Nachfolge

Weiß-grau hebt sich das zentrale Bildereignis vom gelbroten Hintergrund ab. Menschliche Konturen sind zu erkennen, ein großes Auge, die Umrisse einer orthodoxen Kirche. Farblos erscheinen die Formen, unerfüllt, sie geben sich als leere Räume, die erst gefüllt werden müssen.

Durch die breite, grau schraffierte Fläche scheint die menschliche Gestalt sich nach links zu bewegen, der Kirche zugewandt. Wie bei einem gesprungenen Ei durchzieht eine gezackte Linie die menschliche Form – die durchaus auch für seine Seele stehen könnte – von oben nach unten und signalisiert Erschütterung, Zerrissenheit, vielleicht auch Aufbruch. Der rechten Seite nach zu schließen, ist ein Teil von ihr weggebrochen und hat eine tiefer liegende Schicht freigelegt, die in Verbindung mit der Kirche steht und von der diagonalen, schraffierten Fläche dominiert wird.

Was diese wie ein Berg ansteigende und an eine Felsoberfläche erinnernde Fläche wohl zu bedeuten hat? Gleichzeitig ergeben die sich kreuzenden Linien eine Gitterstruktur und lassen darin ein Netz erkennen. Könnte damit die Berufung des Petrus angesprochen sein, der vom Fischer zum Stellvertreter Christi auf Erden berufen worden ist? „Kommt her, folgt mir nach!“, sagte Jesus zu ihm und seinem Bruder Andreas, „Ich werde euch zu Menschenfischern machen.“ Worauf beide die Fischernetze liegen ließen und ihm nachgefolgten. (Mt 4,19-20)

Später sagte Jesus zu ihm: „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen.“ (Mt 16,18; vgl. Joh 4,42) Ein großer Auftrag, den Jesus dem einfachen Fischer anvertraute. Aber baut Gott letztlich nicht auf jeden von uns seine Kirche? Soll nicht bei jedem von uns der Glaube an Ihn so fest und widerstandsfähig sein wie Gestein? Sind wir nicht alle berufen, Zeugnis von unserem Glauben zu geben und als Menschenfischer für unseren Gott tätig zu sein?

Das Bild von Wolfgang Franken könnte also ein Bild jedes einzelnen von uns sein. Ein Bild der Berufung, bei der es gilt, „Farbe zu bekennen“ und dadurch viel leeren Platz aufzufüllen. Ein Bild der Erschütterung und der Zerrissenheit, die mit jedem Anruf Gottes einhergehen, weil er aus der vertrauten und dadurch oft auch bequemen Welt aufbrechen heißt, und das zudem mit dem anspruchsvollen Auftrag, sein Wort zu leben und zu verkünden, damit die kirchliche Gemeinschaft lebt und wächst. Zu guter Letzt könnte es auch ein Bild der Verwandlung sein. Wer Christus nachfolgt, wird zu einem neuen Menschen. Die goldene Fläche hinter dem Kopf lässt mit ihrem Glanz und ihrer Kostbarkeit an Gott denken, der rückenstärkend mit seinen Berufenen mitgeht, ihnen „Flügel“ verleiht und durch sie Seine heilige Gegenwart aufleuchten lässt. „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir“, fasste Paulus seine Erfahrung im Brief an die Galater (2,20) zusammen.

Kyrie Eleison

Vertikale Elemente prägen dieses in verschiedenen Grautönen gehaltene Bild. Da ist das schmalere, aber dunklere Feld auf der linken Seite, auf dem vier schwarze, parallel geführte Linien je ein helles Rechteck am oberen und am unteren Bildrand verbinden. An dicke Kabel erinnernd bringen diese dunklen festen Linien auf dem wärmeren Teil des Bildes einen ununterbrochenen Austausch zwischen oben und unten zum Ausdruck, dem durch die Festigkeit auch eine Sicherheit innewohnt.

Was für einen Kontrast bildet daneben die fragile Leiter in einem kühleren Farbraum. Durch die sieben horizontalen schwarzen Striche, welche an Leitersprossen denken lassen, werden auch hier Oben und Unten miteinander in Verbindung gebracht. Doch die dünnen Seile der Hängeleiter sind oben unterbrochen und scheinen herunterzufallen, auch unten links fehlt ein Stück. Gegenüber der gleichgestellten Beziehung auf der linken Seite wird hier betont, dass mit eigenen Mitteln der Aufstieg nach oben nicht möglich ist.

Noch weiter rechts ein drittes vertikales Element. Es hebt sich vom Hintergrund kaum ab, doch ist eine Bewegung von unten und von oben erkennbar, welche zu einer Begegnung im goldenen Schnitt führen kann. Im weißlichen Farbfeld ist ein bläuliches Quadrat so angeordnet, als würde es dem oberen Farbfeld entgegengehalten.

Abschließend sind feine Pinselspuren zu beobachten, die alle Grauschattierungen durchziehen und etwas vom Leben erahnen lassen, welches trotz der Farblosigkeit in dieser vertikalen Beziehung pulsiert.

Ob wir das Bild ohne den Hinweis des Künstlers mit dem „Kyrie eleison“ in der Liturgie in Verbindung gebracht hätten? – Wohl kaum. Inspiriert von der geistlichen Musik, hat Johann P. Reuter, der als Chorsänger die Messen von vielen Komponisten mitgesungen hat, das Ordinarium der römischen Messgesänge – Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Agnus Dei und Benedictus – in ein abstraktes, ästhetisches Formenspiel übersetzt, in dem die Linien, Formen und Farben tiefgründig die spirituelle Botschaft des liturgischen Geschehens zum Ausdruck bringen.

„Kyrie eleison“ entstammt der griechischen Sprache und bedeutet „Herr, erbarme Dich“. Mit diesem Gesang rufen die Gläubigen ihren Herrn Jesus Christus an und preisen sein großherziges Erbarmen. Sie treten als vergängliche und mit Fehlern behaftete Menschen vor ihren Schöpfer und Heiland, ihre Schuld bekennend und gleichzeitig auf sein barmherziges Handeln hoffend. Voraussetzung ist eine Gottesbeziehung, die im Glauben, der Hoffnung und der Liebe lebt.

Diese verschiedenen Facetten der Kyrie-Akklamation können aus dem Bild herausgelesen werden. Links die starke und feste Glaubensbeziehung, in der auf vielerlei Weise kommuniziert und Geborgenheit erfahren wird. In der Bildmitte, eingedenk der schwachen menschlichen Voraussetzungen, der flehentliche Bittruf um Erbarmen und helfenden Beistand. Rechts das gnädige „Herunterbeugen“ Gottes zum reumütigen Beter (helles Rechteck), der im Symbol des blauen Quadrates sein Leben und die ganze Welt Gott hinhält, damit Er sie in seinem Erbarmen umfängt und zu neuem Leben erweckt.

Ganzer Missa-Zyklus

Websites des Künstlers:
www.johann-p-reuter.de
www.j-p-reuter.de

Tür zum Leben

In einem doppelten Quadrat tritt uns das Bild gegenüber. Der Grund ist in flammendem Orange und Rot gehalten, lediglich im oberen Bereich ist er mit kräftigem Grün durchsetzt. Die quadratische Form wie die mit Sand durchsetzte Malfläche verweisen symbolisch auf die Erde. An verschiedenen Stellen sind stilisierte Pflanzenmotive zu erkennen, welche Bezüge zu Bäumen und Pflanzen herstellen und Gedanken an einen Garten, ja das Leben ganz allgemein, zulassen.

