Erinnerungen …

Ein Engel mit Schwert. Ein Racheengel? Er schaut in die von gelbem Feuerschein erleuchtete Türöffnung. Was hat er vor? Der rot angemalte Türrahmen verweist uns auf die Pascha-Nacht, die Nacht vor dem Auszug der Hebräer aus der Sklavenschaft in Ägypten (Ex 12,7). Gott hatte angekündigt, durch Ägypten zu ziehen und jeden Erstgeborenen bei Mensch und Vieh zu erschlagen. „Über alle Götter halte ich Gericht, ich, der Herr. Das Blut an den Häusern, in denen ihr wohnt, soll ein Zeichen zu eurem Schutz sein. Wenn ich das Blut sehe, werde ich an euch vorbeigehen und das vernichtende Unheil wird euch nicht treffen … (12,12f).

Das Bild ist ein Ausschnitt aus einen größeren Ganzen. Die Reproduktion eines Gemäldes von Gebhard Fugel von ca. 1930 wird wiederverwendet mit einer Fokussierung auf den gehenden Engel, der mit geballter Faust und gezogenem Schwert durch die Straßen Ägyptens geht. Hinter ihm liegt ein Toter auf der Straße, vor ihm die hell erleuchtete offene Türe, in die sein Blick hineinschweift. Er wird vorübergehen und die Hebräer am Leben lassen. Gott geht es um das Leben, Gott rettet!

Der Künstler hat das Bild durch drei „Anhängsel“ mit keulenartigen Formen ergänzt. Eigenartig! Was soll das? – Sie sehen aus wie getrocknete Fleischstücke, sind aber aus Wachs. Ein Bild wird aufgehängt. Aber etwas am Bild aufhängen? Doch ist eine Vergegenwärtigung nicht an Erinnerungen festgemacht – aufgehängt? Sind Erinnerungen nicht wie mit Wachs konservierte, haltbar gemachte Erlebnisse, die wir zur gegebenen Zeit „hervorholen“, aus der Vergangenheit „abhängen“, um von ihnen – ihrer in der Gegenwart gedenkend – von neuem zu leben?

Für den Künstler sind die in seinem Werk immer wieder auftauchenden Gefäßformen „Behältnisse der Erinnerung – der Energie“. So sind ihm die drei langgezogenen Objekte „verlorene Seelen“, die auf die Gewalttätigkeit des alttestamentlichen Motivs reagieren.

Mir kommt es vor, als möchte der Künstler uns durch seine ungewöhnliche Arbeit auf eindringliche Weise bewusst machen, dass Gottes Boten auch heute noch unterwegs sind – nach Menschen suchend, die bereit sind, sich von ihrem Gott auf einen spannenden Weg des Vertrauens und der Freiheit führen zu lassen. Das erinnernde Gedächtnis an das Pascha-Fest möchte uns auch heute ein Segen sein, Gottes Nähe erfahren lassen.

Menschenfischer

Die Bildszene könnte sich in einem Großstadtpark abspielen. Breite Wege mit flachen Treppen, eine Rollstuhlrampe sowie ein mit einer Mauer begrenzter Grünbereich sind zu erkennen. Ein warmes Rotbraun beherrscht das Bild und lässt den Weg übergangslos in den Hintergrund führen. Was das wohl zu bedeuten hat? Ob da der Himmel auf die menschlichen Wege „ausläuft“ und versucht die Menschen in ihrer Eile zu erreichen?

Alle scheinen sich abzuwenden und eher davonzulaufen. Außer dem einen Mann, der auf dem Mäuerchen sitzt. Die Aktentasche neben sich gestellt, lehnt er sich entspannt zurück und streckt lässig sein linkes Bein vor. Die Ärmel seines Hemdes sind hochgerollt, die Arbeit scheint getan zu sein. Gedankenverloren schaut er um sich, gar nicht merkend, wie von hinten einer ein Netz über ihn wirft. Der “Menschenfischer” kann nur Jesus sein, der zu seinen ersten Jüngern gesagt hat: „Kommt her, folgt mir nach! Ich werde euch zu Menschenfischern machen!“ (Mt 4,19)

Hier bekommt ein Mensch eine neue Aufgabe. Mitten im Alltag. Eine Aufgabe von Gott! Den göttlichen Auftrag, wie Er zu handeln. Familie und Beruf aufzugeben und der Berufung nachzugehen (vgl. 4,22), allen Zeugnis abzulegen von der wirkmächtigen Gegenwart des dreieinigen Gottes (vgl. Joh 14,15-21)

Es sieht aus, als würde Jesus den Mann von hinten überraschen. Das kann sein. Doch kann ich mir auch vorstellen, dass der Künstler damit andeuten möchte, dass es sich mehr um ein inneres Geschehen als um ein äußeres handelt. Die „Träumereien“ wären dann als eine tiefe Einsicht ins Herz zu interpretieren, aus der die Erkenntnis hervorgeht, von Ihm angesprochen zu sein und einen Auftrag erhalten zu haben.

