Zwischen Jammertal und himmlischer Aussicht

Vertraute Objekte schweben in einer raumlosen Weite, die gedanklich über die Wolken oder in Traumwelten entführt. Bis auf den zentralen Stuhl sind sie alle schattenlos und verweisen damit auf geistig-seelische Räume unserer Gedanken.

Zwei weiße Rahmen suggerieren eine Wandfläche, doch öffnen sie vielmehr wie zwei Augen Ausblicke und Rückblicke. Sie regen zur aufmerksamen Betrachtung der Außen- und Innenwelt an, der sorgfältigen Unterscheidung zwischen Realität und Traum, Erinnerung und Vorstellung. Das linke Rechteck ist als Kippfenster gestaltet und ermöglicht mit dem Baum und dem Horizont einen Blick in die reale Welt mit ihrem Wachsen, Blühen und Vergehen. Der Ausblick zeigt eine rosarote Welt, die doch vom Kampf um die Existenz und um Freiheit gezeichnet ist.

Das Rechteck am anderen Bildrand ist als Rahmen gemalt. Das Bild zeigt den gleichen Hintergrund wie die Umgebung, allerdings etwas heller. Der Hund und das Metallgeländer darüber ragen in das Bild hinein, während das Mädchen als drittes Bildelement ihm nach oben entschwebt. Mit dem Angeschnittenen oder Fragmentarischen wird ein Kommen und Gehen symbolisiert und Vergänglichkeit thematisiert. Nichts bleibt für immer.

Der leere Stuhl in der Mitte lädt ein, sich darauf zu setzen, innezuhalten und das Leben zu betrachten: sich selbst und sein Umfeld, die Vergangenheit und die Gegenwart, die Licht- und die Schattenseiten des Lebens. Im Licht, das von hinten durch die rosaroten Wolken fällt, werden die vielen Durchkreuzungen sichtbar und Beleuchtungs- oder Betrachtungsweisen bewusst gemacht. Die bunte Erinnerungsbox darunter lädt ihrerseits ein, die gesammelten Erlebnisse liebevoll in ihr abzulegen, um Freiheit für Neues zu gewinnen: federleicht in neue Sphären zu entschweben oder einen neuen Begleiter im Leben zuzulassen, wie das Bild daneben suggeriert.

Der auf einer Schattenkonstruktion stehende Stuhl wirkt instabil wie das Leben. So könnte er ein Anlass sein, über die Grundlagen des eigenen Lebens zu reflektieren und zu überlegen: Was gibt mir Halt? Auf welchem Boden stehe ich?

Christlich-theologisch möchte man dem sich Fragenden, Sinnenden und Suchenden die Empfehlung Jesu mit auf den Weg geben, ihm, Jesus, zu vertrauen und seinem Wort zu folgen. Dann sei sein Haus auf festen Fels und eben nicht auf beweglichen Sand gebaut und könne allen Stürmen des Lebens standhalten (vgl. Mt 7,24-27). Der Apostel Paulus gibt seiner Glaubens- und Lebensbasis im Brief an die Römer Ausdruck: „Denn ich bin gewiss: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges noch Gewalten, weder Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.“ (Röm 8,38-39) Paulus will uns damit sagen, dass in der Vergänglichkeit unseres Erdendaseins, in der Instabilität aller Beziehungen durch das ständige Werden und Vergehen, Kommen und Gehen nur eine höhere Macht, Halt und Lebensmut geben kann: die Liebe Gottes. Die Liebe Gottes ist größer als alle Mächte und Gewalten dieser Schöpfung, sie steht über der Zeit und gibt uns Leben in Ewigkeit.

Niemand wird sie benutzen – oder doch?

Buch um Buch stapeln sich über 130 Bibeln in schwindelerregende Höhe. Jedes Buch liegt leicht versetzt über dem anderen, so dass sich eine dynamische Treppe ergibt, die zuerst nach hinten, dann nach links oben führt, um dann noch weiter nach hinten anzusteigen.

Von verschiedenen Seiten gesehen ist es ein sehr schiefer Turm, der sich in die Höhe schraubt. Er gleicht einer suchenden Bewegung, die sich mal nach links, dann wieder nach rechts in die Höhe wagt. Symbolisch steht die Bücherskulptur für den Menschen in seiner Gottessuche. Die Büchertreppe hat kein Zwischenpodest, auf dem zwischendurch eine Pause eingelegt werden könnte. Schritt um Schritt geht es weiter. Ohne Geländer, ohne Absturzsicherung. Was für ein Wagnis! Was braucht es für einen Glauben, sich auf so einen Weg einzulassen und zu hoffen, dass er trägt und vor allem nicht ins nirgendwo, sondern zu Gott führt.