Die orangefarbene Fläche signalisiert feuriges Leben und könnte auch für die Freude darüber stehen, dass unser Planet Erde voller Leben ist. Zudem sind in die Fläche mehrfach die Zeichen I und X eingekerbt, die Anfangsbuchstaben von Jesus Christus (im griechischen Alphabet wird das X als „Ch“ ausgesprochen). Sie mögen zum Ausdruck bringen, dass Jesus ganz Mensch geworden ist und unter uns gelebt hat. Sie können uns aber auch sagen, dass Jesus der Grund der ganzen Schöpfung ist. – So sah es jedenfalls Paulus, wenn er im Römerbrief schreibt (11,36): Denn aus ihm und durch ihn und auf ihn hin ist die ganze Schöpfung.“

Besonders die Mitteltafel weist symbolisch auf Jesus und seine zentrale Position in der Schöpfung hin. Sein Wort „Ich bin die Tür“ aus dem Johannes-Evangelium aufgreifend (10,7), zeigt der Künstler einen stilisierten Türrahmen. Dabei setzt sich die Mitteltafel bereits durch ihre Beschaffenheit – sie ist im Gegensatz zur Leinwand aus Holz – und ihre Malweise – es wurden helle und lasierende Farben verwendet – vom sie „tragenden“ und umgebenden Grundquadrat ab. (Für den Künstler besteht zwischen den beiden Quadraten noch ein drittes, immaterielles Quadrat, welches die beiden Formen trennt, aber auch verbindet.) Dadurch bildet die Mitteltafel, obwohl sie materiell in unseren Raum hineinragt, ein immaterielles Fenster in einen uns gegenüberliegenden anderen Weltenraum. Nicht nur die gemalten Türpfosten, sondern die ganze lichte Mitteltafel laden demzufolge zum Hindurch- und Hineingehen in diese andere Welt in unserer Mitte ein, die in ihren Formen und Farben klarer, geordneter und ruhiger erscheint als ihr Umfeld.

Das Bild weckt die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies und lässt nicht nur durch die formale Verwandtschaft von Türrahmen und Joch die Einladung Jesu aus dem Matthäus-Evangelium (11,28-29) hören: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen. Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele.“

Jesus offenbart sich als Antithese zur Paradiespforte, durch welche sich die ersten Menschen durch ihre Sünde von Gott und dem von ihm für sie geschaffenen Lebensraum ausgegrenzt hatten (Gen 3,24). Der Gottessohn selbst ist die neue Türe, der neue Durchgang zur Fülle des Lebens (Joh 10,10), wie sie von Gott im Paradies für die ganze Schöpfung angelegt war. Nur Er kann dieses Eingangstor sein, weil er selbst Gott ist und daher von „innen her“ den Weg öffnen kann. Das seitenverkehrt unter der Mitteltafel stehende lateinische Wort „est“ scheint uns Jesus von der anderen Seite her zuzurufen. Er, der ganz und gar „ist“, ruft uns in die Fülle des Seins – durch die neue Beziehung und Verbundenheit mit Gott.

Dies bedeutet keine Distanzierung von dieser Welt. Der in der Mitteltafel beginnende und den Torbogen durchquerende Weg führt über die unseren weltlichen Lebensraum symbolisierende Grundplatte hinaus in die Höhe, in die geistige Welt. Bezeichnenderweise ist dieser Weg in einem satten Grün gemalt, der Farbe des neuen Lebens. Jesus ist „die Tür“ zum erfüllten Leben, er führt die ganze Schöpfung zur Vollendung – in ihm.

Die Kraft des Höchsten

Wie durch einen Schleier hindurch ist die sitzende Gestalt der Maria zu erkennen (Vorlage: Maria aus der Verkündigungsgruppe vom Alter der Sieben Freuden Mariens im Chor der Abteikirche von Brou, Franchcomté, um 1520). In ein weites Gewand gehüllt scheint sie beim Lesen der Heiligen Schrift gerade innezuhalten und den Kopf nachdenklich nach hinten zu neigen.

Ob das, was im Vordergrund geschieht, Ausdruck ihrer inneren Erfahrung ist? Zwei Dutzend pastos aufgetragene, fast weiße Kreisformen scheinen mit großer Leichtigkeit auf sie herunterzufallen. Sie können als Zeichen der Gnade, als „die Kraft des Höchsten“ (Lk 1,35) gelesen werden, die auf Maria herabkommt.

Das verhüllende Weiß des Bildes scheint dabei die Unschuld und die Reinheit des Immateriellen zu verkörpern. Insofern mag dieser nebulöse Schleier auch ein Ausdruck der göttlichen Gegenwart sein. Im Buch Exodus (40,34) wird überliefert, dass eine Wolke das Offenbarungszelt in der Wüste verhüllt und die temporäre Wohnstätte des Herrn mit seiner Herrlichkeit erfüllt habe. Ebenso erscheint uns Maria im Bild von einer Wolke verhüllt und lässt an den wunderbaren Moment denken, an dem sie durch die Kraft des Höchsten und von seiner Herrlichkeit erfüllt schwanger wurde. Maria wird so zum neuen Offenbarungszelt, aus dem heraus Gott sein ewiges Wort spricht. Hier klingen die Texte der Kirchenväter an, welche in Maria die neue Bundeslade sahen, die der Welt das neue Gesetz geboren hat: Jesus Christus.

Der Evangelist Johannes (1,14) bringt es mit prägnanten Worten auf den Nenner: „Das Wort ist Fleisch geworden!“ Auf dem lasierend gemalten Motiv der Maria erinnern die pastosen und damit sehr materiellen Kreisformen an die Verwandlung des Wortes zu Fleisch. Räumlich gesehen scheinen diese „materialisierten Worte“ perspektivisch auf Maria zuzufliegen oder von ihr empfangen zu werden.

Wie durch einen Schleier hindurch lässt uns der Künstler ehrfurchtsvoll an diesem einzigartigen Geschehen teilhaben. Die Verwendung einer alten Mariendarstellung sowie die „blasse“ Zeichnung Mariens mögen in die Vergangenheit weisen. Doch die Gnadenfülle, die Maria durch ihr gläubiges Ja-Wort bei Gott ausgelöst hat und die vom Künstler „schwebend“ zwischen Maria und den Betrachter gemalt wurde, fließt weiter und macht auf wunderbare Weise für Menschen Unmögliches möglich (Lk 1,37; 18,27). Damit bezeugt uns der Künstler, dass für ihn der Empfängnis „nichts Vergangenes, sondern im Gegenteil ein ganz gegenwärtiges Geschehen von hoher Präsenz“ innewohnt.

Geborgenheit

Das Bild ist vertikal in einen weißen und einen rot-schwarzen Teil gegliedert. Beide Seiten lesen sich von oben nach unten: Links durch einige geschriebene Worte, rechts durch drei gleichgroße Rechtecke, die sich von oben nach unten aufhellen, als würden sie immer mehr von der sie umgebenden Farbe durchdrungen werden.

Der Schriftzug „Von guten Mächten wunderbar“ scheint wie von weit her auf der Leinwand aufzutauchen, um dann nach „wunderbar“ wortlos in eine lichtvoll gestaltete Fläche überzugehen. Ähnlich wie bei Jesus am Kreuz (Mt 27,46) sind hier nur die ersten Worte des tröstenden Liedes wiedergegeben, das Dietrich Bonhoeffer im Konzentrationslager kurz vor seinem Tod geschrieben hat. Der Kehrvers allein zeugt schon von einem unerschütterlichen Glauben, einer tröstenden Gewissheit, dass Gott seine Treuen durch alle Not hindurch beschützt.

Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

Es macht den Eindruck, als hätte die wunderbare Offenbarung der Größe Gottes im Elend des deutschen Theologen, als hätte dieser bis in unsere Zeit hinein ungebrochene Krafterweis aus der Höhe die Künstlerin so in Staunen versetzt, dass keine weiteren Worte mehr nötig waren. Eine zeit- und raumlose Fläche öffnet sich dem Schauenden und offenbart gleichsam das Licht, in dem Bonhoeffer den Text verfasst hat. Damit rückt die Künstlerin seine Situation in die Nähe der Steinigung des Stephanus, der nach seiner Rede und kurz vor seiner Steinigung rief: „Ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen.“ (Apg 7,56) Die angedeuteten Gestalten in der belebten hellen Fläche könnten Hinweise auf diese Parallele sein!

Was die Künstlerin mit den drei Rechtecken wohl zum Ausdruck bringen will? Spiegelt sich in ihnen die Schwere des bevorstehenden Todes? Weist die rote Farbe auf das Blut der Märtyrer hin, das sie aus Treue zu Gott vergossen haben und in deren Fußstapfen Bonhoeffer tritt? Oder vermitteln die schwarzen Rechtecke letztlich die gleiche Botschaft wie die linke Bildhälfte, nur auf eine andere Weise? Durch ihre rechteckige, klar definierte Form können die dunklen Flächen für den betenden Menschen stehen.

So dunkel es in ihm am Anfang auch war, durch das Singen des Liedes scheint der fast undurchdringliche und dadurch schwere Anblick des Todes immer leichter und transparenter zu werden. Durch seine wachsende Zuversicht in die Nähe und die Güte Gottes wurde es in ihm immer heller, wird im warmen Rot unter allem Unverständlichen tröstend die Liebe Gottes in ihm sichtbar. Er erfährt die guten Mächte sowohl als ihn umgebende wie als ihn erfüllende, haltgebende Kraft! Und je tiefer er sich in die Liebe Gottes hineinfallen lässt, um so mehr darf er wie der Psalmist die wunderbare Größe der göttlichen Liebe erfahren: „Du umschließt mich von allen Seiten und legst deine Hand auf mich. Zu wunderbar ist für mich dieses Wissen, zu hoch, ich kann es nicht begreifen.“ (Ps 139,5-6)

Armut

Sind es Köpfe, menschliche Gesichter, die mir in diesen vier Zeichnungen begegnen? Tiefschwarz sind sie auf das hellbraune Material einer Kartonschachtel gezeichnet. Mit wenigen Linien, undeutlich, mit verwischten Grauschleiern wie mit markanten fleckengleichen Flächen.

Es sind keine schönen Gesichter, die mich da anschauen. Es sind vielmehr vier vom Elend gezeichnete Gesichter, unsauber, ungepflegt. Die mangelnde Hygiene hat ihre Spuren hinterlassen. Der Künstler hat sie schattenhaft und unscharf dargestellt, als hätten sie in der Gesellschaft bereits ihr Gesicht verloren.

Ähnlich wie der Karton, auf dem ihre flüchtige Erscheinung festgehalten wurde. Die Kartonschachtel war einmal etwas Wertvolles, Nützliches. Ein Gegenstand war mit ihm verpackt und vielleicht auch verschickt worden. Herunterhängende Klebstreifen kleben und hängen wie Zeugen dieser Reise am Karton. Nun hat er seinen Dienst getan und hätte weggeworfen werden sollen. Doch der Künstler hat ihn aufgehoben und für würdig befunden, das Trägermaterial seiner Zeichnungen zu werden. Er hat keine edle Leinwand gewählt, sondern einen alten, gebrauchten, wertlosen, unstabilen Karton.

Dadurch ist ein authentisches Kunstwerk entstanden. Trägermaterial und Dargestelltes haben die gleiche Aussage. Dadurch ist seine Arbeit auch unbequem geworden. Denn er stellt Gesichter, die in unserer Gesellschaft an den Rand gedrängt, ausgegrenzt, quasi versteckt werden, wieder in den Mittelpunkt. Portraits von Menschen, die auf solchen Kartons unter einer Brücke schlafen, sich mit ihnen notdürftig vor Kälte und Wind schützen.

Es ist gut, wenn uns solche Anblicke nicht unberührt lassen, sondern immer wieder neu zur wirklichen Begegnung mit den Armen bewegen, um sie durch Zuwendung und Teilen aus ihrer Ausgrenzung herauszulösen und wieder in die gesellschaftliche Gemeinschaft zu integrieren. „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan,“ sagt Jesus zu seinen Jüngern (Mt 25,40) und „wer ein solches [Menschen-] Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf.“ (18,5) Wer Jesu Wort beherzigt, darf die Hoffnung in sich tragen, dass wieder Leben, Farbe und Schönheit in die Gesichter der Armen einziehen werden, die dass die heimatlos auf dem Bildgrund schwebenden Köpfe wieder Anschluss an ihre Körper erhalten.

Bereit um …

Dieses Kunstwerk fällt wahrscheinlich zuerst durch seine ungewöhnliche Form auf. Auf einer geraden Basis stehend, führen die beiden Seiten in sanftem Bogen nach oben, um dort ein waagrechtes Kreissegment zu tragen. Die besondere Gestaltung ist durch die Verwendung einer Spanplatte möglich, deren Ränder gesägt oder gebrochen wurden.

Die äußere Form lässt an eine Vase denken, ihr grünlicher Farbton zusätzlich an patinierte Bronze. Doch hat der Künstler dieses Gefäß von außen oder von innen dargestellt? … Denn das leuchtende Blau irritiert. Wie Wasser liegt es am Boden des Gefäßes, über einen Dunstschleier sich schnell im weitenden Innenraum verflüchtigend.

In seiner Mitte fällt eine feine rote Farbspur auf. Wie eine rote Sonne schimmert sie durch den aufsteigenden Nebel hindurch. Wie eine Wunde gibt sie dem Vasenkörper zusätzliche Tiefe. Wie aus einer Quelle ergießt sich von ihr aus kaum wahrnehmbar etwas ins „Wasser“.

… mystische Assoziationen, die auch am oberen Abschluss des Gefäßes nicht aufhören. Der scharfe runde Rand deutet ein ganzes, unsichtbares Rund an, das gleichsam auf der Vase aufliegt. Ist die Kreisform ein Symbol für Gott, so könnte der Künstler mit der Vasenform unsere menschliche Kondition ansprechen, für das Transzendentale und Geistige offene, empfängliche Wesen zu sein.

In meinen Augen gibt dieses Kunstwerk eine Erfahrung wieder, die Paulus in wunderbar dichten und treffenden Worten in einem Brief an die Gläubigen in Korinth zusammenfasst:

„Wir verkünden nämlich nicht uns selbst, sondern Jesus Christus als den Herrn, uns aber als eure Knechte um Jesu willen. Denn Gott, der sprach: Aus Finsternis soll Licht aufleuchten!, er ist in unseren Herzen aufgeleuchtet, damit wir erleuchtet werden zur Erkenntnis des göttlichen Glanzes auf dem Antlitz Christi.
Diesen Schatz tragen wir in zerbrechlichen Gefäßen, so wird deutlich, dass das Übermaß an Kraft von Gott und nicht von uns kommt. Von allen Seiten werden wir in die Enge getrieben und finden doch noch Raum; wir wissen weder aus noch ein und verzweifeln dennoch nicht; wir werden gehetzt und sind doch nicht verlassen; wir werden niedergestreckt und doch nicht vernichtet. Wohin wir auch kommen, wir tragen das Todesleiden Jesu an  unserem Leib, damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar wird.“ (1 Kor 4,5-10)

Habemus Papam

Es gibt unzählige Fotos von der Verkündigung der Wahl Joseph Ratzingers zum Papst Benedikt XVI. Und Bilder? Thalia Uehlein versuchte es – mit einer inneren Schau dieses geschichtsträchtigen Momentes. Entstanden ist ein abstraktes Gemälde in roter und gelber Farbe.

