Begnadeter Ein-Klang

Gott zu loben und zu preisen muss König Davids zweite Natur gewesen sein. Von den gut 150 biblischen Psalmen werden knapp die Hälfte ihm zugeschrieben. In einem einfachen roten Gewand und einer Krone auf dem Kopf spielt er mit erhobenen Händen auf der geschulterten Harfe. Barfuß steht er im nächtlichen Mondschein vor Gott, demütig alles von Ihm erwartend. Er weiß als Geliebter Gottes (David bedeutet im Hebräischen: Geliebter), dass sein Königtum unverdient, reine Gnade, Geschenk ist.

Erich Schickling hat David als einen von Gott Ergriffenen, mit seinem Geist Beseelten, Beschenkten und Gesalbten dargestellt, der als Auserwählter nicht anders kann als in Seinem Auftrag zu handeln und Ihn zu verkünden.

Feuerszungen fallen hinter David vom Himmel, die Linien bis in die Beine fortführend, die Arme emporhebend, das Instrument ins Licht haltend, damit das Licht selbst die Saiten zum Klingen bringe im Einklang mit dem menschlichen Handeln. Der Mensch im Einklang mit Gott wird ganz durchsichtig auf Ihn und Er wiederum für uns Menschen. So geht ein sonnengleiches Leuchten von diesem Harfenspiel aus, eine Ausstrahlung mit großer Verwandlungskraft. David selbst ist das beste Beispiel dafür: sein rotes Kleid ist Ausdruck der Kraft Gottes, in der er selbst Feuer und Flamme für Gott ist.

„David weiß sich von der Melodie des Lebens, von Freude und Leid gleichermaßen geführt und getragen. Und er muß singen und danken und musizieren! Selbst als er in Sünde fällt, tief bereut und seinen ersten Sohn verliert, weil er sich die Bathscheba (hebräisch: „Tochter der Sieben“, d.h. Tochter der Schöpfung) genommen und deren Mann Uriach in den Tod geschickt hat, hört er nicht auf, Gott zu preisen. Und Gott schenkt ihm den Sohn Salomo, dessen Name heißt: der Vollkommene, der Friedensbringer.“ (Erich Schickling)

So wie der Anblick der „sehr schönen“ Batseba  (vgl. 2 Sam 11; 12,24) das Leben von David tiefgreifend verändert hat, geschah es auch mit der unerwarteten Salbung durch den Propheten Samuel. Schickling hat das Ereignis als drittes wichtiges Momentum im Leben Davids neben ihm im Hintergrund dargestellt. „Da sagte der Herr: Auf, salbe ihn! Denn er ist es. Samuel nahm das Horn mit dem Öl und salbte David …“ (1 Sam 16,12f) Der von Gott geführte und deshalb rot gekleidete Samuel gießt das Öl über dem knienden und mit gekreuzten Armen seine Demut zeigenden David aus. Schafe deuten an, dass er von der Herde weg zu einer größeren Hirtentätigkeit berufen wurde. Schickling hat die Szene unter einen Baum wie in einer Grotte verortet, dessen Krone wie die Finger einer schützenden Hand über dem Geschehen wirkt: „Und der Geist des Herrn war über David von diesem Tag an.“ (1 Sam 16,13)

Erich Schickling hat die herausragende Gestalt nicht nur in bildfüllender Größe dargestellt, sondern auch als Menschen, der in der Gnade Gottes über sich hinauswachsen durfte zu einem ganz besonderen Menschen auf dieser Erde. So fließt der gelbe Lichtstrom der Gnade von Gott-Sonne-Mond aus über die „Segenshand“, das Horn und das Öl durch den knienden David und entfaltet als Spur seiner Schritte links unten auf dem Erdenrund, auf dem er steht, als auch im Handeln im Einklang mit Gott seine Wirkung. Die Gnade gemäß Gottes Wort „kehrt nicht leer zu mir zurück, ohne zu bewirken, was ich will, und das zu erreichen, wozu ich es ausgesandt habe.“ (Jes 55,11)

Ich lobe meinen Gott von ganzem Herzen.
Erzählen will ich von all seinen Wundern und singen seinen Namen.
Ich lobe meinen Gott von ganzem Herzen.
Ich freue mich und bin fröhlich, Herr, in dir. Halleluja!
Ich freue mich und bin fröhlich, Herr, in dir. Halleluja!
(GL 400, EG 272)