Drehen die Menschen im Vordergrund deswegen von Ihm ab, weil sie nicht angesprochen werden, keine tiefen Einsichten machen wollen? Oder haben sie bereits eine Aufgabe erhalten, sich etwa der Rollstuhlfahrerin anzunehmen? Weint die alte Frau, weil sie von Jesus weggeschoben wird oder weil sie von Ihm im Innersten berührt worden ist?

Ich tendiere in beiden Fällen aufgrund von kleinen gemalten Hinweisen auf eine Bekehrung (wie auch der Maler das Bild betitelt), auf eine Umkehr durch ein tieferes gnadenhaftes Verstehen. Die beiden Männer sehen eher nach jugendlichen Raufbolden aus, denn einer trägt am linken Auge ein „Veilchen“! Aus Gewalttätigen sind Sanftmütige geworden, auch wenn sie sich noch etwas unbeholfen der Rollstuhlfahrerin annehmen.

Auch mit der alten Frau scheint etwas Bewegendes geschehen zu sein, dass sie so herzzerreißend weint. Sind es Tränen der Reue über so manches falsch Gedachte und Gemachte? Noch hält sie einen Zigarettenstummel in ihrer Hand. Ob ihre Invalidität damit zusammenhängt und sie sich eben der Schuld bewusst geworden ist?

Wir wissen es nicht. Ratlosigkeit ist auch beim engelsgleichen Wesen auf der Treppe zu beobachten. Beinahe trotzig sitzt er breitbeinig und den Kopf in geballte Fäuste aufstützend. Eigentlich müsste er sich doch freuen, wenn Menschen sich bekehren. Oder ist er ähnlich wie Jonas nach der Bekehrung von Ninive einfach sauer (Jon 4), weil sich die Menschen bekehrt haben und zu Gott und damit zu ihrem Heil gefunden haben?

Doch was soll die gerade von rechts ins Bild hereinschreitende Frauengestalt zu bedeuten haben? Der Maler hat ihren nackten Körper nur flüchtig gemalt, teilweise nur angedeutet. Sie ist in der Farbe des Hintergrundes gemalt, als wäre sie ganz erfüllt von der „himmlischen“ Farbe. Sie hat nichts zu verbergen und braucht keine Bekehrung. In ihrer lichten Jugendlichkeit und erfüllten Beweglichkeit bildet sie einen Gegensatz zur alten Frau im Rollstuhl, die sich mit ihrer schwarzen Körperfarbe nur durch den Rollstuhl und den Helfer vom Hintergrund abhebt.

Das Bild gibt mir mit den verschiedenen Stadien der Bekehrung zu denken. Jesus ist als Menschenfischer in unserem Alltag! In welcher Gestalt finde ich mich am ehesten wieder?

Katharina von Alexandrien – Zeugnis für den Glauben

Ein dreiteiliges Bild in warmen Gelbtönen offenbart sich unseren Augen. Auf einem kostbaren Damaststoff präsentieren sich uns von rechts nach links eine reichgewandete Frau mit einem Schwert, ein aufgeschnittener Tierkörper und eine monstranz- ähnliche Goldschmiedearbeit. Alle drei Darstellungen zeigen sich durch den teilweise grauen Hintergrund, der allerdings von hellen gelben Elementen aufgebrochen ist, als fototechnische Reproduktionen. Die Künstlerin malt in Verbundenheit mit der Bildtradition, Altes hervorholend und durch neue Anordnung aktualisierend.

Die Seitenflügel dieses „Triptyk“ sind mir von ihrer Form her vertraut. In der Frau erkenne ich am Attribut des am Boden liegenden zerbrochenen Rades die heilige Katharina von Alexandrien (Ägypten). Der Legende nach war sie eine bildhübsche, gescheite Königstochter, die ihr Leben Christus geweiht hatte. Weder durch gelehrte Überzeugungskunst noch durch grausame Folterungen ließ sie sich von ihrem Glauben an Gott abbringen. Im Gegenteil, ein Gegner nach dem andern trat durch ihr Zeugnis zum christlichen Glauben über, zuletzt auch die Kaiserin. Vor Wut ließ Kaiser Maxentius darauf Katharina die Brüste abreißen und sie dann enthaupten.

