Heilige Hingabe

Ein Frauengesicht, eingetaucht in ein Farbenmeer. Überdimensional, in Raumhöhe begegnet es uns. Die Frau hält den Kopf nach hinten geneigt. Die Augen schauen mit einem sehnsüchtigen Blick nach oben, der Mund ist leicht geöffnet.

Was sie wohl sieht? Was sie erwartet? – Was sie sieht und erwartet, entzieht sich unseren Blicken ebenso wie sich das Frauengesicht für weitere Beobachtungen hinter den Farben verbirgt. Sie ist unserem Zugriff – auch nur mit den Augen – entrückt und scheint in einer anderen Welt zu sein.

Ihr Gesichtsausdruck erinnert mich an Heiligenfiguren in barocken Kirchen, welche mit verklärtem Blick die Altäre schmücken und die Betrachter einladen, ebenso in die Betrachtung von Gott zu versinken. Wie Johannes haben sie Gottes Herrlichkeit „mit eigenen Augen gesehen und geschaut“ (1 Joh 1,1-3): in seinem Sohn Jesus Christus!

Dieses Schauen muss sie von innen her verwandelt haben, denn Paulus schreibt an die Christengemeinde von Korinth eine ähnliche Erfahrung: „Wir alle spiegeln mit enthülltem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wider und werden so in sein eigenes Bild verwandelt, von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, durch den Geist des Herrn.“ (2 Kor 3,18)

Die fließenden weißen Pinselstriche könnten Hinweise auf diesen verwandelnden Heiligen Geist sein, der die junge Frau durchdringt und in ungeteilter Hingabe an Gott aufgehen lässt. In warmen Farben „glühend“ strahlt ihr Gesichtsausdruck die ihr innewohnende göttliche Be-Geist-erung aus, Leidenschaft und die Liebe zu Gott!

Der Wunsch steigt in mir hoch, dass diese vom Geist Gottes bewirkte heilige Hingabe wie ein Funke auf mich überspringen möge, mich entzünde, damit ich auch von Liebe erfüllt „Feuer und Flamme“ für ihn bin.

Gott wartet geduldig, dass ich endlich einwillige darin, ihn zu lieben.
Gott wartet wie ein Bettler, der regungslos und schweigend vor jedermann steht,
der ihm vielleicht ein Stück Brot geben wird.

Die Zeit ist dieses Warten.
Die Zeit ist dieses Warten Gottes, der um unsere Liebe bettelt.
Die Gestirne, die Berge, das Meer,
alles, was von der Zeit zu uns spricht, bringt uns Gottes flehentliche Bitte.

Die Demut der Erwartung macht uns Gott ähnlich.
Gott ist nur das Gute.
Darum steht er da und wartet, schweigend.

Wer herandrängt oder spricht, der braucht ein wenig Gewalt.
Das Gute, dass nichts als das Gute ist, kann nur da sein.
Die schamhaften Bettler sind Seine Bilder.

Simone Weil „Gott ist nicht in der Zeit“. Aus: Zeugnis für das Gute. Traktate, Briefe, Aufzeichnungen [Herausgegeben und übersetzt von Friedhelm Kemp], München, 1990, 208-211)

Bettler der Barmherzigkeit

Das bekannte Gleichnis Jesu vom verlorenen Sohn ist schon oft illustriert worden. Die bekannteste und wohl emotional stärkste Darstellung ist sicher jene von Rembrandt, wo der Sohn in den Armen seines Vaters liegt.

Der Künstler Volker Kurz hat diese biblische Geschichte aus dem heutigen Zeitgeist heraus ganz anders dargestellt. In frischen Farben und mit einem Zug zur Karikatur malte er das Geschehen. Was vielleicht naiv aussieht, wird so Herausforderung zur intensiven Beschäftigung mit dem altbekannten Bildthema. Bewusst weicht er von der biblischen Vorlage ab und verbindet sie mit anderen biblischen „Geschichten“, um neue Sichtweisen zu ermöglichen.

Ganz allein steht der verlorene Sohn in der leeren Mitte des dreiteiligen Bildes. Hinter ihm die heimatlose Welt des Vergnügens und der Sünde, der er den Rücken gedreht hat, vor sich das Haus seines Vater und seiner Familie. Wie auf Wolken steht der Sohn zwischen zwei Welten im Niemandsland.

In gebückter Haltung steht er als Bittsteller vor seinem Vater: „Vater, ich habe mich gegen den Himmel und die Erde versündigt; ich bin es nicht mehr wert, dein Sohn zu sein.“ (Lk 15,21) Während der biblische Text überliefert, dass der Vater ihn schon von weitem kommen sah, ihm voll Mitleid entgegenlief, umarmte und küsste, steht der Vater hier eher kühl, zurückhaltend und Distanz gebietend im blau-gelb gestreiften Mantel da. Seine linke Hand macht eine Geste, die sagen könnte: Was willst du hier? Du hast hier nichts mehr zu suchen!

Die Begegnung zwischen Vater und Sohn strahlt für mich eine für die Bibel untypische Hartherzigkeit aus, die mich gerade in dieser für ihre Herzlichkeit bekannten Situation schmerzlich berührt. Die Kluft scheint unüberwindbar zu sein, die Personen verharren auf ihren Standpunkten, der letzte zur Umarmung führende Schritt scheint nicht möglich zu sein.

Was geht hier vor? Da sind auch Menschen auf beiden Seiten, die mit ausgestrecktem Finger auf ihn zeigen, die vor Entrüstung schreien, belustigt auf ihn schauen, ja sogar mit Steinen auf ihn werfen. Die Ehebrecherin kommt mir in den Sinn, die von hartherzigen Männern in die Mitte gestellt wurde, um sie zu steinigen (Joh 8,1-11). Aber auch Jesus wollten die Juden wiederholt steinigen, weil seine Botschaft und sein barmherziges Handeln gegenüber den Sündern für sie unerträglich war (Joh 8,59; 10,31.39).

War das vielleicht die Absicht des Künstlers, den verlorenen Sohn mit Jesus in Verbindung zu bringen? Und die starre Haltung des Vaters mit der der Kirche in gewissen Dingen? Der gotische Spitzbogen, in dem er steht, könnte ein Hinweis sein. Dann dürften wir den verlorenen Sohn, und mit ihm Jesus par excellence, als Bettler der Barmherzigkeit sehen, als denjenigen, der um die Vergebung der Sünden bittet.

Hier wird nicht nur die Haltung des Vaters in Frage gestellt, auch diejenige der Spötter und Steinewerfer, letztlich auch unsere eigene Haltung gegenüber denjenigen, die Fehler gemacht haben und einen langen und schweren Umweg machen mussten, um die Wahrheit zu erkennen und ihr zu folgen.

Sehnsucht nach Gott

Ein tiefes Grau umrahmt eine von schweren breiten Strichen durchkreuzte hellere Fläche. Wie in einer Höhle erkennt das Auge mit der Zeit die suchenden Spuren des Pinsels, die noch und noch die helle Mitte umkreisten. So wie der Künstler das Bild gemalt hat, sieht er sich selbst im Dunkeln stehen, in einem Raum, der von Nacht erfüllt ist. Er – und mit ihm der Betrachter – sieht das Licht, aber der Zugang ist durch querstehende Objekte, von denen das oberste eine Art Kreuz bildet, verstellt.

Dunkelheit und Licht, Innen und Außen, Eingesperrtsein und Freiheit werden hier angesprochen. Die Sehnsucht nach Licht und Freiheit kommt zum Ausdruck, letztlich die Suche nach Gott. Tatsächlich bewegten die Gedanken des spanischen Mystikers Johannes vom Kreuz den Maler Herbert Falken, genauer gesagt sein Gedicht: „In dunkler Nacht“.