 

In der Zusammenschau dieses Hinterglasbildes mit Texten von und über Erich Schickling lässt sich erahnen, wie sehr sich auch der Künstler als Berufener, im Auftrag Gottes Stehender verstand. Deshalb gleich einem Nachklang folgende Zitate:

„Denn trotz seines Brennens für die Malerei in ihrer ganzen Sinneshaftigkeit und seines immensen Fleißes war eine „L‘art pour l‘art“ Erich Schicklings Sache nicht. Ihm ging es um den Inhalt, er hatte eine Botschaft. Und die wollte, ja musste er mit anderen teilen. Der hat er sich selbst unterstellt. Und dafür wollte er sich von den größten Geistern seiner Zeit wachrütteln lassen, diesen Hunger nach Erkenntnis zu nähren, nach oben zu blicken, sich am Wahrhaften und Göttlichen abzuarbeiten, dies war sein immerwährender Antrieb: im Malen, im Pflanzen, im Bauen, im Sprechen.“ (Ulrike Meyer, Katalog 5, S. 5)

„Wer immer ES begegnet, wird auf einen Menschen treffen, der in ungewöhnlicher Weise erfüllt ist vom Mysterium des Glaubens, dem Wunder der Schöpfung, dessen Herz davon voll ist und dessen Mund davon überfließt.“ (Lydia Maidl, Katalog 5, S. 8)

Seine Bilder seien „nicht ersonnen, nicht geschaffen, nicht komponiert, vielmehr ihm geschenkt worden“, pflegte Erich Schickling zu sagen. (Katalog 5, S. 32)

Link zur Erich-Schickling-Stiftung bei Ottobeuren im Allgäu

Lebenslinien

Ordnung und Chaos begegnen sich in dieser Zeichnung gleichermaßen. Der helle Grund weist gewebte oder zumindest gleichmäßig verdichtete Strukturen auf, während einzelne Fäden sich nach vorne und nach oben in freier Bewegung davon ablösen.

Die durchaus konkreten Linien wirken andeutend, raumschaffend, durchlässig. Der faserige Strich deutet einen Faden an und lässt ein textiles Gewebe erkennen. Soll damit eine textile Verwicklung oder vielmehr eine sich in Freiheit entwickelnde Bewegung gezeigt werden? Eine sich in die Freiheit hinausbewegende Entwicklung? Aus dem festen Grundgewebe hinaus in haltlosen Freiraum? Eigene Wege suchend, eigene Bewegungen, eigene Farben und Strukturen? – Die Möglichkeit besteht.

Der Ausreißer hinterlässt im Grundgewebe eine Lücke, eine Ausdünnung oder Schwachstelle. Darüber erhebt sich der sich lösende und immer dunkler werdende Strich in freier Bewegung … und hinterlässt eine chaotische, ungeordnete, nicht einzuordnende Spur. So wird der Ausreißer zum Außenseiter, zu einem schwarzen Schaf. Der Ausbruch hat einen Schaden angerichtet, beim einen wie dem anderen.

Aber der Faden scheint nicht getrennt zu sein. Da besteht noch eine Verbundenheit mit dem Ursprung oder der Herkunft. Eine Nabelschnur zur „Mutter“ oder dem „Vater“. Es ist eine aus dem festen Gefüge ausgebrochene Lebenslinie, die eigene Wege sucht, eigene Bereiche erkundet, Welten entdeckt und sich da einbringt.

Entwicklungen und Veränderungen im familiären Sozialgefüge können hier gesehen werden. Eltern geben eine Lebensgrundlage. Doch Kinder brauchen eine fast grenzenlose Ungebundenheit und Freiheit von ihren Eltern, um ihren eigenen Lebensentwurf gestalten zu können. Im Bild kann das so gedeutet werden, dass zum Betrachter hin und am oberen Bildrand Freiräume sind, also „Luft nach oben“ besteht. Ist das Loslassen der Eltern nicht ein Vertrauensbeweis in ihre Kinder und deren Fähigkeiten, der diesen über Raum und Zeit hinweg wieder Verbundenheit und Halt gibt?