Der lateinische Text am unteren Bildrand nimmt darauf Bezug: Erubuit fucito olim facro ubere Virgo, Hinc pudor atg; dolor praemia bina ferent. – Als ihr einst die heilige Brust abgeschnitten worden war, errötete die Jungfrau vor Scham; daher brachten ihre Scham und ihr Schmerz zweifachen Lohn. In der Darstellung ist Katharina heil geblieben. Zeichen für die Integrität ihres Glaubens? Schamhaft blickt sie auf das Schwert, mit dem sie enthauptet worden war. Ihr Unteram und ihre Hand weisen auf das Fleischstück in der Mitte, das ein Symbol für den „tierischen“ leiblichen Schmerz sein mag, den sie bei den Folterungen durchmachen musste.

Faszinierend finde ich die Lichtgestalt, die sich links vom Kadaver befindet, diesen überragt und sich von der ohnedies farblich hervorgehobenen Fläche absetzt. Verweist sie uns durch ihre Transzendenz auf die Verklärung des Leibes bei der Auferstehung? – Der erste Lohn?

In der Verlängerung von Katharinas Arm nimmt im Gerippe des Fleischstücks eine divergierende Linie ihren Anfang, die das Geschehen rechts mit der Goldschmiedearbeit auf der linken Seite verbindet. In dem monstranzähnlichen Reliquiar werden die leiblichen Überreste von Heiligen aufbewahrt und den Gläubigen gezeigt (monstrare) für die persönliche Verehrung. – Der zweite Lohn?

Das Reliquiar zeigt uns auf seiner Schauseite im zentralen Medaillon David, der König Saul zur Erheiterung die Harfe spielt und dazu Loblieder von Jahwe singt. Reliquien wie jene von Katharina von Alexandrien sind so etwas wie ein Lobpreis Gottes und für alle, die sie schauen und von ihr hören, eine Ermutigung auf dem Lebens- und Glaubensweg.

Das aus vielen Einzelteilen zusammengesetzte Bild erinnert mich nicht nur an den Glaubensmut von Katharina von Alexandrien, sondern ermutigt auch mich, Stück für Stück durch die verwirrende Vielschichtigkeit unseres Glaubens hindurch allen Prüfungen standzuhalten. Ewiges Leben ist dem verheißen, der vertraut, dass Gott allezeit mit ihm ist und ihn nie verlässt. Schöne und kunstvoll gemalte dekorative Elemente, die durch ihre betonte Vergoldung unseren Blick auf sich ziehen, verdeutlichen das. Letztlich geht es nicht um das Vordergründige, Sichtbare, sondern um das Hintergründige, das allem innewohnende unsichtbar Grundgebende, das uns einen beständigen Halt gibt.

Ausführliches Interview mit Lilian Moreno Sánchez anlässlich ihrer Ausstellung zum “Aschermittwoch der Künstler” 2013 in Hildesheim

Vertrauen II

Die dreizehn Bilder umfassende Serie Vertrauen beinhaltet neben den weißen, „durchsichtigen“ Gesichtern auch solche mit farbigen Übermalungen. Die teils schwarzen Umrandungen und vor allem die Augen und der Mund lassen die Gesichter klar erkennen, auch leuchtet der weiße Hintergrund teilweise durch, doch die Gesichter sind wie hinter einem Schleier. Die Umgebungsfarben scheinen sich über das Gesicht gelegt zu haben.

Will der Künstler damit vielleicht auf die vielen Situationen hinweisen, in denen wir nicht mehr klar sehen und Mühe haben, zu vertrauen? Bei diesen Bildern kommt es mir vor, als würden die Ereignisse überhand nehmen, über den Kopf wachsen, wie man sagt. Aus den Gesichtern spricht denn auch mehr Ernsthaftigkeit, (außer oben rechts) ja teilweise sogar Erschrockenheit. Etwas Unerwartetes ist eingetroffen, es ist bildhaft gesprochen dunkel geworden, man hat den Durchblick verloren.

Vertrauen ist da Not-wendig, um aus dieser Situation herauszukommen. Zu-ver-Sicht über alle Schatten und Hindernisse hinweg auf neue Wege, eine bessere Zeit, geheilte Beziehungen. Zuversicht aus dem Vertrauen in sich selbst, dem Selbstvertrauen, dass man es schaffen kann, Zuversicht auch aus dem Vertrauen in die Mitmenschen und vor allem in Gott, dass sie mir helfen werden, gerade wenn ich nicht mehr kann!

Die Farbe lässt sich noch anders interpretieren. Sie kann auch bedeuten, dass ich ganz erfüllt bin von den äußeren Eindrücken, getragen werde von meinen Erfahrungen und deshalb erst recht vertrauen kann. Froh gestimmt, bin ich bereit, in die Weite zu schauen, Dem zu vertrauen und mein Leben anzuvertrauen, der den echten Weitblick hat.