In unzähligen Aquarellen rang der Künstler und Theologe um eine malerische „Übersetzung“ dieser Sehnsucht der Seele nach Vereinigung mit Gott. Um Gott im ewigen Licht wissend, sucht ihn die Seele tastend durch alle Schwierigkeiten dieser Welt hindurch. „Wo der Kleinglaube nur Finsternis sieht, erkennt das Auge des Glaubens die Rückseite von blendendem Licht: Gottesfinsternis als Gotteserscheinung, Gottes-Entzug als sein Da-Sein in der Gewalt-Welt mit ihrenKreuzigungen, Abwesenheit als Realpräsenz. Im bildlosen Raum des Bildes, im lichterfüllten Abgrund die Helle, im Verstummen das Wort.“ (Gerhard Fuchs, Zur Mystik der Nacht, in: Falken, DG München 1994, S. 6)

Den Schmerz und die Welt nicht fliehend, geht sie glaubend in dunkler Nacht einen kreuzwegähnlichen Weg des Leidens an Gott und der Welt. Dabei vergittert und versperrt das Kreuz den Zugang zur Freiheit und zum Licht nicht. Wie ein Schlüssel öffnet das Kreuz vielmehr den Weg zur Auferstehung. Paulus beschreibt diese Wandlung zum neuen Menschen kurz und bündig: „Ich bin mit Christus gekreuzigt worden; nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir.“ (Gal 2,19f)

Um so ein Mensch zu werden – ein für Gott und die Menschen ganz durchlässiger Mensch – genügen weder Taufe noch das Erfüllen vieler Riten und Gebote. Die Vollendung gleicht vielmehr einer Geburt zum Licht, der oft eine (lebens-) lange Zeit des Reifens, Werdens und Verwandelns in der „Gottferne“ vorausgeht.

Himmlisches Gastmahl

Geschmierte rote Flecken auf einer vergoldeten Fläche. Was für ein Kontrast! Unregelmäßig und unförmig sind sie über die kostbare und rein anmutende goldene Fläche verteilt.

Das breite, dreiteilige Format des Bildes erinnert mich an eine mittelalterliche Altartafel, deren Flügel je nach liturgischer Zeit auf- oder zugeklappt werden konnten. Der vergoldete Hintergrund verstärkt diesen Eindruck. Steht er nicht für die Herrlichkeit Gottes, die in diesem kostbaren Material und in diesem Glanz am besten zum Ausdruck kommt? Auch die Dreiteilung lässt an den einen Gott denken, der sich in drei Personen offenbart hat.

Andererseits beeindruckt mich das lange Bildformat und lässt mich an einen langen festlichen Tisch denken, der im Schein der vielen Lampen leuchtet. Allerdings ist kein Gedeck zu sehen, nur irritierende Flecken. Auch keine Stühle. Ob da wohl jemand eingeladen ist? Und wenn eingeladen, sind es nur Könige und Reiche, oder auch einfache Leute und Arme?

Jesus sagt: Es gibt eine Einladung! Alle sind eingeladen, und sie sind „selig“ (Offb 19,9). In einem Gleichnis vom Himmelreich erzählt er von einem König, der zur Hochzeit seines Sohnes einlud. Weil die Gäste der Einladung nicht Folge leisteten, schickte der König seine Diener, alle einzuladen. „Die Diener gingen auf die Straßen hinaus und holten alle zusammen, die sie trafen, Böse und Gute, und der Festsaal füllte sich mit Gästen.“ (Mt 22,1-10)

Voraus gingen allerdings Misshandlungen und Totschlag der Diener und als Vergeltung dann der Tod der Mörder. Besteht hier die Verbindung zu den roten Flächen die wie Blutspuren aussehen? Sie lassen mich an Blutflecken an Unfallorten denken, wo Menschen verletzt wurden oder sogar ihr Leben lassen mussten. Das verschmierte Rot lässt mich an die Kriegs- und Terroropfer denken, die unschuldig ermordet wurden, Erwachsene und Kinder, wie in Ruanda, New York oder jüngst in Beslan.

Aber wieso sind diese Spuren mitten auf dem Tisch, der goldenen Fläche? Vielleicht weil durch das Blut wie die Ungerechtigkeit, welche das Blutvergießen verursacht hat, das Heilige tief verletzt wird? Beide sind Widerspruch zu Dem, der das Leben schlechthin ist und es unentwegt ins Sein ruft. Es ist Widerspruch zu Dem, der gut und gerecht ist, und der sich dafür einsetzt.

Aber hat nicht Jesus am Kreuz sein Blut vergossen für das Heil der Welt, die Rechtfertigung der Menschen? Jesaja 53,7 zitierend, wird Jesus im Buch der Offenbarung „das Lamm“ genannt, „das geschlachtet wurde“ (5,12). Jesus selbst sagt beim letzten Abendmahl, wie er den Kelch mit Wein seinen Jüngern reicht: „Trinkt alle daraus, das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird, zur Vergebung der Sünden.“ (Mt 26,27b-28)

Dieses durch den Gottessohn vergossene Blut ist die Grundlage einer neuen Gemeinschaft. Wer seine Einladung annimmt und sich in Liebe Ihm zuwendet, erhält „durch sein Blut Erlösung und die Vergebung der Sünden nach dem Reichtum seiner Gnade“ (Eph 1,7). Mit seinem Blut fängt er alles andere Blut auf.

So ist dieses visionäre Bild von Robert Weber tatsächlich eine Einladung zum himmlischen Gastmahl im neuen Jerusalem, dessen „Mauer aus Jaspis gebaut ist, und die Stadt aus reinem Gold, …“ (Offb 21,18). Eine Einladung zu einer revolutionär neuen Gemeinschaft, in der es weder Tod, Trauer, Klage noch Mühsal geben wird (Offb 21,4-5). Denn die Menschen dieser Gemeinschaft sind durch das Blut Jesu erkauft und aus den Bindungen der Sünde herausgelöst. Und … wie in der Mahlgemeinschaft der Eucharistiefeier werden alle durch die Kommunion mit dem Gastgeber tief in sein eigenes göttliches Leben aufgenommen werden!

Namenlos?

Die Kunstwerke mit dem Hinweis o. T. machen mich immer etwas ratlos. Worum ging es dem Künstler, wenn er dem Kunstwerk keinen Titel geben kann? Bei einem solchen Bild ohne Namen kommt es mir vor, als hätte der Künstler seine urmenschliche Aufgabe, seiner Umwelt Namen zu geben (vgl. Gen 2,20) nicht wahrgenommen.

Und dennoch hat er etwas zum Ausdruck gebracht, was ihn bewegt hat. Vielleicht wollte er, ähnlich wie Gott, als Schöpfer eines Werkes uns Betrachtern die Aufgabe nicht wegnehmen, dem Bild einen ganz persönlichen Titel, bzw. Namen zu geben. „o. T.“ verhindert demzufolge, dass nachfolgende Betrachter sich keine Gedanken mehr machen und das Bild einfach mit dem Lesen des Namens und einem bestätigenden Vergleich abhaken. Sind nicht wir Menschen und alle Geschöpfe Gottes solche Kunstwerke „o.T.“, die vom Betrachter entdeckt werden wollen?

Da sind Lichtdurchbrüche im schwarzen wie im dunkelgelben Feld, die das Bild in der ganzen Höhe queren. Der linke Spalt führt durch die Verengungen am Bildrand und das Licht im Bildinnern wie durch eine Schlucht in die Tiefe. Beim rechten Lichtdurchbruch scheint das Licht von oben zu kommen, von außerhalb des Bildes. Es fließt in die Farbe hinein und sammelt sich unten wieder, eine Leuchtspur hinterlassend.

Das Bild lebt von diesen schmalen Verbindungen. Zu den Seitenrändern hin, wie haltgebend, zwei schwarze Streifen. Zwischen dem Gelb und dem Schwarz ein transparentes hellblaues Band, mit dem linken Lichtdurchbruch und einem kleineren Durchblick am unteren Bildrand korrespondierend. Bis auf die kleine gelbe Fläche ist alles in der Vertikalen gemalt, lebt alles von dieser senkrechten Verbindung zwischen Oben und Unten und Unten und Oben. Und in dieser Beziehung wird Tiefe geschenkt.

Mir kommt es vor, als stünden all diese senkrechten Streifen, Spalten, Bänder und Flächen für unsere Beziehung zu Gott. Und weil diese Beziehung da ist, mal als undurchdringliche schwarze Wand des Unverständnisses und der Verlassenheit, mal als schmaler Lichtspalt der Hoffnung, mal als goldenes Tor, das sich dem Glück öffnet …, erhält unser Leben Tiefe und Sinn.

Weil dieses Bild ein Bild meines Lebens sein könnte, wie es gerade aus der Beziehung mit Gott lebt, wäre jede Bezeichnung dafür unzulänglich. Ist nicht das Leben an sich und erst recht die Beziehung zu Gott so wunderbar, dass einem die Worte fehlen und man nur noch staunen kann?

Glaubensbekenntnis

Linien und Farben, die sich zu Zeichen formen. Wie durch ein farbiges Kirchenfenster hindurch sehen wir in der Mitte einen großen roten Fisch. Zwei Hände sind ihm zugedreht. Ichthys nennt der Künstler Michael Blum sein Bild – zu griechisch „Fisch“ – und weist damit auf die Kurzform eines Glaubensbekenntnisses der ersten Christen hin. Die Anfangsbuchstaben von Iesus Christos theou hyios soter ergaben Ichthys. Die einfache Fischform war ihr Geheimzeichen, mit dem sie sich gegenseitig zu erkennen gaben, und gleichzeitig Bekenntnis, dass Jesus Christus Gottes Sohn und ihr Retter ist.