Unmittelbar in die Augen sticht das bewegte gelbe Band, welches das Bild in der Mitte vertikal durchquert und mit seinen Schattierungen körperähnliche Formen bildet. Es scheint von außerhalb des Bildes zu kommen, durch es hindurchzufließen und unten weiterzugehen. Die roten Farbabstufungen der anderen Flächen lassen an ein Fenster denken, an dem dieses „Band“ steht oder durch das es in einen roten Raum gekommen ist.

Der Blick aus diesem Fenster ist verschleiert, denn der ganze Fensterbereich ist mit unregelmäßigen horizontalen Pinselstrichen überzogen, die wie eine Jalousie etwas Geheimnisvolles verhüllen und gleichzeitig doch teilweise offenbaren. Lässt sich nicht eine rosafarbene Wolke erkennen sowie rechts und links von ihr Durchblicke auf einen hellgelben Hintergrund?

Assoziationen werden wach: Gott erschien doch Mose in einer Wolke und sagte ihm, wie er die Israeliten zu führen habe (vgl. Ex 16,10). Und wie der „mobile Tempel“ für Gott gebaut und geweiht war, „verhüllte die Wolke das Offenbarungszelt, und die Herrlichkeit des Herrn erfüllte die Wohnstätte“ (Ex 40,34). Ist Gott im Ringen der Kardinäle um eine Entscheidung nicht auch gegenwärtig und offenbart er durch sie, bzw. den Papst, seine Pläne für sein Volk?

Das gelbe „Band“ könnte eine symbolische Darstellung des Heiligen Geistes sein, der erleuchtend in den Raum mit den versammelten Kardinälen eindringt. Sie tragen doch alle rote Kleider und sind bei der Wahl des neuen Papstes von der Liebe zu Christus und seiner Kirche erfüllt! In der Nachfolge der Apostel wählen sie im Hören auf den Heiligen Geist „aus ihrer Mitte“ (Apg 15,22) das Oberhaupt der Katholischen Kirche. Wie die Apostel könnten die Kardinäle nach der Wahl von der Loggia des Petersdomes herunter verkünden: „Der Heilige Geist und wir haben beschlossen“ (15,28)!

Wie eine Wirbelsäule verbindet der Heilige Geist (ist er nicht das Rückgrat unseres Glaubens, unserer Hoffnung und Liebe?) die „vielschichtigen“ Meinungen der Kardinäle und lässt sie in einer lichtvollen Entscheidung aufleuchten. Freudige Erleichterung ist spürbar: Habemus Papam – Wir haben einen Papst!

Lobpreisschale

Auf den ersten Blick ist nicht viel zu erkennen. Von der linken Seite her kommt eine geschwungene Form ins Bild hinein, welche die Senkrechten zu tragen scheint. Die warmen, diffusen Farben und die aufsteigenden Strukturen erinnern mich an ein Feuer.

Das Bild könnte tatsächlich ein Feuer darstellen, das in einer Schale brennt.

Ähnlich den Flammen steigen in mir Gedanken und Erinnerungen auf. Geläutert durch die zeitliche Distanz schwingt warmer Dank mit, Dankbarkeit gegenüber Dem, der mich all das erfahren und erleben ließ. Geheimnisvoll wie die klar definierte Senkrechte in der Mitte des Bildes steht Er in meinem Leben, zentriert und orientiert es. Wie der Docht in der Kerze steht Er in der Mitte meines Lebens und lässt es in der Dankbarkeit lichtvoll und schön werden.

Diese Dankbarkeit verwandelt meine Erinnerungen, ja mein ganzes Leben bis in die Gegenwart hinein in ein unaufhörliches Lobpreisgebet vor Gott. Wie wohlriechender Weihrauch steigt es vor Gott auf (vgl. Ps 141,2; Offb 8,4) und verherrlichlicht Den, der mir das Leben mit allem, was es beinhaltet, geschenkt hat.

Der Lobgesang der drei jungen Männer ertönt in mir, die von König Nebukadnezzar wegen ihres Glaubens an den einen Gott in einen glühenden Ofen geworfen wurden, dort aber durch einen Engel des Herrn so beschützt wurden, dass ihnen das Feuer nichts anhaben konnte. Ihr Lobpreis rühmt und preist Gott in seinem Wesen und Wirken und fordert die ganze Schöpfung auf, in diesen Lobpreis einzustimmen (vgl. Dan 3,51-90). Die Thematik vieler Psalmen wird hier aufgenommen (vgl. insbes. Ps 103-106), aber auch die feurige Dankbarkeit von Lobgesängen aus dem Neuen Testament. Als Beispiele seien nur das Magnifikat der Maria (Lk 1,46-55) und das Benedictus des Zacharias (Lk 1,68-79) erwähnt.

Aus der Gegenwart höre ich noch einen weiteren Lobpreis in mir. Einen, der bei der Jesus-Bruderschaft in Gnadenthal ein fester Bestandteil des Gebetes ist und so tönt:

„Dass Du mich einstimmen lässt in Deinen Jubel, o Herr,
deiner Engel und himmlischen Heere,
das erhebt meine Seele zu dir, o mein Gott;
großer König, Lob sei Dir und Ehre!“

Thron Gottes

Gelb, Weiß und Rot geben diesem mehr oder weniger symmetrisch aufgebauten Aquarell den farblichen Ausdruck. Im unteren Drittel bildet ein dunkles Rot die Basis des Bildes. In seiner Mitte führen hellere Rechtecke wie Stufen oder ein Teppich zu einem sesselartigen hellen Gebilde, dessen „Armlehnen“ den Bildrand berühren. Darüber die durch ein dunkleres Gelb vom Hintergrund abgesetzte Rückenlehne dieses ungewöhnlichen Sitzes.

Den oberen Abschluss bildet ein horizontales Band, das mit freien Handbewegungen rot und blau dekoriert worden ist. Es könnte der Baldachin sein, der diesen königlichen Thron überdacht. An seiner Unterkante bricht ein nach unten zeigendes lichtes Dreieck mit den sonst rechteckigen Formen. Es weist mit seiner Spitze auf den leeren Sitz.

Wer regiert von hier aus? Wer sitzt auf diesem Thron? Die gelben Farben deuten auf eine Lichtgestalt hin, die über der Erde herrscht. Denn die leicht gewölbte dunkelrote Basis könnte ein Ausschnitt der Erdkugel sein, deren Rot auf das Leben und die gelebte wie die  verletzte Liebe hinweist. Der Thron würde dann gewissermaßen überdimensional auf der Erde stehen, wie Jesaja den Herrn sagen hört: „Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel für meine Füße“ (Jes 66,1).