Diese Bildserie „Vertrauen“ ist für mich so etwas wie ein Spiegel, in dem ich meine verschiedenen Stimmungen wiederfinde. Mal geht es mir gut und läuft alles rund, dann wieder ecke ich überall an, fühle ich mich eingeengt (erste vier Bilder) oder von meinen „bunten“ Gefühlen überwältigt (zweite vier Bilder). Der Anblick der mich anblickenden Gesichter ermutigt mich zu vertrauen. Wie es Dir derzeit auch geht, das Leben geht weiter. „Ich vertraue Dir“, höre ich sie von Gott her sagen, „trau auch Du Dich!“

Vertrauen I

Die kleinformatigen, mit wenigen Strichen und Farben dargestellten Gesichter haben mich spontan angesprochen. In Wirklichkeit ist jedes Bild von einem breiten Rahmen umgeben. Nebeneinander aufgehängt ergeben sie eine „Geschichte des Vertrauens“.

Die verschiedenen Gesichtsformen und Farben lassen hinter jedem Gesicht eine andere Geschichte erahnen. Gemeinsam sind ihnen die angedeuteten Augen, Münder und Nasen. Ihre weiße Gesichtsfarbe strahlt eine Offenheit aus, die an Licht und Transparenz denken lässt. Sie haben nichts zu verbergen, sind unbelastet, rein, klar. Es ist, als könnte man durch sie hindurchsehen auf das unfassbar Größere hinter ihnen, das ihnen Gestalt und Leben gibt. Sie sind wie „Fenster“ zu Gott.

Und diese Gesichter schauen mich an. Mit kleinen Augen, aber großer Kraft, halten sie meinem Blick stand. Durch mein Betrachten sind sie zu meinen Gegenübern und stillen Gesprächspartnern geworden.

Dabei geht es weniger um Worte als vielmehr um Augen-Blicke und Erkenntnisse. Vertrauen kommt von sich trauen, sich dem anderen an-ver-trauen. Vertrauen hat also mit Glauben zu tun. Glauben an den anderen und das, was er sagt, weil ich es nicht weiß oder nicht nachprüfen kann. Vertrauen und Glauben sind das Fundament unseres Lebens und der meisten unserer Beziehungen. Wo Menschen sich mit reinem Gewissen begegnen, sich einander in die Augen schauen können, wächst das Vertrauen.

Der Anblick der Bilder ermutigt mich zu vertrauen. Ich werde nicht nur dem Mitmenschen begegnen, ich höre Jesus sagen: „Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen.“ (Mt 5,8) Wenn das keine Verheißung ist!

Ewiger Schöpfungstag

Eine große Stille schwebt über dem ganz in Blautönen gemalten Bild. Hier wird uns in mystischer Sprache ein Geschehen offenbart, das in geheimnisvoller Entfernung liegt. Durch die blaue Farbe spricht alles von Gott und dem Wirken seines Geistes. „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde … und Gottes Geist schwebte über dem Wasser.“ (Gen 1,1-2) Ehrfurchtsvoll schafft der Künstler durch die schlichte symbolische Farb- und Formenwahl einen visuellen Andachtsraum.

Dominiert wird das Bild in der Mitte durch eine Senkrechte, die das Oben mit dem Unten verbindet. Oben wird in drei waagrechten Schichtungen wolkenartig der Himmel angedeutet, symbolisch aber die Dreifaltigkeit dargestellt, die sich in ihrer „Mitte“ lichtvoll entfaltet. Dem gegenüber liegt unten ein breites waagrechtes Element, das zum Betrachter hin dunkler wird und ehrfurchtsvollen Abstand zum gewaltigen Geschehen der Schöpfung schafft. Es kommt mir vor, als wolle der Künstler damit unsere Rolle als Zuschauer unterstreichen, in der wir eigentlich nur mit dem Psalmisten staunend beten können:

„Herr, mein Gott, überaus groß bist du!
Du bist mit Hoheit und Pracht bekleidet.
Du hüllst dich in Licht wie in einen Mantel,
du spannst den Himmel aus gleich einem Zelt. …
Du hast die Erde auf Pfeiler gegründet;
in alle Ewigkeit wird sie nicht wanken.
Einst hat die Urflut sie bedeckt wie ein Kleid,
die Wasser standen über den Bergen.
Sie wichen vor deinem Drohen zurück,
sie flohen vor der Stimme deines Donners.
Sie stiegen die Berge hinauf
sie flossen hinab in die Täler,
an den Ort, den du für sie bestimmt hast.“