Zentral wie diese beiden Aussagen im christlichen Glauben stehen, nimmt der Fisch die Bildmitte ein. Zum Teil ist er auf ein weißes aufgeklebtes Stück Tuch gemalt, welches die Altardecke in Erinnerung ruft. Die untere Linie des Fisches teilt zusammen mit einer blauen Senkrechten ein goldenes Rechteck. – Symbol für die irdische Gegenwart Gottes in Jesus Christus, der sich im Sakrament der Eucharistie immer wieder neu den Menschen mitteilend schenkt? Rechts darunter ist auch ein weinroter Kelch zu entdecken, durch eine weiße Linie hervorgehoben

Anamnese – Erinnerung geschieht hier, die über den in der Kirche als gemeinschaftsbildenden und -erhaltenden Gottesdienst hinausgeht: Das biblische Geschehen, wo Jesus „die sieben Brote und die Fische nahm, das Dankgebet sprach, die Brote brach und sie den Jüngern gab, und die Jünger verteilten sie an die Leute“ (Mt 15,36), wird im Geiste gegenwärtig.

Sanft führt der Künstler mit seiner Bildsprache an das Geheimnis des Glaubens heran: Am oberen Bildrand sehen wir das Auge Gottes im durch einen blauen Strich abgegrenzten „Himmel“. Gott teilt sich in dreifacher Form mit: Rechts ist die nach unten weisende Hand das Zeichen, dass Gott zu uns Menschen spricht, Weisungen und Richtlinien für unser Leben gibt. In der Mitte symbolisieren sieben rote Tropfen oder Flammen die Gaben des Heiligen Geistes, die uns befähigen, Gott zu erkennen, ihn zu lieben und seine Gebote der Liebe umzusetzen. Links das Wasserband als Zeichen für Jesus, das Wasser ewigen Lebens (Joh 4,14), das vom Himmel geschenkt wird. Den Worten Jesajas „Taut, ihr Himmel, von oben, ihr Wolken, lasst Gerechtigkeit regnen!„ wird hier auf dreifache Weise Gestalt verliehen.

Die untere, nach oben offene Hand scheint die weiteren Worte Jesajas zu verkörpern: „Die Erde tue sich auf und bringe das Heil hervor, sie lasse Gerechtigkeit sprießen. Ich der Herr, will es vollbringen“ (Jes 45,8). Gott selbst vollbringt im Gläubigen die tastende Annäherung an das unbegreifliche Geheimnis der Gemeinschaft mit IHM! Er will unsere Herzen und Hände öffnen – für seine Liebe, sein Wort, die Not der Menschen!

Transparent, kaum wahrnehmbar ragen drei Stoffapplikationen über den Bildrand hinaus. Sie kommen mir wie einladende Brücken zur Welt vor, über die neue Zugänge zum Glauben wie zur Welt möglich sind. Und über allen Gläubigen, die sich hier um ihren Herrn und Retter versammeln, steht fein und segnend ein blaues Kreuz – wie jenes Wasserkreuz, das Katholiken beim Betreten und Verlassen einer Kirche in Erinnerung an ihre Taufe mit dem Weihwasser über sich machen. Als „Gezeichnete“ sollen sie wie die ersten Christen ihren Glauben in „ihrer Welt“ bekennen – in dem sie ihrerseits Zeichen setzen.

Dunkelheit und Licht

Zwei Quadrate, kleinformatig auf der großen Zimmerwand. Wie zwei Augen schauen sie mich an, fordern sie mich zur Auseinandersetzung mit ihnen heraus.

Beide Flächen sind in der Mitte senkrecht unterteilt, zum anderen Bild hin dunkler, gegen außen heller. Beim linken Bild hellt sich das Tiefdunkel- grün nur ganz leicht auf der einen Seite auf, während beim rechten Bild mit einem Sonnengelb ein kräftiger Kontrast gesetzt ist. Zweifelsohne ist dieses Diptychon eine abstrakte Malerei und will nichts Gegenständliches darstellen. Die Pinselführung und der unregelmäßige Farbauftrag lassen jedoch Annäherungen und individuelle Deutungen zu.

Das dunklere linke Bild fasziniert mich durch die schwache Aufhellung in der linken Bildhälfte. Obwohl so dunkel, bricht bei diesem „Schwarz“ das Licht durch und macht es zu einem dunklen Grün. Hinter allem Dunklen muss da ein Licht sein. Sogar ein starkes Licht, wenn es die Dunkelheit zu durchbrechen vermag. Es könnte das Morgenlicht sein, auf das die Seele mehr wartet als die Wächter der Stadt (vgl. Ps 130,6)
Das Bild lässt mich daran denken, dass Gott ein verborgener Gott ist, dass er immer anders sein wird als ich ihn mir vorstelle. Er ist der ganz Andere, der Unfassbare. Ich spüre meine Sehnsucht, Konkretes zu erfassen, doch das Einzige, was mir bleibt ist die Erfahrung, dass Er stärker ist als alles, was mein Leben dunkel und schwarz machen will. Und es bleibt mir die Gewissheit, dass ich Ihn nach dem Dunkel meines Lebens im Lichte seiner Herrlichkeit sehen werde und auch daran teilhaben darf (vgl. Röm 8,17; 2 Thess 2,14).

Das rechte Bild ist spiegelbildlich zum linken aufgebaut, doch insgesamt heller. Ich finde die wilden Pinselstriche sind in der dunklen Bildhälfte wunderschön, weil sie das Gelb über die wahrscheinlich ursprünglich tiefgrüne Fläche gebracht haben. Hier scheint das Dunkle nicht von hinten durchbrochen zu sein, sondern durch Übermalung aufgehellt worden zu sein und einen goldenen Lichtglanz erhalten zu haben. Das Gelb ist stark – und lebendig. Wer will, kann in den dunkleren Partien zwei stehende oder schreitende Personen erkennen, die ganz im Licht stehen, vielleicht auch ganz Licht sind. Ob sie schon der Herrlichkeit Gottes teilhaftig geworden sind?

Bei Celia Mendoza`s abstrakter Malerei scheinen die Übergänge wichtig zu sein. Das Dunkel, welches das Licht zurückdrängt und das Licht, welches das Dunkel überdeckt. Die beiden Bilder erinnern mich deswegen an den Abend mit dem entschwindenden Tageslicht und den Morgen mit dem alles überflutenden Sonnenlicht. Sie könnten ein Gleichnis meiner Seele sein, wo auf dunkle, kalte, fast hoffnungslose Zeiten immer wieder warme Zeiten der Erfüllung und der Liebe folgen.

Lebensnerv

Ein blauer Engel und ein grünes Band präsentieren sich unseren Augen. Der Engel hat die Hände gefaltet, die Augen in sich gekehrt geschlossen. Die lebendige Pinselführung und die verschiedenen Blautöne weisen aber darauf hin, dass in ihm einiges in Bewegung ist. Der Engel schwebt in dieser anbetenden Haltung vor dem gelben Hintergrund – Symbol der Herrlichkeit Gottes – , dem grünen Band zugewendet. Dieses durchquert das Bild in seiner ganzen Höhe und scheint ein Ausschnitt eines viel längeren Bandes zu sein, welches das Oben mit dem Unten miteinander verbindet.

Was es wohl zu bedeuten hat?

In seinem Innern sind waagrechte Elemente zu erkennen, welche an die Himmelsleiter erinnern, die Jakob im Traum gesehen hat, und auf der unaufhörlich Engel auf- und absteigen (Gen 28,12), um Botschaften von einer Welt in die andere zu tragen: Von Gott zu den Menschen – von den Menschen zu Gott. Nach dem Wörterbuch der Symbolik (Lurker, 267) ist die Farbe Grün als Farbe der Erwartung und der Hoffnung auch die Farbe des „Auf-dem-Wege-Seins!“

Für den Künstler Tobias Kammer erinnert jedoch „das Grün des Bandes an die Grünkraft der Hildegard von Bingen. Für sie war Grün Ausdruck reiner Lebensenergie, die aus Gottes Schöpferkraft und der Erneuerungskraft des Heiligen Geistes selber kommt.“

So gesehen wird die grüne Himmelsleiter zum Lebensnerv schlechthin für den Menschen, zur lebensnotwendigen Nabelschnur, welche das „Kind“ mit allem versorgt, was es zum Leben braucht. Das Grünband wird auch zur „Wirbelsäule“ des Glaubens, durch die der Körper aufrecht gehalten wird und durch die alle „Lebensenergien“ laufen, um diesen Körper mit  dem Kopf verbunden zu leiten.