Die Arbeit von Karl Schleinkofer mutet wie eine grafische Darstellung des Gleichnisses vom Verlorenen Sohn an, der mit dem Einverständnis seines Vaters und seinem ganzen Erbe in die Ferne gezogen ist und später, als dieses verbraucht war, als Armer wieder zum Vater zurückkehrte, weil doch eine Verbundenheit geblieben ist.

Ebenso kann durch die Hervorhebung einzelner Fäden in der Zeichnung sehr schön ein Grundprinzip unseres Glaubens meditiert werden: Der Glaube bildet im Leben des Gläubigen eine haltgebende Grundlage, die ihm ermöglicht, individuell seiner Berufung nachzugehen und diese in das Gesamtgefüge der Gesellschaft einzubringen. Die Linienführung macht deutlich, dass es ein Suchprozess und damit kein einfacher Weg ist, der auch dunkle und schmerzvolle Zeiten kennt. Die Interaktion der verschiedenen Linien machen aber auch deutlich, dass gerade dadurch eine Tiefe und Spannung ins Bild kamen, die dem „Lebens-Bild“ wie einem guten Essen eine besondere Würze geben.

Diese und viele unveröffentlichte Arbeiten von Karl Schleinkofer waren im Februar 2020 im Museum Moderner Kunst Wörlen in Passau in der Ausstellung “Arnulf Rainer und Karl Schleinkofer” zu sehen.

Schrift-Bild

Auseinandersetzung
Schriftzeichen begegnen uns im Alltag überall: meist schwarz auf weiß transportieren sie in den Printmedien, der Werbung, dem Straßenverkehr und an anderen Orten Informationen. Kontrastreich und linear geordnet dienen sie der guten Lesbarkeit. Der Sinn der Buchstaben und Worte soll schnellstmöglich erfasst werden können. Wenn ein Künstler die Schrift selbst gestaltet, lässt er sie zu einem Bild, zu einem Schriftbild werden. Diese Schriftbilder wollen keine Illustration, sondern ein Durchdringen und Vertiefen des Wortsinns zum Ausdruck bringen. Durch die Gestaltung der Buchstaben und Worte sowie des Hintergrunds wird der Wortsinn verstärkt, die Schrift selbst zu einem sprechenden Bild.

Worte aus dem Buch Jeremia (1,17-19) haben Samuel Buri zu einem farbenfrohen, geradezu kunterbunten Bild inspiriert. Die gleichmäßig großen, handgeschriebenen Buchstaben füllen das ganze Bildfeld aus. Auf dem vielfarbigen Hintergrund heben sie sich durch ihre eigene Farbigkeit mehr oder weniger kontrastreich ab. Manchmal wechselt die Farbgebung der Buchstaben mitten in einem Wort. Durch diese plötzlichen Wechsel entstehen Irritationen. Ein äußerst lebendiges Geschehen voller Veränderungen wird deutlich. Intensive Farben und klare Abgrenzung zwischen Schrift und Hintergrund vermitteln im oberen Teil ebenso gegensätzliche Positionen wie Nachdruck im Gesagten. In der unteren Bildhälfte werden die Farben sanfter und gleichen sich die beiden Ebenen einander an. Doch die Auseinandersetzung bleibt spürbar.

Einzelne Worte springen dem Betrachter wie Schlagworte in die Augen und vermitteln das Wichtigste in Kürze: „Du aber gürte … sage ihnen alles, was ich dir gebiete. Erschrick nicht … Schrecken … sieh, ich … Könige … Priester … bekämpfen werden … Herrn, um dich zu retten. Jeremias“.

Da erhält ein „Du“ den Auftrag aufzustehen und entschlossen ein vielsagendes („alles“) Wort furchterregenden Menschen zu verkünden („erschrick nicht vor ihnen“). Die Aufzählung lässt ahnen, dass er mit seiner Botschaft allein gegen ein ganzes Land stehen wird, angefangen von den Machthabern über die Priester bis hin zum einfachen Volk. Aus dem Wortlaut geht hervor, dass er eine unbequeme Botschaft verkünden muss, eine Botschaft, die niemand hören will. Deswegen werden sie ihn bekämpfen und versuchen ihn mundtot zu machen. Doch der Beauftragte soll nicht erschrecken, wenn sie ihn angreifen, denn sein Auftraggeber hat ihn mit einer Widerstandskraft ausgestattet, die einer befestigten Stadt gleicht. Denn Gott selbst, der Herr, wird mit ihm sein. Wie eine beglaubigende Unterschrift steht am Ende des Textes der Name Jeremias.