Die Installation von Jochen Höller führt vor Augen, dass das Wort Gottes eine Stiege zum Himmel, zu Gott selbst ist. Das Wort Gottes ist eine Tritthilfe in ungeahnte Höhen und göttliche Welten. Es hilft sich zu erheben, Gott zu suchen und ihm zu vertrauen. Es hilft, sich auf den Weg zu machen.

Die Arbeit führt aber auch vor Augen, dass niemand diese Bibeln, die bislang schon nicht benutzt worden sind, benutzen wird. Ins Kunstwerk integriert, können sie nicht mehr geöffnet werden. Doch die Bibel muss ein offenes Buch sein, sonst kann Gottes Wort nicht lebendig werden. Die Bibel muss ein offenes Buch sein, damit Gottes Wort wirken kann, damit die göttliche Weisung zu den Menschen gelangen kann, damit die Menschen nicht nur menschlich miteinander umgehen, sondern göttlich.

Durch ihre Dynamik und Symbolkraft passt die Skulptur wunderbar in die 2004 von den Architekten Ulrich und Ilse Maria Königs in Burgweinting erbaute Kirche, „die sich öffnet zum Himmel und Geborgenheit gibt auf Erden”.

Jochen Höller hat mit der Skulptur seiner Himmelsleiter Mitte Mai 2018 beim Wettbewerb des Katholischen Bibelwerks Austria gemeinsam mit dem Bibelwerk Linz „Transformiert statt ausrangiert“ den 1. Preis gewonnen! “Die Schlichtheit und die spirituelle Gesamtaussage des Kunstwerks sowie die Professionalität der Umsetzung haben die Jury überzeugt”, heißt es in der Begründung.

Die Bücherskulptur war im Sommer 2018 in der Katholischen Kirche St. Franziskus in Regensburg-Burgweinting installiert.

Gefesselt? – Entfesselt!

Wer unbedarft in den Raum mit diesem Kunstwerk kommt, begegnet zuerst einmal vier überdimensionalen Büchern, die von vielen Händen aus einer rot oder blau schäumenden Masse hochgehalten werden. Jedes Buch ist mit einer vierfachen Kette in Kreuzform umschlungen und mit einem Vorhängeschloss gesichert. Buchrücken und Frontseite weisen unmissverständlich darauf hin, dass es sich um die Heiligen Schriften des Judentums, des Christentums und des Islams sowie eines Buches des Dalaï Lama handelt. Gefesselte Bücher?

Thomas Hirschhorn provoziert mit dieser Arbeit viele Fragen und regt zum Nachdenken über das Buch der Bücher an:

Ist der Inhalt der Bücher so gefährlich, dass sie zugeschnürt werden müssen, damit ihr Wort nicht weiter wirkt? Doch das steht im Widerspruch zu den vielen Händen. Sie scheinen Menschen zu gehören, die in der überschäumenden roten – an Blut erinnernden – Masse ertrinken und als letzte Handlung gemeinsam die Heilige Schrift zu retten versuchen.

Gesellschaftskritisch gefragt: Sind wir eine untergehende Glaubensgemeinschaft? Versinken wir im Überfluss der überbordenden Konsumgesellschaft, welche uns das Leben kostet. Noch wird die Heilige Schrift hochgehalten, noch scheinen wir unser Leben für diesen letzten Wert einzusetzen … doch das Buch, das weitergereicht wird, … ist verschlossen.

Aber dann kann es seine Bestimmung nicht erfüllen. Ein verschlossenes Buch, ein Buch, das nicht geöffnet wird und nicht geöffnet werden kann, ist nur noch eine wertlose Attrappe. Doch das kann es nicht sein, die Menschenhände halten es in die Höhe! Das Kunstwerk könnte einen Aufschrei darstellen, dieses große, weil großartige Buch zusammen mit meinen Zeitgenossen aus den Händen der untergehenden Generation retten. Es ist ein Appell an uns, nicht tatenlos zuzuschauen, sondern aktiv zu werden. Das gekreuzigte Buch, das bereits wie eine Grabplatte auf einer Gedenkstätte liegt, von seinen Ketten zu erlösen und aufzuschlagen, damit seine Worte wieder atmen können. Und durch unser Lesen werden die göttlichen Worte wieder lebendig werden und durch unser vom Heiligen Geist gelenktes Denken und Handeln die Gesellschaft erneut mit Leben erfüllen.

Nein, die Heilige Schrift ist weder ein Buch mit sieben Siegeln noch ein gefesseltes Buch, sie ist ein entfesseltes Buch! Wer ihre Worte liest und glaubt, geht nicht unter, sondern wird zum ewigen Leben auferstehen.