Ein überraschendes Bild für die Beziehung zwischen Gott und den Menschen. Doch schon der Apostel Paulus verwendet es in seinen Briefen, wenn er schreibt: „Er, Christus, ist das Haupt, von dem aus der ganze Leib durch Gelenke und Bänder versorgt und zusammengehalten wird und durch Gottes Wirken wächst.“ (Eph 4,15c; Kol 2,19b)

Über dieses Werk Gottes kann der Engel nur staunen und es durch sein Gebet bewachen. Dass nichts diese einmalig schöne und wertvolle Beziehung zerstöre – ja vielmehr durch eine vertrauensvolle Offenheit für Gottes Wirken durch die Menschen gefördert wird.

Prägungen

Die Bildstruktur erinnert mich an Steine, die ich in Flussbetten und in den Bergen gesehen habe und die mich immer wieder durch ihre Zeichnung fasziniert haben. Hier scheint dunkles Gestein von hellen Adern durchzogen zu sein. Verschiedene geologische Schichten haben sich übereinandergelegt und sind im Laufe der Zeit durch die Erdbewegung immer wieder verschoben, auseinandergerissen und neu zusammengefügt worden. Die Geschichte dieser Schichtungen hat letztlich die Zeichnung dieser Steine ergeben.

Dieses Bild könnte auch ein Spiegel meines Lebens sein. Haben nicht die guten und die schlechten Zeiten, Krankheiten und Beziehungen, die Mühe der Arbeit oder das gute Essen in Leib und Seele Spuren hinterlassen und mein Leben auf einzigartige Weise geprägt, so dass es einen unverwechselbaren Charakter erhalten hat?

Wie die „Adern“ in allen Richtungen durch das Bild verlaufen, gehen diese Prägungen kreuz und quer durch mein Leben. Es gibt dicke und dünne Bänder, die das Bild durchqueren, ja sogar ganz feine Maserungen, die wie feine Äderchen die Oberfläche überziehen. Sie alle gehören dazu. Und wenn ich den dunklen Untergrund für mein wesentliches Ich interpretiere, freut es mich, dass die Prägungen mein Wesen aufhellen, ja Licht und Leben in meine „Eintönigkeit“ bringen.

Solche lichtvollen und mit positiver Energie geladenen Prägungen sind im Leben der Kirche auch die Sakramente. Ob Taufe, Firmung, Kommunion oder Versöhnung, Krankensalbung, das Ehesakrament oder die Priesterweihe, Gott besucht den Empfangenden mit seiner Gnade und durchzieht sein Wesen gleich einem belebenden und rettenden Netz der Gnade, das ihn in allen Zeiten innerlich aufrichtet, tröstet und ihm Zuversicht schenkt.

Durch diese Prägungen bin ich kein unbeschriebenes Blatt mehr, sondern von der Hand des Höchsten geheimnisvoll beschrieben und als Unikat ausgezeichnet.

Vertrieben

Mit den wenigen Strichen und Farben erscheint dieses Bild sehr karg. Der Hintergrund ein schlichtes, an die Wüste erinnerndes Beige. Nichts ist ganz dargestellt, es wirkt vielmehr als wäre etwas auseinandergerissen worden …

Im oberen Teil des Bildes – am Flügel erkennbar – ein Engel mit machtvollem Gehabe. Seine linke Hand hoch erhoben, Halt gebietend. Mit der Rechten weist er den Weg – aus dem Bild. Diese Geste wird durch den Flügel des Engels verstärkt.

Neben den Händen und dem Flügel ist vom Engel nur das Gesicht zu sehen. Es scheint wie aus einem Fenster herauszuschauen, rechts von den Locken seines Haares umgeben, links vom Gold eines angedeuteten Heiligenscheines. Er bleibt in der Welt, aus der die beiden Menschen, von denen im unteren Teil des Bildes die Köpfe zu sehen sind, vertrieben werden.

Mann und Frau sind es, die fortan von einer dunklen Wolke der Sünde, der Unehrlichkeit und des Misstrauens von Gott getrennt leben müssen (vgl. Gen 3). Es scheint fast so, als ob dieses Dunkle und Böse Hörner hat und auch damit die beiden verfolgt. – Die Erbsünde? Das schlechte Gewissen? – Die Schamröte steht Adam und Eva im Gesicht. Sie sind mit einem roten Zeichen versehen von nun an „Gezeichnete“, Ausgestoßene.

Sie werden links aus dem „Bild“ gejagt, ein weiterer Pfeil, der durch ein vergoldetes Viereck geht, verstärkt dies. Pfeil und Viereck kommen mir wie ein Bild im Bild vor, durch das im Kleinen das im Großen Dargestellte intensiviert wird. Wenn das Viereck ein Symbol für einen Tabernakel ist, dann könnte dieser Bildteil uns sagen, dass Adam und Eva mit der Vertreibung aus dem Paradies aus dem Allerheiligsten ausgestoßen worden sind.

Das Auge Gottes rechts oben neben dem „lodernden Flammenschwert“ würde das bestätigen. Mit dem Schwarz des Bösen bilden die Flammen eine senkrechte Mauer, welche Adam und Eva vom Paradies und vom „Weg zum Baum des Lebens“ trennt, die in der Sprache des Künstlers klar in der rechten Bildhälfte angesiedelt werden.

Vertrieben auf alle Zeiten?

Die Gliederung des Bildes lässt bei längerem Betrachten fast unmerklich ein das ganze Bild überspannendes Kreuz aufleuchten, dessen Mitte ein grünlich-blaues Quadrat bildet. Im Kreuz seines Sohnes hat Gott allen Verlorenen Hoffnung geschenkt, den Sündern Vergebung, den Toten ewiges Leben und den Vertriebenen neue Heimat. Die Vertreibung aus dem Paradies soll in der Barmherzigkeit Gottes nicht ewig dauern.

Pfad zu Gott

„Es gibt Worte, die uns, sobald wir sie nur aussprechen, in eine Welt entführen, von der wir annehmen, sie gehöre unumkehrbar der Vergangenheit an. Das Wort Pfad, welches im Titel dieser kurzen Bildbetrachtung vorkommt, stahlt etwas aus, als wäre es ein geheimnisvoller Findling, der sich ins verkehrstechnische Zeitalter der Autobahnen und Schnell strassen verirrt hat.“ (Joseph Bättig)

Auf dem Bild von Gielia Degonda deuten wir die vertikale Zickzack-Linie am schnellsten als Pfad. Durch den steilen Auf- oder Abstieg hat sich uns dieses mühsame Hin und Her beim Bergwandern tief in unsere Erinnerung eingeprägt. Vom Tal führen diese Pfade auf den Berg verbinden sie das Unten mit dem Oben, und führen wieder hinunter.

Unten auf dem Bild verwirren viele kurze, meist senkrechte Striche den Blick. Beim genauen Hinsehen sind jedoch Schriftspuren auszumachen, können wir mehrmals MENSCH lesen. Sind diese Wörter als Hinweis gedacht, dass es sich bei den Strichen um eine große Menschenmenge handelt, die auf der ebenen Horizontale am bequemsten und schnellsten vorwärts kommt – oder sind sie Anruf an die Menschen, in diesem rastlosen Unterwegssein innezuhalten, aufzuschauen in ihrem “dunklen Tal“ der Tätigkeiten?

Der Ruf scheint nicht ungehört verklungen zu sein. Die verdichteten Striche mögen ein Hinweis sein, dass viele Menschen aus ihrem gewohnten „Trott“ ausbrechen und sich auf Wege des Lebens begeben, auch wenn diese schmal und steil sind (vgl. Mt 7,14). Durch die Dunkelheit der Nacht führt der Pfad wie eine Leuchtspur leiterartig nach oben. Ist es der Pfad der Gerechten, der wie das Licht am Morgen ist, und immer heller wird bis zum vollen Tag? (vgl. Spr 4,18)

Oben auf dem „Berg“ – dessen Rundform an die Rundung der Erde erinnert – scheint über einer leichten Nebelschwade die Sonne aufzugehen. Wer oben ankommt, wird mit der Fülle des Lichts und ganz besonderen Gotteserfahrungen belohnt. Mose hat auf dem Berg Horeb die zehn Gebote erhalten (Ex 19,3 –24,18), an Elija zog Gott im sanften Säuseln des Windes vorbei (1Kö 19,11-13), Jesus wurde abseits der Menschenmenge auf dem Berg verklärt (Mt 17,1-9). Am Rand der Erde, in der Stille und der Abgeschiedenheit der Berge wird der Mensch an Grenzen geführt, wo er Gott sehr nahe erfährt. Einsame Pfade führen an diese Orte, bereiten den Gottsuchenden auf die Begegnung vor.