Der Himmel ist vom Glanz der göttlichen Herrlichkeit erfüllt (Ps 113,4). Alles ist Licht, nicht nur um den Thron herum, sondern auch innerhalb des Throns. Es ist, als weise das Dreieck auf dieses hellste Rechteck hin, das in seiner Verlängerung bis an den unteren Bildrand reicht. Ich höre die Stimme Gottes auf dem Berg der Verklärung zu den Jüngern sagen: „Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe; auf ihn sollt ihr hören“ (Mt 17,5).

In frühchristlichen Darstellungen des Thrones Gottes in Rom (4. Jh.) ist anstelle eines herrschenden Jesus die Heilige Schrift auf die Sitzfläche gestellt. Gott und auch Jesus sprechen zu uns durch das Wort, das uns in der Bibel überliefert und durch den Heiligen Geist eingegeben wird. Das hellgelbe Rechteck auf dem Thron mit dem schwach erkennbaren roten Kreuz in seiner Mitte könnte als Buch gedeutet werden, dessen Wort den suchenden Menschen erleuchtet und Licht auf seinem Weg ist (Ps 119,105). Das Rechteck hat für mich aber auch etwas von einem Tabernakel, in dem der Leib Christi aufbewahrt wird.

Ob Heilige Schrift oder Tabernakel, sie weisen auf den Herrn des Lebens hin, der sich uns unermüdlich in seinem Wort wie in seinem Leib schenken will. Was auf dem Bild als Thron dargestellt ist, das sollen wir selber sein: Ehrwürdiger, kostbarer Träger und Bewahrer des Allerheiligsten. Beim Kommunionempfang sollen unsere Hände ein Thron sein, im Alltag soll unser Leib Thron der göttlichen Weisheit sein, so wie Maria in der Kunst oft als Sedes sapientiae dargestellt wird. Durch sein Wort sollen wir so transparent sein, dass ER durch unser Leben hindurch für alle Menschen sichtbar wird.

Geist-Ausgießung

„Als der Pfingsttag gekommen war, befanden sich alle [Apostel] am gleichen Ort. Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie waren. Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab.“ (Apg 2,1-4)

Das Geschenk des Heiligen Geistes drückte sich bei den Aposteln durch Reden in fremden Sprachen aus. In seinen 160 Blätter umfassenden „Bibelübermalungen“ bringt Arnulf Rainer das Pfingstereignis ganz anders zum Ausdruck: Er übermalte nicht wie bei den anderen Blättern Vorlagen aus der Kunstgeschichte, sondern brachte drei völlig eigenständige Bilder hervor. Es ist, als wollte er damit die besondere Kraft des Heiligen Geistes noch mehr hervorheben. Eines dieser Blätter sei hier vorgestellt.

Der Ausgangspunkt des Bildes ist am oberen Rand. Alle Linien und Farben brechen dort mit konzentrierter Urgewalt hervor, um sich dann orkanartig und wie vor Lebensfülle wellenförmig hin- und herwindend auf die Erde zu ergießen. Der überirdische Strom erinnert mich an die Verheißung des Propheten Joel, dass Gott am Tag der Ausgießung des Heiligen Geistes „wunderbare Zeichen wirken [wird] am Himmel und auf der Erde: Blut und Feuer und Rauchsäulen“ (3,3).

Für den Propheten sind diese Zeichen wunderbar, weil sie Befreiung bedeuten. Rot verweist einerseits auf das Blut Christi, durch das er uns von unseren Sünden erlöst (Offb 1,5) und für Gott erkauft hat (5,9). Andererseits weisen Rot und Gelb auf die feurige Kraft des Heiligen Geistes hin. Gottes Geist ist Wärme und Licht, der die Wahrheit an den Tag bringen wird (vgl. Jes 32,15-17; Joh 16,13), er ist die in unsere Herzen ausgegossene Liebe Gottes (Röm 5,5b), in der er uns belebend durchglüht und zu gutem Denken und Tun anfeuert und begeistert.

Links und rechts ist dieser stürmische Flammenregen von sanften Farbtönen begleitet, die diesem Bogen etwas friedvolles geben. Parallelen zum Regenbogen tauchen auf, den Gott als Zeichen des Bundes „in die Wolken“ gesetzt hat (vgl. Gen 9,8-17). Brach nicht mit Pfingsten ähnlich wie nach der Sintflut etwas ganz Neues an? Gott schenkte allen Menschen seinen Heiligen Geist! Nicht nur denen, die im Hauptstrom stehen, nein, auch denen im Abseits, wie mir das Bild tröstlich zu verstehen gibt.

Das Bild weckt in mir die Sehnsucht, mich unter diesen pfingstlichen Gnadenstrom zu stellen und mich wieder neu von Gottes Liebe, Licht, Gerechtigkeit und Frieden durchströmen und erfüllen zu lassen – um ganz Mensch zu werden, Mensch nach seinem Abbild (Gen 1,27)!

Fenster zur Ewigkeit

Wie ein übergroßer Tabernakel zieht dieses Diptychon den Blick des Besuchers auf sich. Unterstützt durch die Architektur der Kirche – ihre schlichte Ausstattung wie die Platzierung unter dem Chorbogen in der Apsis – kann dieses Bild seine Wirkung als Fenster in die Ewigkeit entfalten.

Der Künstler versteht seine Arbeit als Versuch über das irdische Leben und die glückselige Ewigkeit. Dadurch stellt er es in die räumlichen und zeitlichen Spannungsbögen „Erde – Himmel“ und „Zeit – Ewigkeit“.

Mit irdisch begrenzten Mitteln hat Robert Weber den „Sprung“ von hier nach dort gewagt. Das vertikale Format hat allein schon Verweischarakter. Das Bild besteht im Wesentlichen aus zwei identischen, rechteckigen, mit Blattgold belegten Holzplatten, die in der Mitte durch ein gleichgestaltetes Streifenelement getrennt, bzw. verbunden werden. Ist damit angedeutet, dass Himmel und Erde nicht zu verwechseln sind, aber alles Irdische in seiner ganzen Größe in die Ewigkeit eingehen wird?

Die weiße Lichterscheinung – nur eine Wolke oder gar eine Lichtgestalt? – deutet den Übergang an. Alles Irdische ist berufen, in die Ewigkeit einzugehen. Was hier unten mit dem irdischen Leben anfängt, wird im Himmel vollendet. Die Lichterscheinung ist für mich ein Hinweis auf den Auferstandenen, der uns zu seinem Vater vorausgegangen ist und damit den Weg zu Ihm bereitet hat, wie er es seinen Jüngern verheißen hat: „Wenn ich gegangen bin und einen Platz für euch vorbereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir holen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin.“ (Joh 14,2-3)

Die roten Farbflächen erinnern mich unter anderem an das pulsierende Leben, das Zeugnis der Liebe und an freudige Glücksgefühle. Unten rechts kommen sie mir wie Samenkörner vor, aus denen die Fülle unserer Existenz hervorgeht. Von Gott in uns hineingelegt, wie die fast spiegelbildliche Anordnung suggeriert, durch Jesus neu belebt: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10)? Begleiten deshalb rote Farbspuren die Lichtgestalt hinauf und hinunter? Weil wir erst durch das Geschenk und dadurch die Erfahrung der unendlichen Liebe Gottes befähigt sind, an der göttlichen Lebensfülle teilzuhaben, und unsere Liebe erst vollendet und in die Ewigkeit eingehen wird, wo wir IHN und einander zu lieben vermögen?