(Ps 104,1-2.5-8)

Genau dies wird uns im Mittelfeld offenbart, der Blick auf das göttliche Wirken ist frei. Wir sehen den Himmel geöffnet, Gott in seiner lichten Dreiecksform der Erde zugeneigt. Gott gießt sich aus der Fülle seines Wesens aus (Jes 55,10-11), teilt sich uns mit. Gleichsam als Antwort hat der Künstler auf Gottes Mitteilung die ansteigenden Hügel und das sich dadurch bildende Tal gestaltet. Ebenbildlich, stellvertretend für alles Geschaffene auf Erden. Denn wie auf den Bergen spiegelt sich das weiße göttliche Licht – seine „Unterschrift“ – auf allen Kreaturen, nicht zuletzt in uns Menschen.

Stern über meinem Haus

Ein zitronengelber Stern steht leicht seitlich verschoben über einer grünen Hausform. Er scheint vom Himmel herabzukommen, eine weiße gleißende Lichtspur hinterlassend, den ganzen Himmel erleuchtend. Begleitet wird er von weiteren Lichtwesen, die ihn auf seiner Erdenreise begleiten.

Eine große verwandelnde Kraft geht von diesem Stern aus. Sein Leuchten hat das unter ihm befindliche Haus zärtlich am Giebel berührt und es durch sein hineinfließendes Licht aus der dunkelblauen Häuserreihe hervorgerufen. Grün leuchtet es nun in der Farbe des Lebens und der Hoffnung, wie eine Kerze, die von ihrer Flamme erhellt wird.

Plötzlich wird das Innere sichtbar, all die schnellen Pinselstriche, die Farbunterschiede, das Schiefe, die Bewegung im Haus. Der Stern am unteren Ende der Lichtsäule scheint hier durch seine licht- und kraftvolle Berührung viel Staub aufzuwirbeln.

Der Stern über diesem Haus erinnert mich an den Stern von Bethlehem, der den drei Sterndeutern den Weg zum Geburtsort des göttlichen Kindes gezeigt hat. Aber es geht um mehr als die bloße Erinnerung an die drei Könige. Mir kommt es vor, als wolle dieser Stern auch uns zu Gott führen. Zu Gottes Gegenwart in uns – zu Gottes ständiger Geburt in der Tiefe unseres Seins. Kann das Haus nicht ein Symbol für mich, mein Leben, mein Sein, meine Welt sein?

Die Bildgestaltung erinnert mich an ein weiteres biblisches Bild: den Durchzug durch das Rote Meer, als die flammende Feuersäule vor den Israeliten zwischen den Wassermauern durchzog und diese vor den Verfolgern rettete. Links und rechts der Lichtsäule die tosenden Wassermaßen, unten in der Mitte das „Haus Israel“, über dem sich die Fluten zusammenzuschlagen drohen.

In beiden Ereignissen geht es um die Erscheinung des Herrn! (So wird der Dreikönigstag liturgisch genannt.) Gott offenbart sein heilbringendes Wirken gerade in den menschlichen Dunkelheiten wie Angst und Not jeglicher Art. Den Suchenden eilt er zu Hilfe und lässt sie seine heilende und verwandelnde Kraft schauen, erfahren: Licht in der Dunkelheit, Weite in der Enge, Geborgenheit in der Verfolgung, Frieden in der Zwietracht, Zuversicht in der Resignation, Vergebung in der Schuld …

Kann es sein, dass Gottes lichter Stern gerade jetzt über meinem Haus leuchtet?

Hochzeit mit dir, Mensch

Zuunterst im silbernen Wassergrund,
tief unterm Sehn und Verstehn,
ruht schon der Himmel in dir,
Mensch.
Spielt er sein Heilspiel mit dir,
Mensch.
Schliesst er die Hochzeit mit dir,
Mensch.
Zuunterst im Grund.

Zuunterst im silbernen Wassergrund,
tief unterm Sehn und Verstehn,
kommt der Erzengel zu dir,
Mensch.
Ist Gottes Geburt in dir,
Mensch.
Ist ewige Weihnacht in dir,
Mensch.
Zuunterst im Grund.

Schau in den Wasserspiegel hinein,
Mensch.
Du hast alles in dir:
den Hirten, den König, den Stern
und das Tier.
Hingerissen vom Kind,
deinem herrlichen Herrn;
von dem sie gezogen sind,
wollen sie hinknien in dir,
Mensch,
und
wie Maria es anschaun,
zuunterst im Grund.
Amen.