Jeremias
Die Worte richten sich an den jungen Jeremias auf der Suche nach seiner Aufgabe im Leben. Er war Sohn eines Priesters aus dem heutigen Anata und muss um 650-625 v. Chr. geboren sein. Seine Zeit war von politischen Machtkämpfen im ganzen vorderasiatischen Raum geprägt. Das assyrische Reich beherrschte damals das Gebiet zwischen Nil und Tigris. Die judäischen Könige waren Vasallen von Assur und mussten Tribut zahlen. Babylon, Medien und Ägypten erhoben sich gegen die assyrische Herrschaft, wodurch Judäa immer wieder zum Kriegsschauplatz wurde. Dementsprechend schlecht war der sittlich-religiöse Zustand in Judäa. Öffentlichem Götzendienst standen die Priester meist hilflos gegenüber, ebenso der Verrohung und dem Verfall der Sitten im privaten und öffentlichen Leben.

In diesem Milieu hatte Jeremias ein starkes inneres Erlebnis. Er spürte deutlich den Auftrag Jahwes, sein Volk wachzurütteln und zur Umkehr zu bewegen. Und er solle dies nicht in den Fußstapfen seines Vaters inmitten der versagenden Priesterschaft tun, sondern als Wanderprediger und Weissager. Damit war er mit der Weisung, dem Auftrag Jahwes zu folgen und dem Versprechen, dessen Schutz und Beistandes sicher sein zu können, ganz auf sich allein gestellt. Dieses innere Erlebnis stellt das Buch Jeremias mit dem zu dieser Zeit üblichen Stilmittel der wörtlichen Rede in Dialogform lebensecht dar. Im Schriftbild von Samuel Buri wird der Höhepunkt dieser Auseinandersetzung zwischen Jahwe und Jeremias, der sich der ihm zugedachten Aufgabe entziehen will, weil er sich ihr in seinen jungen Jahren nicht gewachsen fühlt, miterlebbar veranschaulicht.

Auftrag und Entscheidung
Geradezu unheilvoll haben sich im oberen Bildteil die Farben zu einem dunklen Gewitterhimmel zusammengebraut. Ungewissheit, ratloses Hinundhergerissensein sind herauszuspüren. Die wechselnden Farben geben alle Phasen eines inneren Kampfes wieder: soll ich, soll ich nicht; kann ich, kann ich nicht; will ich, will ich nicht; muss ich dem Ruf folgen oder kann ich mein Leben so gestalten wie ich will? Warum verspüre ich ein so starkes Gefühl der Sicherheit von Jahwes Auftrag und seinem Schutz und andererseits Angst und Unsicherheit? So geht der Auftrag, der eigentlich in klaren weißen Buchstaben dasteht, durch die emotionale Einfärbung an manchen Stellen beinahe in den brodelnden Gefühlen und widerstreitenden Gedanken unter, die er auslöst. Erst im unteren Viertel des Bildes ist mehr Gleichmaß, mehr Ruhe, als habe sich der Entschluss gefestigt, den Auftrag in der Hoffnung auf Jahwes Beistand anzunehmen.

Eine Widmung am rechten Bildrand stellt eine Brücke zur Gegenwart dar: „für FB von SB“. Der Künstler hat das Bild seinem Vater, dem evangelischen Theologen Fritz Buri gewidmet. Im Entstehungsjahr des Bildes wäre er hundert Jahre alt geworden. In jungen Jahren hat er diesen Text von seinem Professor als „Weisung“ auf den Weg als Theologe und Pfarrer erhalten. Gott beruft zu jeder Zeit Menschen in ihre je eigenen Lebensaufgaben, im weitesten Sinn also in Seinen Dienst. Jeder steht einmal oder wiederholt in diesem vom Künstler so anschaulich dargestellten Entscheidungsfeld und muss sich entscheiden. Insofern sind und bleiben das anfängliche „Du“ Anspruch und Auftrag an jeden Menschen, die weiteren Worte Gottes Ermutigung.