Diese Gedanken und diese Sehnsucht mögen den Psalmisten bewegen, wenn er betet: „Herr, lass mich deine Huld erfahren am frühen Morgen; denn ich vertraue auf dich. Zeig mir den Weg, den ich gehen soll; denn ich erhebe meine Seele zu dir.“ (Ps 143,8)

Fest auf der Erde und im Leben stehend, bittet er Gott um Hilfe, damit er auf den vielbevölkerten breiten Straßen des Lebens den schmalen Pfad der Gerechtigkeit, des Glücks und des Heils nicht übersieht.

Farbe bekennen – Spuren hinterlassen

Viele farbige, mehr oder weniger gleich große Punkte präsentieren sich unseren Augen. Meist kräftig in den Farben, rundlich in der Form und mit unscharfem Rand sind die bunten Farbtupfer über die Leinwand verstreut. Manchmal bildet ihre Aneinanderreihung so etwas wie eine Linie, aber es ist kein System der Verteilung oder Anordnung auszumachen. Die rundlichen Farbflächen sind einfach da, scheinen über dem braun-weiß verwischten Hintergrund zu schweben, auf dem Spuren horizontaler und vertikaler Pinselführung zu erkennen sind.

Was soll dieses Gemälde im Altarraum, was kann es zum Glauben sagen?

Vor dem eintönigen Hintergrund, auf dem nur noch verwischt Kreuzspuren zu erkennen sind, bilden die farbigen „Punkte“ eine neue, frische, frohe Wirklichkeit. Das Bild könnte eine Ostererfahrung zum Ausdruck bringen, wo es um die unfassbare Freude über die Auferstehung Jesu und den Sieg des Lebens über den Tod geht. Jeder Farbpunkt könnte ein Aspekt dieser Freude sein. Wie unser Auge versucht, alle Farbpunkte zu erfassen und es doch nicht kann, so unfassbar ist für uns das Geschehen der Auferstehung. Uns bleibt das teilweise Erfassen, das Wandern von einem Farbpunkt zum anderen. Darin erfahre ich schon Freude und Kraft, die ansteckt und in ihrer Frische gut tut.

Das Bild kann noch aus einem anderen Blickwinkel betrachtet werden. Heißt „Farbe bekennen“ nicht, vor und gegenüber anderen zu seiner Einstellung, zu seiner Meinung, zu seinem Glauben stehen? So gesehen habe ich mit meiner Lebensgeschichte, meinen Fähig- keiten, meiner Persönlichkeit eine ganz eigene „Farbe“.  Wo ich mich in Gesellschaft und Kirche eingebe, bekenne ich Farbe, präge ich Situationen, Menschen, Orte – male ich gleichsam an dem großen Gemälde Kirche (oder Gesellschaft) mit. Je mehr ich mich mit meiner Farbe einbringe, engagiere, umso mehr Spuren hinterlasse ich und um so bunter, lebendiger und froher wird das Leben der Gemeinschaft.

„Ihr seid das Licht der Welt,“ sagt Jesus. „Eine Stadt, die auf einem Berg liegt, kann nicht verborgen bleiben. Man zündet auch nicht ein Licht an und stülpt ein Gefäß darüber, sondern man stellt es auf einen Leuchter; dann leuchtet es allen im Haus. So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure Werke sehen und euren Vater im Himmel  preisen. (Mt 5,14-16)

Noch ist Freiraum zwischen den Farbpunkten! – Fehlt vielleicht meine Farbe, weil ich mich nicht getraue, sie zu zeigen? Das Bild macht mir Mut, meine eigene Farbe zu bekennen, einzubringen und damit die Leuchtkraft und das Zeugnis der Gemeinschaft der Gläubigen zu erneuern.

Anbetender Engel

Linear heben sich über den blauen Farbflächen menschliche Körperteile ab: ein Gesicht, Hände, Füße, Knie. Auffallend die uns vollflächig zugewandten Hände. Gebieten sie Halt, wehren sie ab oder sind sie offen für eine andere Wirklichkeit?

Die menschenähnliche Gestalt ist schwer zu fassen. Vom Kopf ist nur das Gesicht sichtbar, die Beine sind nur angedeutet, der Oberkörper besteht hauptsächlich aus Flügeln. Bei diesem geistigen Wesen scheint die Botschaft wichtiger zu sein als seine Gestalt. Diese ist ganz in den Farben des Himmels gemalt, allerdings auch von einem zarten Rosa durchdrungen, das von oben her durch den Engel hindurchzufließen scheint. Widerspiegelt dieses Rosa zusammen mit dem Weiß und dem Gold die Herrlichkeit Gottes, die sich ihm vom oberen Bildrand, symbolisiert durch einen Halbkreis, zuneigt? Leuchtet nicht in des Engels Hand- flächen der gleiche Lichtglanz auf wie im Kreissegment, das für Gott steht?

Dieser Engel kommt von Gott. Er ist von Gott durchdrungen und beseelt, ganz auf Ihn ausgerichtet. Auf dem linken Bein kniend, erweist er Gott die Ehre. Seine in Orantenhaltung erhobenen Hände weisen darauf hin, dass er betet, das in seinen Händen spiegelnde Licht, dass er Gott anbetet. Er könnte dies in stiller Anbetung tun, im liebenden Zusammensein mit dem, der ihn liebt. Die Symbole von Sonne und Mond auf seinen Flügeln lassen aber auch an Psalm 8 denken:

 

Herr, unser Herrscher, wie gewaltig ist dein Name auf der ganzen Erde; über den Himmel breitest du deine Hoheit aus.
Aus dem Mund der Kinder und Säuglinge schaffst du dir Lob, deinen Gegnern zum Trotz; deine Feinde und Widersacher müssen verstummen.
Seh ich den Himmel, das Werk deiner Finger, Mond und Sterne, die du befestigt:
Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst,
des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?
Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott, hast ihn mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt.
Du hast ihn als Herrscher eingesetzt über das Werk deiner Hände, hast ihm alles zu Füßen gelegt:
All die Schafe, Ziegen und Rinder und auch die wilden Tiere, die Vögel des Himmels und die Fische im Meer, alles, was auf den Pfaden der Meere dahinzieht.
Herr, unser Herrscher, wie gewaltig ist dein Name auf der ganzen Erde!

Vor Gott knien und beten. Die offenen Hände des Engels gebieten uns beim ersten Anblick innezuhalten. „Halt an, wo rennst du hin? scheint er zu sagen. Dann laden die Hände mit den mit Augen vergleichbaren Lichtern zu neuem, bewusstem Sehen und Staunen der Schöpfung ein. Wie wunderbar doch Gott alles geschaffen hat. Und so führen uns des Engels erhobene Hände wie seine ganze Haltung in eine tiefe Dankbarkeit, die immer wieder Gottes unendliche Liebe lobpreist: Im stillen Gedenken, mit eigenen Worten oder den Worten eines anderen.

Emmaus

Die Szene könnte sich in einem heruntergekommen Lokal zwischen verklebten und vermalten Wänden abspielen. Drei seltsame Gestalten sitzen an einem grünen Tisch mit einem einsamen Glas Coca Cola. Ein in sich versunkener Gast hält mit seinen Händen etwas hoch. Seine beiden Kollegen schauen dem Ge- schehen scheinbar teilnahmslos zu.

Ist der Mann am Essen? Was hält er in den Händen? Was will uns der Künstler mit den vielen Etiketten von Brot, Wein, Bier und Coca Cola sagen? Hat die goldgelbe Hintergrundfarbe, die in das Gewand des frontal uns zugewandten Mannes einfließt, eine Bedeutung?

Mich erinnert das Bild an russische Ikonen, deren goldener Hintergrund auf die Herrlichkeit Gottes hinweist, die im dargestellten Ereignis aufleuchtet. Gleichzeitig wird der Raum in einen überzeitlichen Rahmen gestellt. Was hier geschieht, kann überall und zu jeder Zeit geschehen sein und wieder geschehen.