Silja Walter

Gewebte Liebe

Dieses abstrakte Bild mit schwarzem Hintergrund erfordert von uns etwas Zeit, um das schwache Leuchten in der Fläche als ein feinstes Gewebe von goldenen Linien erkennen zu können. Was wir auch weiter auf dem Bild entdecken wollen, dieses aufgeklebte, Falten schlagende, golddurchwirkte Papier bleibt alles, was uns der Künstler in diesem Bild zum Thema Liebe sagen will.

Waagrechte und senkrechte Linien sind zu sehen, unregelmäßig gewellt, Verdichtungen und Leerräume bildend (Detailbild). Ununterbrochene fließende Bewegung von links nach rechts und von oben nach unten und umgekehrt finden sich in diesen Linien, gleichsam Leben in sich tragend. Könnten diese Linien nicht Zeichen für die Liebe sein?

Waagrecht für die Liebe zwischen den Menschen und allem Geschaffenem, senkrecht als Symbol für Gottes Liebe zu seiner Schöpfung und unsere Antwort darauf? Ist die Liebe nicht ein lichtvoller und wie Gold kostbarer Strom, der die Herzen erfreut und die Augen zum Leuchten bringt, wenn sie in Gestalt von Achtung, Menschlichkeit, Mitleid, Barmherzigkeit, Zuneigung, Hilfsbereitschaft, Sorgfalt, Herzlichkeit, Güte, Freundlichkeit u. a. m. daherkommt?

In seiner reinsten Form begegnet uns die Liebe im menschgewordenen Gottessohn. Jesus ist das Licht der Welt. Wer ihm nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern wird das Licht des Lebens haben. (Joh 8,12)

Das Bild von Kai Althoff mag verdeutlichen, dass jeder Akt der Liebe ein Licht im Dunkel des Nichts ist. Wunderschön kommt hier zum Ausdruck, wie das Schenken und Empfangen der Liebe in jeder Beziehung ein Netzwerk entstehen lässt, das einerseits fein und verletzlich wie Gaze ist, andererseits durch die ihm innewohnende Kraft für alle Stürzenden ein auffangendes und haltgebendes Netz darstellt.

Die dankbaren Worten eines Beters, die uns im Psalm 139 überliefert sind, bringen das treffend zum Ausdruck:

“Denn du, Gott, hast mein Inneres geschaffen, mich gewoben im Schoß meiner Mutter.
Ich danke Dir, dass du mich so wunderbar gestaltet hast. Ich weiß: Staunenswert sind deine Werke.
Als ich geformt wurde im Dunkeln, kunstvoll gewirkt in den Tiefen der Erde, waren meine Glieder dir nicht verborgen.
Deine Augen sahen, wie ich entstand, in deinem Buch war schon alles verzeichnet; meine Tage waren schon gebildet, als noch keiner von ihnen da war.“
(Ps 139, 13-16)

So betrachtet, kann das goldene Gewebe auch ein Symbol für mich sein – ich bin entstanden im Zusammenwirken der Liebe Gottes in der Liebe vieler Menschen!

Überfließende Liebe schenkt neues Leben

Die Legende überliefert vom heiligen Nikolaus, wie er von der Not eines armen Mannes gehört hatte, der seine drei bildhübschen Töchter nicht verheiraten konnte, weil er kein Geld für die Mitgift hatte. Nikolaus erbarmte sich der drei Mädchen und beschenkte eine nach der anderen im Schlaf mit vielen Goldstücken aus seinem großen Erbe, damit sie heiraten konnten.

Kai Althoff stellt diese Ereignisse in einer Bildsequenz dar. Der heilige Nikolaus neigt sich gerade durch das offene Fenster über die schlafenden Mädchen, um der letzten von ihnen den Schatz in die Arme zu legen. Die Drei merken noch nichts von ihrem Glück, schlafen sie doch tief und fest. Der Vater hingegen ist wach und verfolgt das ungewöhnliche Geschehen mit offenem Mund. Was da geschieht, scheint ihm die Sprache zu verschlagen.

Das Wesentliche wäre damit gesagt. Ein kurzes Verweilen im Bild enthüllt uns jedoch mehr.

Nikolaus ist mit dem roten Gewand und der Mitra als Bischof dargestellt. Das Bischofsgewand bedeutet, dass er als Vorsteher und Hirte einer Gemeinde ein hörendes Herz für die Not seiner „Schafe“ hat. Diese Güte ist ihm auch in sein jugendliches Gesicht geschrieben. Er blieb nicht tatenlos in seinem Palast, sondern beherzigte das Wort Jesu: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25,40) Um seine Spende nicht an die große Glocke zu hängen, warf er die goldenen „Äpfel“ des Nachts in das Zimmer der drei Jungfrauen.