 

Dieses Bild entstammt der Zürcher Bibel – Kunstbibel 2007. Einspaltige Ausgabe mit 25 Schriftbildern von Samuel Buri 2007, ca. 2000 Seiten, 14,2 x 22 cm, Hardcover, ISBN 978-3-85995-243-0, CHF 60,00 / EUR 38,00

Prospekt zur Zürcher Bibel 2007 mit allen Aquarellen von Samuel Buri

Dieser Bild-Impuls wurde in der Ausgabe 1/2008 der Zeitschrift “das münster”, Zeitschrift für christliche Kunst und Kunstwissenschaft erstveröffentlicht.

Nachfolge

Weiß-grau hebt sich das zentrale Bildereignis vom gelbroten Hintergrund ab. Menschliche Konturen sind zu erkennen, ein großes Auge, die Umrisse einer orthodoxen Kirche. Farblos erscheinen die Formen, unerfüllt, sie geben sich als leere Räume, die erst gefüllt werden müssen.

Durch die breite, grau schraffierte Fläche scheint die menschliche Gestalt sich nach links zu bewegen, der Kirche zugewandt. Wie bei einem gesprungenen Ei durchzieht eine gezackte Linie die menschliche Form – die durchaus auch für seine Seele stehen könnte – von oben nach unten und signalisiert Erschütterung, Zerrissenheit, vielleicht auch Aufbruch. Der rechten Seite nach zu schließen, ist ein Teil von ihr weggebrochen und hat eine tiefer liegende Schicht freigelegt, die in Verbindung mit der Kirche steht und von der diagonalen, schraffierten Fläche dominiert wird.

Was diese wie ein Berg ansteigende und an eine Felsoberfläche erinnernde Fläche wohl zu bedeuten hat? Gleichzeitig ergeben die sich kreuzenden Linien eine Gitterstruktur und lassen darin ein Netz erkennen. Könnte damit die Berufung des Petrus angesprochen sein, der vom Fischer zum Stellvertreter Christi auf Erden berufen worden ist? „Kommt her, folgt mir nach!“, sagte Jesus zu ihm und seinem Bruder Andreas, „Ich werde euch zu Menschenfischern machen.“ Worauf beide die Fischernetze liegen ließen und ihm nachgefolgten. (Mt 4,19-20)

Später sagte Jesus zu ihm: „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen.“ (Mt 16,18; vgl. Joh 4,42) Ein großer Auftrag, den Jesus dem einfachen Fischer anvertraute. Aber baut Gott letztlich nicht auf jeden von uns seine Kirche? Soll nicht bei jedem von uns der Glaube an Ihn so fest und widerstandsfähig sein wie Gestein? Sind wir nicht alle berufen, Zeugnis von unserem Glauben zu geben und als Menschenfischer für unseren Gott tätig zu sein?

Das Bild von Wolfgang Franken könnte also ein Bild jedes einzelnen von uns sein. Ein Bild der Berufung, bei der es gilt, „Farbe zu bekennen“ und dadurch viel leeren Platz aufzufüllen. Ein Bild der Erschütterung und der Zerrissenheit, die mit jedem Anruf Gottes einhergehen, weil er aus der vertrauten und dadurch oft auch bequemen Welt aufbrechen heißt, und das zudem mit dem anspruchsvollen Auftrag, sein Wort zu leben und zu verkünden, damit die kirchliche Gemeinschaft lebt und wächst. Zu guter Letzt könnte es auch ein Bild der Verwandlung sein. Wer Christus nachfolgt, wird zu einem neuen Menschen. Die goldene Fläche hinter dem Kopf lässt mit ihrem Glanz und ihrer Kostbarkeit an Gott denken, der rückenstärkend mit seinen Berufenen mitgeht, ihnen „Flügel“ verleiht und durch sie Seine heilige Gegenwart aufleuchten lässt. „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir“, fasste Paulus seine Erfahrung im Brief an die Galater (2,20) zusammen.

Menschenfischer

Die Bildszene könnte sich in einem Großstadtpark abspielen. Breite Wege mit flachen Treppen, eine Rollstuhlrampe sowie ein mit einer Mauer begrenzter Grünbereich sind zu erkennen. Ein warmes Rotbraun beherrscht das Bild und lässt den Weg übergangslos in den Hintergrund führen. Was das wohl zu bedeuten hat? Ob da der Himmel auf die menschlichen Wege „ausläuft“ und versucht die Menschen in ihrer Eile zu erreichen?