Ein Wort aus dem Hebräerbrief vermag vielleicht auf seine Weise zusammenzufassen, wie mir das Bild Verheißung und Ermutigung im Glauben geworden ist: „Lasst uns mit Ausdauer in dem Wettkampf laufen, der uns aufgetragen ist, und dabei auf Jesus blicken, den Urheber und Vollender des Glaubens; er hat angesichts der vor ihm liegenden Freude das Kreuz auf sich genommen, ohne auf die Schande zu achten, und sich zur Rechten von Gottes Thron gesetzt.“ (Hebr 12,1b-2)

Geißelung

Eigentlich ist auf diesem Bild nichts Christliches zu sehen. Allein der Titel „Geißelung“ könnte auf einen vom Künstler beabsichtigten Zusammenhang mit der Geißelung Jesu hinweisen (Mt 27,26-30). Die unscharf dargestellten Gewaltszenen mögen eine Verständnis- brücke bilden.

Das Bild ist in drei Ebenen gegliedert. Die dunklen Farben wie die rechts vom Bildrand eingeschobene Begrenzung verbinden die obere und die untere Darstellung. Oben stellen zwei Polizisten mit Helm und Atemschutz gerade einen Mann mit erhobenen Armen an die Wand. Was er wohl verbrochen hat? Hat er vielleicht etwas mit dem weißen Plakat hinter seinem Kopf zu tun, das zu einer Demonstration gegen die Obrigkeit aufrufen könnte?

Schwarz und gelb eingerahmt, wird in der darunter liegenden – von rechts her eingeschobenen – Szene ein Mann von zwei Polizisten abgeschleppt. Nur die Füße und Beine sind klar zu erkennen. Hatte er den Mut, in einer Kundgebung das Unrecht der Mächtigen anzuklagen?

Links davon schaut eine in Umrissen gemalte kniende Frau den Betrachter an. In ihrer Nacktheit ist sie unseren Blicken bloßgestellt. Die Ehebrecherin kommt mir in den Sinn und die Worte Jesu: „Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe als erster einen Stein auf sie.“ (Joh 8,7).

Wo die Mächtigen sich nicht selbst getrauen, Gewalt auszuüben, da senden sie Soldaten aus, für sie in den Krieg zu ziehen und mit Gewalt ein Land zu erobern oder ein Recht durchzusetzen.

Stellenweise tropft auf dem Bild die Farbe wie Blut herunter. Die einzelnen Szenen sind wie mit dem Pinsel geschlagen, gegeißelt worden. Gewalt und Folterung wurden auf das Bildmaterial übertragen und lassen verstärkt spüren, dass nicht nur körperliche Gewalt den Menschen geißelt, sondern auch ethische Diskriminierung und Machtmissbrauch. Das Leid kennt vielfache Formen.

Das Bild lässt mich nachdenken über die Grausamkeiten der Menschen, die ihre eigenen Rechte und Gesetze durchsetzen wollen. In den Worten des Psalmisten höre ich den Hilferuf der Unterdrückten und Geschlagenen: „Gott, freche Menschen haben sich gegen mich erhoben, die Rotte der Gewalttäter trachtet mir nach dem Leben; doch dich haben sie nicht vor den Augen. Du aber, Herr, bist ein barmherziger und gnädiger Gott, du bist langmütig, reich an Huld und Treue. Wende dich mir zu und sei mir gnädig, gib deinem Knecht wieder Kraft, und hilf dem Sohn deiner Magd.“ (Ps 86,14-16)

Das Bild lässt in mir auch die Frage nach der Gewalt in der Kirche aufsteigen, wo es auch vorkommen kann, dass im Namen Gottes eigene Interessen verteidigt werden. Letztlich stellt das Bild an mich Fragen: Wo marschiere ich mit, klage ich im Kollektiv, ohne zu hinterfragen, Menschen an und mache ich mich mitschuldig? Wo bürde ich Schwächeren – wie auf dem Bild kaum sichtbar – ein Kreuz, eine Last auf durch meine Rechthaberei, mein Beharren auf meinen Rechten, weil ich nicht Toleranz und Erbarmen übe?

Jesus sagt dagegen: „Selig die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit finden.“ (Mt 5,7)

Mitleid

Vor einem rot-weißen Hintergrund laufen drei Männer auf den Betrachter zu. Sie tragen eine vierte Person. Die grauen Gestalten und die rot eingefärbte irreale Landschaft lassen an eine Kriegsatmosphäre denken. Die Erde ist vom Blut der Ermordeten getränkt, der Himmel brennt im Widerschein der vernichteten Städte. Aus den Menschen ist alle Lebensfarbe und -klarheit gewichen. Übriggeblieben sind schattenhafte, unscharfe Wesen, die um ihr Leben rennen – und um dasjenige, das sie gemeinsam auf den Armen tragen.

Das Bild erinnert an Fotos aus Kriegs- und Katastrophengebieten. Es erinnert an das stets neu auf die Menschen übergreifende Leid durch Menschen- oder Naturgewalt. Die Frage, die Gott an Kain stellt: „Was hast du getan? Das Blut deines Bruders schreit zu mir vom Ackerboden“ (Gen 4,10), könnte auch unsere Frage sein. Die Handlung der Männer wie der blutrote Hintergrund wecken in mir Mitleid und Solidarität.

Als Betrachter werde ich auch dadurch angesprochen, dass die drei Männer mit dem Verletzten auf mich zulaufen! Die mittlere Person schaut mich an und ruft mir unhörbar etwas zu. Sie scheinen den Verletzten zu mir aus dem Bild heraus in die Sicherheit reichen zu wollen, damit ich ihre helfende Geste fortführe, sie in ihrer Erschöpfung ablöse … wie auch immer.

Wir brauchen immer wieder solche oder andere Bilder, die uns aus unserer Trägheit und Bequemlichkeit aufrütteln, damit wir den Notleidenden und Armen unter uns nach unseren Möglichkeiten zu Hilfe eilen – so wie Jesus! Was wir ihnen zu Liebe tun in unserem Mitleid ist nicht nur Nächstenliebe, sondern konkret gelebte Gottesliebe. Denn: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,40) sagt Jesus im letzten Gleichnis vor seinem eigenen Leidensweg.

Vergänglich?

Nur ganz schwach ist das Gesicht einer Frau zu erkennen. Unheimlich behutsam hat der Maler die Farben aufgetragen, die Kopfform angedeutet, Augenhöhlen, Nasenansatz und Mund leicht hervorgehoben, die Haare farbig angetönt.

Wie ein sanfter Windhauch liegen die Farben auf dieser Leinwand und lassen vor unsern Augen ein feingliedriges Gesicht aufscheinen – zerbrechlich und vergänglich. Die Schönheit dieser Frau ist noch zu erahnen, doch die Farben sind verblichen. Ihre Zeit scheint vorbei zu sein.

Jedes Jahr zu Beginn der Fastenzeit wird den Christen – mitten im blühenden Leben – ihre Vergänglichkeit in Erinnerung gerufen, wenn der Priester in der Aschermittwoch-Liturgie das Aschenkreuz auf ihre Stirn streut und sagt: „Bedenke, Mensch, dass du Staub bist und wieder zu Staub zurückkehren wirst.“

Das Bild von Robert Weber erinnert mich an diese aufrüttelnden Worte. Irgendwann wird unser Lächeln erstarren, die Augen sich für immer schließen, unser Körper durch Verbrennung oder Verwesung wieder zu Staub zurückkehren. Wie auf dem Bild wird unsere Schönheit, unser Leben nur wenige Spuren auf dieser Erde hinterlassen, wenn überhaupt.