Die Farbe Rot wird im Gottesdienst an Pfingsten, Karfreitag und Namenstagen von Märtyrern / Bekennern des Glaubens getragen. Im Teilen und damit Verschenken seines Erbes bezeugt der heilige Nikolaus seinen Glauben an Jesus Christus. Wie er ist Nikolaus in seinem Denken und Tun vom Heiligen Geist, dem Geist der Liebe erfüllt und geleitet.

Der Künstler Kai Althoff hat auch die Betten der drei Mädchen rot dargestellt. Sie schlafen im Bett der Liebe, oder anders gesagt wird damit ausgesagt, dass sie verliebt sind. Sie selbst sind erschreckend weiß und schemenhaft dargestellt, fast wie Menschen, die dem Tode nahe sind. Doch von unten nach oben scheint eine Besserung stattzufinden. Ist die unterste Gestalt voller Unruhe – wie in einem Kampf – und ihr Gesicht leichenblass, so kehrt die Ruhe und die Farbe nach oben zunehmend in den Körper der Jungfrauen zurück.

Unabhängig vom Gold, das jede schon erhalten hat, möchte der Künstler uns damit etwas über die Veränderung erzählen, die das Geschenk in den drei Frauen bewirkt hat. Die fehlende Mitgift war nicht nur eine schlimme Notlage, sondern hat sie wie jede Armut an den Rand des Lebens gedrängt, wo es nur noch den täglichen Kampf mit dem Tod – um das kostbare Gut des Lebens – gibt. Durch sein Geschenk hat sie Nikolaus, und das hat zu seiner Heiligkeit beigetragen, vor dem langsamen Tod gerettet. Durch sein Geschenk hat der heilige Nikolaus ihnen die Möglichkeit gegeben, zu heiraten und in die Fülle, das Glück des Lebens zurückzukehren.

Wo wir unsere Reichtümer (nicht nur materiell) teilen, treten wir in die Fußstapfen des heiligen Nikolaus. Grundsätzlich sind alle Menschen Bedürftige der Liebe. Insofern ist jedes selbstlose Schenken ein Hingehen zum Nächsten, ein Eingehen auf seine Not und eine Hilfe auf seinem Weg zur Lebensfülle.

Ich bin froh, dass uns dies der heilige Nikolaus immer wieder in der Vorweihnachtszeit in Erinnerung ruft – wenn wir mit dem Machen und Kaufen von Weihnachtsgeschenken beschäftigt sind. Nicht das Geschenk ist wichtig – sondern die Beziehung zum Menschen, die Liebe zu ihm, die letztlich die Liebe zu IHM ist.

Der brennende Dornbusch

Wie Moses vom brennenden Dornbusch fasziniert war und sich ihm näherte, so fordert diese außergewöhnliche Gotteserscheinung immer wieder neu Künstler zu ihrer Darstellung heraus. Auf seine ihm eigene Weise hat sich ihr Helmut Kästl zugewandt. Da ist kein loderndes Feuer zu sehen und der Dornbusch lässt sich aus den wenigen dürren Zweigen mehr erahnen als sehen. Dafür steht eine feuerrote Scheibe im Vordergrund, gleichsam auf einer Bühne, wo gerade die Vorhänge für den Beginn der Aufführung zurückgezogen werden.

Ein starker Auftritt wird da dem interessierten Betrachter offenbart, der sich wie Moses diesem Dornbusch nähert. Gott erscheint einem Menschen mitten im Leben, als er gerade in der Steppe seine Schafe hütet. Weil es wesentlich um die Gotteserscheinung geht, hat der Künstler den Dornbusch in eine feurig rote Kreisform gestellt, dem Symbol für die Unendlichkeit und Fülle Gottes. Der bewegte Pinselstrich lässt mich die Glut der göttlichen Liebe spüren – und ihre Anziehungskraft. In ihrem Schein errötet die Erde, nimmt sie die Farbe desjenigen an, der „da ist“ (Ex 3,14), mitten unter uns gegenwärtig. In der gleichen Farbe leuchtet der Himmel, der die Dreifaltigkeit symbolisierend in drei waagrechte Schichten mit angedeuteter Mitte aufgeteilt ist. Und in gleicher Weise will das göttliche Licht auch uns erleuchten.