Alle scheinen sich abzuwenden und eher davonzulaufen. Außer dem einen Mann, der auf dem Mäuerchen sitzt. Die Aktentasche neben sich gestellt, lehnt er sich entspannt zurück und streckt lässig sein linkes Bein vor. Die Ärmel seines Hemdes sind hochgerollt, die Arbeit scheint getan zu sein. Gedankenverloren schaut er um sich, gar nicht merkend, wie von hinten einer ein Netz über ihn wirft. Der “Menschenfischer” kann nur Jesus sein, der zu seinen ersten Jüngern gesagt hat: „Kommt her, folgt mir nach! Ich werde euch zu Menschenfischern machen!“ (Mt 4,19)

Hier bekommt ein Mensch eine neue Aufgabe. Mitten im Alltag. Eine Aufgabe von Gott! Den göttlichen Auftrag, wie Er zu handeln. Familie und Beruf aufzugeben und der Berufung nachzugehen (vgl. 4,22), allen Zeugnis abzulegen von der wirkmächtigen Gegenwart des dreieinigen Gottes (vgl. Joh 14,15-21)

Es sieht aus, als würde Jesus den Mann von hinten überraschen. Das kann sein. Doch kann ich mir auch vorstellen, dass der Künstler damit andeuten möchte, dass es sich mehr um ein inneres Geschehen als um ein äußeres handelt. Die „Träumereien“ wären dann als eine tiefe Einsicht ins Herz zu interpretieren, aus der die Erkenntnis hervorgeht, von Ihm angesprochen zu sein und einen Auftrag erhalten zu haben.

Drehen die Menschen im Vordergrund deswegen von Ihm ab, weil sie nicht angesprochen werden, keine tiefen Einsichten machen wollen? Oder haben sie bereits eine Aufgabe erhalten, sich etwa der Rollstuhlfahrerin anzunehmen? Weint die alte Frau, weil sie von Jesus weggeschoben wird oder weil sie von Ihm im Innersten berührt worden ist?

Ich tendiere in beiden Fällen aufgrund von kleinen gemalten Hinweisen auf eine Bekehrung (wie auch der Maler das Bild betitelt), auf eine Umkehr durch ein tieferes gnadenhaftes Verstehen. Die beiden Männer sehen eher nach jugendlichen Raufbolden aus, denn einer trägt am linken Auge ein „Veilchen“! Aus Gewalttätigen sind Sanftmütige geworden, auch wenn sie sich noch etwas unbeholfen der Rollstuhlfahrerin annehmen.

Auch mit der alten Frau scheint etwas Bewegendes geschehen zu sein, dass sie so herzzerreißend weint. Sind es Tränen der Reue über so manches falsch Gedachte und Gemachte? Noch hält sie einen Zigarettenstummel in ihrer Hand. Ob ihre Invalidität damit zusammenhängt und sie sich eben der Schuld bewusst geworden ist?

Wir wissen es nicht. Ratlosigkeit ist auch beim engelsgleichen Wesen auf der Treppe zu beobachten. Beinahe trotzig sitzt er breitbeinig und den Kopf in geballte Fäuste aufstützend. Eigentlich müsste er sich doch freuen, wenn Menschen sich bekehren. Oder ist er ähnlich wie Jonas nach der Bekehrung von Ninive einfach sauer (Jon 4), weil sich die Menschen bekehrt haben und zu Gott und damit zu ihrem Heil gefunden haben?

Doch was soll die gerade von rechts ins Bild hereinschreitende Frauengestalt zu bedeuten haben? Der Maler hat ihren nackten Körper nur flüchtig gemalt, teilweise nur angedeutet. Sie ist in der Farbe des Hintergrundes gemalt, als wäre sie ganz erfüllt von der „himmlischen“ Farbe. Sie hat nichts zu verbergen und braucht keine Bekehrung. In ihrer lichten Jugendlichkeit und erfüllten Beweglichkeit bildet sie einen Gegensatz zur alten Frau im Rollstuhl, die sich mit ihrer schwarzen Körperfarbe nur durch den Rollstuhl und den Helfer vom Hintergrund abhebt.

Das Bild gibt mir mit den verschiedenen Stadien der Bekehrung zu denken. Jesus ist als Menschenfischer in unserem Alltag! In welcher Gestalt finde ich mich am ehesten wieder?