mensch.
Spielt er sein Heilspiel mit dir,
Mensch.
Schliesst er die Hochzeit mit dir,
Mensch.
Zuunterst im Grund.

Zuunterst im silbernen Wassergrund,
tief unterm Sehn und Verstehn,
kommt der Erzengel zu dir,
Mensch.
Ist Gottes Geburt in dir,
Mensch.
Ist ewige Weihnacht in dir,
Mensch.
Zuunterst im Grund.

Schau in den Wasserspiegel hinein,
Mensch.
Du hast alles in dir:
den Hirten, den König, den Stern
und das Tier.
Hingerissen vom Kind,
deinem herrlichen Herrn;
von dem sie gezogen sind,
wollen sie hinknien in dir,
Mensch,
und
wie Maria es anschaun,
zuunterst im Grund.
Amen.

Silja Walter