Die Begegnung mit diesem Bild will uns nicht indifferent lassen. In dieser Darstellung öffnet sich Gott uns, von leidenschaftlicher Liebe erfüllt. Wie damals liebt Gott sein Volk und hört er, wie die Menschen um Hilfe schreien. Ich kenne sein Leid. Ich bin herabgestiegen, um es der Hand der Ägypter zu entreissen …“ (3,7c-8a)

Das Bild kann uns sagen, dass Gott zu uns Menschen gekommen ist, um uns wie Moses in seine Nähe zu rufen und uns eine ganz persönliche Aufgabe anzuvertrauen zur Linderung der vielen Leiden und Unfreiheiten. Voraussetzung ist eine gegenbildliche Offenheit zur Offenheit Gottes, die ein Hören mit dem Herzen ermöglicht. Vielleicht geht es uns dann ähnlich wie Moses und wenden ein: Ich? Wer bin ich denn! Wie kann ich das machen? Doch Gott wird auch uns antworten: „Ich bin mit dir.“ (3,12)

Könnte nicht die feuerrote Scheibe mit dem Dornbusch darin als Bild dafür stehen?

Sind wir nicht wie der vergängliche Dornbusch, der von Gottes liebender Gegenwart umgeben und getragen wird, ohne uns zu verzehren?

Ein Engel – für mich?

Der Engel in der Bildmitte lässt auf eine Verkündigungsszene schließen. Er stammt tatsächlich aus einem alten Verkündigungsbild vom Meister der Münchner Bildtafel (15. Jh.). Aber wo ist Maria? In der Blickrichtung des Engels rankt eine goldgelbe Blättergirlande durch das Bild, den Engel von den rechts davon befindlichen Knochen trennend. Auch der Hand des Engels folgend erhalten wir eine verwirrende Antwort: „Die frisch abgezogene Haut muss rasch konserviert“ … Zudem sind unten und oben Doppelstangen von einem großen rechteckigen Rahmen zu sehen. Die Stangen führen uns hinter den Engel zu weiteren Knochen, die von einem menschlichen Arm zu stammen scheinen.

Neue Entdeckung: Linien von Kleiderschnittmustern, die ganz fein hier und dort auftauchen und die einzelnen Elemente miteinander verbinden. Aber wozu Stoffe zuschneiden, wenn der Engel schon so üppig gekleidet ist und auch die Knochen mit einem filigranen Gewebe wie von einem Kleid umgeben sind? Vielleicht will uns die Stofflichkeit – das Material, das uns wesentlich eigen ist – näher gebracht werden: Die Knochen – oder das Gestänge –, die uns tragen; die Haut – oder das Leder oder die Stoffe –, die uns bedecken und uns schön und ansehnlich machen. So sehr es um die Oberfläche geht, werden wir auch in die darunter liegenden Schichten geführt, damit wir uns mit ihnen auseinandersetzen.

Ganz links auf ziegelrotem Grund ein technischer Text über das Gerben, d.h. das Konservieren von Tierhäuten. Kontrastierend zum Johanneswort: „… und das Wort ist Fleisch geworden …“ (1,14) wird vom Haltbarmachen der Haut gesprochen, weil das Fleisch verweslich ist. Aber der Engel bringt als verlängerter Arm Gottes die Botschaft der Menschwerdung Gottes auf die Erde – zu den Menschen. Gleichsam auf seinem Rücken trägt er das ewige (aller Zeit und Vergänglichkeit entgegengesetzte) göttliche Wort, das in den Knochenfragmenten bereits Menschenähnlichkeit angenommen hat. Aus einer anderen Welt kommt der Engel in unsere Welt. Die zerschneidende Doppellinie mitten im Bild und der Übergang von Grautönen zu einer dezenten Farblichkeit betonen das Auftauchen aus einer geistigen Welt. Trotz ihrer Farblosigkeit – die eben die für unsere Augen verborgene Welt bezeichnet – wird sie durch das goldene Blumenmotiv als göttliche Welt deklariert. Aus den vielen „Stoffschichten“ taucht er in unserer Welt auf und bringt weiterhin die Botschaft des Lebens. Nicht nur Maria – seine Einsamkeit scheint zu sagen – uns allen.

„El ángel quedó a cargo de encausar mi palabra, mi oido, mi deseo“, steht in verwischter Handschrift neben dem Engel. Dieser Satz von der chilenischen Schriftstellerin Diamela Eltit könnte folgendermaßen übersetzt werden: “Dem Engel ist aufgetragen, über mein Wort, das was ich höre (im Sinne von Wahrnehmung), und meine Sehnsucht zu richten.” Mit diesem Wort führt uns die Künstlerin noch weiter in die Tiefe der Gottesbegegnung. Steht der Text doch auf dem gleichen „göttlichen“ Goldgelb wie der Heiligenschein. Geschieht und vollendet sich unsere Menschwerdung nicht dort, wo all unser Sehnen und Tun sich von Gottes Licht durchleuchten und richten (gerade, rechtschaffen machen) lässt? – Wie bei Maria?