Ging Jesus nicht mit zwei seiner Jüngern nach Emmaus und kehrte dort mit ihnen ein, weil sie ihn drängten und es Abend wurde? Es könnte so eine Gaststätte gewesen sein, in der sie sich an den Tisch gesetzt haben, Jesus das Brot nahm, den Lobpreis sprach, das Brot brach und es den Jüngern gab (vgl. Lk 24, 13-34, hierzu 28-30).

Zugegeben, die vielen Etiketten an der Wand, auf dem Tisch und selbst im Glas irritieren. Doch hier macht der Künstler den Sprung in unsere Zeit, wo jedes Produkt zu einer Marke geworden ist, damit wir seine Qualität und seine Herkunft wiedererkennen. Wie den Jüngern am „Markenzeichen“ des Brotbrechens die Augen aufgegangen sind und sie ihren Begleiter als Jesus erkannten, so soll es uns gehen, wenn für uns das Brot gebrochen wird. Nicht nur in der Eucharistiefeier, sondern überall, wo zwei oder mehrere Menschen im Namen Jesu versammelt sind (Mt 18, 20). Er hat uns verheißen, dass Er dann mitten unter uns sein wird. Bei uns zuhause, im Freien auf einer Wanderung, im Restaurant, …

Die in sein Gewand hinlaufende goldgelbe Farbe signalisiert also die göttliche Abstammung des Brotbrechenden, weist auf die Herrlichkeit hin, die er von seinem Vater erhalten hat. Kurz zuvor hat ja Jesus zu den beiden Jüngern gesagt: „Musste nicht der Messias all das erleiden, um so in seine Herrlichkeit zu gelangen?“ (Lk 24,26)

Inmitten der Unruhe der vielen Etiketten, durch die die Hersteller um die Gunst und die Treue der Käufer werben, zieht die in sich gekehrte  Gestalt die Aufmerksamkeit auf sich – und eine andere Welt. Den sich in Sorgen und Verzweiflung verzehrenden Jüngern schenkt Jesus durch das „Teilen“ seiner Gegenwart neue „Zu-ver-sicht“. Sie merken, Er allein zählt. ONLY YOU, Gott allein. Vielleicht erinnern sie sich an seine Worte in der Bergpredigt: „Sorgt euch nicht! Euch muss es zuerst um das Reich Gottes und um seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben! (Mt 6,25-34)

Lebendiger Kirchenraum

Mit seinem Chorbild lehnt sich Dietrich Stalmann an die gotischen Altarretabel an, deren Flügel unterschiedlich bemalt und entsprechend dem Kirchenjahr auf- oder zugeklappt waren. Mit seiner Kirchenjahresstele verfolgt der Künstler dasselbe Ziel. Die Bilder wollen in das Zeitgeschehen einbezogen werden, sie wollen Veränderung mitmachen, durch die Veränderung immer wieder neu ansprechen.

Die Kirchenjahresstele wird aus einem senkrechten Element gebildet, in das der liturgischen Zeit entsprechend drei verschiedenfarbige Tafeln eingesetzt werden können. Violett in der Advents- und Fastenzeit, Gelb in den Festzeiten, Grün im restlichen Jahreskreis. Ohne Bilder vermittelt sie gerade in der Fastenzeit eine befreiende Leere, die zum Denken anregt. Der Bildentzug signalisiert Buße, Einkehr, Umkehr. Zusammen mit der waagrechten Stahlschiene für die Aufnahme der Bilder erinnert die Stele entfernt an ein Kreuz.

Waagrecht können drei Bildtafeln der Stele vorgehängt werden: Georg, Maria, der Engel Gabriel. Wahlweise allein, zu zweit oder zu dritt. Der hl. Georg als Kirchenpatron übers Jahr auf der grünen Stele, Maria und der Engel in der Adventszeit auf der violetten oder an Marienfesten auf der gelben Stele. Mit allen drei Bildtafeln entfaltet die Kirchenjahresstele ihre Vollgestalt und kündet mit ihrer dynamischen Farb- und Formgebung von der Geistigkeit des Glaubens. Glauben ist etwas Unfassbares. Genauso wie Gott immer der ganz Andere sein wird. Doch durchweht nicht Gottes Geist die ganze Schöpfung und hilft ihr in der Erkenntnis Gottes? (vgl. „Der Geist des Herrn erfüllt das All …“ Kath. Gesangsbuch der Schweiz, 232) Brennt nicht seine Liebe in unseren Herzen? (Röm 5,5)

Mein Blick geht in das unendliche Feuer der Liebe Gottes, lässt mich die Weite Gottes erfahren (Ps  36,6) und etwas von der explosiven Kraft des christlichen Glaubens spüren.

Erst im Nähertreten sind die vom Heiligen Geist erfassten Gestalten von Maria, Georg und dem Engel zu erkennen. Georg als Kirchenpatron in der Mitte. Mit der Lanze den Drachen tötend ist er uns Vorbild im ehrenhaften und mutigen Kampf gegen das Böse. Wie er der Legende nach damals die Königstochter vor dem Tod bewahrt hat, mag er auch heute helfen, die Kirche Christi zu beschützen.

Maria wird gerade vom Engel besucht. Ganz ins Blau des Glaubens gehüllt, neigt sie sich von der göttlichen Botschaft überwältigt nach hinten. Was soll mit mir geschehen? Was hat Gott mit mir vor? Sinnfragen des Lebens klingen in ihrer Haltung an, die gerade in der Begegnung mit Gott noch spürbarer werden. Der Engel ist von grünen Farben umgeben – der Farbe des Lebens. Mit der Botschaft, dass sie den Sohn Gottes empfangen wird, bringt der Engel ihr keimendes Leben, Hoffnung für alle Menschen, die wie Maria glauben, dass sich Gottes Wort an ihr erfüllt. Jeden Tag und in jeder „Jahreszeit“ des Lebens wieder neu und anders – in der Kraft des Unfassbaren, alles durchdringenden und heiligenden Geistes Gottes.

Auferstehen

„Vor dem grünen Kreuz, das zum Lebensbaum wurde, steht der Auferstandene. Er ist die Frucht dieses Baumes, er gibt sich zur Speise – seinen Brüdern und Schwestern. Er teilt sein Wesen mit, sein verwandeltes, auferstandenes Leben. Nicht als philosophische Idee, sondern sich selbst – zu einem neuen Begegnen. In einer neuen Gegenwart, auf einer neuen Ebene. „Ich bin das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist, damit sie (die Menschen) das Leben haben und es in Fülle haben.“ (Joh 5,33-35; 10,10)

“Seine Arme sind ausgebreitet, sie sind nicht mehr ans Holz genagelt, sie sind frei. Es ist, als bewegen sie sich leicht im Tanze, uns einladend.
Damit wir es immer wieder erfahren: in diesem auferstandenen Jesus, dem Christus, haben wir Anteil: an der Erde, am ganzen Kosmos, am Himmel.“ (Maria Hafner)

Mit diesen meditativen Worten der Künstlerin ist das Wesentliche gesagt. Ergänzend möchte ich noch auf das Kreuz und die Farben eingehen.

Das grüne Kreuz hat eine lange Tradition (z.B. Glasfenster in Chartres) und will sagen, dass aus dem Kreuz des Todes ein Kreuz der Hoffnung geworden ist durch den Tod und die Auferstehung Jesu. In das Holz des Kreuzes ist Leben eingekehrt, so dass es wieder grünt. Die Arme des Kreuzes gehen von einem Bildrand zum anderen – Ausdruck für eine Hoffnung, die über alle Grenzen hinaus geht und alle Menschen erfassen soll.

Vor diesem Kreuz des Lebens steht der „Lebendige“, der von den Toten Auferstandene. Ganz in Rot: Zeichen seiner Liebe, in der er für uns und zur Vergebung der Sünden sein Blut vergossen hat. Wie Maria Hafner schreibt, lädt Jesus uns ein, zu ihm zu kommen. Eine Einladung, an seinem neuen Leben teilzuhaben. Die vielen Farben um Jesus herum suggerieren, dass er uns zur Freude einlädt, die diese innige Kommunion mit ihm beinhaltet. Eine Freude, wie sie beim Aufblühen eines Gartens und ein Verweilen in ihm empfunden wird. Das Paradies von Adam und Eva klingt hier an, als sie in unmittelbarer Gemeinschaft mit Gott wohnten (Gen 2,4-25; 3,8) wie das endzeitliche Jerusalem, das in allen Farben leuchtet und wo Gott lichtvoll in ihrer Mitte wohnt ( Offb 21,9 – 22,5).

