Kann eine Osterbegegnung bereits ein Pfingstereignis sein? Das Bild von Manfred Hartmann suggeriert es und lässt die Emmaus-Erzählung (Lk 24,13-35) in einem neuen Licht sehen. Sein Bild ist horizontal in eine dunkle und eine helle Hälfte zweigeteilt. In ihrer Anordnung erinnern sie unwillkürlich an Tod und Auferstehung. Zwei Tage ruhte Jesus im Grab. Am dritten Tag erstand er von den Toten. Ob deswegen der Bildträger dreigeteilt ist?
Aus der Dunkelheit des Todes und des Grabes ragt das Kreuz weit nach oben. Es trägt keine Merkmale der Folter mehr. Hell und freundlich scheint in seiner Mitte eine aufgehende Sonne zu leuchten, die beiden Kreuzarme können freundschaftlich die beiden gelben Menschengestalten umarmen: Erscheinung des Auferstandenen inmitten der beiden Jünger! Wie er den Lobpreis sprach und das Brot brach, haben sie ihn erkannt. Ihm zugeneigt, sind die beiden dargestellten Jünger der äußeren Form des Brotes ähnlich geworden. Wie zwei Klammern ( ) umgeben sie das geteilte Brot. Sie sind auch von der warmen Farbe des Brotes erfüllt, Jesus endgültig gleichförmig und gleichfarbig geworden, können sie nun nach Jerusalem zurückkehren und bezeugen, dass Jesus sie auf ihrer Reise begleitet hat und sie ihn als Auferstandenen, als Lebenden erkannt haben.
Im Nachhinein haben sie erst das Brennen ihrer Herzen deuten können, das ihnen die Gegenwart Jesu signalisiert hatte.. Allein sie weilten in der Dunkelheit der Erkenntnis. Ihre dunklen, von Traurigkeit und Niedergeschlagenheit erfüllten Gestalten sind links unten neben dem Herz und in der Mitte der rechten Bildtafel zu erkennen. Wie Jesus vor einigen Tagen von der Dunkelheit des Grabes umschlossen war, so waren ihre Herzen von den unbegreiflichen Eindrücken der vergangenen Tage umgeben und brauchten einen äußeren Impuls, um zu erkennen und von neuem lichterloh für die Sache Jesu zu brennen.
So sehr das Bild im Gesamtaufbau sich von unten nach oben entwickelt, von der Dunkelheit zum Licht, so kann gleichzeitig eine Kreisbewegung im Uhrzeigersinn beobachtet werden, die ihren Anfang rechts unten, in der kleinsten Bildtafel, hat. Zwischen den beiden roten Flächen können auf der einen Jüngergestalt auch die Umrisse einer Schrifttafel gesehen werden, welche an die Darstellungen der beiden Gesetzestafeln des Mose erinnert. Sie könnte auf Jesus verweisen, der von Mose und den Propheten ausgehend, den ihn begleitenden Jüngern dargelegt hatte, was in der gesamten Schrift über ihn geschrieben steht. Die linke rote Fläche mag deswegen pfeilförmig in den oberen Teil hineinragen. Andererseits können die beiden Flächen auch als die Herzen der Jünger gedeutet werden, zweigeteilt, uneinig, unförmig. Und es wäre dann die in dieser symbolischen Steintafel verborgene geheimnisvolle Gegenwart Jesu, welche die Jünger unsichtbar zusammenhalten würde. Durch seine Worte werden sie unterwegs immer mehr zu einer neuen Einheit geformt und mit neuem Leben erfüllt, demjenigen des Auferstandenen. Wie im linken unteren Bildteil dargestellt, brennt diese neue Lebensfülle ähnlich der einem Samenkorn innewohnenden Kraft alle einengenden Grenzen durch und eröffnet dadurch neue Erkenntnisse und daraus resultierende neue Handlungsweisen, die sich ganz am Auferstandenen orientieren.
Vom Geist des Auferstandenen befreit und von Gottes Geist bewegt, werden sie von nun an immer wieder von diesem prägenden Ereignis erzählen und sie werden in der Nachfolge Jesu selbst das Brot in die Hand nehmen, den Lobpreis sprechen und das Brot brechen, um allen Menschen seine hingebende Gegenwart zu offenbaren und lichtvolle, begeisterte Gemeinschaft mit ihm zu ermöglichen.