Dem entgegnend berichtet die Bibel von der unverbrüchlichen Liebe Gottes, in der wir über den Tod hinaus Geborgenheit und Bestand haben. Jesaja erzählt von der Antwort Gottes auf die Angst der Bewohner Jerusalems, von Gott vergessen zu werden: „Kann denn eine Frau ihr Kindlein vergessen, eine Mutter ihren leiblichen Sohn? Und selbst wenn sie ihn vergessen würde, ich vergesse dich nicht. Sieh her: Ich habe dich eingezeichnet in meine Hände, deine Mauern habe ich immer vor Augen.“ (49,14-16)

Gott vergisst keinen Menschen, er hat jeden einzelnen von uns stets vor Augen! So vergänglich wir im Leben mit unserem Wesen und Werken sind, so unvergänglich verheißt uns die Liebe Gottes im Tod das ewige Leben (vgl. dazu Joh 12,14-26 und Röm 5,1).

Jetzt

Ist es nicht verwegen, den jetzigen Augenblick in einem gemalten Bild einfangen zu wollen? Käme dem“ Jetzt“ eine fotografische Momentaufnahme nicht näher?

Wie Gesteinsschichten hat die Künstlerin waagrechte Farbschichten übereinander gestapelt, so dass der Eindruck eines großen Felsmassivs entstehen kann, von dem nur gerade ein Ausschnitt eingefangen werden konnte. Eine erste Spur? – Der jetzige Moment ist doch auch so etwas wie ein „Fenster“ aus dem größeren Ganzen der Zeit, die in ihrer unendlichen Größe ähnlich unfassbar wie ein Berg ist.

Über das ganze Bild verstreut sind auf diesem „Zeitberg“ vertikale, leuchtende, blaue Striche zu sehen. Sie scheinen wie Spuren hinterlassende Sternschnuppen von oben herab in den horizontalen Zeitfluss dieser Welt hineinzukommen und seine Gleichmäßigkeit zu durchbrechen, in dem sie leuchtende Augenblicke schaffen. Symbolisieren diese Striche den ach so flüchtigen Augenblick, der meist unbemerkt verstreicht? Wie um ausdrücklich darauf hinzuweisen, hat die Künstlerin unten in die Mitte das Wort „Jetzt“ hineingeschrieben.

Eine vage, hell leuchtende Dreiecksform zieht den Blick nach oben. Wie ein Zelt ruht die Erscheinung auf einem Absatz, der, durch die hellere Farbgebung entstanden, das Bild waagrecht durchquert. Von der unsichtbaren Spitze der Dreiecksform geht eine Kraft aus, die das ganze Bild durchströmt und auch uns als Betrachter in seinen Bann zu ziehen vermag. Es ist, als würde unser Blick auf einmal nicht mit der Zeit in die Zukunft oder die Vergangenheit gehen, sondern sich quer zur Zeit stellen – und dadurch des Augenblicks, des Jetzt’s gewahr werden.

Die weiße Dreieckserscheinung erinnert an den dreieinigen Gott, den Schöpfer der Welt. Er wohnt im “unzugänglichen Licht“ (1 Tim 6,16) und hat mit der Welt auch die Zeit geschaffen (Gen 1). Es ist der Blick auf IHN, der die Bedeutung und die Kostbarkeit des Augenblicks wahrhaben lässt. Wir können nur in der Gegenwart leben und aus ihr heraus handeln. Je intensiver und bewusster wir dieses Jetzt leben, um so erfüllter wird unser Leben am Ende sein.

Paulus schreibt an die Korinther: „Jetzt ist sie da, die Zeit der Gnade; jetzt ist er da, der Tag der Rettung.“ (2 Kor 6,2) Täglich, zu jeder Zeit, in jedem Augenblick macht Gott uns Menschen das Angebot, mit Ihm durch das Leben zu gehen. Mit seiner Gnade möchte er uns befähigen, die Zeit sinnvoll zu gestalten und zu nutzen, die Fülle der Chancen und Möglichkeiten im Jetzt zu erkennen und zu ergreifen.

Pulsierendes Leben

Ein leuchtendes Rot, das wie bei der Mikrofotografie durch den Mutterbauch von feinen Äderungen durchzogen ist und das den Augen verborgene Leben sichtbar macht. Leben, das aus der Liebe entstanden ist und von ihr gehalten wird.

Dieses Rot ist durch und durch lebendig, pulsierend vom Kreuz-Zentrum aus in die Höhe und die Tiefe, und ganz besonders nach links und rechts in die Breite. Seine Arme sprengen die Grenzen der „quadratischen“ Form, gehen bis zum Bildrand und scheinen darüber hinaus den Betrachter umarmen zu wollen.

Diese warmen und lichtvollen Rottöne in der Form eines Kreuzes – oder vielmehr einer Menschenbrust mit ausgebreiteten Armen – führen mich zur unermesslichen Liebe Gottes. Sie lassen mich Geborgenheit erfahren, seine göttliche, Leben schaffende Liebe spüren.

Ein Raum der Liebe tut sich mir auf, erfüllt von glühender Leidenschaft, wie in einem Schmelzofen unaufhörlich Neues schaffend. In diesen Rottönen finde ich den Anfang und das Ende des Lebens Jesu, in ihnen fließt das helle Blut des Lebens, das von seinem Herzen durch die Adern seines mystischen Leibes, der Kirche, fließt.

Geboren von der Jungfrau Maria, breitet sich – wie die Kreuzapplikation auf dem Bild – seine „Blutspur“ über die Erde, sühnend und sie mit seinem Wort, seinem Fleisch und Blut tränkend zu neuem Leben erweckend. Es ist keine Spur des Leids oder der Gewalt, sondern eine Spur glühender mütterlicher und väterlicher Barmherzigkeit und Liebe.

Und der Fisch? Ist er nicht etwas fremd auf diesem Bild, ganz ohne Wasser? – Aber vielleicht soll er störend sein, damit wir besser hinschauen und uns mehr überlegen …

In der christlichen Ikonographie ist der Fisch ein Symbol für Jesus Christus. Er ist ganz „Gottes eingeborener Sohn, aus dem Vater geboren vor aller Zeit, eines Wesens mit dem Vater“ und gleichzeitig ganz der Sohn Mariens, weil er „für uns Menschen und zu unserem Heil“ ihr „Fleisch angenommen hat durch den Heiligen Geist und Mensch geworden ist“ (vgl. Großes Glaubensbekenntnis).

Das Bild von Thalia Uehlein führt uns so gesehen zum Geheimnis des „Immanuel“ – dem „Gott mit uns“. Sie erinnert uns an das Geschenk des Lebens aus dem Zusammenwirken der göttlichen und menschlichen Liebe. Sie erinnert uns darüber hinaus an die Kostbarkeit des Blutes – so wichtig wie das Licht, das in ihm aufleuchtet, oder das Wasser, in dem der Fisch schwimmt.

Stern

Sterne gehören zum Nachthimmel … und in die Advents- und Weihnachtszeit.

Der Stern von Winfried Muthesius will jedoch weder an den einen Ort noch in die andere Zeit passen. Grob und unförmig ist das Holzstück aus einem größeren Ganzen herausgeschnitten worden. Die Umrisse des Sterns sind mit Gewalt in die mit Bitumen bedeckte Oberfläche des Fragmentes eingearbeitet. Bitumen blättert ab, stellenweise ist der gelbe Grund sichtbar.

Dieser Stern kündet nicht von der Schönheit der Schöpfung und schon gar nicht vom hellen Licht, dem die drei Weisen zum Stall in Bethlehem gefolgt sind. Durch die sechs Ecken ist er wohl als Davidstern erkennbar und spannt den Bogen nach Israel, dem Geburtsland von Jesus.