Maria Hafner hat dieses Bild innerhalb einer Serie von acht Bildern geschaffen. Eine Bildmappe mit 8 Doppelkarten und Meditationstexten von Maria Hafner kann zum Preis von SFR 22,- (zzgl. Versandkosten) bezogen werden bei:

Margreta Camenzind
Weinbergstr. 7
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Tel./Fax: (0041) 041 780 26 18
e-mail: ma.camenzind@bluewin.ch

Palmsonntag

Jesus reitet auf einer Eselin in Jerusalem ein und erfüllt die Weissagung der Propheten Jesaja und Sacharia: „Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir. Er ist friedfertig und reitet auf einer Eselin.“ (Mt 21,4-5). Vor einem buntgemusterten Hintergrund, wo oben mit ein paar braunen Flächen Häuser angedeutet sind, ist in der Bilddiagonale eine Gruppe von Menschen prozessionsartig von rechts unten nach links oben unterwegs.

In ihrer Mitte kaum auszumachen Jesus auf der Eselin. Der Kreuznimbus hebt sein Haupt hervor und zeichnet seine Person aus. Mit dem Rücken zu uns winkt er der Volksmenge zu, die ihn wie in der Bibel beschrieben ausgelassen mit Palmzweigen bejubelt und Tücher aller Art auf dem Boden ausbreitet.

Doch bei genauerem Hinsehen sind Menschen zu entdecken, die sich ganz anders verhalten und – in unsere Zeit versetzt – uns etwas von der Aufregung und den Fragen ihrer Zeit spüren lassen (vgl. Mt 21,10). Der Mann mit Frack und Zylinder wie die junge Dame im Abendkleid lassen an eine Party denken, wo ein Star gefeiert wird. Zwei Rucksacktouristen gehen am Umzug vorbei, wie man in einer Fußgängerzone mit einem langen Kopfwenden kenntnisnehmend an einem Stand oder einem Performancekünstler vorbeigeht. Während ein Mönch und eine Klosterfrau ausgelassen tanzen, verhalten sich die Vertreter der Kirche liturgisch korrekt: In den entsprechenden Gewändern legen sie sich hingebend flach auf den Boden oder knien mit gefalteten Händen vor ihrem Herrn.

Mit etwas Abstand (!) folgt die Schar der Jünger. Die Heiligenscheine zeichnen sie als jene aus, die Jesus nachfolgen. Geschlossen stehen sie da, nur wenig Bewegung ist bei ihnen festzustellen. Was da geschieht, scheint sie zu befremden. Einer ist sogar in Ohnmacht gefallen oder so erschöpft, dass er von zwei anderen Jüngern gehalten werden muss. Ein Dritter scheint mit dem Arm auf Jesus weisend ihm zu sagen: Auf, nur nicht schwach werden, wir müssen ihm folgen!

Durch den bunten, fröhlich stimmenden Hintergrund wird Jesu Einzug in Jerusalem ein überzeitliches, globales und andauerndes Geschehen. Jesus zieht nicht nur jedem Palmsonntag liturgisch gefeiert in seine Kirche ein, sondern ist ununterbrochen daran, durch unseren Lebensalltag zu ziehen: Von den einen nur mit einem kurzen Seitenblick gestreift, von andern wahrgenommen und herzlich willkommen geheißen, wiederum von anderen missverstanden oder mit Abstand verfolgt. – Nehme ich wahr, dass Jesus bei mir Einzug halten will? Wie stehe ich zu ihm? Weiß ich ihn angemessen zu ehren, finde ich es einfach interessant oder halte ich mich auf Distanz, obwohl ich als getauftes Menschenkind zu seinen Jüngern gehöre?

Jesajas Worte „Siehe, dein König kommt zu dir“, richten sich ganz konkret an mich als Betrachter. Der Prophet sagt zu mir: Schau nur gut hin, du bist nicht ein (zeitlich) entfernter Beobachter dieses Ereignisses, sondern bist Teil dieses Einzuges. Jesus will in dein Herz einziehen. Tochter Zion, öffne weit deine Tore, juble laut deinem Herrn und König: „Hosanna, dem Sohn Davids! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn. Hosanna in der Höhe!“ (Mt 21,9)

Verhör

Nicht viel in diesem Bild lässt auf eine Kreuzwegstation schließen. Hier scheint es sich vielmehr um ein Kinderspiel zu handeln, wo ein Junge auf einem erhöhten Bürosessel den Chef spielt, ein Zweiter den gefesselten Angeklagten, zwei weitere die mit Pistolen und Maschinengewehr bewaffneten Soldaten. Die in den grellen Farben der Pop Art dargestellten Kinder sind in sportlicher Freizeitkleidung, haben rote Backen und schauen sich gegenseitig mit offenen Gesichtern an. Es kann sich nur um ein Spiel handeln …

… wenn da nicht Goldflächen und die anderen Bilder von Christopher Winter wären! Da hat ein Künstler es tatsächlich gewagt, den Kreuzweg mit Kindern darzustellen, stilistisch wie in einem Comic. Ob das nicht anstößig ist, die Grenzen des Respekts überschreitet? – Diese Bilder sind sicher eine gewaltige Herausforderung an unsere bekannten, durch Jahrhunderte tradierten und auch abgeschliffenen „Kreuzwegbilder“. Sie wollen anstößig sein, uns zum Stolpern bringen, zum Innehalten, Nachdenken anregen und durch ungewohnte Darstellungsweisen neue Sichtweisen ermöglichen.

Dabei hat Christopher Winter bewusst Bildelemente aus Bildern von Fra Angelico, Leonardo da Vinci und Piero della Francesca verwendet. In der Verbundenheit mit dem Geist der Renaissance hat er schöne Bilder geschaffen, was im Kontext der Gewalt irritiert. Will der Künstler das Leiden Christi beschönigen, mit Kindern verniedlichen?

Ich glaube nicht. Dafür spricht trotz allem Spielerischen zuviel Ernsthaftigkeit aus seinen Bildern. Die Referenz an die alten Meister ist unübersehbar, die vergoldeten Flächen lassen zu sehr ein heiliges Geschehen spüren. Passionsspiele kommen mir in den Sinn. Begeistert spielen da Erwachsene – also nicht nur Kinder –, die Passion Jesu Christi nach, weil sie am eigenen Leib (in der Rolle der einen oder anderen Person) die Erfahrung des Leidensweges machen wollen. So können die Kids eine Einladung an uns sein, den Kreuzweg in den Andachten nicht nur äußerlich mitzuschreiten, sondern wie bei einem Theater so zu verinnerlichen, dass wir die dargestellten Personen von innen heraus spüren und verstehen.

Vielleicht ist der Künstler deswegen von der üblichen Bildfolge des Kreuzweges abgewichen, um ein erneuertes inneres Mitgehen zu ermöglichen. Dem Bild vom Verhör durch Pilatus kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Weil Jesus die Frage des Pilatus „Bist du der König der Juden?“ bejaht (Mk 15,2),  wird er gedemütigt und zu Tode gekreuzigt. Die violetten Berge im Bild zwischen Jesus und Pilatus künden den steinigen Leidensweg an. Überstrahlt werden sie durch das Gold, das für die Herrlichkeit Gottes steht und durch den Heiligenschein Jesus als den Gottessohn auszeichnet, der für uns diesen Weg geht. Auch das Dreieck auf seinem T-Shirt weist auf seine Zugehörigkeit zur Dreifaltigkeit hin.

Der sitzende Junge mit der umgedrehten Basketmütze ist durch das „PP“ als Pontius Pilatus ausgewiesen. Mit seiner linken Hand zeigt er wie mit einem Revolver auf Jesus. Pilatus will endlich die Wahrheit hören über diesen Menschen. Im spannenden (von den Bergen unterstützten) Blickkontakt der beiden Hauptpersonen wird Jesu aufrichtige Antwort sichtbar: „Du sagst es.“

Im Gegensatz zum Glanz des Goldhintergrundes verblasst die farblich sehr ähnliche Mütze des Pontius Pilatus. Ganz unscheinbar spricht der Künstler damit die in Johannes 19,10-11 diskutierte Machtfrage an und sagt in seiner Sprache: Die Macht des Pontius Pilatus kommt nicht an diejenige von Gott heran. Zwei weitere Details führen die Gedanken weiter. Die schwere Halskette des Pilatus erinnert mehr an ein Absperrschloss als an ein Schmuckstück  (auch wenn die Goldkette wie die umgedrehte Basketmütze von Gangland-Chefs in Los Angeles und Miami oft als Kennzeichen ihrer Gang getragen wird)! Ist er vielleicht seinerseits Gefangener? Gefangener des Bösen? Dann wären auch die beiden aus der Mütze hervorstehenden Haarsträhnen nicht ganz zufällig, sondern vielmehr stille Hinweise darauf, dass sich im Verhör nicht nur Jesus und Pilatus gegenüber- stehen, sondern letztlich Gott und sein Widersacher.

Der Bürostuhl versetzt diese Szene dann in die Chefetage eines Konzerns und verbindet sie mit unserem Alltag. Kommt das Böse nicht überall in unserem Leben vor und fordert von uns Stellungnahmen in unserem Tun und Denken? Stellungnahmen zur Wahrheit, zum Guten, zu Gott – auch wenn die Folgen unbequem sind?

Weitere Stationen des Kreuzwegs können auf der Website des Künstlers angeschaut werden.

Verkündigung

„Freue dich Maria, denn du hast bei Gott Gnade gefunden. Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären: dem sollst du den Namen Jesus geben. Er wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden. Gott der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben. Er wird über das Haus Jakob in Ewigkeit herrschen, und seine Herrschaft wird kein Ende haben.“ (Lk 1,30-33)

Die Botschaft des Engels an Maria sprengt alles menschlich begreifbare. Kein Wunder fragt Maria zurück: Wie soll das geschehen? Dietrich Stalmann will mit seiner Malerei dieses unbegreifliche und damit geheimnisvolle Geschehen aufgreifen. Seine leuchtenden Farben und die ungegenständlichen Formen bringen die göttliche Gnade zum Ausdruck, das Wirken des Heiligen Geistes.

Als Grundlage seines Bildes verwendet der Künstler die SW- Fotografie einer Verkündigungs- Ikone aus dem 17. Jahrhundert. Davon sind nur noch die Köpfe von Maria (mit Heiligenschein) und dem Engel deutlich zu erkennen. Das Wesentliche des alten Gemäldes ist beibehalten worden, in der Tradition der Kirche respektiert. Alles andere ist unter der Neuinterpretation von Dietrich Stalmann verschwunden.

Auffallend ist die Anordnung der Farben. Blau, Weiß und Braun unten, Gelb und Grün oben. Dann größere lockere Elemente von links oben vor dem Engel durch, die vor Maria kleiner werden und festere Formen annehmen. Eine von der schwarzen Ecke ausgehende Bewegung ist somit feststellbar, die unsere Augen zu Maria führt und dort auf ihrem Schoss ruhen lässt. Wir erfahren die Botschaft des Engels.

Durch das Absenken der blauen, weißen und brauen Farbflächen in die untere Bildhälfte wird auch die Kraft Gottes spürbar, die über Maria kommend in ihre Welt einbricht. Wie in einer mystischen Schau werden wir Zeugen, wie Gottes Geist im gelben Licht zu Maria kommt (große gelbe Fläche) und sie durch ihr „Ja, mir geschehe nach deinem Wort“ zur „Lichtträgerin“ (kleine gelbe Fläche), Gottesgebärerin und -mutter wird. Zärtlichkeit spricht aus dieser Begegnung, in der Gott auf so einmalige und segensreiche Weise einen Menschen berührt hat.

Meine Augen bleiben unersättlich in dieser nicht enden wollenden Berührung – Gott will auch in mir Mensch werden –, bis sie vom gelben Feuerlicht wieder nach oben geführt werden, wo sie an zwei weiteren gelben Flächen hängen bleiben. Ihre schmalen länglichen Formen erinnern mich an das Kreuz, an das Ende des irdischen Lebens von Jesus. In seiner gelb leuchtenden Form spricht es allerdings auch von der Auferstehung, dem ewigen Leben bei Gott. Das tut gut.

Umgekehrt gesehen können die drei gelben Flächen auch als Symbol für die Dreifaltigkeit gedeutet werden. Vater und Sohn sich gegenüber im Dialog, von ihnen ausgehend der Heilige Geist. – Die „Verkündigung“ verkündet uns, dass Gott ununterbrochen sich in alle Menschenherzen eingießt, die für ihn offen sind.

Kreuz und Macht

Bei der ersten Begegnung mit diesem Bild müssen sich unsere Augen  zuerst orientieren. In chaotischen Strichen und Farben ist rechts ein mächtiger Soldat dargestellt, während links ein Mensch unter einem schwarz-grauen Kreuz zu entdecken ist. Es muss sich hier um einen Kreuzweg handeln, vielleicht sogar um jenen von Jesus. Der Bildausschnitt zeigt vom ganzen Weggeschehen nur diese beiden Personen: Es sind keine Schaulustigen zu sehen, es gibt keine Hinweise, ob das Bild als Kreuzwegstation gedacht ist. – Eigenartig, dass der Kreuztragende so klein ist und nicht wie auf anderen Darstellungen im Mittelpunkt dargestellt wird. Spontan kommt mir beim Größenvergleich auch David und Goliath in den Sinn.

Den Maler scheint die Auseinandersetzung zwischen dem Soldat und dem Kreuztragenden bewegt zu haben. Wir kennen viele Bilder von Machtausübung, Gewalt und Ungerechtigkeit aus Fernsehen und Zeitungen, die uns durch ihre Brutalität erschüttern. Dafür ist dieses Ölbild trotz seinen wilden Pinselstrichen bereits zu brav und schön. Wo es aber zu berühren vermag, das ist das Ungleichgewicht zwischen den Protagonisten und den Welten, die sie voneinander trennen.

Auf der rechten Bildhälfte ist raumfüllend ein Soldat gemalt. In seiner Rüstung und dem steil aufgerichteten Speer demonstriert er unbarmherzige, herzlose Macht. Noch sitzend ist er groß, stehend würde sein Oberkörper und Kopf über die obere Bildkante hinausragen. Wie ein Pfau sich mit seinem Rad schmückt, leuchtet der Soldat in allen Farben der von ihm repräsentierten Macht. Grimmig schaut er auf sein Opfer, die Waffe und seine langen schwarzen Finger jederzeit zum Einsatz bereit. An ihm führt kein Weg vorbei, jeglicher Rückweg ist versperrt.

Dem Mensch auf der linken Bildhälfte bleibt nur der Weg nach vorn. Das Kreuz liegt wie ein Pfeil auf seinen Schulter, direkt vom Soldaten ausgehend. Die Macht, der er dient und die er darstellt, hat es ihm aufgebürdet. Vom Mensch ist nicht viel übrig geblieben – nur der Kopf und die langen Beine sind zu sehen. Der Oberkörper scheint im Kreuz aufzugehen – sein Schicksal, das Kreuz, hat sich seiner bemächtigt. Die Füße wollen einen anderen Weg gehen, doch der Wille treibt ihn weiter. Nichts ist zu spüren von der Außerordentlichkeit der Person. Kein Heiligenschein zeichnet ihn als Gottessohn aus. Im Gegenteil. Wie alle Unterdrückten muss er den Weg im Staub dieser Erde gehen – farblos, wie entleert – gedrängt von der Willkür der Machthabenden.

Was gibt ihm die Kraft seinen Weg zu gehen? Im ersten Lied vom Gottesknecht gibt Jesaja folgende Worte Gottes wieder: „Seht, das ist mein Knecht, den ich stütze; das ist mein Erwählter, an ihm finde ich mein Gefallen. Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt, er bringt den Völkern das Recht. Er schreit nicht und lärmt nicht und lässt seine Stimme nicht auf der Straße erschallen. .. Er wird nicht müde und bricht nicht zusammen, bis er auf der Erde das Recht gegründet hat.“ (42,1-2.4)

Die Kraft des Kreuztragenden liegt außerhalb von ihm. Der Maler hat sie in den hoffnungsvollen und kräftigen Farben dargestellt. Blau steht für den Glauben – in ihm ist dieser Mensch verwurzelt. Grün drückt die Hoffnung aus, das Wachstum, die Zukunft. Und über ihm das helle Licht der Sonne für die Nähe und die erbarmende Liebe Gottes.

So finden sich trotz des Ungleichgewichts der Personen Trost und Zuversicht auf der Seite des Kreuztragenden. Und dieser Trost, dieser Halt, diese Hoffnung steht allen zu, die wie Jesus ein schweres Kreuz zu tragen haben. Die kleine graue Gestalt steht für alle durch menschliche Ungerechtigkeit Kleinge- machten, Verfolgten, Ausgebeuteten, Misshandelten, zu Tode Geplagten. Wenn sie auch wie Jesus von allen „guten Geistern“ verlassen / getrennt worden sind, dürfen wir die Gewissheit haben, dass Gott diese Armen nicht verlässt (vgl. Ps 9).