Aber aus diesem Stern spricht Gewalt, Leid, Schmerz. Er erinnert mich an ungepflegte Wohnungen, wo die Farben abblättern und darunter liegende Schichten und Zeiten sichtbar werden. Dieser in die Wand gehauene Stern scheint wie eine Ausprägung des in diesem Raum stattgefundenen Lebens zu sein. Die Axthiebe kommen mir wie Einschüsse von Gewehrkugeln vor …

Mahnend und bedrückend erinnert dieser Stern an die rassistischen Gewalttaten an den Juden. Was geschehen ist, darf nicht überstrichen werden oder in Vergessenheit geraten. Die Katastrophe muss in unserem Gedächtnis eingekerbt bleiben, damit wir sensibel für Gewalt  und Ungerechtigkeit in der Welt bleiben.

Nach wie vor werden Menschen wegen ihrer Herkunft und ihres Glaubens verfolgt, gefoltert und getötet. Nach wie vor leben Menschen unter unmenschlichen Bedingungen, werden ihnen Würde und Grundrechte aberkannt, befinden sie sich heimatlos auf der Flucht, um zu überleben.

Hat Gott seinen Sohn nicht ihretwegen in die Welt gesandt? (vgl. Lk 4,18; Jes 42,3) Soll nicht gerade ihnen Gerechtigkeit von höchster Stelle widerfahren? Wird Gott nicht ihretwegen als Retter erwartet – auch heute noch? Sehnsüchtig, erwartungsvoll, adventlich?

Viele Hilfswerke machen besonders in der Advents- und Weihnachtszeit auf ihre Arbeit aufmerksam. Wie der Stern von Winfried Muthesius rütteln sie an unserem Gewissen, damit wir nicht untätig der Ungerechtigkeit und dem Leid in der Welt gegenüberstehen, sondern unseren Not wendenden Beitrag zu einer menschenfreundlicheren Welt leisten. Damit nicht nur einmal im Jahr bei den Reichen Weihnachten wird, sondern jeder Tag bei allen Menschen durch gegenseitigen Respekt und durch Fürsorge ein weihnachtliches Gepräge erhält.

Vom Himmel her …

Auf diesem Bild können ganz unterschiedliche Motive den Blick als erstes in ihren Bann ziehen. Da ist die weiße stehende Gestalt vor dem beigen Hintergrund. Links von ihr in Farbe etwas ähnliches wie ein kleines Kind mit zwei blauen Quadraten hinter dem Kopf. Dann die blaue vertikale Linie, die durch den goldenen Kreis gehend in einem braunen Feld eine lila Horizontale schneidet. Nicht zuletzt faszinieren die kleinen Figuren, oben Engeln ähnlich, unten als Reiter unschwer erkennbar.

Was für eine Geschichte will das Bild erzählen? Der Künstler gibt durch seinen Titel keine Hinweise. „Ohne Titel“ könnte jedoch auf eine verbale Sprachlosigkeit des Künstlers angesichts eines geheimnisvollen Ereignisses hinweisen – so etwas wie die unbefleckte Empfängnis.

Ja, die lichte Gestalt stellt für mich Maria dar. Wie an einer Hausecke steht sie wartend da. Sie ist ganz weiß gemalt, weil wir glauben, dass sie ohne Erbschuld und Sünde ist (Hochfest der Kath. Kirche am 8. Dezember). Makellos offen steht sie da und Gott schenkt sich ihr in der (Farben-)fülle seines Sohnes.

Die beiden Gestalten überlagern sich bereits, ihre Köpfe sind einander zugeneigt. Aus der Form des Kindes und dem linken Arm Mariens lässt sich – farblich leicht abgesetzt – ein Herz erahnen. Die beiden sind sich eins.

Engel aus dem Bild „Der große Morgen“ von Philipp Otto Runge umgeben das Kind. Sie bringen es gleichsam zur Erde und legen es schützend in Mariens Schoss.

Die blaue senkrechte Linie scheint das mystische Geschehen nochmals abstrakt darzustellen. Wo sie auf die „Erde“ trifft, wechselt die Linie die Farbe. In abstrakter Weise kann darin ein Teil des apostolischen Glaubensbekenntnisses gelesen werden: Jesus Christus ist der Sohn Gottes, empfangen durch den heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria, gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes, …

Ein goldener Kreis umgibt den Schnittpunkt der beiden Linien. Ist er ein Symbol für das Leben und Wirken Jesu, seine göttliche Ausstrahlung?

Da sind auch noch Reiter mit vorgestreckter Lanze. Jagen sie vielleicht Jesus und seinen unerschütterlichen Glauben an seinen Vater? Das Bild gibt meines Erachtens keine klare Antwort und bringt nur Verfolgung und Krieg zur Sprache. Es tönt auch an, dass Jesus nur auf der weltlichen Ebene gejagt und verfolgt werden kann. Das „woher er kommt“ und „wohin er geht“ bleibt unfassbar!

Erwartung

Ein zartes Grün und ein frisches Rosa prägen dieses Bild, das durch gelbe Lichtzonen eine gewisse Symmetrie erhält. Wie ein großes transparentes Segel füllt das rosa Quadrat den Raum, durch eine dunkle Mitte mit dem grünen Band verbunden, auf ihm ruhend.

Die Farben erinnern mich an eine Pflanze. Von der grünen Erde ausgehend hat sie eine einzige große Blüte in den Himmel ausgestreckt und da wie ein Segel oder Empfänger aufgespannt.

Die von oben nach unten durch die Mitte gehende und sich auf der grünen Ebene reflektierende Lichtspur weist auf die Sehnsucht nach genau diesem Licht hin.

Damit möglichst viel von diesem Licht eingefangen werden kann, füllt das „Segel“ praktisch den ganzen Bild-Raum. Das Licht ist die Kraft dieses Wesens, es scheint sein Antrieb zu sein. Sieht das rosa Quadrat mit der dunklen Basis nicht auch wie ein Schiff aus, das durchs grüne Wasser (der Hoffnung) zieht und eine goldene Spur hinterlässt?

Die Worte des bekannten Adventsliedes gehen mir durch den Kopf: „Es kommt ein Schiff, geladen bis an sein’ höchsten Bord, trägt Gottes Sohn voll Gnaden, des Vaters ewigs Wort.“ (GL 114)

Pflanze oder Schiff, in beiden Bildern finde ich etwas von meiner weihnachtlichen Erwartung wieder. In der Pflanze sprechen mich die Sehnsucht nach dem Licht und die Offenheit dafür an. Im Bild vom Schiff spüre ich die Berufung, selber Lichtträger zu werden durch die Aufnahme von Gottes Sohn in mir.

Advent, unser Weg zu Gott. Advent, unser Weg zur Begegnung mit dem Gott, der auf uns Menschen zukommt., zu uns niedersteigt. Das Bild von Thalia Uehlein öffnet viele Zugänge. Nach längerem Betrachten wandelte sich bei mir das tiefrosafarbene Feld am Ende der Leuchtspur zu einer Hütte. Ist das eine Einladung, uns auf diesen Weg des Lichts zu begeben, um beim Eintreten in dieses unfassbar Größere ganz weihnachtlich – wie die Hirten vor Bethlehem – das „Geheimnis der Liebe“ zu erfahren? Dann wäre ja das rosa Quadrat so etwas wie ein großer Heiligenschein!